Die Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe sichern –Fort- und Weiterbildung qualifizieren

Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

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Fort- und Weiterbildung gewinnt sowohl für die individuelle Berufsbiographie als auch im gesamtgesellschaftlichen, bildungs- und beschäftigungspolitischen Kontext an Bedeutung. Gleichzeitig ist der Bereich der Fort- und Weiterbildung strukturellen Veränderungen unterworfen, die die qualifizierende Bildungslandschaft insgesamt betreffen. Diese allgemeine Beobachtung gilt auch für die Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe und die hier Beschäftigten. Der Bedeutungszuwachs und die neue Verortung von Fort- und Weiterbildung dokumentieren sich gegenwärtig insbesondere in der Entzeitlichung des Erwerbs von Bildung, in der zunehmenden Europäisierung sowie in der strukturellen Entgrenzung und Modularisierung der Fort- und Weiterbildungslandschaft:

  • Fort- und Weiterbildung ist zu einem wichtigen Baustein des Erwachsenenalters geworden. Bildung und Lernen unterliegen heute einem lebenszyklischen Verständnis. Der Erwerb von Bildung konzentriert sich nicht mehr auf die Kindheits- und Jugendphase. Die dynamischen Prozesse in den unterschied-lichen Arbeitsfeldern verlangen und erwarten von den Beschäftigten eine kontinuierliche, lebenslange Fortschreibung ihres Wissens und Könnens. Das Konzept des lebensbegleitenden Lernens in einer »Wissensgesellschaft« gilt auch für die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Fort- und Weiterbildung im Sozialen Bereich muss auch über den konkreten Arbeitsplatzbezug hinaus Angebote einer umfassenden Persönlichkeitsbildung beinhalten. Zudem ist das Konzept des »Lebenslangen Lernens« ein wesentliches Element der europäischen Bildungsdebatte, gerade auch im Hinblick auf den demographischen Wandel und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Angesichts des wachsenden Altersdurchschnitts der Mitarbeiterschaft in Jugendämtern, aber auch bei Freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, haben aufgrund arbeitsmarktpolitischer Faktoren Prozesse der lebenslangen Bildung auch aus Sicht der Träger und Institutionen eine neue und besondere Bedeutung.
  • Der grenzüberschreitende Diskurs um die Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen, beziehungsweise Bildungsergebnissen sieht einen Paradigmenwechsel vor, der nicht den jeweiligen formalen Bildungsinput, sondern das »Learning-Outcome« zum Referenzrahmen macht. In diesem Kontext erhalten erfolgreiche Fort- und Weiterbildungen – unabhängig von formalen Kriterien – einen neuen Stellenwert. 
  • Die Neustrukturierung von Studiengängen zu modularisierten Studienprogrammen mit gestuften Abschlüssen und einheitlichem Leistungspunktesystem wirken sich auch auf die Struktur von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen aus. Vielfach wird neben dem strukturellen Verzahnen von grundständiger und weiterbildender Qualifizierung auch ein stärkeres fachliches Zusammenwirken zwischen Erstausbildung und aufbauender Spezialisierung angestrebt werden müssen. 

Die weiterführende Diskussion zur Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe kann nur vor diesem Hintergrund geführt werden. Auch wenn gegenwärtig noch nicht alle hiermit verbundenen Entwicklungen in ihren Konsequenzen umfassend abschätzbar sind, scheint der Bedeutungszuwachs, den die Fort- und Weiterbildung mittelfristig erfahren wird, absehbar. 
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ empfiehlt nachdrücklich, das Thema Fort- und Weiterbildung aufgrund seiner wachsenden Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe bei den zukunftsorientierten Konzeptualisierungen stärker zu beachten und dabei folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Die trägerübergreifende, fachliche Weiterentwicklung gewinnt aufgrund gesetzlicher Veränderungen, sich wandelnder Risiko- und Problemlagen junger Menschen sowie der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an Relevanz. Der sich hierüber artikulierende Bedarf an einer weiteren Qualifizierung des Personals ist kontinuierlich zu evaluieren. Den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ist zu empfehlen, den wahrgenommenen Bedarf den hochschulischen und nichthochschulischen Anbietern von Fort- und Weiterbildung mitzuteilen und diese dazu anzuregen, entsprechende Qualifizierungsangebote berufsbegleitend anzubieten.
  • Fort- und Weiterbildung intendiert die individuelle fachliche Qualifizierung mit dem Ziel der Stabilisierung und der Weiterentwicklung der eigenen Fachlichkeit sowie der Entfaltung einer persönlichen Berufsbiografie. Die Realisierung von Fort- und Weiterbildungen ist auch ein biografisches Projekt.
  • Nachdrücklich wird empfohlen, das Thema »Fort- und Weiterbildung« nachhaltig in die Strategien zur Personal- und Organisationsentwicklung von Einrichtungen, Institutionen und Trägern der Kinder- und Jugendhilfe einzubetten und in die entsprechenden Konzeptionen zu verankern.
  • Formale, non-formale und informelle Bildungswelten korrespondieren miteinander, ergänzen sich und verdichten sich im Lebenslauf zu einem Gesamtkomplex. Anbieter von Fort- und Weiterbildung haben sich dieser Entwicklung nachdrücklicher als bislang zu stellen und Modelle zu konzipieren, die insbesondere auch im non-formalen Feld der Bildung erworbene Kompetenzen im formalen, Bildung auch zertifizierenden Feld anerkennen. Dabei sind Modelle zu favorisieren, die das im non-formalen Feld der Fort- und Weiterbildungen erworbene Wissen und Können qualitativ-zertifizierend rahmen. Die im Kontext eines Europäischen Qualifikationsrahmens entwickelten Standards sind dabei zu beachten.

Die Stabilisierung und Entwicklung der Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe bedarf einer qualifizierten Fort- und Weiterbildungs-landschaft. Die vier genannten Aspekte sind für die praktische Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und deren professionelle Fachlichkeit zukünftig bedeutsam. Bestrebungen, die eine transparentere Gestaltung des Angebotsmarktes und die Sicherung des Verbraucherschutzes zum Ziel haben, sind dabei ausdrücklich zu unterstützen. Insgesamt ist die existierende Vielfalt der Fort- und Weiterbildungsanbieter zu begrüßen, an ihre qualitative Fortentwicklung aber zu erinnern. Den Landesjugendämtern kommt dabei aufgrund ihres gesetzlichen Fortbildungs-, Beratungs- und Koordinierungsauftrags und ihrer fachpolitischen Schnittstellen-funktion zwischen öffentlichen und freien Trägern, zwischen Praxis, Forschung und Lehre auch weiterhin eine wesentliche Funktion hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung zu.

Unabdingbar für die Entfaltung der mit Fort- und Weiterbildung gewünschten Verbesserung und Weiterentwicklung sowohl der übergreifenden Fachlichkeit als auch des konkreten Handelns vor Ort ist auch weiterhin die Realisierung eines fachlichen Austausches zwischen Akteuren der Fort- und Weiterbildung, der Qualifizierung und Forschung sowie der Kinder- und Jugendhilfepraxis. 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 18./19. April 2007