Personalentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Herausforderungen für Leitungshandeln und Qualifizierung

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Personalentwicklung dient der Pflege und Förderung von Mitarbeitenden – sei es zur Einarbeitung, zur Förderung von Motivation und Belastbarkeit oder zur Weiterqualifizierung für neue Aufgaben und Herausforderungen. Personalentwicklung gilt damit als ein wichtiger Faktor für die Leistungsfähigkeit sozialer Organisationen und Einrichtungen. Vor dem Hintergrund steigender und sich verändernder fachlicher Herausforderungen gewinnt Personalentwicklung eine zentrale Bedeutung im Kontext von Steuerung und Organisationsentwicklung sozialer Einrichtungen und wird zunehmend zu einer Aufgabe für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, welche auf unterschiedlichen Ebenen in vielfältigen Leitungsfunktionen tätig sind. 

Mit dem vorliegenden Diskussionspapier beschreibt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ aktuelle Anforderungen an Leitungskräfte in der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere unter dem Aspekt der (Qualifizierung für) Personalentwicklung als Leitungsaufgabe.


Strategische Steuerung und planvolles Führen zwischen „sozialarbeiterischer“ Haltung und Leitungsrolle 

Personalentwicklung als Führungshandeln in der Kinder- und Jugendhilfe findet in einem komplexen Spannungsverhältnis statt: Dadurch, dass Organisationen einem zunehmenden Kostendruck und administrativen Vorgaben unterliegen und sie dem Anspruch sowohl politischer Entscheidungen (die kurzfristig und bei mangelnder Transparenz fallen können) als auch öffentlicher Meinung Rechnung tragen müssen, werden Mitarbeitende zu Adressatinnen und Adressaten von Zielvereinbarungen in einer hierarchisch verstandenen und kontrollierten  Organisation. Das wiederum kann im Widerspruch zum Selbstverständnis und zur Aufgabenstellung der Organisationen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe stehen, die von Partizipation und Kooperation geprägt sind. Leitbild ist hier eine Kultur des gemeinsamen Aushandelns, mit der Mitarbeitende sich kollegialer Beratung und individueller Hilfestellungen im Rahmen von Personal- und Organisationsentwicklung versichern möchten. In ihrer fachlichen Arbeit handeln Mitarbeitende oft unter dem Ideal der „professionellen Autonomie“, demgegenüber keine Eingriffe von „außen“ zulässig sind. Aus dieser Perspektive muss Leitungshandeln für die Sicherung des organisatorischen Rahmens der fachlich „autonomen“ Arbeit sorgen. Gleichzeitig jedoch erwarten Mitarbeitende von der Leitung auch eine fachliche Absicherung ihres Handelns.  

In diesem Spannungsverhältnis werden oft die tatsächlichen Machtanteile in der Führungsrolle auf beiden Seiten – sowohl von den Leitenden als auch den Mitarbeitenden –im Interesse eines gemeinsamen „Harmonieverständnisses“ ausgeblendet. Leitung muss aber einerseits auf Seiten der Mitarbeitenden gewollt und andererseits aus der Perspektive der Leitenden nachvollziehbar umgesetzt werden.  

Erwartungen von Mitarbeitenden an Leitungskräfte müssen ebenso differenziert und deutlich thematisiert werden wie Befürchtungen. Zu den Erwartungen an Leitung gehören in der Regel transparente Entscheidungen, der Einsatz für gute Rahmenbedingungen, die Anerkennung der Leistungen und der Schutz vor zu großer Belastung. Befürchtungen seitens der Mitarbeitenden sind mit Blick auf notwendige Kontrolle, Leistungskriterien und Standardisierungen deutlich anzusprechen. 

Darüber hinaus tragen leitende Fachkräfte die Verantwortung für Organisationen und Einrichtungen und sind sowohl der Wirtschaftlichkeit als auch der Fachlichkeit und dem Wohl der Adressatinnen und Adressaten verpflichtet, während sie kaum oder gar nicht an der praktischen Umsetzung Sozialer Arbeit beteiligt sind, indem sie beispielsweise eigene Begleitungen oder Betreuungen durchführen. Oftmals sind sie nur in Krisen fachliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Mitarbeitenden oder die Adressatinnen und Adressaten, um in Form von „Rufbereitschaften“ zu schlichten, Konflikte zu lösen oder Entscheidungen zu treffen, die zwar im nachfolgenden Alltag für die Basis- und Beziehungsarbeit der Mitarbeitenden und Adressatinnen und Adressaten Konsequenzen haben, nicht aber für den Alltag der Leitungskräfte. 

Immer wieder können Ausgangslagen, Rahmenbedingungen und wirtschaft-liche Interessen der Gesamteinrichtung und solche mit Bezug auf die Außenwirkung die Entscheidungen der Leitung stärker beeinflussen als die Vorstellungen der Mitarbeitenden. Hier ist Kommunikationskompetenz gefordert, um allen Beteiligten die Entscheidungseinflüsse zu verdeutlichen und verständlich zu machen. Wenn strategische Steuerung und planvolles Führen ernst genommen werden, stehen Leitungskräfte zugleich immer wieder den Anforderungen der lernenden Organisation gegenüber und müssen selber als „Change Agents“[1] handeln. 

Im Sinne fachlichen Handelns gilt es, Instrumente der Personalentwicklung und strategischen Steuerung bis in die obersten Hierarchiestufen und die politische Verantwortungsebene zu verankern. Hierzu gehören unter anderem Fortbildungen für Führungskräfte (zum Beispiel zu Sozialplanung, Sozial-management, Mitarbeitendenführung) und Stützstrukturen wie Supervision und Trainingsmaßnahmen (zum Beispiel für planmäßiges Agieren im und trotz Tagesgeschäft/s). Voraussetzung ist die Überzeugung der Leitungskräfte von der Notwendigkeit solcher unterstützenden Maßnahmen. 

Grundsätzlich werden auch solche Personalentwicklungsstrategien gebraucht, die dazu führen, dass Frauen in einem deutlich größeren Umfang Leitungsfunktionen übernehmen und die außerdem dazu beitragen, den Anteil von Mitarbeitenden mit einem Migrationshintergrund erheblich zu erhöhen.

Strategische Steuerung braucht darüber hinaus personelle und kernfachliche Kontinuität. In den Zielen und abgeleiteten Aufgaben muss eine innere Logik liegen, die auch für neu hinzutretende Mitarbeitende gut verständlich und nachvollziehbar ist. Die Entwicklung von Strategien bedarf vor allem Partizipation und Kommunikation, die Ziele müssen klar formuliert und die Strategien sollten SMART[2] sein. Strategische Arbeit sollte Spaß machen und Lust auf Mitwirkung hervorrufen. 

Führungskräfte sind außerdem gefordert, Aufgaben und Verantwortung auch delegieren zu können, Mitarbeitende zu aktivieren und deren Kompetenzen anzuerkennen sowie im Sinne emotionaler Intelligenz und Authentizität selbst ein „positives Modell“ für die Mitarbeitenden zu sein. 


Personalentwicklung als Leitungsaufgabe in der Kinder- und Jugendhilfe 

Die Instrumente der Personalentwicklung sind vielen Leitungskräften in der Kinder- und Jugendhilfe durchaus bekannt, sie werden jedoch nicht immer richtig eingesetzt. Dazu gehören Mitarbeitergespräche zwischen Führungs-kraft und Mitarbeitenden, bei denen die Beteiligten regelmäßig oder bei Bedarf zum Beispiel über Zielvereinbarungen, Leistungsbeurteilungen und Entwicklungsmöglichkeiten sprechen und in denen es Raum gibt für persönliche Rückmeldungen und offene Fragen. 

Zielvereinbarungen können dann problematisch sein, wenn sie nicht fundiert und/oder nicht gemeinsam mit den Mitarbeitenden entwickelt wurden oder wenn sie intransparent oder diffus kommuniziert werden. Zielvereinbarungen sollten in einem gemeinsam vereinbarten Zeitraum kontinuierlich überprüft, weiterentwickelt und verändert werden können. Ein weiteres Personalent-wicklungsinstrument ist die Supervision im Sinne kollegialer Fachberatung, die Teams, Gruppen und Organisationen bei der Reflexion und Verbesserung ihres Handelns begleitet. 

Das Instrument Fort- und Weiterbildung braucht klare Ziele, möglichst gemeinsame Nachbereitung und Evaluation. Dies gilt ebenso für die Job-Rotation. Als weitere Personalentwicklungsinstrumente seien die Projektarbeit, das Leistungsentgelt, die Leistungsprämie, der vorzeitige Stufenaufstieg im öffentlichen Dienst, das Anerkennungsschreiben oder auch die Leistungseinschätzung genannt. 

Trotz der Bedeutung, die der Personalentwicklung beigemessen wird – sowohl seitens der Mitarbeitenden mit Blick auf die Bewältigung zunehmend komplexer Fachaufgaben und auf die eigene Berufsbiografie als auch auf Seiten der Leitung im Sinne nachhaltiger Strategien der Organisations-entwicklung und des Veränderungsmanagements – müssen objektive Hürden genommen werden. Diese sind unter anderem organisatorischer Art. So birgt eine kurzfristige Optimierung von Arbeitsabläufen die Gefahr, dass langfristig und nachhaltig wirksame Gesamtstrategien  in den Hintergrund geraten. 
Wenn vor diesem Hintergrund die Leitungskraft die eigene Selbstwirksamkeit unterbewertet und die erforderliche Steuerungskraft kaum einsetzt, so werden damit fachliche Entwicklungsperspektiven beeinträchtigt. Das droht ebenso, wenn allein auf die Außenwirkung einer charismatischen Führungsper-sönlichkeit gesetzt wird (deren Innenwirkung den eigenen Mitarbeitenden gegenüber jedoch eher marginal ausfällt), oder wenn die Leitungskraft sich einem nach außen stark abgrenzenden „Wir-Gefühl“ zugehörig empfindet. 

Problematisch kann sich die Personalentwicklung auch bei Neueinstellungen gestalten. Hier wirkt sich zunehmend ein allgemeiner Fachkräftemangel auf die Auswahlmöglichkeiten der Anstellungsträger aus. Verstärkt wird die Problematik durch den Trend, in den Ausbildungs- und Studiengängen sozialer Berufe auf das Anerkennungsjahr zu verzichten. Gleichzeitig fehlen aber auch erforderliche Einarbeitungskonzepte sowie die Ressourcen für die Gestaltung der Berufseinmündungsphase. Es entstehen nicht nur beliebig gewachsene Teamzusammensetzungen, vielmehr werden Entwicklungs-planungen entlang der für aktuelle und künftige Einsatzgebiete und Aufgaben erforderlichen Kompetenzprofile sowie darauf abgestimmte individuelle Qualifizierungen erschwert. In diesem Zusammenhang ist es auch nur schwer möglich, Arbeitsplätze für ältere, eingeschränkte oder ausgebrannte Mitarbeitende systematisch bereit zu stellen. 

Anforderungen an die Qualifizierung für Personalentwicklung als Leitungsaufgabe in der Kinder- und Jugendhilfe 

Leitungskräfte in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen haben unterschiedliche Berufshintergründe (so z. B. den Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin oder staatlich anerkannter Erzieher, sozialpäda-gogische Abschlüsse der Fachhochschulen, erziehungswissenschaftliche bzw. sozialwissenschaftliche Abschlüsse der Universitäten) und verfügen überwiegend über langjährige Praxiserfahrungen als zusätzliche Voraussetzung für die Übernahme einer Leitungsfunktion. 

Bei Betrachtung der vormaligen Studieninhalte der jetzt für Personal, Budget und natürlich auch das Wohl der Kinder und Jugendlichen verantwortlichen Leitungskräfte ist festzustellen, dass während der Studienzeit in der Regel wenig Wert auf die Ausbildung von Leitungskompetenzen mit dem notwendigen Know-how in Personalentwicklung, Organisationsleitung und strategischer Führung gelegt wurde.  

Auch im Rahmen der heutigen Bachelorstudiengänge ist wenig Platz für die Modularisierung des Themenschwerpunktes „Leiten von sozialen Organisa-tionen“. Eine Verankerung von Leitungsaufgaben in der Lehre ist jedoch dringend notwendig und bildet die theoretische Grundlage für die Ausbildung einer geeigneten Leitungspersönlichkeit. Diese Thematik sollte jedoch nicht allein Masterstudiengängen vorbehalten sein, sondern müsste aus Sicht der AGJ auch in grundständigen Ausbildungen angelegt sein. 

Schwerpunkte bei der Implementierung von „Leitung“ in die Lehre sollten folgende Aspekte bilden:

  • Personalentwicklung (Einsatz von Personalentwicklungsinstrumenten und insbesondere Auswahl und Einarbeitung von neuem Personal, Förderung und Entwicklungsbegleitung, fähigkeitsorientierter Personaleinsatz, Ausstieg aus dem Beruf)
  • organisations-, finanzierungs- und arbeitsrechtliche Grundlagen
  • Teamentwicklung und Rollenklarheit 
  • strategische Organisationsentwicklung 
  • Fundraising
  • Evaluationsmethoden
  • Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Vorstandsgremien
  • Führungsstile.

Zur strategischen Organisationsentwicklung gehören insbesondere das Bewusstsein für die Führungsrolle und der Einsatz von strategischer Planung. Dabei ist es wesentlich, die eigenen Handlungsspielräume (Arbeits- und Vereinsrecht, örtliche politische Strukturen etc.) zu kennen, dieses Wissen einzusetzen und in Zielformulierungen einfließen zu lassen und die Umsetzung zu fördern und zu begleiten. 

Bei jeder Planung sind die Mitarbeitenden die wesentlichen Akteure im Sinne einer optimalen und effizienten Zielerreichung im Alltag. Daher muss die Leitungskraft die Befähigungen, Ansprüche und Wünsche der Mitarbeitenden kennen(lernen) und in die strategische Planung transparent einflechten.

Um als Leitungspersönlichkeit effektiv arbeiten zu können, müssen vertiefte Kenntnisse unter anderem in Kommunikation, Konfliktmanagement und Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten erlangt werden. Spezielle Studiengänge für die Ausbildung von Leitungskräften sollten diese Kompetenzentwicklung so berücksichtigen, dass schließlich Leitungspersonen absolvieren, die sowohl Profis in wertschätzender Kommunikation als auch in Personal- und Organisationsentwicklung sind und die wissen, dass der einzelne Mitarbeitende in der Organisation hierfür eine zentrale Rolle spielt. Durch regelmäßiges Coaching kann die Leitungskraft immer wieder einen Abgleich zwischen dem theoretischen Wissen und der praktischen Umsetzung herstellen und evaluieren. 

Will man diese Kompetenzen optimal ausbilden, ist eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und leitenden Praktikerinnen und Praktikern notwendig. Beide Bereiche sollten so verzahnt werden, dass für die Studierenden sichtbar wird: „Leitung kann man lernen“.

Einzelinstitutionen können Investitionen in die Qualifizierung von Führungskräften aufgrund des Risikos scheuen, dass die Führungskraft im Anschluss in eine für sie attraktivere Branche oder zu einem attraktiveren Arbeitgeber wechseln könnte. Dadurch entsteht eine Abwärtsspirale der Attraktivität und der erforderlichen Ressourcen: Ein aus verschiedenen Gründen (Arbeitsbelastung, Bezahlung, Ansehen) als unattraktiv empfundenes Arbeitsfeld wird von entschlossenen Ausstiegswilligen oder noch „schwankenden“ Fachkräften unter den gut qualifizierten Führungs-kräften angeleitet. Im Gegenzug muss dieses Arbeitsfeld dann zunehmend mit Bewerberinnen und Bewerbern für Führungsaufgaben rechnen, bei denen zunächst ein hoher Qualifizierungsaufwand zu leisten ist. Hier können arbeitsvertragliche Regelungen hilfreich sein, die Investitionen in Qualifizierung mit einer festgelegten Verbleibdauer in der Institution verknüpfen bzw. die anteilige Beteiligung an den Qualifizierungskosten durch die Mitarbeitenden bei einem frühzeitigeren Arbeitsplatzwechsel festlegen.  


Fazit

Die Leistungsfähigkeit von Institutionen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe hängt  wesentlich von der Qualität des Leitungsverhaltens ab. Systematische Personalentwicklung ist zu einer zentralen Management-aufgabe geworden und umfasst besonders die Förderung der Kompetenzentwicklung bei Mitarbeitenden vor dem Hintergrund sich verändernder Aufgaben von Einrichtungen und Institutionen. Patentrezepte für den Führungs- und Leitungsalltag gibt es nicht. Leitungskräfte sind aufgefordert, ihre Rolle kontinuierlich zu reflektieren und sich für ihre Aufgaben weiter zu qualifizieren.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 02./03. Dezember 2010

 

[1] Ein „Change Agent“ ist im Rahmen von Organisationsentwicklung zu verstehen als Experte für die konstruktive Herbeiführung von Veränderungen. Bewirkt werden sollen die Identifikation der Beteiligten mit ihrem eigenen Verhalten, ihre Zuversicht in ihr eigenes Können und in die Lösbarkeit der Aufgabe und ihre Zufriedenheit mit den eigenen Anteilen an dem Veränderungsprozess.
[2] Die „SMART-Formel“ dient der Konkretisierung und Formulierung von Projektzielen und wird von der  Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), dem von Städten, Gemeinden und Kreisen gemeinsam getragenen Entwicklungszentrum des kommunalen Managements, empfohlen. Die Grundsätze der Zielformulierung lassen sich demnach mit folgenden Kernpunkten fassen: 

  • Spezifisch: konkret und präzise
  • Messbar: überprüfbar
  • Aktionsorientiert: an Aktivitäten darstellbar
  • Realistisch: anspruchsvoll, aber auch erreichbar
  • Terminiert: klare Zwischen- und Endtermine