Berufliche Integration für alle zugewanderten Fachkräfte ermöglichen!
Zur Anerkennung von im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

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Vor dem Hintergrund bedeutender gesellschaftlicher Entwicklungen, wie der Zunahme der Migration, dem demografischen Wandel und dem verstärkten Fachkräftebedarf in einzelnen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe gilt es, die Potentiale von allen zugewanderten Fachkräften mit Blick auf ihre mitgebrachten Berufsqualifikationen[1] wahrzunehmen und wertzuschätzen und ihnen ohne jegliche Form der Diskriminierung oder Marginalisierung die berufliche Integration zu ermöglichen. Auch im Kontext der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen aufgrund von Krieg, Armut und Vertreibung sollten deshalb neben den dringenden Fragen einer angemessenen Unterbringung und Gesundheitsversorgung Maßnahmen für umfassende Zugänge zu Arbeit, Bildung, Sprache und Gesellschaftswissen sowie die Integration in den (Aus-)Bildungs- und Arbeitsmarkt bzw. in die Gesellschaft verstärkt ins Zentrum politischen Handelns rücken. Viele der aktuell in Deutschland ankommenden Flüchtlinge werden hier dauerhaft oder für eine längere Zeit bleiben. Demnach sind Politik und Gesellschaft im Sinne unserer demokratischen Werte (wie Menschenwürde, Gleichheit, Wahrung der Menschenrechte) gefordert, sowohl für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger als auch für Zuwanderer aus Drittstaaten Perspektiven für eine berufliche und soziale Integration zu eröffnen.

Um dies zu befördern, ist es nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zwingend erforderlich, von Beginn an die Zugänge zum Erwerb von Fachwissen, Sprachkenntnissen und Wissen über die aufnehmende Gesellschaft (Gesellschaftswissen) gleichrangig sicherzustellen. Alle zugewanderten Fachkräfte sollten ohne nachhaltige Brüche in der Bildungs- und Berufsbiografie qualifikationsadäquat einen Zugang in den entsprechenden Berufsbereichen finden und gleichzeitig Unterstützung und Begleitung im fachlichen, sprachlichen und kulturellen Bereich erhalten können. Dies schafft die Grundlage für eine dauerhafte und nachhaltige berufliche und soziale Integration in Deutschland. In diesem Fall können die Zugewanderten eigenständig für ihren Lebensunterhalt sorgen, gewinnen Selbstvertrauen und stärken mit ihrem Engagement, ihrer Arbeitsleistung und ihren Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen das Gemeinwesen.

Auch für die Kinder- und Jugendhilfe erwachsen damit neue Herausforderungen mit Blick auf in diesem Arbeitsfeld existierende Einrichtungen und deren Teams. Träger, Leitungen und Fachberatungen sind gefordert, sich kulturell zu öffnen – sowohl bezogen auf den verstärkten Einsatz von Fachkräften mit Migrationshintergrund innerhalb multikultureller Teams sowie in der pädagogischen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern unterschiedlichster Kulturen und Sprachen.

Bezogen auf die Anerkennung von im Ausland erworbenen sozialpäda-gogischen Berufsqualifikationen fordert die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ mit dem vorliegenden Positionspapier Politikerinnen und Politiker sowie die Akteure im Berufsfeld entsprechend ihres Zuständigkeitsbereiches auf, für alle zugewanderten Fachkräfte qualifikationsadäquate Zugänge in den Arbeitsmarkt sowie Zugänge zum Erwerb von Fachwissen, Sprache und Gesellschafts-wissen gleichrangig zu verbessern. Nach Ansicht der AGJ ist dies ein erforderlicher Ansatz, um zugewanderten Fachkräften die berufliche und soziale Integration in der Gesellschaft zu ermöglichen und einer möglichen Marginalisierung und Diskriminierung frühzeitig entgegenzutreten.

Die Richtlinie 2013/55/EU – Ein erforderlicher Schritt auf dem Weg zur beruflichen Integration!

Die behördliche Anerkennung eines im Ausland erworbenen Abschlusses ist erforderlich, insbesondere wenn der entsprechende Beruf in Deutschland zu den so genannten reglementierten Berufen gehört. Reglementierung bedeutet, dass einer beruflichen Tätigkeit nur nachgehen darf, wer eine formale Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung z. B. als „staatlich anerkannter Erzieher“ bzw. als „staatlich anerkannte Erzieherin“ – und eine festgelegte Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Die Reglementierung von Berufen erfolgt in Deutschland je nach Zuständigkeit auf der Grundlage von Bundesgesetzen oder von Gesetzen der Länder. Die staatliche Anerkennung der Berufe im sozialpädagogischen Bereich (z. B. Erzieher/Erzieherin; Sozialpädagoge/Sozialpädagogin; Sozialarbeiter/Sozialarbeiterin; Kindheitspädagoge/Kindheitspädagogin) sind durch Gesetze der Bundesländer geregelt. Die länderrechtlichen Voraussetzungen, die von Bundesland zu Bundes-land unterschiedlich sind, gelten auch für die Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen. Sie bilden den Maßstab für die Beurteilung, inwieweit eine im Ausland erworbene Qualifikation den normierten Erfordernissen im Inland entspricht.
Mit der Novellierung der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie[2] durch die Richtlinie 2013/55/EU[3], die im Januar 2014 in Kraft trat, hat die Europäische Union eine Vereinfachung und Beschleunigung der Anerkennungsverfahren durch eine Reduzierung des Verwaltungsaufwandes zum Ziel. Demnach kann eine im Ausland erworbene Qualifikation anerkannt werden, wenn diese mit einer entsprechenden Qualifikation in Deutschland vergleichbar ist (Referenzberuf). Dies ist der Fall, wenn keine „wesentlichen Unterschiede“ in der Ausbildung oder im Berufsbild durch die zuständige Behörde festgestellt werden. Der Fokus der Bewertung liegt demnach nicht mehr auf der „Gleichwertigkeit“ oder „Gleichartigkeit“ anzuerkennender Qualifikationen, sondern auf der Wesentlichkeit von Unterschieden. Die neuen Regelungen bzw. Änderungsbedarfe betreffen insgesamt folgende Aspekte:

  • die Einführung eines europäischen Berufsausweises (Art. 4a),
  • die Gewährung eines partiellen Berufszugangs auf Einzelfallbasis (Art. 4, Abs. 3, 4f),
  • mit Blick auf die Anerkennungsbedingungen und Ausgleichsmaßnahmen (Art. 14, Abs. 7) die Sicherstellung, dass die Antrag-stellerin bzw. der Antragsteller die Eignungsprüfung spätestens sechs Monate nach dem Beschluss zur Auferlegung der Prüfung ablegen kann,
  • Regelungen bzgl. gemeinsamer Ausbildungsgrundsätze (Art. 49a und 49b),
  • Hinweise zu erforderlichen Sprachkenntnissen (Art. 53),
  • Ausführungen zu elektronischen Verfahren (Art. 57a), wonach die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass alle Verfahren und Formalitäten leicht aus der Ferne und elektronisch über den einheitlichen oder die zuständigen Behörden abgewickelt werden können,
  • Regelungen zur statistischen Aufstellung der getroffenen Entscheidungen (Art. 60, Abs. 1, UAbs. 1).

Die AGJ begrüßt die Richtlinie 2013/55/EU, wobei insbesondere folgende neuen Regelungen einen wichtigen Schritt in Richtung berufliche Integration zugewanderter Fachkräfte und zum Abbau von Diskriminierung in Deutschland darstellen:

  • Mit Blick auf die Feststellung der Sprachkenntnisse befürwortet die AGJ die Regelungen, wonach Kenntnisse der Sprache des Aufnahmestaates keinen Bestandteil der fachlichen Qualifikation darstellen, um deren Anerkennung es geht. Für die Ausübung des jeweiligen Berufes müssen zwar hinreichende Sprachkenntnisse vorhanden sein, aber die Vorgabe von „Sprachlevels“ sollte kein Bestandteil des Anerkennungsverfahren sein. Vielmehr muss der Erwerb der erforderlichen Sprachkompetenzen unabhängig von der formalen Berufsqualifikationsfeststellung - z. B. über berufsbegleitende Weiterbildungsangebote sowie mit Unterstützung und Begleitung der jeweiligen Akteure im Berufsfeld unterstützt und befördert werden.
  • Die AGJ begrüßt weiterhin die Möglichkeit des partiellen Berufszugangs, wonach die EU-Richtlinie die Mitgliedstaaten bzw. die zuständigen Behörden des Aufnahmestaates dazu auffordert, zugewanderten Fachkräften auf Einzelfallbasis und unter bestimmten Bedingungen einen partiellen Berufszugang zu gewähren. Nach Ansicht der AGJ ist es jedoch erforderlich, sicherzustellen, dass durch die Gewährung des partiellen Zugangs die fachlichen Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu wahren sind. Dies impliziert eine gemeinsame Verständigung darüber, was als „wesentlich“ in Bezug auf die jeweiligen Referenzberufe im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe aufgefasst wird und welche fachlichen, (inter-)kulturellen und sprachlichen Kompetenzen für die Arbeit in dem jeweiligen Tätigkeitsfeld zum Berufseinstieg vorhanden sein müssen. Gleichzeitig muss die Möglichkeit der vollständigen Anerkennung der im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen beibehalten und durch die Bereitstellung berufsbegleitender Angebote der Weiterbildung sowie mit Unterstützung und Begleitung der jeweiligen Akteure im Berufsfeld sichergestellt werden, um auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit tätig sein zu können. Vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses sieht die AGJ hierbei die zentrale Herausforderung in einer stärkeren Kompetenzorientierung bei der Feststellung der Berufsqualifikation im Sinne der Vorgaben des Deutschen Qualifikationsrahmens (Wissen, Methoden, Sozial- und Selbstkompetenzen)[4].

Durch die Novellierung der gesetzlichen Regelungen auf EU-, Bundes- und Landesebene hat sich nach Ansicht der AGJ die Anerkennungssituation von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen erheblich verbessert. Dennoch sind zugewanderte Fachkräfte aufgrund fehlender ländereinheitlicher Richtlinien für die Anerkennung ausländischer sozialpädagogischer Berufsqualifikationen sowie aufgrund der unübersichtlichen Vielfalt an Anerkennungsstellen (sowohl zwischen den einzelnen Bundesländern als auch innerhalb dieser) immer noch relativ hohen Verfahrensunterschieden und damit einer gewissen Verfahrensungerechtigkeit mit Blick auf die Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikationen ausgesetzt. Zudem fehlen einheitliche Standards und Kriterien für die Bewertungs- und Entscheidungs-praxis der unterschiedlichen Akteure.
Entsprechend fordert die AGJ die Vereinheitlichung von Informationen zu den Anerkennungsverfahren (bspw. über einheitliche Ansprechpartner auf Bundesebene, z. B. die IQ-Netzwerke; die einheitliche Zuständigkeit eines Bundeslandes für bestimmte Berufe bzw. bestimmte Herkunftsländer, wenn noch kein Wohnort der Antragsstellerin bzw. des Antragsstellers feststeht) sowie die Implementierung bundeseinheitlicher Verfahren und Regelungen für die Anerkennung von im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen (beispielsweise über die Einführung bundeseinheitlicher Konzepte zur Anerkennung und (Weiter-)Qualifizierung der einzelnen Berufsgruppen sowie die Implementierung eines Berufsgesetzes für die Soziale Arbeit zur Setzung einheitlicher Standards zum Berufszugang und zur Berufsausübung).[5]

Nach Ansicht der AGJ ist zudem die Bereitstellung ausreichender Personalkapazitäten der Verfahrensakteure (beispielsweise Anerkennungs-stellen, IQ-Beratungsstellen, Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), Fach- und Hochschulen) zwingend erforderlich.[6] Dies setzt auf politischer Ebene die Einsicht voraus, dass die Information und Beratung von zugewanderten Fachkräften sowie die Durchführung der Feststellung der Berufsqualifikation und möglicher notwendiger Ausgleichsmaßnahmen von den o.g. Akteuren weder im Schnelldurchlauf noch zusätzlich zu einer Vielzahl anderer Aufgabenbereiche – mehr oder weniger nebenbei – durchgeführt werden kann. Denn nur in diesem Fall werden Feststellungsverfahren wirklich erfolgreich erfolgen können, d. h. gesetzeskonform, stringent, wertschätzend, qualifikations- und berufsfeldadäquat und einen gelungenen Berufseinstieg ermöglichend sein[7]. Demnach sind die Verfahrensakteure mit dem entsprechenden Personal für die (Mit-)Entwicklung, Umsetzung sowie stetige Evaluation und Verbesserung von Feststellungs- und Ausgleichsmaßnahmen (inkl. vorbereitender und begleitender Beratung der Zielgruppe) auszustatten. Bezogen auf die Finanzierung dieser Kapazitäten sollten den zusätzlich erforderlichen Personalmitteln die vergleichsweise höheren Folgekosten gegenübergestellt werden, die dem Sozial- und Gesundheitswesen durch unnötige Zeitverluste, fehlende berufliche und gesellschaftliche Partizipation, Fehlallokationen und zunehmende Dequalifizierung entstehen würden.

Etablierung eines „beruflichen Integrationsmodells“ für zugewanderte Fachkräfte von Beginn an!

Die Ausübung eines Berufes im Bereich der Sozialen Arbeit erfordert eine umfassende Auseinandersetzung mit den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, die Befähigung, mit diesen Lebenswelten gut zu kommunizieren sowie Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben sowohl auf fachlicher als auch sozialer Ebene zu unterstützen und zu begleiten. Hinzu kommen erforderliche Wissensbestände über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Organisationen und Institutionen im Sozialraum sowie ein Grundverständnis von der sozialpädagogischen Professionsrolle.

Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen allein reicht vielfach nicht aus, um Diskriminierung und Marginalisierung beim Eintritt in das Berufsfeld zu vermeiden, die Berufszugänge für zugewanderte Fachkräfte zu verbessern und damit deren berufliche Integration zu ermöglichen. Denn sprachliche Barrieren und kulturelle Missverständnisse verhindern – auch bei vorliegender Anerkennung der im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen – gesellschaftliche Partizipation und berufliche Integration. Daher gilt es, zugewanderten Fachkräften eine optimale Begleitung ins neue Berufsleben zu ermöglichen. Die Unterstützung und Begleitung von zugewanderten Fachkräften muss nach Ansicht der AGJ von Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland an als Querschnittsaufgabe mitgedacht werden, wofür entsprechend zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies erfordert die bestmögliche Verzahnung von formalen, non-formalen und informellen Lernsettings, wodurch zugewanderten Fachkräften neben der Sicherstellung des Zugangs zu Fachwissen auch der Zugang zum Erwerb von (Fach-)Sprache und Gesellschaftswissen bzgl. des Aufnahmelandes nach individuellen Bedarfen ermöglicht wird.

Im Sinne einer bestmöglichen Verzahnung von formalen, non-formalen und informellen Lernsettings sind neben einer professionell qualifizierten Anleitung/Supervision im Rahmen der Berufseinmündung sowie Phasen der Fort- und Weiterbildung auch Modelle denkbar, die über die diese Settings hinausreichen. So schlägt die AGJ vor, dass die Träger der Kinder- und Jugendhilfe Konzepte entwickeln, die verstärkt Patenschaften und Peer-Gruppen-Modelle in ein die Berufseinmündungsphase ergänzendes „berufliches Integrationsmodell“ einbeziehen, wobei insbesondere auch Personen mit Migrationshintergrund als Mentorinnen und Mentoren bzw. Bezugspersonen eingebunden sein sollten. Diese können durch ihre sprachlichen und kulturellen Kompetenzen und ggf. größere Empathie die zugewanderten Fachkräfte bei der Integration in die Gesellschaft begleiten und unterstützen. Bei der konkreten Ausgestaltung des Modells kann beispielsweise an die sogenannten „Integration Points“ angeknüpft werden, die derzeit von der Bundesagentur für Arbeit in NordrheinWestfalen eröffnet werden und bundesweit entstehen sollen. Mit Blick auf den Kompetenzerwerb im Rahmen der Patenschaften und Peer-Gruppen-Modelle sind nach Ansicht der AGJ insbesondere folgende Aspekte wichtig[8]:

  • Sprachliche Kompetenz:
    • Sicherstellung des Zugangs zum Erwerb der „(Fach-)Sprache“ des Aufnahmelandes über die Bereitstellung berufsbezogener Sprachförderangebote im Sinne einer integrierten Sprachplanung bzw. angewandten Sprach-förderung;
  • (Inter-)Kulturelle Kompetenz:
    • Sicherstellung des Zugangs zum Erwerb von Wissen über die Gesellschaft des Aufnahmelandes durch die Bereitstellung von Angeboten zur Vermittlung des zugrunde liegenden Bildes von Kindheit, Jugend und Familie, der Partizipations- und Beteiligungskulturen, des Verständnisses der Förderung von Gleichberech-tigung, Toleranz, Vielfalt etc. Hierbei geht es um die Unterstützung bei der Entwicklung einer professionellen (Grund-)Haltung für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien sowie die Aneignung von Wissen über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturen im Sozialraum;
    • Unterstützung bei der Aneignung einer kulturverglei-chenden Perspektive und Entwicklung einer reflektierten Kultur der Wertschätzung von Unterschieden; Verinner-lichung einer vorurteilsbewussten Haltung sowie die Reflexion stereotypisierender und ethnisierender Deutungen;
    • Förderung der beständigen Auseinandersetzung zu kulturellen Themen innerhalb multikultureller Fachkräfte-teams.

Das hier von der AGJ befürwortete „berufliche Integrationsmodell“ für alle zugewanderten Fachkräfte muss von bereits bestehenden formalen, non-formalen und informellen Angeboten ausgehen. Entsprechend sind die Angebote im Bereich der Sprachplanung und -förderung (z. B. Angebote des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, der Bundesagentur für Arbeit, im Bereich Deutsch als Fremdsprache sowie ehrenamtliche Sprachförderangebote), der kulturellen Begleitung (z. B. über Patenschaften und Peer-Gruppen-Modelle) sowie der fachlichen Begleitung (die sich von der Phase der Anerkennung über die Berufseinmündung bis hin zur Weiterbildung erstreckt) stärker miteinander zu vernetzen und besser aufeinander abzustimmen. Bezogen auf die Koordinierung und fachliche Beratung der unterschiedlichen Angebote im Rahmen des „beruflichen Integrationsmodells“ ist die Bereitstellung zusätzlicher Personalkapazitäten und eine adäquate Mittelausstattung erforderlich. Dabei bedarf es insbesondere der Unterstützung und fachlichen Beratung der Mentorinnen und Mentoren (bspw. durch Einzelgespräche, Gruppentreffen und Supervision), der Bereitstellung finanzieller Mittel für Materialen, der Erstattung von Fahrtkosten sowie der Übernahme der Haftpflicht- und Unfallversicherung.

Kompetenzfeststellungsprüfungen auch ohne Kompetenznachweise schnellstmöglich einführen!

Prinzipiell ist auch für Personen, die in Deutschland nur über einen ungesicherten Aufenthaltsstatus (Geduldete und Asylsuchende) verfügen, eine Antragstellung auf Anerkennung von im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen möglich. Mit Blick auf diese Personengruppe besteht jedoch oftmals die herausforderungsvolle Situation der Feststellung der erworbenen Qualifikationen, da eine große Zahl von Flüchtlingen nicht über aussagekräftige Nachweise bzw. Dokumente verfügt (z. B. Zeugnisse über Berufsabschlüsse, Zertifikate über Zusatzqualifikationen). Zudem ist es oft nicht möglich, die entsprechenden Voraussetzungen für die Feststellung der persönlichen Eignung dieser Fachkräfte zu prüfen. Dies betrifft beispielsweise die Prüfung der Voraussetzungen zur Erteilung des (erweiterten) polizeilichen Führungszeugnisses, da entweder entsprechende Daten nicht erfasst werden bzw. aufgrund des Flüchtlingsstatus nicht beschafft werden können.

Angesichts dessen fordert die AGJ auch für die landesrechtlich geregelten, reglementierten Berufe die schnellstmögliche Etablierung von Angeboten der Kompetenzfeststellung für Flüchtlinge ohne aussagekräftige Nachweise bzw. Dokumente, um auch dieser Personengruppe die Möglichkeit der beruflichen Intergation und gesellschaftlichen Partizipation zu ermöglichen. Vorstellbar sind in dem Zusammenhang Qualifikationsanalysen, die eine fachliche Einschätzung der vorhandenen Kompetenzen ermöglichen, beispielsweise in Form von Arbeitsproben und Fachgesprächen. In dem Zusammenhang begrüßt die AGJ das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „Prototyping Transfer“, das die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen von zugewanderten Fachkräften für die reglemen-tierten Berufe in Zuständigkeit des Bundes erleichtern will. Gleichzeitig bedarf es nach Ansicht der AGJ eines umfangreichen Frühwarnmechanismus bezüglich gefälschter Kompetenznachweise sowie bestehender Vorstrafen im Sinne des § 72a SGB VIII, um die fachlichen Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu wahren.

Forderungen der AGJ:

Bezogen auf die Anerkennung von im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen fordert die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ mit dem vorliegenden Positionspapier Politikerinnen und Politiker sowie die Akteure im Berufsfeld entsprechend ihres Zuständigkeitsbereiches auf, für alle zugewanderten Fachkräfte qualifikationsadäquate Zugänge in den Arbeitsmarkt sowie Zugänge zum Erwerb von Fachwissen, Sprache und Gesellschaftswissen gleichrangig zu verbessern. Nach Ansicht der AGJ ist dies ein erforderlicher Ansatz, um zugewanderten Fachkräften die berufliche und soziale Integration in der Gesellschaft zu ermöglichen und einer möglichen Marginalisierung und Diskriminierung frühzeitig entgegenzutreten.

Im Einzelnen fordert die AGJ auf Grundlage dieses Positionspapieres:

  1.  (…) für alle zugewanderten Fachkräfte, die bereits im Herkunftsland einen Abschluss im Feld der Sozialen Arbeit erworben haben, grundsätzlich die Möglichkeit eines partiellen Berufszugangs entsprechend den fachlichen Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu eröffnen. Eine vergleichbare Möglichkeit der bundesweiten Anerkennung für Teilanerkennungen wurde beispielsweise für abgeschlossene Ausbildungen im Erzieher-beruf der ehemaligen DDR gemäß Art. 37 Einigungsvertrag geschaffen. Dies impliziert eine stärkere Kompetenzorientierung im Rahmen der Feststellung der Berufsqualifikationen sowie die gemeinsame Verständigung darüber, was als „wesentlich“ in Bezug auf die jeweiligen Referenzberufe im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe aufgefasst wird. Gleichzeitig muss die Möglichkeit der vollständigen Anerkennung der im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen beibehalten werden.
  2.  (…) bundesweit die Vereinheitlichung von Informationen zu den Anerkennungsverfahren zu gewährleisten (bspw. über einheitliche Ansprechpartner auf Bundesebene; die einheitliche Zuständigkeit eines Bundeslandes für bestimmte Berufe bzw. bestimmte Herkunftsländer, wenn noch kein Wohnort der Antragstellerin bzw. des Antragsstellers feststeht) sowie bundeseinheitliche Verfahren und Regelungen mit Blick auf die Feststellung von im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen zu implementieren (beispielsweise über die Einführung bundeseinheitlicher Konzepte zur Anerkennung und (Weiter-)Qualifizierung der einzelnen Berufsgruppen sowie die Implementierung eines Berufsgesetzes für die Soziale Arbeit zur Setzung einheitlicher Standards zum Berufszugang und zur Berufsaus-übung).
  3.  (…) ausreichend personelle Kapazitäten für eine zügige Anerkennung der im Ausland erworbenen sozialpädagogischen Berufsqualifikationen bereitzustellen.
  4.  (…) neben der fachlichen Begleitung auch die sprachliche und kulturelle Unterstützung der zugewanderten Fachkräfte über die bessere Verzahnung formaler, non-formaler und informeller Lernsettings sicherzustellen. Mit dem Ziel, sowohl die fachlichen Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu wahren als auch allen zugewanderten Fachkräften die Möglichkeit zu eröffnen, einen qualifikationsadäquaten Einsatz in den entsprechenden Berufsbereichen zu ermöglichen, setzt sich die AGJ für ein „berufliches Integrationsmodell“ ein, dass die Sicherstellung des Zugangs zum Erwerb von (Fach-)Sprache und Gesellschaftswissen des Aufnahmelandes von Beginn an als Querschnittsaufgabe mitberücksichtigt. Dafür ist es erforderlich, entsprechend zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
  5.  (…) eine größere kulturelle Öffnung bzw. Diversifizierung im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu befördern.
  6.  (…) auch für die landesrechtlich geregelten, reglementierten Berufe die Angebote der Kompetenzfeststellung für Flüchtlinge ohne aussagekräftige Nachweise bzw. Dokumente hinsichtlich ihrer im Ausland erworbenen Qualifikationen schnellstmöglich zu etablieren, um dieser Personengruppe die Möglichkeit der beruflichen und sozialen Integration zu ermöglichen. Gleichzeitig bedarf es eines umfangreichen Frühwarnmechanismus bezüglich gefälschter Kompetenznachweise sowie bestehender Vorstrafen im Sinne des § 72a SGB VIII.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 03./04. Dezember 2015

 

[1] Berufsqualifikationen sind Qualifikationen, die durch Ausbildungs- und Befähigungsnachweise oder einschlägige, im Ausland oder Inland erworbene Berufserfahrung nachgewiesen werden.
[2] Vgl. Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.09.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.
[3] Vgl. Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.11.2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ("IMI-Verordnung"). Der Bund und die einzelnen Bundes-länder sind aufgefordert, die EU-Richtlinie spätestens bis zum 18. Januar 2016 in entsprechen-de Rechts- und Verwaltungsvorschriften umzusetzen, um die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in ihrem Verantwortungsbereich zu gewährleisten. Die EU-Richtlinie bezieht sich sowohl auf mitgebrachte Qualifikationen von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern, als auch auf Berufsqualifikationen von Staatsangehörigen aus Drittstaaten.
[4] Zu den inhaltlichen Kriterien/Anforderungen an die staatliche Anerkennung für akademische Abschlüsse im Bereich der Sozialen Arbeit siehe bspw. Fachbereichstag Soziale Arbeit – FBTS (2014): Papier der Arbeitsgruppe: „Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen“, Stand: 07. Mai 2014.
[5] Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (2014): Fachkräftegebot und Fachkräftegewinnung vor dem Hintergrund der Aufgaben- und Angebotsvielfalt in der Kinder- und Jugendhilfe, Berlin.
[6] Bei der Übertragung der Zuständigkeit für die Feststellung der Gleichwertigkeit von den Ländern an die ZAB, müsste beispielsweise die ZAB mit ausreichend personellen Kapazitäten aufgestockt werden. Für den entsprechenden finanziellen Ausgleich müssten hierbei die Länder aufkommen.   
[7] Vgl. Gereke, I.; Akba?, B.; Leiprecht, R.; Brokmann-Nooren, C. (2014): Forschungsprojekt „Pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten: Ressourcen – Potenziale – Bedarfe“ (Projektlaufzeit: 01.10.2011 – 31.03.2014), Schlussbericht.
[8] Zur qualifizierten Begleitung während der Berufseinmündung gehört auch die fachliche Begleitung bzw. müssen Zugänge zu fachlichem Wissen gewährleistet werden. Dies sollte jedoch über eine qualifizierte Anleitung durch eine Fachkraft sichergestellt werden und nicht durch die hier vorgeschlagenen Peer-Gruppen-Modelle.