• Eine Gruppe Jugendlicher steht an einer Wand. Im Vordergrund steht eine junge selbstbewusste Frau.
  • Junger Mann sitzt einsam in einer alten Bibliothek an einem Tisch und arbeitet ein Buch durch. Auf dem Tisch liegt zu seiner rechten Seite ein Stapel Bücher.
  • Ein behinderter Junge und ein Mädchen sitzen vor einem Computer. Hinter den beiden steht eine junge Frau.
  • Eine glückliche junge Familie mit Sohn und Tochter sitzt auf einem Sofa und schaut über die Rückenlehne ins Bild.
  • Zwei 16- bis 17-jährige männliche Auszubildende sitzen an einer Werkbank und bearbeiten ein metallisches Werkstück.
  • Fünfjähriges Mädchen hat bunte Farbklekse auf eine Papierplane gemalt.
  • Student und Studentinnen verschiedener Hautfarben sitzen in einer Bibliothek vor Computern.
  • Glücklicher Großvater sitzt mit seinen Enkelkindern auf einer weißen Holzbank.

Kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung stärken!

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Positionspapier als PDF

Kinder und Jugendliche wollen ihre Umgebung und Lebensrealität mitgestalten und bei gesellschaftlichen und politischen Prozessen mitentscheiden. Sie haben ein Interesse daran, das Hier und Jetzt wirksam zu beeinflussen und bei den Weichenstellungen für ihre Zukunft gefragt zu werden. Die Mitgestaltung unserer gesellschaftlichen Realität und der Zukunft durch Kinder und Jugendliche lässt sich durch keine andere Bevölkerungsgruppe oder Perspektive ersetzen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kommen junge Menschen zudem zunehmend in die Minderheit. Ihre Interessen und Bedürfnisse unterscheiden sich darüber hinaus in mancherlei Hinsicht von denen anderer Altersgruppen. Durch diese Entwicklungen geraten die nachwachsenden Generationen zunehmend unter Druck, ihre Beteiligungsinteressen, ihren Rechten entsprechend, wahrnehmen zu können.
Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ ist Partizipation[1] von Kindern und Jugendlichen gerade in der Kommune unverzichtbar, nicht nur weil sie ein gesetzlich verbrieftes Recht darauf haben, als Expertinnen und Experten in eigener Sache an Prozessen und Entscheidungen, die Auswirkungen auf ihre Lebensrealität und ihre Zukunftschancen haben, beteiligt zu werden. Kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung ist auch insbesondere deshalb von zentraler Bedeutung, weil es hier darum geht, das unmittelbare Umfeld mitzugestalten und weil die Kommunen entsprechende Möglichkeiten für die Wirksamkeit von Beteiligung schaffen können.
Beteiligung ist darüber hinaus eine zentrale Dimension des Wohlbefindens junger Menschen. Die Erfahrung, dass die eigenen Ansichten wahrgenommen und Anliegen berücksichtigt werden, trägt wesentlich zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit und eines gesunden Selbstbewusstseins bei. Sich als selbstwirksam zu erleben und spürbar beteiligt zu werden schafft außerdem eine unverzichtbare Grundlage, damit Kinder und Jugendliche lernen, Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen zu übernehmen; es ist eine zentrale Voraussetzung für soziales Handeln und eine Basis für politisches Interesse ebenso wie für bürgerschaftliches Engagement.
Doch nicht nur für Kinder und Jugendliche ist Beteiligung ein Gewinn. Die am Prozess beteiligten Erwachsenen in Institutionen, Politik und Verwaltungen erhalten wertvolle Erkenntnisse, gewinnen wichtige Einsichten in die Lebenswirklichkeit der jungen Generation und entdecken neue Perspektiven, wenn sie Kinder und Jugendliche als Expertinnen und Experten in eigener Sache ernst nehmen, wodurch Planungen und Entscheidungen innovativer und passgenauer werden.
Nicht zuletzt ist es die kommunale Ebene[2], die von einer wirksamen Kinder- und Jugendbeteiligung nachhaltig profitiert, denn die konsequente Beteiligung junger Menschen hilft Kommunen dabei, kind- und jugendgerecht zu bleiben oder zu werden und wirkt so als „identitätsstiftender `Heimat- und Haltefaktor´ – was gerade in Zeiten des demografischen Wandels von erhöhter Bedeutung ist, die Übergabe der Verantwortung an die nächste Generation von Staatsbürgern kann vorbereitet und geübt werden und die Kommune wird lebendiger und kreativer“[3].

Aus diesen Gründen hält die AGJ Kinder- und Jugendbeteiligung für zentral und fordert mit diesem Positionspapier eine Stärkung auf kommunaler Ebene. Anhand der im folgenden aufgeführten Beteiligungsrechte und -standards sowie Interessen und Themen junger Menschen, lassen sich diverse Beteiligungsformate aufzeigen, die auf die jeweiligen kommunalen Gegebenheiten Anwendung finden können.[4]

Interessen und Themen junger Menschen

Überall dort, wo Kindern und Jugendlichen Verantwortung übergeben wird, kann ein nachhaltig höheres politisches Interesse, bzw. ein verstärktes Interesse an gesellschaftspolitischen Themen ihrerseits festgestellt werden. Grundsätzlich ist jedes Thema, das Kinder und Jugendliche direkt oder indirekt betrifft, geeignet, das Interesse von Kindern und Jugendlichen zu wecken. Somit haben Kommunen eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten für nachhaltige Beteiligungsformate. Voraussetzung ist jedoch, dass die Themen und die Beteiligungsformate an den Lebenswelten junger Menschen anknüpfen und Kinder und Jugendliche eine Vorstellung davon bekommen, dass die aktuellen Entscheidungsprozesse und die kommunale Politik etwas mit ihnen und ihrem Leben zu tun haben. Aus diversen Studien und Beteiligungsprozessen[5] ist bekannt, dass insbesondere folgende Themen eine große Bedeutung für Kinder und Jugendliche haben und sich für sie relevante Fragen daraus ergeben:

  • Spiel- und Sportmöglichkeiten, Freizeitorte (einschließlich institutioneller Freizeitangebote) sowie Gestaltung und Nutzung öffentlichen Raums,
  • Gestaltung des Kindertageseinrichtungs-/Schulalltags und der vorhandenen Räumlichkeiten,
  • (Verkehrs-)Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt/im Dorf,
  • Lebensumstände ihrer Familie,
  • Mobilität und Zugangsmöglichkeiten zum Internet,
  • Ausbildungs- und Studiensituation, Bildungs- und Zukunftschancen,
  • Stärkung der Selbstorganisationsfähigkeit in Jugendverbänden sowie in anderen selbstorganisierten Kinder- und Jugendorganisationen und -initiativen,
  • Medien- und Kulturarbeit sowie kinder- und jugendkulturelle Freiräume,
  • der Umgang mit zunehmender multikultureller Vielfalt und mit gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten,
  • soziales Engagement für andere Menschen (in der eigenen Umgebung und in der Welt),
  • Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit,
  • die Rolle junger Menschen in einer alternden Gesellschaft.

Recht auf Beteiligung

Internationale und nationale Positionierungen, Übereinkommen und Gesetze, wie die UN-Kinderrechtskonvention, die Revidierte Europäische Charta der Beteiligung der Jugend am Leben der Gemeinde und der Region sowie nationale gesetzliche Vorgaben im SGB VIII und in den Kommunalver-fassungen der Länder bilden einen breiten Rahmen, in dem Kinder- und Jugendbeteiligung vorgesehen und gefordert wird.
Das in der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) in Artikel 12 garantierte Recht auf Mitsprache und Beteiligung bringt hierbei zweifelsfrei ein Verständnis von Kindern und Jugendlichen als aktive Mitglieder der Gesellschaft zum Ausdruck. Die Vertragsstaaten sichern ihnen zu, ihre „Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern“. Die Meinung muss außerdem angemessen und entsprechend des Alters und der Reife des Kindes bzw. des Jugendlichen berücksichtigt werden. Das Recht auf Beteiligung zeigt einen grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung von jungen Menschen auf: Kinder und Jugendliche sind Subjekte, die ihre Rechte eigenständig ausüben können und sollen.
Auch das SGB VIII sieht die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe vor. Dies umfasst auch Angelegenheiten der kommunalen Umsetzung von Kinder- und Jugendpolitik und damit verbundene Entscheidungen über Angebote der Jugendhilfe vor Ort und die Beteiligung an der örtlichen Jugendhilfeplanung. Kinder und Jugendliche sollten demnach verstärkt als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Angelegenheiten verstanden und in die entsprechenden Beratungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. § 12 SGB VIII schreibt zudem Jugendverbänden und deren Zusammenschlüssen die Rolle zu, die Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck zu bringen und zu vertreten.
Einige Bundesländer haben darüber hinaus bereits durch landesrechtliche Vorschriften in ihren Kommunalverfassungen ein Beteiligungsrecht von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlicher Durchsetzungskraft verankert. Während beispielsweise in Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen in Gemeinden, Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die deren Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligt werden „sollen“, schreibt die Gemeindeordnung von Schleswig-Holstein vor, dass die Gemeinden Kinder und Jugendliche in angemessener Weise beteiligen „müssen“. Die Gemeinden müssen nicht nur geeignete Verfahren dafür entwickeln, sondern auch entsprechend darlegen, wie sie die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt haben. Aus Sicht der AGJ wird mit einem solchen dreistufigen Verfahren aus Verpflichtung zur Beteiligung und zur Entwicklung entsprechender Verfahren sowie einer Berichtspflicht, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gesetzlich zielführend umgesetzt.
Trotz des bereits geltenden Rechtsrahmens für die Beteiligung junger Menschen fehlt es vielerorts an einer konsequenten Umsetzung dieser Rechte auf kommunaler Ebene.

Beteiligungsstandards

Kinder- und Jugendbeteiligung ist mehr als nur eine Haltungsfrage. Kinder und Jugendliche sind entsprechend der oben zitierten UN-KRK und des SGB VIII eigenständige Subjekte. In diesem Sinne gilt es, ihnen Verantwortung zu übertragen, ihre Meinung einzuholen und wertzuschätzen und schließlich ihre Entscheidungen zu akzeptieren bzw. respektvoll Rückmeldungen zu geben und zu begründen, wenn politische Entscheidungen am Ende eines Prozesses anders ausfallen. Nur so kann Gesellschaft gemeinsam gerecht gestaltet werden. Kinder und Jugendliche haben prinzipiell die dafür benötigten Kompetenzen und sind bereit, sich zu beteiligen, wenn man sie ernsthaft lässt. In diesem Sinne erfordert kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung daher in erster Linie Strukturen zu schaffen und Gelegenheiten zu öffnen, die es jungen Menschen ermöglichen, sich an den sie betreffenden Angelegenheiten zu beteiligen.
Beteiligung – auch die von Erwachsenen – bedarf aber zunächst des Verständnisses, dass diese erst einmal gelernt werden muss. Kinder und Jugendliche müssen daher umfassend informiert, durch entsprechende Methoden unterstützt und mit den notwendigen Entscheidungsbefugnissen und Möglichkeiten ausgestattet werden, um ihre Bedürfnisse und Interessen zur Geltung zu bringen und Ergebnisse in ihrem Sinne einfordern zu können. Zentrale Kriterien für eine gelingende Kinder- und Jugendbeteiligung, aus Sicht der AGJ, sind daher Angemessenheit, Transparenz, Wirksamkeit, Empowerment und die Kontinuität von Beteiligung. Im Einzelnen bedeutet das:

  • Es gibt tatsächlich etwas zu entscheiden.
  • Kinder und Jugendliche werden über ihre Beteiligungsrechte und -möglichkeiten aufgeklärt.
  • Kinder und Jugendliche werden – u. a. durch Angebote der Kinder- und Jugendarbeit – zur Beteiligung motiviert und befähigt (Empowerment).
  • Die Entscheidungen, Ziele und Zeitläufe werden transparent dargestellt und in kinder- und jugendgerechter Sprache erklärt und dokumentiert.
  • Der Prozess wird altersangemessen entwickelt und methodisch vielfältig gestaltet. Das jeweilige Format berücksichtigt die unterschiedlichen Fähigkeiten und Potenziale der Kinder und Jugendlichen, die beteiligt werden.
  • Der Prozess wird pädagogisch begleitet.
  • Der Beteiligungsprozess und das Prozessende finden in einem für junge Menschen überschaubaren Zeitraum statt. Hierfür werden interne Verwaltungsabläufe auf den Prozess abgestimmt. Zu relevanten Zeitpunkten im Verlauf des Beteiligungsprozesses und am Ende des Prozesses gibt es ein Feedback über die (Zwischen-)Ergebnisse und den Umgang mit ihnen.
  • Beteiligung wird kontinuierlich für Kinder und Jugendliche zu bestimmten, für sie relevanten Fragen ermöglicht. Dies erfordert die Selbstverpflichtung von Verwaltung und Kommunen.

Die AGJ ist sich bewusst, dass richtig verstandene Kinder- und Jugendbeteiligung in diesem Sinne unter Umständen auch (Mehr-)Arbeit bedeutet. Es ist aber ein Aufwand, der sich lohnt und zu welchem sich Politik, Verwaltung und Gesellschaft im Interesse ihrer Selbst verpflichtet fühlen müssen.

Formen und Zielgruppen kommunaler Kinder- und Jugendbeteiligung

Es gibt nicht das Beteiligungsformat, genauso wenig wie es die Kinder und Jugendlichen gibt. Es geht immer um einen gezielten Einsatz von Methoden bzw. um deren Aufbereitung. Beteiligungsformen müssen demnach situations- und zielgruppenspezifisch gewählt und manchmal auch erst mit Hilfe von Kindern und Jugendlichen und Beteiligungsexpertinnen und -experten entwickelt werden. Das Alter und noch nicht vorhandenes Wissen oder Kompetenzen dürfen keine Ausschlusskriterien für Beteiligung sein. Solche Argumente sind also lediglich als Hinweise zu verstehen, nach geeigneten Methoden und Strukturen zu suchen, die Beteiligung ermöglichen. Hierfür müssen Kinder und Jugendliche auf Personen und Strukturen treffen, die sie darin unterstützen, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken.

Auf kommunaler Ebene sind bisher eine große Zahl unterschiedlicher Konzepte, Verfahren, Projekte und Gremien zur Verbesserung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen entwickelt worden, die sich in vier Kategorien gliedern lassen:

  1. Partizipation von Kindern und Jugendlichen aufgrund gesetzlicher Vorgaben kommt in der Arbeit der Kinder- und Jugendverbände in besonderer Weise zum Ausdruck. Partizipation vollzieht sich in der Kinder- und Jugendverbandsarbeit durch Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen an den gruppen- und verbandsinternen Beratungs- und Entscheidungsprozessen sowie in der kinder- und jugendpolitischen Arbeit der Kinder- und Jugendverbände und der Jugendringe in einer Kommune. Kinder- und Jugendverbände sind in vielen kommunalen Ausschüssen mit beratender Stimme, in den Jugendhilfeausschüssen gem. §71 SGB VIII mit Stimmrecht vertreten.

    Schülerinnen- und Schülervertretungen als gewählte und mandatierte Gremien sind wichtige Partizipations-Akteure nicht nur in der Schule, wo sie an der Gestaltung ihrer Schule und des Schullebens mitwirken, sondern auch als Stadtschülerräte in der Kommune, wenn es um die Interessen von Kindern und Jugendlichen als Schülerinnen und Schüler geht. Auch sie arbeiten selbstorganisiert und selbstbestimmt. In manchen Kommunen verfügen Schülerinnen- und Schülerver-tretungen sogar über einen beratenden Sitz in Ausschüssen. In mehreren Bundesländern ist die Arbeit der Schülerinnen- und Schülervertretungen in den jeweiligen Schulgesetzen geregelt.

    Das verfassungsmäßig garantierte und etablierteste Beteiligungsrecht ist das Wahlrecht. Für Kinder sind Kommunalwahlen jedoch gar nicht, für Jugendliche nur begrenzt zugänglich. Nur in elf Bundesländern wurde das aktive Wahlrecht in den letzten Jahren auf die Vollendung des 16. Lebensjahres abgesenkt. Die Debatten über die Absenkung des Wahlalters werden immer wieder neu geführt und sind ein nicht unwesentliches Thema, wenn es um die Beteiligung junger Menschen geht. Bundeseinheitliche Regelungen wären erstrebenswert. In keinem der Länder besitzen 16-Jährige das passive Wahlrecht, um sich in eine kommunale Vertretungskörperschaft wählen lassen zu können.
     
  2. Formalisierte Partizipationsformen aufgrund eigener Regelungen in den Kommunen umfassen die Arbeit von z. B. Kinder- und Jugendparlamenten, Kinder- und Jugendforen sowie Kinder- und Jugendräten, die in zahlreichen Städten und Gemeinden gewählt werden. Die Wahlen zu den unterschiedlichen Gremien sind entweder als allgemeine Wahl oder als sogenannte Versammlungswahl organisiert, so dass auch ein Mandat an die gewählten Mitglieder vergeben wird. Das Zugestehen von Rechten für diese Art der Vertretungsgremien obliegt zumeist den jeweiligen kommunalen Vertretungskörperschaften und umfasst im Wesentlichen Mitberatungs- und Beteiligungsrechte an parlamentarischen Beratungen in Ausschüssen und Gemeinderatssitzungen. Das Verwalten eines eigenen Etats hat sich ebenfalls in einigen Kommunen etabliert. Entscheidend ist auch bei dieser Partizipationsform die Möglichkeit, selber initiativ zu werden, eigene Ideen und Konzepte zu entwickeln, mit den anderen Akteuren in den Kommunen zu kommunizieren und in den politischen Gremien gehört zu werden.
     
  3. Nicht formalisierte Partizipationsverfahren als dritte Kategorie umfassen u. a. zeitlich begrenzte und oft anlassbezogene Projekte, die zur Verbesserung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen beitragen und meist nur durch die Auswahl eines bestimmten methodischen Verfahrens oder einer definierten Zielgruppe gekennzeichnet sind. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Ansätze zur E-Partizipation, denn die Nutzung digitaler Medien eröffnet neue Chancen für die Partizipation junger Menschen: Sie nutzen ohnehin bereits eine Vielzahl interaktiver Angebote und die sozialen Medien im Internet und führen darüber einen Großteil ihrer Kommunikation. Die Offenheit für E-Partizipationsverfahren ist demnach vorhanden, wenn darüber hinaus eine individuelle Ansprache erfolgt. Die ersten onlinegestützten Beteiligungsprozesse haben gezeigt, dass eine enge Verzahnung von Online- und Offline-Kommunikation unbedingt notwendig ist, um zu einer hinreichenden Beteiligung zu gelangen, insbesondere bei langfristigen Beteiligungsprozessen. Als beispielhafte Projekte mit bundesweiter Bedeutung sind u. a. die Plattform ypart.eu, und ePartool für das Projekt „ichmache>Politik“ zu nennen.

    In dieser Kategorie sind ebenfalls die vorhabenbezogenen Partizipationsprozesse in einer Kommune zu nennen, die eine Mitwirkung an Planungsprozessen durch sogenannte Zukunfts- und Ideenwerkstätten, Bürgerbeteiligungsverfahren oder ähnliche Instrumente vorsehen sowie selbstorganisierte Partizipationsinitiativen junger Menschen, die sich, unabhängig von bestehenden Strukturen, in Angelegenheiten ihrer Kommune, ihres Stadtteils oder der Schule engagieren, und ihre Ideen und Interessen dort einbringen.
     
  4. Beteiligungskultur in Einrichtungen und Angeboten umfasst Partizipations- und Mitentscheidungsmöglichkeiten in (kommunalen) Einrichtungen sowie in den kommunal geförderten Angeboten freier Träger, wie Vereinen und Initiativen. Letztere ermöglichen insbesondere Beteiligungskultur und Engagement. Kinder- und Jugendbeteiligung ist eine Dauer- und Querschnittsaufgabe für das gesamte Feld der außerschulischen und schulischen Träger und Akteure einer Kommune. Denn alle Orte und Strukturen, in denen Kinder und Jugendliche sich in ihrer Lebenswelt bewegen, sind Labore für Beteiligung – viele davon sind kommunal verankert bzw. gefördert. Überall dort gilt es, die Voraussetzungen für Beteiligung zu schaffen oder zu verbessern, zur Mitgestaltung zu motivieren und diese wirkungsvoll umzusetzen.

Die jeweiligen Formate in allen Kategorien sind grundsätzlich nicht als strikt getrennt zu betrachten; vielmehr kann es zwischen den Formaten zu kreativen Überschneidungen kommen. Die Aktivitäten in allen vier Kategorien stehen jedoch alle ähnlichen Herausforderungen gegenüber: Planungs- und Umsetzungsphasen sind oft sehr langwierig, so dass nur selten kurzfristige Erfolge erzielt werden können. Kinder und Jugendliche erklären sich oft aber nur für einen begrenzten und zum Teil kurzen Zeitraum bereit, in diesen Partizipationsprozessen mitzuwirken. Sie verfügen nur über begrenzte Zeitbudgets und finden sich häufig in den Verwaltungsstrukturen und rechtlichen Implikationen nur schwer zurecht, wenn sie nicht durch Mentorinnen und Mentoren begleitet werden.

Forderungen zur Stärkung kommunaler Kinder- und Jugendbeteiligung

Die AGJ ist der Ansicht, dass, trotz der Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehenden Beteiligungsrechte und der zahlreichen bereits bewährten Beteiligungsformate auf kommunaler Ebene, jungen Menschen noch viel zu oft keine angemessenen Möglichkeiten eingeräumt werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Die in den Kommunalverfassungen vorgesehene Beteiligung lässt im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung nur die Frage nach dem Wie offen und es obliegt jeder Kommune selbst, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zu entscheiden, welche formalisierten oder nicht formalisierten Formen und Möglichkeiten vor Ort am praktikabelsten sind und den meisten Zuspruch erfahren.

Die AGJ fordert daher

  • politische Entscheidungsträger in den Städten, Gemeinden und Landkreisen auf, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen anzuregen und im Zusammenwirken mit den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe zu fördern. Dazu gehört auch, die bestehenden gesetzlichen Beteiligungsformen aktiv umzusetzen und zu fördern. Beteiligung verlangt die Anerkennung der Zugehörigkeit von Kindern und Jugendlichen, ihren Organisationen und Einrichtungen zu ihrer Gemeinde, ihrem Stadtteil oder ihrer Stadt. Eine Politik mit Kindern und Jugendlichen setzt auf ihre Stimme, nutzt ihr Expertenwissen und fördert ihre Aktivitäten. Die praktische Umsetzung dieses Beteiligungssettings sollte eine möglichst große Bandbreite besitzen und alle Varianten bis hin zur Mit-Entscheidung beinhalten.
  • Verwaltungsstrukturen transparenter zu gestalten und Partizipations-prozesse von Ressort- und Verfahrensgrenzen loszulösen, um kommunale Planungs- und Beteiligungsprozesse, welche die Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, kinder- und jugendgerecht umsetzen zu können.
  • ausreichend Zeit und Geld für Beteiligungsprozesse. Alle bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Beteiligung nicht sofort und nicht zum Nulltarif zu haben ist. Zusätzliche Mittel zur Verbesserung der Beteiligung sollten aus dem Etat der Kommunalparlamente bereitgestellt werden, um zu dokumentieren, dass die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen nicht nur eine Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, sondern eine Verantwortung der politischen Akteure in den Städten und Gemeinden darstellt. Partizipation von Kindern und Jugendlichen sollte aber auch verbindlich in den Landesausführungsgesetzen und Verwaltungsvorschriften der Länder aufgenommen werden.
  • eine von Ländern und Kommunen auskömmlich finanzierte vielfältige Kinder- und Jugendarbeit. Denn Kinder- und Jugendarbeit ist in ihren vielseitigen Formen eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute kommunale Beteiligungskultur.
  • eine regelhafte kommunale Infrastruktur für Partizipationsprozesse, die Kindern und Jugendlichen jederzeit Beteiligung ermöglicht und sie dabei fördert und unterstützt. Projekte alleine, die von Zeit zu Zeit stattfinden, sind kein wirksamer Weg, um eine konstante und konstruktive Beteiligungskultur junger Menschen zu etablieren. Diese Infrastruktur sollte auf den bestehenden Strukturen der Interessenvertretung junger Menschen aufgebaut und Doppelstrukturen vermieden werden.  
  • Beteiligungsprozesse altersgerecht und zielgruppenbezogen auszugestalten. Erprobte und erfolgreiche Verfahren der Kinder- und Jugendarbeit und -bildung zur Beteiligung, insbesondere in Zusammenarbeit mit den Schulen vor Ort, müssen allen Kommunen zugänglich gemacht werden und, entsprechend der örtlichen Situation, im Zusammenwirken zwischen Politik, Verwaltung und Kinder- und Jugendhilfe gestaltet werden. Die Möglichkeit des Erlebens und Mitgestaltens von Demokratie im unmittelbaren Umfeld der jungen Menschen darf keine Frage des Alters, sondern muss vielmehr eine des Interesses sein. Die Lebensweltorientierung als wichtiges Merkmal von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere der Kinder- und Jugendarbeit muss für die Umsetzung dieser Maxime daher von zentraler Bedeutung sein.
  • Expertinnen und Experten für Kinder- und Jugendbeteiligung zur Unterstützung heranzuziehen. Die Motivation, Begleitung, Moderation und Evaluation muss Kern professionellen pädagogischen Handelns im Sinne von Kinder- und Jugendbeteiligung sein. Ein Verständnis von Meinungs- und Entscheidungsfindung in der Demokratie insbesondere auf kommunaler Ebene sowie die Fähigkeit, dieses Wissen zu vermitteln sind grundlegend.
  • die Qualifizierung von Fachkräften zu Zielen und Methoden der Kinder- und Jugendbeteiligung im Rahmen der Ausbildung und des Studiums zu intensivieren und entsprechende zeitgemäße Fortbildungsangebote auf Landesebene zu entwickeln und anzubieten.
  • für kommunale Beteiligungsverfahren ein Monitoring durch die Kinder- und Jugendhilfe und eine öffentliche Darstellung und Bewertung durch Kinder und Jugendliche. Nur so kann ständige Verbesserung gelingen.
  • die bundeseinheitliche Absenkung des Wahlrechts für Kommunalwahlen auf mindestens 16 Jahre. Nur so können mehr junge Menschen an formalen politischen Entscheidungen beteiligt werden und die Parteien und politischen Vereinigungen vor Ort endlich wirksam aufgefordert werden, verstärkt für diese Altersgruppe politisch aktiv zu werden und diese zu repräsentieren. Es ist nicht mehr nachvollziehbar für junge Menschen, warum sie als Parteimitglieder an Abstimmungen über Koalitionsverträge und Spitzenkandidaten teilnehmen dürfen, aber nicht an formalen Wahlen. Insbesondere auf kommunaler Ebene kann das Herabsetzen des Mindestalters für das aktive Wahlrecht zu einem höheren Interesse für kommunale Angelegenheiten führen.

Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 03./04. Dezember 2015


[1] Im vorliegenden Papier werden die Begriffe Partizipation und Beteiligung synonym verwendet. Partizipation bzw. Beteiligung wird dabei verstanden als der komplementäre Prozess eines wirksamen Einbezugs in Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse durch politisch verantwortliche Akteure als auch als die aktive Teilnahme an den jeweiligen Prozessen. Insbesondere im kommunalen Bereich sollten solche Partizipationsprozesse eingebettet sein in eine gesamtpolitische Strategie mit wechselseitigen kommunikativen Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren.
[2] Als kommunale Ebene, auf der Kinder- und Jugendbeteiligung umgesetzt werden muss, versteht die AGJ die Gemeinden, Städte und Landkreise mit ihrer Funktion als Gebietskörperschaften. Darüber hinaus können dies auch einzelne Dörfer, Ortsteile, Stadtteile oder Stadtbezirke sein.
[3] Werner Lindner (2012): Politikberatung und Lobbying für die Kinder- und Jugendarbeit. Hinweise für die praxisbezogene Umsetzung, In: deutsche Jugend – Zeitschrift für Jugendarbeit, 60. Jg. Heft 1/ 2012.
[4] Beteiligungsmöglichkeiten im kommunalen Raum (bspw. im Rahmen der Hilfen zur Erziehung) und andere gesetzlich verankerte Beteiligungsformen stehen nicht im Vordergrund.
[5] Vgl. z. B. die Ergebnisse der Online-Partizipationsrunden „Ich mache > Politik“ des Deutschen Bundesjugendrings (http://ichmache-politik.de/demografie/ ), die Sinus-Jugendstudie „Wie ticken Jugendliche – Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland“ (http://www.sinus-akademie.de/fileadmin/user_files/Presse/SINUS-Jugendstudie_u18_2012/%C3%96ffentlicher_Foliensatz_Sinus-Jugendstudie_u18.pdf ) und die Initiative „Kinderfreundliche Kommunen“ (http://www.kinderfreundliche-kommunen.de/