Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen

Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zur aktuellen Diskussion

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I. Vorbemerkung

Leitgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Inklusion mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Welche Voraussetzungen und Bedingungen bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe für ein inklusives Leistungssystem notwendig sind, erschöpft sich nicht in einer Debatte zur Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen. Der Abbau der bisherigen Zuständigkeitsaufspaltung und der dadurch bedingten Segregation von Kindern und Jugendlichen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung oder Kindern und Jugendlichen mit (drohender) seelischer oder ohne Behinderung in zwei verschiedene Leistungssysteme erscheint jedoch wichtiger denn je, auch als wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Inklusionsleitgedankens. Bewirken doch bislang die Zuständigkeits-streitigkeiten zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Sozialhilfe eher exkludierende Effekte. 

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ spricht sich daher für eine Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen aus (siehe bereits Positionspapier der AGJ, 2011)[1] und greift in der vorliegenden Stellungnahme die zentralen Aspekte der aktuellen Debatte zur Gesamtzuständigkeit sowie die Ergebnisse und Empfehlungen der von der ASMK und JFMK eingesetzten Arbeitsgruppe „Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung“ auf.

 

II. Umsetzung einer Gesamtzuständigkeit im System der Kinder- und Jugendhilfe 

Ziel einer Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen im System der Kinder- und Jugendhilfe muss das Angebot von bedarfsgerechten, individuellen und passgenauen Leistungen sein, um eine aktive, uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen und dazu zu befähigen. Neben einer dafür notwendigen Haltung und Bereitschaft aller beteiligten Akteure müssen gesetzliche Regelungen die Grundlage bilden. 

1. Einführung eines neuen Leistungstatbestandes „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ 

Der Vorschlag der Arbeitsgruppe, einen neuen Leistungstatbestand „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ im SGB VIII einzuführen, wird positiv bewertet und sollte weiter diskutiert werden. Mit diesem Vorschlag geht für die Kinder- und Jugendhilfe die Herausforderung einher, Leistungstatbestände zu interpretieren, die einer Harmonisierung bedürfen und auch unter dem Aspekt der Identität sowie deren Veränderung zu diskutieren sind. 

Ziel einer Zusammenführung der Leistungen Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe nach SGB VIII und SGB XII ist, nicht mehr zwischen einem erzieherischen und einem behinderungsbedingten Hilfebedarf zu unterscheiden. Vielmehr kann die Vereinheitlichung der verschiedenen Leistungstatbestände eine Gleichstellung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung befördern und ihre Entwicklungs- und Teilhabemöglichkeiten verbessern. Insbesondere wird der ganzheitliche Blick auf die Entwicklung und Lebenssituation des Kindes oder Jugendlichen befördert.

Im Hinblick auf die Systematik und Struktur des neuen Leistungstatbestandes ist zu empfehlen, die Tatbestandsvoraussetzungen je differenziert nach dem erzieherischen Bedarf, dem Bedarf wegen einer seelischen, geistigen oder körperlichen Behinderung für die Leistungsansprüche zu beschreiben. 

Bei den Rechtsfolgen ist zu begrüßen, dass auch die Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe eine ganzheitliche Perspektive einnehmen und jenseits von einer Behinderung oder deren Grad die Entwicklung des einzelnen Kindes oder Jugendlichen und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fördern können. Auch die AGJ empfiehlt, hierbei an dem Modell eines teiloffenen Leistungskatalogs festzuhalten, wie ihn bspw. §§ 27 ff. SGB VIII und § 54 Abs. 1 SGB XII kennen.

2. Anspruchsberechtigung 

Die Anspruchsberechtigung im SGB VIII ist für die Leistungen der Hilfen zur Erziehung (Personensorgeberechtigte als Anspruchsberechtigte) und der Eingliederungshilfe (Kinder und Jugendliche als Anspruchsberechtigte) unterschiedlich geregelt. Der neue Leistungstatbestand „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ soll sich nach Empfehlung der Arbeitsgruppe (nur noch) einheitlich an Kinder und Jugendliche als Anspruchsberechtigte richten. Kinder und Jugendliche sind immer auch Adressatinnen und Adressaten der Leistungen und daher ist zu begrüßen, dass ihnen eine eigene Anspruchsinhaberschaft eingeräumt wird. 

Aber neben diesem eigenständigen Recht der Kinder und Jugendlichen auf „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ haben in jedem Fall auch die Eltern Bedarf nach Unterstützung bei der Förderung der Entwicklung und Teilhabe ihres Kindes. Die UN-Kinderrechtskonvention fordert die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, die Eltern und andere Personensorgeberechtigte bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen (Art. 18 Abs. 2 UN-KRK). Daher sollte auch im Rahmen des neuen Leistungstatbestandes sichergestellt sein, dass den Personensorgeberechtigten die bislang gesetzlich geregelten Leistungen auch weiterhin – nicht nur als Anspruch ihrer Kinder, sondern auch als Leistung für sie – zur Verfügung stehen.

3. Bestimmung des leistungsberechtigten Personenkreises anhand des Wesentlichkeitskriteriums 

Der Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe ist nach § 53 SGB XII und der dazugehörigen Eingliederungshilfe-Verordnung mit einem Wesentlichkeits-kriterium verbunden. Nur diejenigen Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder davon bedroht sind, können einen Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII geltend machen. Für eine nicht wesentliche Behinderung verbleibt es nach § 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII bei einer Ermessensleistung. Keine Rolle spielt bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Teilhabebeeinträchtigung, ob und mit welchen Anteilen sich diese bei einer Mehrfachbehinderung aus einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ergibt.

Einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe nach SGB VIII haben Kinder und Jugendliche, deren seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dadurch beeinträchtigt ist (§ 35a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII). Damit wird auch in der Kinder- und Jugendhilfe der zweigeteilte Begriff der Behinderung als Leistungsvoraussetzung verwendet, jedoch nicht mit dem Merkmal „wesentlich“ verknüpft.

Gegen eine weitere Anwendung des Wesentlichkeitskriteriums im Rahmen des neuen Leistungstatbestandes „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ im Hinblick auf Kinder und Jugendliche mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung spricht, dass somit auch weiterhin eine problematische Differenzierung zwischen geistiger und seelischer Behinderung notwendig wäre, die dem Ziel der Normalisierung zuwider liefe. Zudem ist dies insbesondere bei jungen Kindern abzulehnen, da in dieser Lebensphase eine Differenzierung kaum möglich ist und eine frühzeitige „Zuordnung und damit Manifestierung“ der geistigen Behinderung vermieden werden sollte.  

Bei einem einheitlichen Leistungstatbestand der Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe sind die Schwellen für den Hilfebedarf sowohl im Hinblick auf die Entwicklung als auch die Teilhabebeeinträchtigungen neu zu definieren. Schon heute werden die Hilfen zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 SGB VIII oder die Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 SGB VIII nur bei tatsächlichem Vorliegen eines Bedarfs an Unterstützung durch öffentliche Hilfen gewährt. Die AGJ vermag daher nicht zu erkennen, weshalb trotz dieser Schwellen bei einem Wegfall des Wesentlichkeitskriteriums bei Teilhabebeeinträchtigungen wegen geistiger und/oder körperlicher Behinderung dies zu einer Ausweitung der Ansprüche im Vergleich zur derzeitigen Leistungsgewährungspraxis nach SGB XII führen würde.

4. Anwendbarkeit des SGB IX

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind Rehabilitationsträger im Sinne des SGB IX (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX). Auf die Gewährung von Eingliede-rungshilfe wegen (drohender) seelischer Behinderung nach § 35a SGB VIII sind die Verfahrensvorgaben des SGB IX daher anwendbar. Dies gilt nicht für den Bereich der Hilfen zu Erziehung. 

Im Hinblick auf eine Zusammenführung der Eingliederungshilfen im System der Kinder- und Jugendhilfe ist daher zu klären, inwieweit die Regelungen des SGB IX weiterhin bzw. erstmalig Anwendung finden sollen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit der Gesamtzuständigkeit eines Leistungs-systems nicht nur Zuständigkeitsstreitigkeiten aufgelöst, sondern auch insgesamt eine Verbesserung des Leistungsangebotes einschließlich einer Vereinfachung des Verfahrens angestrebt werden muss. Die AGJ empfiehlt daher, das SGB IX nicht pauschal für anwendbar zu erklären, sondern gezielt einzelne Inhalte. 

a. Zuständigkeits- und Fristenregelung des § 14 SGB IX

Ein besonderer Anwendungsbereich des § 14 SGB IX bei der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit Behinderung ist die Zuständigkeitsklärung zwischen den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und der Sozialhilfe (Rehabilitationsträger i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 6 und 7 SGB IX). Dieser würde bei einer Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe entfallen. Die Schnittstellen etwa zu den Kranken- und Pflegeversicherungen, zur Bundesagentur für Arbeit oder zu den Versorgungsämtern blieben erhalten und damit auch die Notwendigkeit einer geeigneten Fristenregelung für diese Zuständigkeitsklärung. Insbesondere die Schnittstelle zur Gesundheitshilfe im Bereich der Frühförderung bedarf weiterer Aufmerk-samkeit. 
 
Die in § 14 SGB IX genannten Fristen haben eine beschleunigte Zuständig-keitsklärung und Leistungserbringung zum Ziel. Etwaige Zuständigkeitsfragen und die damit verbundene Verzögerung des Leistungsbeginns zum Nachteil der Adressatinnen und Adressaten sollen somit vermieden werden. In der Kinder- und Jugendhilfe hingegen ist die Feststellung des konkreten Hilfebedarfs bzw. die Entscheidung über die Gewährung einer Hilfe prozessorientiert. Im Mittelpunkt stehen eine Beteiligung der Kinder, Jugendlichen und Personensorgeberechtigten sowie ein Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte zur Ermittlung der geeigneten und erforderlichen Hilfe, so dass die bisherige starre, formale Fristenregelung vor dem Hintergrund des partizipativen Entstehensprozesses der Hilfen, wie er in der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII angelegt ist, nicht sinnvoll erscheint. 

Allerdings sind die Konstellationen und Bedarfe, an denen zu den verbleibenden Leistungssystemen Abgrenzungsfragen bleiben, so abgegrenzt, dass eine zügige Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX auch weiterhin Vorteile bieten könnte. Dies ist jedoch anhand der einschlägigen Bedarfskonstellationen und anhand der an der Zuständigkeitsklärung beteiligten Leistungsträger differenziert zu untersuchen, um zu prüfen, ob an der Anwendbarkeit des § 14 SGB IX insgesamt festgehalten werden sollte. Eine nur partielle Anwendbarkeit im Rahmen des neuen Leistungs-tatbestandes sollte in jedem Fall vermieden werden, denn dann wären die Vorteile des einheitlichen Leistungstatbestands nahezu vollständig wieder verloren gegangen und für die Kinder und Jugendlichen müssten zu einem frühen Zeitpunkt und zügig erneut verschiedene Zuständigkeiten gefunden werden.

b. Persönliches Budget 

Das Persönliche Budget – bis 1.1.2008 mehrere Jahre modellhaft erprobt – ist nach den Regelungen des SGB IX (§ 17 SGB IX) als Leistung zur Teilhabe zu gewähren, worauf die Leistungsberechtigten einen Rechtsanspruch haben (§ 159 Abs. 5 SGB IX). Ziel dieser Form der Leistungsgewährung ist es, den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbe-stimmtes Leben zu ermöglichen. Das Persönliche Budget wird in der Regel als Geldleistung gewährt bzw. kann auch in Form von Gutscheinen erbracht werden. Es ermöglicht den Leistungsberechtigten, die erforderlichen Leistungen selbst zu bestimmen und einzukaufen und stellt damit eine besondere Ausprägung des Wunsch- und Wahlrechts dar. Das Bewilligungsverfahren wird neben § 17 Abs. 4 SGB IX durch die Budgetver-ordnung geregelt. Sie sieht ein Bedarfsfeststellungsverfahren vor, woran sich der Abschluss einer Zielvereinbarung zwischen den beauftragten Trägern und den Leistungsberechtigten über die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele, die Erforderlichkeit eines Nachweises für die Deckung des festgestellten individuellen Bedarfs sowie über die Qualitätssicherung anschließt (§ 4 BudgetV).

Auch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind zur Leistungsgewährung des Persönlichen Budgets verpflichtet (§ 35a Abs. 3 SGB VIII, §§ 53 Abs. 4, 57 SGB XII, § 17 SGB IX). Für die derzeitigen Hilfen zur Erziehung besteht kein Anspruch auf ein persönliches Budget. Es ist zu diskutieren, ob der behinderungsbedingte Bedarf weiterhin Voraussetzung für die Gewährung eines persönlichen Budgets sein soll oder ob und wenn ja, inwieweit und für welche Hilfebedarfe eine Ausweitung des Anwendungsbereichs sinnvoll erscheint und ob den kinder- und jugendspezifischen Belangen damit Rechnung getragen werden kann.

5. Altersgrenze für den Übergang von der Kinder- und Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe nach dem SGB XII

Als Altersgrenze für den Übergang von der Kinder- und Jugendhilfe zur Sozialhilfe kommt die Alterspanne von 18 bis 21 Jahren in Betracht. Bei einem Wechsel von einem in das andere Leistungssystem sollte ein reibungsloser Übergang im Vordergrund stehen, der sich insbesondere an dem Entwicklungsstand und dem Hilfebedarf der betroffenen Person orientiert. Die Kontinuität des Hilfeprozesses für den jungen Menschen ist hierbei von besonderer Bedeutung. Die AGJ empfiehlt eine Orientierung an der Pflicht zur Fortführung der bisherigen Leistungen bei Zuständigkeitswechsel, wie sie seit dem Bundeskinderschutzgesetz für die Pflegekinderhilfe gilt (§ 37 Abs. 2a SGB VIII). Eine Änderung der bisherigen Leistungsgewährung ist danach nur und erst dann zulässig, wenn sich der Bedarf ändert.

6. Kostenbeteiligung

Derzeit divergieren die Regelungen zur Kostenbeteiligung für Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII und für die Gewährung von Leistungen nach SGB VIII erheblich. Teilweise fällt die Kostenbeteiligung in der Sozialhilfe höher aus oder ist – anders als im SGB VIII – überhaupt möglich (z.B. bei ambulanten Leistungen), teilweise sind die Kostenbeiträge nach SGB VIII höher als diejenigen im SGB XII. Die Ungleichbehandlung ist schon nach derzeitiger Rechtslage verfassungsrechtlich bedenklich (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG).

Spätestens bei einer Gesamtzuständigkeit bedarf es daher eines einheitlichen Systems der Kostenheranziehung. Hierbei wird zu diskutieren sein, ob

  • Ausgangspunkt für die Bemessung der Höhe die Eltern-Kind-Verantwortung ist, was bei einer außerfamiliären Unterbringung eine Orientierung an den Beträgen erforderlich macht, die Eltern als Unterhalt für ihr – behindertes oder nicht behindertes – Kind zahlen müssen, wenn es nicht mit ihnen zusammenlebt, oder ob
  • die Behinderung per se und unabhängig von tatsächlichem Mehraufwand, der in jedem Fall zu berücksichtigen wäre, als besondere Belastung der Eltern angesehen wird und daher die Eltern zu einem niedrigeren Betrag an den Kosten beteiligt.

Die AGJ plädiert dafür, auch bei einer Gesamtzuständigkeit für ambulante Leistungen weiterhin keine Kostenbeiträge zu erheben. 

7. Hilfe- und Teilhabeplanverfahren 

Die Weiterentwicklung des bisherigen Hilfeplanverfahrens der Kinder- und Jugendhilfe zu einer Hilfe- und Teilhabeplanung bezogen auf den neuen Leistungstatbestand „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ ist bei der Zusammenführung der Leistungsadressaten im System der Kinder- und Jugendhilfe konsequent und notwendig. Im Mittelpunkt muss auch hier weiterhin die Partizipation der Personensorgeberechtigten, Kinder und Jugendlichen als eines der zentralen Elemente im Hilfeplanungsprozess stehen. 

Die sozialpädagogische Hilfeplanung und Hilfeprozesssteuerung der Kinder- und Jugendhilfe in § 36 SGB VIII sollte hierbei als Vorbild dienen und das multiprofessionelle Zusammenwirken mit den weiteren medizinischen Gutachterinnen und Gutachtern sowie behandelnden Ärztinnen und Ärzten vergleichbar der verbindlichen Einbeziehung der kinder- und jugendpsychiatrischen Expertise regeln (vgl. § 35a Abs. 1a, § 36 Abs. 3 SGB VIII).

 

III. Ausblick

Die Leistungsangebote aus einer Hand unter dem Dach des SGB VIII im Rahmen einer Gesamtzuständigkeit bieten allen jungen Menschen, unabhängig einer Behinderung oder der Art der Behinderung, verbesserte und umfassende Teilhabe-, Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten. Heraus-forderungen für die Umsetzung dieser Gesamtzuständigkeit werden sich vor allem aus den damit verbundenen organisatorischen, personellen und teilweise auch finanziellen Konsequenzen ergeben. In den Ländern, in denen Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII für junge Menschen noch teilweise landesfinanziert sind, ist den Kommunen durch die Länder ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu gewähren. 

Aktuell diskutiert wird die Umsetzung einer Eingliederungshilfereform mit der Einführung eines Bundesleistungsgesetzes. Ziel der Reform ist, die Leistungen der Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe herauszulösen, um die Rechte und Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung zu stärken. Die Eingliederungshilfe soll daher von einem institutsbezogenen zu einem personenzentrierten Unterstützungs-system umgestaltet werden. Daneben wird die Entlastung der Länder und Kommunen angestrebt, die auf steigende Fallzahlen und Ausgaben für Leistungen für Menschen mit Behinderung hinweisen. Im Mittelpunkt des Bundesleistungsgesetzes soll eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe stehen. 

Werden die Bestrebungen der Eingliederungshilfereform in der nächsten Legislaturperiode konkretisiert, muss mit Blick auf die Umsetzung einer Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe die Verantwortung des Bundes zur Mitfinanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche – dann im System des SGB VIII – mitberücksichtigt werden. 

Darüber hinaus darf die Umsetzung der Gesamtzuständigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe nicht allein auf die Diskussion zu einem neuen Leistungstatbestand bzw. einer Neugestaltung der Rechtsansprüche reduziert werden. Vielmehr bedarf es für die gesamte Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe einer konzeptionellen Weiterentwicklung und vor allem inklusiven Ausgestaltung des Leistungsangebotes mit der entsprechenden Haltung und Qualifizierung der Beteiligten. 


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 25. September 2013


[1] Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ vom 24./25. November 2011 zur Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen