Digitale Lebenswelten. Kinder kompetent begleiten!

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Diskussionspapier als PDF

Kinder wachsen heute in einer vielfältigen Medienwelt auf, die in eine digitalisierte, alle Lebensbereiche umfassende Umgebung eingebettet ist und vom digitalisierten Rollo über die Mikrowelle bis hin zum programmierbaren Garagentor reicht. Bereits in der frühen Kindheit sind (digitale) Medien Bestandteil des Alltagslebens. Erste Erfahrungen sammeln die Kinder in den Familien, die inzwischen über eine umfassende Grundausstattung und ein breites Medienrepertoire verfügen.[1] Kinder und Eltern sind darüber hinaus mit einem wachsenden kommerziellen Angebot konfrontiert, das bereits auf Kinder im Vorschulalter zielt: Bilderbücher, CDs, DVDs, MP3-Player und Kindertablets mit Hörspielen, Fernsehsendungen und Apps, Lernprogrammen und Spielen gehören ebenso hierzu wie WLAN-fähiges Spielzeug, das via Webcam direkt aus dem Kinderzimmer filmen und Verbindungen ins Internet herstellen kann. Zugleich lässt sich eine zunehmende Konvergenz medialer Angebote und Formate beobachten: Kaum eine Kindersendung wird inzwischen ohne komplementäre Apps oder interaktive Webangebote auf den Markt gebracht[2]; Bücher werden seitens der einschlägigen Verlage bereits für Kinder ab drei oder vier Jahren durch audiodigitale oder Software-gestützte Zusatzinformationen erweitert, die zusätzlich zur Realität des Buchinhalts eine virtuelle Realität erzeugen („Augmented Reality“).[3]
Die Mediatisierung der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern wird – neben dem grundlegenden Prozess der Digitalisierung des Alltags – vor allem durch die „neuen“ Medien in der Familie weiter befördert: Mobil einsetzbare Endgeräte verbreitern durch ihre Portabilität die Nutzungsmöglichkeiten in der Familie; Smartphones und Tablet-Computer mit ihren speziellen Bedienober-flächen sind schon für die Jüngsten attraktiv, da die Gestenkommunikation (wie drücken, zoomen, wischen etc.) den Fähigkeiten sowie der Art und Weise der Kinder entgegenkommt, sich mit Medien und anderen Gegenständen auseinanderzusetzen. Sofern die Eltern es erlauben oder Geschwister es ermöglichen, werden diese Geräte ebenso wie Computer und Internet schon von Klein- und Vorschulkindern mitgenutzt (s.u.).[4] Von der Familie transportieren die Kinder ihre Medienerfahrungen und medialen Vorlieben aktiv in die Kindertageseinrichtungen hinein, spielen die Geschichten ihrer Lieblingsheldinnen und -helden nach, entwickeln diese in der Fantasie weiter, benutzen Handys, Skype, Kameras und andere Medien im Rollenspiel.[5]
Der beschleunigte Wandel der Informations- und Kommunikationstechno-logien, die zunehmende Durchdringung der kindlichen Lebensbereiche durch Medien (Mediatisierung) und das wachsende Medienangebot tragen bei Eltern und Fachkräften gleichermaßen zur Verunsicherung darüber bei, wie insbesondere die digitalen Medien die kindliche Sozialisation beeinflussen, welche Effekte diese auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder haben, in welchem Alter und in welcher Form sie ihnen den Zugang zu geeigneten Inhalten erlauben oder diesen unterbinden sollten. Der weitverbreitete Wunsch nach Orientierung spiegelt sich auch im boomenden Markt an Ratgeberliteratur wider, die klare Rezepte zur „richtigen“ Medienerziehung verspricht.[6]
Die skizzierten Veränderungen in der kindlichen Lebenswelt und im Familienalltag bieten für die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ den Anlass, den Stellenwert von Mediatisierung und Digitalisierung für Klein- und Vorschulkinder näher zu beleuchten, den veränderten Rahmen für die Bewältigung ihrer altersspezifischen Entwicklungsaufgaben kritisch zu beschreiben, die Bedarfe von Kindern, Eltern und Fachkräften zu benennen sowie wichtige Schritte auf dem Weg zur Umsetzung frühkindlicher Medienbildung in Kindertageseinrichtungen aufzuzeigen. Dabei stehen die in der UN-Kinderrechtskonvention verbürgten Rechte auf Information und Zugang zu Medien (Art. 17 UN-KRK), auf Bildung (Art. 28 UN-KRK) sowie auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13 UN-KRK) ebenso im Zentrum wie die Rechte auf Privatsphäre (Art. 16 UN-KRK), Kinder- und Jugendschutz (Art. 17 UN-KRK), gesundes Aufwachsen (Art. 24 UN-KRK) und Schutz vor Gewalt (Art. 19 UN-KRK).
Das Diskussionspapier schließt an das Positionspapier der AGJ „Mit Medien leben und lernen – Medienbildung“ vom Dezember 2014 an, das auf die Bedeutung von Mediatisierung und Digitalisierung für das Aufwachsen junger Menschen und ihrer Teilhabe an der Gesellschaft aufmerksam macht. Es fordert die Kinder- und Jugendhilfe dazu auf, sich in allen Handlungsfeldern mit den veränderten Bedingungen einer mediatisierten und digitalisierten Lebenswelt ihrer Adressatinnen und Adressaten kritisch auseinanderzusetzen und die hiermit verbundenen Anforderungen in ihr Professionsverständnis zu integrieren.[7]

1. Den veränderten Rahmenbedingungen in der kindlichen Lebenswelt Rechnung tragen und Forschung ausbauen

Digitale Medien spielen – wie empirische Untersuchungen belegen – im Alltag von Kindern eine seit Jahren stetig wachsende Rolle. In diesem Zusammenhang untersucht der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest seit 1999 das Medienverhalten von Kindern, die Zugänglichkeit unterschiedlicher Medien im Haushalt sowie deren Nutzungshäufigkeit. In der aktuellen Erhebung halten die Forscher für das Jahr 2014 u.a. fest: 98% der Sechs- bis 13-Jährigen haben zuhause potenziell Zugang zum Internet, insgesamt 63% nutzen es zumindest selten. Während sich der Anteil der Nutzer seit der vorangegangenen KIM-Studie im Jahr 2012 nur um einen Prozentpunkt erhöht hat, ist vor allem die Nutzungshäufigkeit des Internets deutlich angestiegen.[8] Gleichzeitig verlagert sich das Alter, in dem Kinder digitale Medien nutzen, immer weiter nach vorn. So erhebt der o.g. Forschungsverbund seit 2012 konsequenterweise auch den Medienumgang von Zwei- bis Fünfjährigen. Dabei zeigt sich, dass das aktiv genutzte Medienrepertoire der Kinder zwischen zwei und fünf Jahren insgesamt deutlich steigt. Insbesondere beim Fernsehen sowie bei Computer-/Konsolen- und Onlinespielen wird allerdings die höhere Nutzungsfrequenz der vier- bis fünfjährigen Kinder im Vergleich zu den Zwei- und Dreijährigen sichtbar. Leitend für die Aktivitäten beider Altersgruppen sind jedoch nach wie vor die traditionellen Medien, d.h. Buch und Fernseher, deren Nutzung durch die neuesten digitalen Medien lediglich ergänzt wird.[9]
Zu berücksichtigen ist auch, dass die Dauer und Häufigkeit der Nutzung von digitalen Bildschirmmedien durch kleine Kinder jeweils von den Nutzungsregeln und vom Nutzungsstil der Eltern abhängt. In einer noch unveröffentlichten explorativen Studie des DJI zeigt sich etwa, dass das Ansehen von Videos zu einer längeren Nutzungsdauer führt als das Bedienen von Apps. Ein ähnlicher Effekt wird sichtbar, sobald Eltern ihre Kinder beim Umgang mit dem Tablet begleiten. Aktiv begleitete Kinder nutzen Tablets länger als Kinder, die alleine spielen oder lediglich passiv begleitet werden.[10] Längere Mediennutzungszeiten gehen also durchaus auch mit ausgeprägterem Interesse von Eltern an der Medienbildung ihrer Kinder Hand in Hand. Gleichwohl werden Tablets oder Smartphones von Eltern ebenfalls zur Ablenkung der Kinder oder als „Babysitter“ genutzt und erfüllen damit ähnliche Funktionen wie der Fernseher.[11]
So unstrittig sich der mediale Wandel der kindlichen Lebenswelt darstellt, so kontrovers werden diese Entwicklungen in der Fachdebatte bewertet. Je nach Position schwankt die Auseinandersetzung über Potenzial und Risiken digitaler Medien für den frühkindlichen Entwicklungsprozess, changiert der Diskurs zwischen Bildung und Teilhabe, Gefährdung und Schutz sowie Autonomie und Befähigung der Kinder in Familie und Kindertageseinrichtung.[12]
Dabei werden einerseits das Recht der Kinder auf ein gutes Aufwachsen mit Medien und die Chancen (früher) Medienbildung betont (Bildung durch, über und mit Medien, Ausgleich unterschiedlicher Sozialmilieus)[13]. So arbeitet beispielsweise Neuß sieben Gründe für die Medienbildung in Kindertages-einrichtungen heraus: Genannt werden Lebensweltrelevanz (Kinder haben bereits einen Zugang zu vielfältigen Medien), Prävention (zur Verhinderung von Entwicklungsrisiken), Fördermöglichkeiten (bspw. gestützte Sprachförderung), qualitativ hochwertige Bildungsangebote (Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation in der Informationsgesellschaft), Erziehungspartnerschaft (Medienkompetenzförderung), Kinder verstehen (kindliche Wahrnehmung von Medieninhalten nachvollziehen), Konzeptentwicklung (Chancen der Profilbildung für Einrichtungen)[14].
Demgegenüber problematisieren andere Beiträge die Gefahren digitaler Medien. Hier reichen die Positionen von der Notwendigkeit eines effektiven Kindermedienschutzes und dessen Herausforderungen für Eltern, Fachkräfte und Staat[15] bis hin zur kategorischen Ablehnung einer frühen Nutzung digitaler Medien. Einen solchen Standpunkt nimmt etwa die Medienpädagogin Paula Bleckmann ein, die auf die schädlichen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf den frühkindlichen Entwicklungsprozess verweist und Vorschulkindern – insbesondere Kleinkindern – aufgrund ihrer noch unausgeprägten kognitiven Fähigkeiten „Medienmündigkeit“ (im Sinne von Reifung und Selbstbe-stimmung) abspricht. Sie geht davon aus, dass die Risiken für die Kinder umso geringer sind, je später und kürzer der Medienkonsum erfolgt. Deshalb sollten Eltern entsprechend beraten sowie Krippen und Kindertages-einrichtungen als bildschirmmedienfreie Entwicklungs- und Begegnungsräume ausgestaltet werden.[16,17]
Die unterschiedlichen Einschätzungen sowie teils widersprüchlichen Empfehlungen zur frühen Mediennutzung etwa zum Einstiegsalter und zur Medienbildung in Familie und Kindertageseinrichtungen sind auch darauf zurückzuführen, dass die Diskussion zu großen Teilen auf normativer Ebene geführt wird. Das bildungspolitische und wissenschaftliche Interesse an der Gruppe der Klein- und Vorschulkinder ist in den letzten Jahren zwar deutlich gestiegen. Mit Ausnahme weniger Studien fehlt es auf breiter Ebene jedoch weiterhin an grundlegenden theoretischen Beiträgen und empirischen Studien, die eine Orientierung im weiten Spektrum der Thematik bieten. So besteht ein großer Bedarf an Untersuchungen zum Stellenwert (digitaler) Medien in der kindlichen Biographie und zum Zusammenwirken unterschiedlicher Medienan-gebote in ihren Effekten auf die frühkindliche Entwicklung. Zugleich mangelt es an Befunden zur Medienbildung in den Familien und an repräsentativen Studien zur Bedeutung und Evaluierung der medienpädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen.
Die AGJ weist nachdrücklich auf das bestehende Forschungsdesiderat zu den Nutzungsweisen digitaler Medien durch Klein- und Vorschul-kinder und den Auswirkungen einer mediatisierten Kindheit hin. Sie plädiert für eine Intensivierung der Forschungsaktivitäten und fordert die Umsetzung von Längsschnitt-Studien mit quantitativen und qualitativen Zugängen, die eine empirisch gestützte, altersgemäße Medienbildung von Anfang an ermöglichen.

2. Medien als Herausforderung für kleine Kinder begreifen und die Aneignung von Medienkompetenzen ermöglichen

Digitale Medien sind aus dem Leben von Klein- und Vorschulkindern nicht mehr wegzudenken. Aus Sicht der Eltern und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen ist deshalb die Frage zu beantworten, wie Kinder digitale Medien erleben, welche Rolle diese im Alltag der Kinder spielen können und sollen und welche Begleitung beim kindlichen Umgang mit digitalen Medien erforderlich ist.
Nach ersten Ergebnissen der unveröffentlichten DJI-Beobachtungsstudie erleben zweijährige Kinder digitale Medien als Herausforderung. Sie müssen jeden Schritt lernen und können sich zu Beginn, wie in allen Lernprozessen, nicht auf ihre Intuition verlassen. In der Erprobung von digitalen Medien wenden sie zunächst ihre haptischen Erfahrungen an und scheitern dabei oftmals. Grund hierfür ist das noch unausgeprägte „abstrakte Funktionswissen“.[18] Das Drücken von Knöpfen gelingt Kleinkindern deutlich besser als Wischen, Ziehen oder Schieben. Insbesondere glatte Bildschirmoberflächen und die Ausübung von gezieltem Druck sind für kleine Kinder schwierig. Beobachtung ist der Motor ihrer Erkenntnis. Sie müssen zur Aktion motiviert werden und verlangen Hilfe von ihren Bezugspersonen. Feil bezeichnet diese Nutzungsweise als „geführtes Navigieren“. Drei- und vierjährige Kinder haben ebenfalls noch Probleme mit glatten Oberflächen oder kleinen Flächen. Sie zeigen im Umgang mit dem Tablet große Geduld und Konzentration, wenn etwas nicht funktioniert, experimentieren aber nicht und wenden lediglich bereits bekannte Navigationsformen an. Stattdessen fragen sie nach, wenn etwas nicht wie vermutet gelingt. Je älter Kinder werden, desto ausgeprägter sind ihre kognitiven Kompetenzen für die Erfassung von Inhalten und Navigation. Ab einem Alter von fünf bis sechs Jahren sind ihre motorischen Fähigkeiten ausreichend ausgeprägt und zunehmend steht die Logik des Inhalts im Vordergrund. Überforderung quittieren Kinder indem sie sich entziehen. Sie haben unterschiedlich viel Interesse an den Inhalten.[19]
Insgesamt zeigen Kinder viel Spaß und Freude an digitalen Medien, die – so die DJI-Studie an Gestik, Mimik, Lauten und Worten abgelesen werden können. Ihre Nutzung wird für Kinder als körperlich anstrengend beobachtet. Um Inhalte zu erfassen, brauchen Kinder Erklärungen und Gesprächs-situationen. Ein altersübergreifendes Phänomen ist die Schwierigkeit, sich vom Spielen zu trennen.[20]
Die Ergebnisse zeigen, dass es nicht ausreicht, Klein- und Vorschulkinder allein als „Digital Natives“ zu betrachten, die sich den medial angebotenen Spiel- und Erprobungsräumen fasziniert und neugierig zuwenden, neuen Medienentwicklungen offen gegenüberstehen und quasi automatisch in einen technisch kompetenteren, selbstverständlicheren und routinierteren Umgang mit digitalen Medien als Erwachsene hineinwachsen. Wenn Kinder digitale Geräte nicht nur nutzen, sondern auch verstehen sollen, dass diese Geräte das machen, was man ihnen “sagt“, dann brauchen sie dafür Kompetenzen, die weit über Kenntnisse der klassischen Mediennutzung hinausgehen und eine ausgeprägte Urteilskraft voraussetzen. Urteilsfähigkeit ist eine Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Welt und steigt mit dem Alter und Bildungsgrad der Kinder. Sie bestimmt maßgeblich, wie gut Kinder Informationen aus digitalen Medien einzuschätzen lernen. Medienkompetenz schließt nach Baacke die Dimensionen Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung sowie Mediengestaltung ein.[21] Medienkompetenz wird hier als umfassender Begriff verwendet: sie ist als Teil der kommunikativen Kompetenzen zu betrachten und geht deutlich über technisch-instrumentelle Fähigkeiten hinaus. Der Begriff stellt die kritische Reflexion von Medien zentral. Damit Kinder ihre mediale Handlungsfähigkeit umfassend entfalten können, ist somit eine frühe Medienbildung erforderlich, die den Entwicklungsaufgaben und dem Kompetenzbedarf der Kinder entspricht.
Die AGJ unterstreicht die Bedeutung einer Medienerziehung und -bildung, die Kinder in ihrer Entwicklung begleitet und den kompetenten, d.h. gleichermaßen kritischen wie reflektierten, kreativen wie verantwortungsvollen Umgang mit Medien gezielt fördert, ihnen dabei umfassende Teilhabemöglichkeiten einräumt und ausreichende Räume der selbstständigen Entdeckung lässt. Dies schließt die aktive Begleitung bei der Mediennutzung durch Eltern und Fachkräfte ein. Zur Medienerziehung gehört neben dem kindgerechten Zugang zu Medien für alle Kinder auch, dass Regeln verhandelt und Zeiten der Medien-nutzung etabliert werden.

3. Eltern im Umgang mit digitalen Medien Sicherheit bieten

Das Elternhaus ist der zentrale Ort, an dem die frühe Mediensozialisation der Kinder erfolgt. Deshalb gelten Eltern in der Fachöffentlichkeit als zentrale Instanz, die Kinder in ihrer digitalen Mediensozialisation und bei der Entwicklung von Medienkompetenz begleiten und unterstützen kann und soll. Sie sind Vorbilder, bestimmen den Zugang ihrer Kinder zu Tablet oder Handy und regulieren im Zuge ihrer Erziehungsverantwortung das Mediennutzungs-verhalten ihrer Kinder. Medienerziehung in der Familie setzt jedoch ein entsprechendes Interesse und hinreichende Kompetenzen der Mütter und Väter voraus.[22] Die Internet-Affinität und das Risikoverhalten der Eltern sowie deren Erziehungsstil und Bildungshintergrund bestimmen maßgeblich wie Kinder das Internet nutzen, in welcher Form sie begleitet werden und auf welche Inhalte sie zurückgreifen. Eine unzureichende Orientierung am Kind in der Erziehung zieht auch ein geringes Interesse am Thema der Medienerziehung nach sich.[23] Obwohl die meisten Eltern sich selbst einen hohen Kenntnisstand zum Thema Kinder und Medien attestieren, wünschen sich viele dennoch weitere Informationen und den Austausch mit anderen Eltern. Sie wünschen sich darüber hinaus die Durchsetzung des Kinderschutzes im Internet, so dass ein sicherer virtueller Ort für Kinder entsteht und erwarten von öffentlichen Institutionen seriöse Erziehungsinfor-mationen.[24]
Der Anteil von Eltern, die mit zunehmender Digitalisierung ihres Alltags und fortschreitender eigener Kompetenz die Chancen der digitalen Welt auch für kleine Kinder entdecken, steigt. Nach einer repräsentativen Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) stellt Medienkompetenz für diese Eltern die Voraussetzung zur Teilhabe an einer digitalisierten Welt dar. Vorteile sehen Eltern in der spielerischen Leichtigkeit, mit der Kinder sich digitale Kompetenzen aneignen. Digitale (Lern)Spiele werden als pädagogische Unterstützung und Motivationsförderung betrachtet und stehen in dem Ruf, Motorik, Geschicklichkeit und Konzentrationsfähigkeit zu fördern.[25] Eltern werden ihrerseits in ihrer Erziehung durch digitale Medien unterstützt. Apps erleichtern z.B. das Vorlesen. In Studien gibt es Hinweise darauf, dass insbesondere Väter, die deutlich seltener vorlesen als Mütter, durch Apps profitieren.[26] Sind Eltern in ihrer Medienerziehung unsicher, wenden sie sich meist an Personen aus ihrem direkten Umfeld oder ziehen das Internet als Quelle für pädagogische Entscheidungen heran. Die Vielfalt von Informationen und Angeboten ist für viele Eltern unübersichtlich. Es zeigt sich, dass Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen eher das Gespräch suchen und Informationen aus dem persönlichen Kontakt ziehen.[27] Außerdem wurde festgestellt, dass Eltern dem Thema der Medienerziehung in Kindertageseinrichtungen verhalten gegenüberstehen. Insbesondere Mütter begegnen dem Umgang ihrer Kinder mit digitalen Medien in den ersten Bildungsinstitutionen kritisch.[28]
Noch sind Kindertageseinrichtungen kein primärer Anlaufpunkt für die medienpädagogische Beratung von Erziehenden, obwohl das Potenzial bemessen an ihrer Reichweite offenkundig ist. Sie können für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern Zugang zu pädagogisch wertvollen Medienin-halten bieten und damit zur Chancengleichheit von Kindern beitragen, sie können Eltern in medienpädagogischen Konfliktsituationen mit ihren Kindern unterstützen und Medienkompetenz vermitteln. Nicht alle Eltern mit einem Bedarf an Medienbildung haben auch das Bedürfnis nach mehr Informationen. Hier zeigt sich ein klassisches Dilemma der Bildungsvermittlung. Angebote erreichen häufig gerade jene nicht, die ihrer besonders bedürften. Es muss also geklärt werden, wie Angebote nah an den Lebenswelten von Familien und an deren individuellen Ressourcen ansetzen können. Ein Stolperstein auf dem Weg gelungener Medienerziehung durch Kindertageseinrichtungen ist aus Sicht der Eltern ein unterdurchschnittliches Vertrauen in die Kompetenzen der Fachkräfte.[29]
Die AGJ empfiehlt, dass sich Bildungsinstitutionen von Anfang an als starker Partner in der Medienerziehung für Eltern zeigen und sie auch in medienpädagogischen Fragen beraten, damit Eltern sich bei pädagogischen Unsicherheiten gut informiert positionieren können.

4. Die Verantwortung von Fachkräften und Kindertageseinrichtungen für Medienbildung fördern

Ähnlich wie Eltern sind Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen mit die ersten Bezugspersonen, die Kinder bei ihren Schritten in die Welt begleiten und Wege ebnen. Über 90% der Kinder ab einem Lebensalter von drei Jahren besuchen eine Kita. Fachkräfte erleben Kinder in ihrer Vielfalt und in ihren unterschiedlichen Lebenslagen. Von ihnen wird erwartet, ungleiche Chancen von Kindern auszugleichen und Benachteiligungen abzubauen. Mit wachsender Medienpräsenz im Leben von Kleinkindern stehen frühpädagogische Fachkräfte auch zunehmend vor der Herausforderung, digitale Medien in ihre Bildungs- und Erziehungskonzepte zu integrieren. Im Selbstverständnis vieler Erzieherinnen und Erzieher ist Medienpädagogik jedoch bisher nicht verankert. Nach einer Studie über Medienerziehung in Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen[30] sehen sich die Einrichtungen selbst ebenfalls größtenteils in der Verantwortung zur Medienerziehung. Je höher das Interesse der Eltern an medienpädagogischen Fragen, desto größer ist auch die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme seitens der Einrichtungen. Gemäß einer Bremer Studie stehen die Fachkräfte dem Medieneinsatz und der Medienbildung in der Kita in der Tendenz eher skeptisch gegenüber. Andere Bereiche, die auf der Bildungsagenda für den Elementarbereich stehen, werden deutlich bevorzugt.[31]
Auch aus dieser Perspektive wird deutlich, dass bundesweite Studien zur frühen Bildung in Kindertageseinrichtungen und zur medienpädagogischen Kompetenz des Fachpersonals bislang fehlen.[32] Insbesondere vor dem Hintergrund der rasanten Verbreitung digitaler Medien ist hier Anschluss-forschung nötig. In regionalen Studien zeigt sich, dass Medienkompetenzförderung im Alltag der Kindertagesstätten häufig an Ressourcenknappheit scheitert. Genannt werden mangelnde Zeit, mangelnde Medienkompetenz und Unsicherheit der Erzieherinnen und Erzieher sowie eine unzulängliche Ausstattung der Einrichtungen. Erzieherinnen und Erzieher sind beim Einsatz insbesondere der neuen Medien stark gefordert. Sie müssen einen eigenen Zugang zur Welt der Tablets, Smartphones und PCs gefunden haben, um ihn an Eltern und Kinder vermitteln zu können. Ihnen werden Kenntnisse über Gefahren und Risiken abverlangt und es wird erwartet, dass sie Anregungen für wertvolle pädagogische Angebote anbieten. Fachkräfte der frühkindlichen Erziehung müssen angstfrei mit den neuen Medien agieren lernen. Ausreichende Unterstützung dafür fehlt bislang. Es bestehen entsprechend Bedarfe im Hinblick auf Akzeptanz, Ausbildung und Qualifizierung der Fachkräfte sowie im Hinblick auf Forschung und Ausbau der Infrastruktur. Dies schließt ein altersgemäßes, hochwertiges Medienangebot in den Einrichtungen ein. Nach den Erfahrungen von Schule sollte die Medienaffinität der Einrichtungen (auf Ebene der Leitung und Fachkräfte) bei der Ausstattung mit technischen Geräten berücksichtigt werden. Flexible Abrufzeiten für Anschaffungen würden vermeiden, dass neue Geräte ungenutzt veralten.
Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien im Familienalltag und der Faszination von Kleinkindern für Medien plädiert die AGJ dafür, Kindertageseinrichtungen als Orte der Medienbildung auszubauen. Es ist erforderlich, dass Träger und Einrichtungen Medien-bildungskonzepte entwickeln. Die AGJ fordert frühe Medienbildung als Querschnittsthema zu begreifen und konsequent in den Alltag von Kindertageseinrichtungen zu integrieren. Aus Sicht der AGJ ist der Bereich der Medienkompetenz einschließlich der kritischen Reflexion von Mediennutzung in die Curricula der Fach- und Hochschulen für die Ausbildung und für die Fortbildung von frühpädagogischen Fachkräften zu implementieren. Einschlägige Fachorganisationen sollten von Seiten des Bundes bei der Durchführung von Medienkompetenzprogrammen strukturell gefördert werden, so dass eine flächendeckende Fachkräfte-Weiterbildung und mit ihr die Verbreitung und Umsetzung vorhandener medienpädagogischer Konzepte (u.a. durch medienpädagogische Vereine und Initiativen) möglich wird. In Kindertageseinrichtungen sollte Medienbildung alltagseingebettet und in das jeweilige pädagogische Konzept integriert erfolgen.

5. Die medienerzieherischen Potenziale von Fachkräften in der Elternarbeit stärken

Für eine gelungene Medienkompetenzförderung der Kinder ist die Kooperation der Bildungsinstitutionen mit den Eltern ratsam. Sie ist zudem in eine Vielfalt anderer Bildungsthemen integriert und eng mit Gesundheitsförderung, Konsumerziehung, Bewegungserziehung und familiärer Freizeitgestaltung verbunden.[33] Erfolgversprechend für die Medienbildung der Eltern sind in erster Linie niedrigschwellige Angebote und solche zur Sensibilisierung für das Thema. Im öffentlichen Diskurs herrscht nach wie vor ein Ungleich-gewicht der Wahrnehmung von Chancen und Risiken digitaler Medien. Eltern hier zu einem differenzierten Bild zu verhelfen, das eine pauschal negative Sicht auf digitale Medien ablöst[34], sollte der erste Grundsatz von Elternarbeit in diesem Feld sein. Als Kommunikationsvehikel eignen sich bewährte Instrumente der Elternansprache wie Themenschwerpunkte beim Elternabend oder Elternbriefe. Nicht nur im Hinblick auf problembelastete Familien ist die Kooperation von Kindertageseinrichtungen mit Erziehungsberatung und Familienbildung (vgl. SGB VIII, § 22a, (2), 2. Punkt) empfehlenswert. Medienerziehung darf kein Thema sein, mit dem Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen allein gelassen werden. Die große Pluralität von Informationsbedürfnissen und -bedarfen deutet darauf hin, dass ein gesellschaftspolitischer Dialog Sachlichkeit in die kontroverse Diskussion bringen muss.
Eltern und Fachkräfte sind dafür zu sensibilisieren, wie omnipräsent digitale Medien den Alltag auch kleiner Kinder beeinflussen. Sie lernen v.a. durch Abschauen und Imitation von Bezugspersonen. Elterlicher Umgang mit dem Internet und mit technischen Geräten wie dem Computer, Tablet oder Handy bestimmt nachhaltig auch den Umgang von Kindern mit diesen Geräten. Unabhängig vom pädagogischen Konzept und praktischen Fragen über Zeitpunkt und Häufigkeit der Nutzung von digitalen Medien durch Kinder muss Eltern dies bewusst werden, so dass sie beginnen, ihren Einfluss auf den Medienkonsum ihrer Kinder zu reflektieren und Medienerziehung ernst zu nehmen. Eltern sollten unterstützt werden, eigene Strategien zu entwickeln.
Für Fachkräfte heißt dies, Eltern individuell zu begegnen und sie gezielt auf der Basis ihrer Ressourcen einzubinden, ohne zu urteilen oder zu belehren. Erzieherinnen und Erziehern kommt die überaus schwierige Aufgabe zu, Eltern ihr digitales Verhalten im Alltag zu spiegeln und für die Rechte der Kinder einzutreten. Die AGJ weist darauf hin, dass ausreichend eigene Kenntnisse, Durchsetzungsfähigkeit und Weitsicht Schlüsselkompetenzen sind, die Fachkräfte als Voraussetzung für Medienerziehung benötigen. Es geht für sie nicht allein um die Weitergabe der „vierten Kulturtechnik“, sondern um die selbstreflexive Ausbildung notwendiger sozialer Grundkompetenzen.

6. Die Möglichkeiten digitaler Medien in der Frühpädagogik ausschöpfen

Medienerziehung dient der Entwicklungsförderung, d.h. sie ist kein Selbstzweck, sondern ein Vehikel zum Transport mannigfaltiger Inhalte.
Im Zentrum von PC-gestützten Lernspielen steht häufig Sprachförderung, die auch interkulturelle Lernerfahrungen ermöglicht und phonologisches Bewusstsein schafft. Audio-visuelle Angebote fördern das Hörverstehen und die Ausbildung rhetorischer Fertigkeiten durch Nacherzählen. Die kognitive Entwicklung wird durch Gedächtnis- und Wiedererkennungsleistungen gestärkt. Digitale Medien knüpfen an kindliche Erlebniswelten an. Erzieherinnen und Erzieher können sich über mediale Geschichten der Realität von Kindern annähern und Emotionen mit ihnen verarbeiten. Digitale Medien dienen der Sensibilisierung von Sinnen und der Übung von Konzentration. Insbesondere wenn Kinder Medien selbst gestalten und sich diese zu eigen machen (z.B. beim Erstellen von Bildern, Hörspielen oder Video-Clips), entwickeln sie kreative Gestaltungskompetenzen. Digitale Medien können zur Ausbildung eines „Erinnerungsschatzes“ eingesetzt werden. So können Kinder Erlebnisse aus ihrer Lebenswelt nachvollziehen, erklären und dokumentieren.[35]
Auch bei der Interpretation von Medieninhalten profitieren Kinder von der Expertise ihrer Erzieherinnen und Erzieher. Diese helfen z.B. dabei die häufig geschlechtsstereotypen Medienhelden und entsprechende Vorlieben, Umgangs- und Verhaltensweisen der Kinder zu hinterfragen und sie in den unterschiedlichsten Interessen zu unterstützen und zu befähigen. So trägt eine gendersensible Medienpädagogik dazu bei, dass sich kleine Mädchen nicht allein über rosafarbene Prinzessinnen definieren und kleine Jungen ihre Identität nicht nur über die Affinität zu starken und wettkampfgeschulten Charakteren aufbauen. Medienkompetenzbildung sollte entsprechend gendersensibel sein und reflektieren, welche Geschlechtsrollenklischees mit welchen gesellschaftlichen Statuspositionen verbunden sind. Fachkräfte unterstützen Kinder darin, Sach- von Werbeinformationen zu unterscheiden sowie Geschichte und Realität zu trennen. Mediale Lernangebote entfalten ihr Potenzial in erster Linie durch Interaktionsmöglichkeiten zwischen Medium, kindlicher Welt und Erziehenden. Sie geben Kindern die Möglichkeit des selbstständigen Lernens und Erzieherinnen und Erziehern neue pädagogische Möglichkeiten an die Hand. Kinder lernen auf diese Weise, sich frühzeitig in einer Welt zurecht zu finden, in der die Grenzen zwischen analogen und digitalen Lebensräumen zunehmend verfließen.
Die AGJ fordert Fachkräfte auf, Medienerziehung als Instrument so einzusetzen, dass sie Kinder in ihrer Entfaltung unterstützt, Förder-bedarfe berücksichtigt und Gleichstellung (auch der Geschlechter) fördert.

7. Kindern einen unverzweckten Zugang zur digitalen Welt eröffnen

Kinder werden mit Blick auf den „demografischen Wandel“ häufig als Bildungsressourcen angesehen, deren hochwertige Ausbildung in der Zukunft dem Fachkräftemangel entgegen wirken soll. Das Bundesfamilienministerium unterstreicht, dass Medienbildung in Kindertageseinrichtungen einen Schritt zur Förderung der Bildungsbiografien darstellt[36] und macht damit die qualitativen Erwartungen an frühe Förderung deutlich. Eine Reihe internationaler Großkonzerne hat mit ähnlichen Interessen eigene Programme der Medienkompetenzförderung aufgelegt[37]. Gleichzeitig spiegelt sich in Bildungseinrichtungen die ungleiche Teilhabe von Kindern an Medienbildung wider, die zu einem „digital divide“ führt[38]. Soziale Herkunft und ungleiche Ressourcen haben einen Einfluss auf kindliches Medienhandeln. In Familien mit niedrigem Bildungshintergrund sind häufiger Spielekonsolen vorhanden. Steigen die Bildungsaspiration und der sozioökonomische Status in der Familie, ist das Medienangebot breiter und „bildungsrelevanter“. Insbesondere unterscheiden sich aber bildungsspezifische Fähigkeiten und wirken sich auf Teilhabechancen aus, da unterschiedliches Mediennutzungsverhalten im sozialen und bildungsinstitutionellen Stellenwert differiert. Gesellschafts-relevant ist ein kritisch-reflexiver Umgang mit Medien, den meist Kinder mit höherem kulturellem Kapital entwickeln. Sie tendieren in ihrem Medienhandeln zu wissens- und beteiligungsbezogenen Praxen. Kinder mit niedrigerem kulturellem Kapital prägen dagegen eher präsentative Interessen und Fähigkeiten (z.B. Geschick bei Spielen und Foto-Upload) aus, die in formalen Bildungssettings weniger anschlussfähig sind.39 Kinder müssen zu einem breiten Spektrum an Medienhandeln befähigt werden, um diesen habituellen Chancenungleichheiten zu begegnen. Gleichzeitig dürfen ihre spezifischen Praxen nicht abgewertet werden. Auch hier sind Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen in der Pflicht, die lebensweltlichen Ressourcen der Kinder und Familien einzubinden und wertzuschätzen. Insbesondere Fachkräfte in Sozialräumen mit vielen ressourcenbenachteiligten Kindern brauchen allerdings Unterstützung und deutlich verbesserte Personal-schlüssel.
Die AGJ befürwortet einen kinderrechtsbasierten Zugang zur Medienbildung, der die Rechte auf Information, Teilhabe und Bildung zentral stellt. Sie weist darauf hin, dass Fachkräfte einer ausgeprägten Urteilsfähigkeit bedürfen, um Teilhabechancen von ökonomistischen Bildungsprinzipien zu unterscheiden und Kindern pädagogisch geschützt Erfahrungsräume zu ermöglichen. Dabei sind Bildungsan-forderungen auch kritisch zu reflektieren. Fachkräfte sind in ihrer Urteilsfähigkeit durch Fortbildungen zu unterstützen.

8. Den Schutz von Kindern im Internet gewährleisten

Medienbildung sollte in einem Zusammenhang mit dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz, der im SGB VIII (§ 14) verankert ist, weiterentwickelt werden. V.a. im Hinblick auf Gefährdungssituationen für Jugendliche hat die JFMK 2015 in Perl ein Eckpunktepapier beschlossen, nach dem diese Verbindung herausgestellt wird und niedrigschwellige Angebote zum Umgang mit digitalen Medien für junge Menschen und ihre Eltern nach § 14 SGB VIII angeregt werden. Als Gefahren werden hier die Konfrontation mit Pornografie, Extremismus und extremer Gewalt genauso wie Cybermobbing und exzessive Mediennutzung herausgestellt. Für kleine Kinder bestehen einige dieser Gefahren ebenfalls. Zu diesen sicher nicht abschließend aufgezählten Punkten sowie auch bei Missbrauch von Fotos, scheinbar kostenlosen Apps für Kinder und ungeeigneten Werbeinhalten sind Bund, Länder, Kommunen und die Wirtschaft bzw. Anbieter in der Verantwortung, gemeinsam ausreichende Schutzkonzepte zu entwickeln. Der Austausch aller am gesetzlichen und erzieherischen Kinder- und Jugendschutz beteiligten Akteure in einem Forum wird von der AGJ begrüßt, ebenso wie das Ziel, Lösungen für Anbietervorsorge, Risikoprävention und Befähigung zur Selbsthilfe zu entwickeln. Die Stärke des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes liegt darin begründet, dass Angebote zur Befähigung der Zielgruppe beitragen, Gefahren selbstständig zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Eigenverantwortung und Selbstwirksam-keit stehen hier im Mittelpunkt. Mehr noch müssen Kinder in ihrer medien-pädagogischen Entwicklung auch als Akteure ihrer eigenen Lebenswelten anerkannt werden. Medienpädagogik bedarf vor diesem Hintergrund neben dem Zugang aller Kinder zu Medienbildung auch ausreichender Mitbestimmungsmöglichkeiten und Beteiligung. Kinder und ihre Eltern benötigen darüber hinaus fundiertes Wissen zum Datenschutz. Kinder haben nach der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Information genauso wie auf den Schutz ihres Privatlebens (Art. 16 UN-KRK) und den Schutz vor schädlichen Medieninhalten (Art. 17 UN-KRK). Sie besitzen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datensouveränität. Die AGJ weist nachdrücklich darauf hin, dass Eltern, die Bilder und Informationen ihrer Kinder ohne deren Einverständnis über soziale Netzwerke weitergeben, die Schutzrechte ihrer Kinder verletzen. Genauso ist Spielzeug, das Verbindungen ins Internet herstellt und mit Kameras ausgestattet ist, eine potenzielle Gefahr, die sorgfältig abgewogen werden muss.
Die Bundesregierung ist in der Pflicht, sich gegenüber weitreichenden Problemen der Datensicherheit als Anwalt der Bevölkerung und insbesondere von Kindern zu behaupten und ihre Datensouveränität v.a. gegenüber Großkonzernen durchzusetzen.

Fazit

Kleine Kinder gehen auf vielfältige Weise mit digitalen Medien um – ein Trend, der sich in Zukunft weiter fortsetzen wird. Medienerziehung ist deshalb auch in den ersten formalen Bildungsorten zu realisieren und auszubauen. Dafür benötigen Kindertageseinrichtungen nicht nur die entsprechende Ausstattung, sondern vor allem Fachkräfte, die sich mit dem Thema der Digitalisierung auseinandergesetzt haben und fähig, v.a. aber motiviert sind, ihre fundierte Sichtweise altersangemessen an Kinder und Eltern weiter zu geben. Einen Königsweg gibt es nicht, denn das Leben in der digitalen Welt gestaltet sich entsprechend individueller und struktureller Lebenslagen vielfältig. So ist jede Erzieherin und jeder Erzieher selbst in der Verantwortung, eine Position zu entwickeln und diese zu vermitteln. Es gilt, mit Kindern und Eltern über die medialen Entwicklungen im Gespräch zu bleiben, die Vorbildfunktion der Eltern deutlich zu machen, Kinder bei ihren Medienerfahrungen aktiv zu begleiten und Geräte ausreichend kindersicher zu machen. Für Fachkräfte bedeutet dies, den Themenkomplex der Medienbildung in ihr Professions-verständnis zu integrieren. Für Bund, Länder und Träger heißt dies, ausrei-chend Angebote der Fort- und Weiterbildung bereit zu stellen, genauso wie die Einbindung von Medienerziehung in die Ausbildung der Fachkräfte zu integrieren. Dafür sind ausreichende finanzielle Mittel bereit zu stellen, um bereits erprobte Medienbildungsprogramme und -initiativen strukturell zu festigen und flächendeckend zu implementieren.
   
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 29. September 2016
 

[1] Dies belegt etwa die miniKim-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, nach der die Geräteausstattung der Haushalte nach Auskunft der Haupterzieher von Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren im Jahr 2014 in Teilbereichen (Fernsehen, Computer/Laptop, Handy/Smartphone, Internetzugang) fast einer Vollversorgung entspricht. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2015a). miniKIM 2014. Kleinkinder und Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 2- bis 5-Jähriger, S. 5.
[2] Vgl. u.a. Brüggemann, Marion, Ines Averbeck und Andreas Breiter (2013). Förderung von Medienkompetenz in Bremer Kindertageseinrichtungen. Bestandsaufnahme und Befragung von Fachkräften in Bremen und Bremerhaven zur frühen Medienbildung. Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH (ifib). Bremen.
[http://www.ifib.de/publikationsdateien/Meko-Kita-Sept2013_ifib.pdf ]; Feil, Christine (2014). Digitale Medien in der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern. Informations- und Beratungsbedarf von Eltern. Frühe Bildung, 3 (2), S. 116 - 118.
[3] Siehe hierzu etwa die TipToi-Bücher und Lernsysteme, den Ting-Hörstift oder die LeYo-Bücher.
[4] Vgl. Aufenanger, Stefan (2014). Digitale Medien im Leben von Kindern und Herausforderungen für Erziehung und Bildung. In: Frühe Bildung, Heft 6, S. 9-18; Feil, Christine (2014), a.a.O.; Brüggemann/Averbeck/Breiter (2013), a.a.O.
[5] Vgl. Fthenakis, Wassilios E. u.a. (Hrsg.) (2009). Frühe Medienbildung. Natur-Wissen schaffen. Band 5. Troisdorf, S. 9.
[6] Vgl. Tillmann, Angela, Sandra Fleischer und Kai-Uwe Hugger (2014). Einleitung. In: Tillmann, Angela, Sandra Fleischer und Kai-Uwe Hugger (Hrsg.). Handbuch Kinder und Medien. Wiesbaden, S. 9-13, hier: S. 9.
[7] Vgl. AGJ – Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (2014). Mit Medien leben und lernen Medienbildung ist Gegenstand der Kinder- und Jugendhilfe! Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Berlin, 04./05. Dezember 2014. Abrufbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Medienbildung.pdf
[8] Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2015b). KIM-Studie 2014. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland, S. 71ff.
[9] Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2015a). miniKIM-Studie 2014, S. 8ff.
[10] Vgl. Feil, Christine (2016a). Kinder am Tablet. Beobachtungen zum Nutzungsverhalten zwei bis sechsjähriger Kinder, S. 10. Power Point Präsentation einer noch unveröffentlichten DJI-Studie (Stand: 05.09.2016), Abrufbar unter: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/www-kinderseiten/1161/Feil_Kinder%20am%20Tablet.pdf
[11] Vgl. Feil, Christine (2016b). Tablets im Familienalltag von Klein- und Vorschulkindern, in: Studies in Communication Sciences (SComS) (in Druck), S. 5.
[12] Vgl. Kutscher, Nadia (2015). Zwischen Schutz und Freiheit. In: DJI Impulse Heft 3, S. 29-33, hier: S. 30;
[13] Vgl. Theunert, Helga und Katrin Demmler (2007). (Interaktive) Medien im Leben Null- bis Sechsjähriger – Realitäten und Handlungsnotwendigkeiten. In: Herzig, Bardo und Silke Grafe. Digitale Medien in der Schule. Standortbestimmung und Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Studie zur Nutzung digitaler Medien in allgemein bildendenden Schulen in Deutschland.
[14] Vgl. Neuß, Norbert (2013). Medienkompetenz in der frühen Kindheit. In: BMFSFJ Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche – Eine Bestandsaufnahme. Berlin, S. 34f.
[15] Vgl. Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 21./22. Mai 2015 in Perl „Aufwachsen mit digitalen Medien“.
[16] Vgl. Bleckmann, Paula. (2012). Medienmündig – Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen. Stuttgart, S. 29f.
[17] Vgl. Bleckmann, Paula (2014). Kleine Kinder und Bildschirmmedien, S. 20. Abrufbar unter: http://www.kita-fachtexte.de/uploads/media/KiTaFT_Bleckmann_2014.pdf.
[18] Vgl. Feil, Christine (2016a). a.a.O., S. 14. Abrufbar unter: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/www-Kinderseiten/1161/Feil_Kinder%20am%20Tablet.pdf
[19} Vgl. ebd., S. 21f.
[20] Vgl. ebd., S. 23.
[21] Vgl. Baacke, Dieter (1997). Medienpädagogik. Tübingen, S. 99.
[22] Vgl. Feil (2014), a.a.O., S. 117.
[23] Vgl. Wagner, Ulrike, Christa Gebel und Claudia Lampert (Hrsg.)(2013). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Berlin. Abrufbar unter:
www.lfm-nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Forschung/LfM-Band-72.pdf , S. 231ff.
[24] Vgl. ebd., S. 240.
[25] Vgl. Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (2015). DIVSI U9-Studie – Kinder in der digitalen Welt. Hamburg, S. 91ff.
[26] Vgl. Risch, Maren (2016). Mit digitalen Medien ins Lesen starten. Medien- und Sprachbildung in der Kita. In: TPS 4/2016, S. 34-36, hier:36.
[27] Vgl. Grobbin, Alexander (2016). Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive, Abschlussbericht. München, S. 42.
[28] Vgl., ebd., S. 31.
[29] Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (2014). Digitale Meiden in Grundschule und Kindergarten. Ergebnisse einer Befragung von Eltern, Lehrkräften an Grundschulen und Erzieher(innen) in Kindergärten, Deutsche Telekom Stiftung, S. 45.
[30] Vgl. Meister, Dorothee M. und Henrike Friedrichs-Liesenkötter (2012). Chancen und Potenziale digitaler Medien zur Umsetzung des Bildungsauftrags in Kindertageseinrichtungen in NRW. Paderborn, S. 47.
[31] Vgl. Brüggemann/Averbeck/Breiter (2013), a.a.O., S. 41.
[32] Die aktuelle MoFam-Studie hat die Perspektive von Fachkräften der teilstationären Jugendhilfe sowie aus Erziehungsberatungen mit untersucht. Danach haben Fachkräfte Medienkompetenz weitgehend in ihr Professionsverständnis integriert. Fachkräfte aus dem Bereich der Frühpädagogik wurden allerdings nicht befragt. Vgl. Eggert, Susanne, Ulrike Wagner und Gisela Schubert (2016). Grundlagen zur Medienerziehung in der Familie. Expertise im Rahmen der Studie MoFam – Mobile Medien in der Familie. Abrufbar unter: www.jff.de/studie_mofam
[33] Vgl. Neuß, Norbert (2016). Medienbildung in Kindertagesstätten. In: Unsere Jugend, Jg. 68, S. 108-117, hier: S. 112.
[34] Knapp neun von zehn Haupterziehungspersonen vertreten die Auffassung, dass das Internet gefährlich für Kinder sei. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2014), a.a.O., S. 32.
[35] Vgl. Neuß (2016), a.a.O., S. 110ff.
[36] Vgl. BMFSFJ Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche – Eine Bestandsaufnahme. (2013), S. 13.
[37] Neuß hat einige medienpädagogische Projekte der Wirtschaft herausgestellt, die explizit auf den Einsatz von neuen Medien in Kindertageseinrichtungen hinarbeiten. So hätten Unternehmen wie IBM und Microsoft, aber auch die Telekom-Stiftung Projekte zur Medienkompetenzförderung begonnen. Das Microsoft-Projekt Schlaumäuse diene der computerbasierten Sprachförderung und ist in Kooperation mit dem Cornelsen-Verlag entstanden. IBM habe mit dem Projekt KidSmart einen kindgerechten Computer aufgelegt, der mit einer Lernsoftware ausgestattet sei. Vgl. Neuß, Norbert (2013). Medienkompetenz in der frühen Kindheit. In: BMFSFJ Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche – Eine Bestandsaufnahme. Berlin, München, S. 39f.
[38] Vgl. Feil, Christine (2010). Partizipation im Netz. Zur Bedeutung des Web 2.0 für Kinder und Jugendliche. In: Betz, Tanja, Wolfgang Gaiser und Pluto Liane (Hrsg.)(2010). Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Forschungsergebnisse, Bewertungen, Handlungsmöglichkeiten. Schwalbach im Taunus. Bzw. Kutscher, Nadia (2016). Zwischen Schutz und Freiheit, In: DJI Impulse, 3/2015, S. 30f.
[39] Vgl. Kutscher, Nadia (2014). Soziale Ungleichheit. In: Tillmann, Angela, Sandra Fleischer und Kai-Uwe Hugger(2014). Einleitung. In: Tillmann, Angela, Sandra Fleischer und Kai-Uwe Hugger (Hrsg.). Handbuch Kinder und Medien. Wiesbaden, S. 100-112, hier: 103ff.