Für einen neuen EU-Haushalt mit eigenständigem Jugendprogramm!

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ 

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Der Haushalt der Europäischen Union ist in einen Mehrjährigen Finanziellen Rahmen (MFR) eingebunden (derzeit 2007-2013), den das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat als Repräsentanz der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten interinstitutionell vereinbaren. Im Hinblick auf den MFR 2014-2020 finden derzeit entscheidende Meinungs-bildungsprozesse auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten statt. Mitte 2011 wird die Kommission von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen und einen ersten Vorschlag vorlegen. In diesen Vorschlag fließen die mit dem Haushalt zu bewältigenden politischen Prioritäten der EU und somit auch grundsätzliche Überlegungen der Kommission zu den Förderprogrammen ab 2014 ein. Weitere grundlegende Abstimmungen finden zurzeit innerhalb der Regierungen der Mitgliedstaaten[1] und im zuständigen Sonderausschuss des Europäischen Parlaments statt. 

Im Hinblick auf die zukünftige Förderung im Jugendbereich zeichnet sich innerhalb der Kommission eine starke Meinungstendenz gegen die Eigenständigkeit eines EU-Jugendprogramms ab. Hintergrund ist die angestrebte Orientierung aller Maßnahmen der EU an der Wachstums- und Wirtschaftsstrategie „Europa 2020“ und damit eine Ausrichtung an darin enthaltenen Leitinitiativen und wirtschafts-, bildungs-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Kernzielen. Somit scheint der Kommission eine Überführung ausgewählter Elemente des Jugendprogramms in ein „integriertes Bildungsprogramm“ sinnvoll, welches sich wiederum an der Leitinitiative „Youth on the Move“ ausrichtet. Zentrale Zielsetzungen von „Youth on the Move“ sind die Senkung der Schulabbrecherquote, die Erhöhung des Anteils der höheren Schulabschlüsse und die Reduzierung von Arbeitslosigkeit.

Mit der vorliegenden Positionierung spricht sich die AGJ für ein eigenständiges EU-Jugendprogramm im Rahmen des Mehrjährigen Finanziellen Rahmens 2014-2020 aus. Herausgestellt werden unerlässliche Beiträge eines solchen Programms für die Erfüllung vertraglicher Aufgaben der EU, für die Beförderung einer jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa, für die Gewährleistung von Chancen und Teilhabe für alle jungen Menschen sowie für non-formales Lernen und sozialen Zusammenhalt. Darüber hinaus argumentiert die AGJ mit der enormen Vielfalt und Reichweite eines Programms, dessen Kürzung oder gar Auflösung nicht zuletzt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des politischen Handelns der EU bei ihrer zentralen Zielgruppe Jugend führen kann. 

Unverzichtbares Instrument für die Erfüllung vertraglicher Aufgaben der EU

Ein spezifisches und mit Erfolg angestrebtes Ziel des EU-Jugendprogramms ist es, im Sinne eines ganzheitlichen jugendpolitischen Ansatzes aktive Bürgerschaft, Solidarität und demokratisches Engagement junger Menschen zu stärken und ihre Mobilität und grenzüberschreitende Kooperation zu befördern.[2] Basierend auf den Prinzipien Partizipation und Individualität – etwa im Rahmen von Austausch- und Demokratieprojekten, die Jugendliche selbst entwickeln und eigenverantwortlich umsetzen –  leistet das EU-Jugendprogramm einen unerlässlichen Beitrag zur Erfüllung der vertraglichen Aufgabe der EU, Jugendliche am demokratischen Leben in Europa zu beteiligen[3]. Damit trägt es nicht zuletzt zur Ausbildung eines europäischen Bewusstseins und zur Gestaltung einer von Toleranz und Vielfalt geprägten Europäischen Union der Bürgerinnen und Bürger bei. 

Mit der jetzt von der Kommission beabsichtigten Integration des Jugendprogramms in ein durch die Wachstums- und Wirtschaftsstrategie motiviertes Bildungsprogramm besteht die Gefahr der Instrumentalisierung und Reduzierung des Jugendprogramms im Sinne unmittelbarer wirtschaftlicher Verwertbarkeit.  

Bedeutendes Instrument für die jugendpolitische Zusammenarbeit in der EU

Mit dem EU-Jugendprogramm nahm die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa vor über 20 Jahren einen Anfang. Neben diesem Programm steht der EU für jugendpolitische Aktivitäten mangels Rechtssetzungskompetenzen prinzipiell nur das Instrument der politischen Koordinierung zur Verfügung. 

Ausgehend vom Weißbuch der Kommission „Neuer Schwung für die Jugend Europas" und der dazugehörigen „Offenen Methode der Koordinierung“ (ab 2001) über den „Europäischen Pakt für die Jugend“ des Europäischen Rates (2005) und die Initiative der Kommission „Eine EU-Strategie für die Jugend – Investitionen und Empowerment“ (2009) bis hin zur EU-Jugendstrategie des Rates der EU wurde die jugendpolitische Zusammenarbeit in der EU über Jahre erfolgreich vorangetrieben. Mit dem erneuerten Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) gibt es erstmals eine abgestimmte ganzheitliche EU-Strategie für die Jugend, die als Grundlage für eine gemeinschaftliche Jugendpolitik in Europa dienen kann. In diesen politischen Zusammenhängen hat das EU-Jugendprogramm mehr und mehr die Rolle eines zentralen Umsetzungsinstruments im Sinne der Förderung junger Menschen unabhängig von einer auf das „Humankapital“ reduzierten Sichtweise übernommen. 

Die AGJ setzt sich für die Ausgestaltung eines eigenständigen EU-Jugendprogramms auf Grundlage der EU-Jugendstrategie ein, da deren ganzheitlicher Ansatz die relevanten Handlungsschwerpunkte der „Europa 2020“-Strategie einschließt und darüber hinaus der EU eine begrüßenswerte jugendpolitische Dimension ermöglicht. Aus Sicht der AGJ würde eine erhebliche Kürzung oder gar Auflösung des Programms zu einer beträchtlichen Schwächung des jugendpolitischen Profils der EU und nicht zuletzt zu Unglaubwürdigkeit ihres Handelns insbesondere bei einer zentralen Zielgruppe – der Jugend – beitragen. 

Schlüssel für Chancen und Teilhabe  

Die AGJ fordert den Erhalt eines jugendpolitisch verankerten Programms im Sinne einer Politik für alle jungen Menschen unabhängig von ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund, ihrem formalen Bildungskontext, ihrem Geschlecht oder möglichen Behinderungen. Dem damit verbundenen Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf gleiche Teilhabechancen entspricht die Umsetzung des Jugendprogramms in den Trägerstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe. 

Einen angemessenen europäischen Kooperationsrahmen in der Jugendpolitik hat sich die EU mit ihrer Jugendstrategie 2010-2018 gegeben. Deren Aktionsfelder und allgemeine Zielsetzungen, nämlich mehr Möglichkeiten und mehr Chancengleichheit für alle jungen Menschen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen sowie gesellschaftliches Engagement, soziale Eingliederung und Solidarität aller jungen Menschen zu fördern, sind aus Sicht der AGJ geeignet, einen Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des neuen EU-Jugendprogramms zu bilden.[4]

Beitrag zu non-formalem Lernen und sozialem Zusammenhalt

Aufgrund der besonderen Zugänge zu jungen Menschen, der großen Wirkkraft des nicht-formalen Lernens und des Prinzips der Freiwilligkeit – etwa im Kontext von Jugendbegegnungen, die sämtlich außerhalb von Schule und Ausbildung stattfinden – fördert das EU-Jugendprogramm nicht zuletzt auch Beschäftigungsfähigkeit und erbringt einen bedeutenden Beitrag für den sozialen Zusammenhalt, die Aktivierung und die Stärkung von Jugendlichen. Hierzu tragen auch die dezentrale Struktur des Programms und der damit einhergehende direkte Kontakt zu jungen Menschen bei. 

Vor diesem Hintergrund wäre die Verlegung des EU-Jugendprogramms oder Teile desselben in ein „integriertes Bildungsprogramm“ und damit die Verlagerung der Programmverantwortung auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten in das jeweilige Bildungsressort aus Sicht der AGJ fachlich und fachpolitisch inakzeptabel. 

Vielfalt der Angebote und Reichweite

Innerhalb des Finanzrahmens 2007-2013 stellt die EU im Rahmen ihres Jugendprogramms JUGEND IN AKTION in insgesamt 33 Ländern für jährlich 150.000 teilnehmende Jugendliche 885 Millionen Euro zur Verfügung. Davon werden über 200 Millionen Euro für Projekte mit Teilnehmenden aus Deutschland verwendet; dies entspricht jährlich etwa 800 Maßnahmen für insgesamt 11.000 Jugendliche und 2.000 Fachkräfte. 

Für die enorme Reichweite und den hohen Bekanntheitsgrad des EU-Jugendprogramms spricht auch die Tatsache, dass im Rahmen der Konsultation zur nächsten EU-Programmgeneration in 2010 rund 7.000 Einzelpersonen und Organisationen ihre Stellungnahmen zu einem zukünftigen EU-Jugendprogramm bei der EU-Kommission eingereicht haben. Damit wurde die bislang höchste Beteiligungsrate im Rahmen der Konsultationsprozesse der Kommission erreicht. 

Vor dem Hintergrund der Haushaltssituation der EU und der politisch überwiegend als unterschiedlich groß wahrgenommenen Bedeutung von „Jugend“ und „Bildung“ wäre bei Aufhebung der Eigenständigkeit des EU-Jugendprogramms eine erhebliche Reduzierung der Gesamtmittel für den Jugendbereich zu erwarten. Betroffen wären Jugendbegegnungen, Jugendinitiativen, der Europäische Freiwilligendienst, Jugendprojekte der partizipativen Demokratie und Projekte mit benachbarten Partnerländern. Zum Maßnahmenkatalog des aktuellen Jugendprogramms gehören außerdem Trainings- und Vernetzungsmaßnahmen für Fachkräfte sowie Begegnungen junger Menschen mit Verantwortlichen für Jugendpolitik. 

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ tritt für eine Berücksichtigung eines eigenständigen EU-Jugendprogramms im MFR ab 2014 in mindestens der bisherigen Größenordnung und damit für eine Abkopplung von angekündigten Gesamteinschränkungen des Haushalts ein. Die AGJ pflichtet der Bundesregierung in Bezug auf die notwendige Fortführung eines eigenständigen EU-Jugendprogramms bei und fordert alle relevanten Akteure auf, sich im Rahmen der interinstitutionellen Vereinbarungen über den Mehrjährigen Finanziellen Rahmen ab 2014 für eine angemessene Ausstattung und für den Erhalt jugendspezifischer Zielsetzungen, Formate sowie dezentraler Verfahren einzusetzen. 


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 6./7. April 2011

 

[1] Für Deutschland vgl. Position der Bundesregierung zu einem künftigen EU-Jugendprogramm ab 2014. 
[2] Für Wirkungen des Programms: vgl. Ergebnisberichte verschiedener Evaluationen zum EU-Programm JUGEND IN AKTION (www.jugendfuereuropa.de).
[3] Art. 165 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union): 
(2) Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele: (...) Förderung des Ausbaus des Jugendaustauschs und des Austauschs sozialpädagogischer Betreuer und verstärkte Beteiligung der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa (...)
[4] Zu den Vorstellungen der AGJ zur Ausgestaltung des Programms im Einzelnen: vgl. Anforderungen an das künftige EU-Jugendprogramm ab 2014. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ im Rahmen der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission über das zukünftige europäische Jugendprogramm (28. Oktober 2010).