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„Armut nicht vererben – Bildungschancen verwirklichen – soziale Ungleichheit abbauen!
Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht: Konsequenzen und Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe“

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Positionspapier als PDF

Vorbemerkungen

In einem reichen Land wie Deutschland muss niemand in Armut leben, so eine weitverbreitete These. Der 5. Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) der Bundesregierung, der im April 2017 veröffentlicht wurde, macht deutlich, dass dies ein Trugschluss ist: Trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums ist der Anteil derjenigen, die wegen eines vergleichsweise niedrigen Einkommens als armutsgefährdet gelten, in den vergangenen Jahren nicht zurückgegangen, sondern hat sich zuletzt sogar leicht erhöht. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und ihre Kinder sowie Mehrkindfamilien. Armut(sgefährdung) hat in Deutschland also nach wie vor ein junges Gesicht.

Diesen Befund nimmt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zum Anlass, sich vertieft mit dem Thema Armut zu beschäftigen. Ausgehend von bestehenden AGJ-Veröffentlichungen, die einzelne Facetten der Problematik sowie mögliche Lösungsansätze beleuchten[1], unternimmt das vorliegende Positionspapier den Versuch, die Erkenntnisse des 5. Armuts- und Reichtumsberichts aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe zu lesen und sich daraus ergebende Konsequenzen und Herausforderungen für Fachkräfte, Forschende und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zu identifizieren. Fest steht: Die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland ist in ihrem Wirken in vielfältigster Form mit Armut – verstanden als materielle, kulturelle und/oder soziale Deprivation – konfrontiert. Für eine Befassung mit dem Thema ergeben sich daher verschiedene Zugänge, sei es im Hinblick auf die Vererbung von Armut, die Existenz regionaler Disparitäten, das Armutsrisiko von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe sowie auf bestehende Forschungsbedarfe.


I. Zusammenfassung und Bewertung des 5. Armuts- und Reichtumsberichts

Bevor diese Zugänge im zweiten Teil ausgelotet werden, sollen im Folgenden zunächst das Erstellungsverfahren, die konzeptionelle Grundlage sowie zentrale Befunde des 5. ARB skizziert und kurz bewertet werden.[2]

Seitdem die Bundesregierung im Jahr 2001 den ersten Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) vorgelegt hat, wird in jeder Legislaturperiode unter dem Titel „Lebenslagen in Deutschland“ auf empirischer Grundlage über die soziale Lage in Deutschland berichtet. Der nunmehr 5. ARB wurde federführend vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und unter Beteiligung eines Wissenschaftlichen Gutachtergremiums sowie eines Beraterkreises erarbeitet. Die AGJ, die dem Beraterkreis angehörte, bewertet das Bemühen des BMAS um eine breitestmögliche Beteiligung von Wissenschaft, Verbänden und Sozialpartnern sehr positiv, auch wenn teilweise längere Fristen zur Stellungnahme wünschenswert gewesen wären. Darüber hinaus ist die umfängliche Dokumentation des Berichtes, der Begleitforschung sowie des Indikatorentableaus (auf einer eigenen Webseite: www.armuts-und-reichtumsbericht.de ) als außergewöhnlich transparent hervorzuheben.

Der 5. ARB analysiert Lebenslagen in Deutschland wie die Erwerbstätigkeit, die Einkommens- und Bildungs-, Gesundheits- und Wohnungssituation von Menschen unterschiedlicher Lebensphasen. Der Schwerpunkt bei der Betrachtung der Lebensphasen liegt dabei im aktuellen ARB auf dem jüngeren Erwachsenenalter (18 bis 34 Jahre). Armut wird im Bericht „im Wesentlichen als ein Mangel an Mitteln und Möglichkeiten verstanden, das Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist. Reichtum ist im Gegensatz dazu eine Lebenslage, in der die Betroffenen weit überdurchschnittliche Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben.“[3] Armut und Reichtum werden also nicht absolut (als materielle Unter- bzw. Überversorgung), sondern relativ – d.h. im Verhältnis zum gesellschaftlichen Durchschnitt in Deutschland – betrachtet. Eine zentrale Dimension ist dabei das Einkommen, da Teilhabe an finanzielle Ressourcen geknüpft ist.[4] Um Einkommensarmut erfassen zu können, werden unterschiedliche statistische Modelle und Referenzgrößen genutzt. Die gängige Definition basiert auf dem EU-weit gültigen Berichtsstandard, bei dem das verfügbare, bedarfsgewichtete Haushaltsnettoeinkommen ermittelt und in Bezug zum mittleren Einkommen (Median) der Gesamtbevölkerung gesetzt wird. Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, der über weniger als 60 Prozent des Medians aller Nettoäquivalenz-einkommen verfügt. Die Anzahl der betroffenen Haushalte wird durch die Armutsrisikoquote abgebildet.

Der im fünften (und auch in vorherigen) ARB verwendete Lebenslagenansatz hat jedoch den Anspruch, Armut nicht nur am Einkommen zu messen, sondern auch die Unterversorgung mit materiellen, kulturellen und sozialen Gütern (wie Nahrung, Bekleidung, Wohnqualität, Gesundheit, Bildung, soziale Teilhabe etc.) zu erfassen. Diese mehrdimensionale Perspektive ist zu begrüßen, hat sie doch große Schnittmengen mit dem „capability approach“, welcher Armut als Mangel an Verwirklichungschancen definiert. Während sich die Bundesregierung noch im zweiten und dritten ARB positiv auf den „capability approach“ bezogen hatte, fand im vierten ARB eine langsame Abkehr von diesem Konzept statt, die der aktuelle Bericht nun vollendet.[5] Die AGJ bedauert diese konzeptionelle Neuausrichtung und betont, dass der Verwirklichungschancen-Ansatz bei entsprechender empirischer Operationalisierung einen noch umfassenderen Blick auf die Lebenssituation der Betroffenen ermöglichen würde, wobei das Ziel der Förderung von Handlungsfreiheit der Betroffenen mehr als bisher im Mittelpunkt stünde.

Mit Blick auf die Ergebnisse des 5. ARB lässt sich Folgendes festhalten: Basierend auf bereits bestehenden Statistiken und eigens in Auftrag gegebenen wissenschaftlicher Gutachten attestiert der Bericht Deutschland eine insgesamt positive Entwicklung der sozialen Lage. Anhaltend gute Konjunkturdaten hätten zur höchsten Beschäftigtenzahl und niedrigsten Arbeitslosigkeit seit der deutschen Wiedervereinigung beigetragen. Außerdem sei ein spürbarer Zuwachs der Reallöhne, zuletzt vor allem für gering Qualifizierte, zu verzeichnen. Der Bevölkerungsanteil im mittleren Einkommensbereich sei im Berichtszeitraum stabil geblieben, was der Annahme vom Schrumpfen der Mittelschicht und den auch in der Mittelschicht selbst weitverbreiteten Abstiegsängsten [6] widerspricht.

Zugleich werden auch bedenkliche Tendenzen herausgearbeitet: So macht der Bericht deutlich, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht bei allen Menschen in Deutschland ankommt. Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten hätten 2015 real weniger verdient als Mitte der 90er Jahre. Trotz der guten Konjunktur und der deutlichen Beschäftigungszuwächse zeige sich derzeit kein Rückgang der Armutsrisikoquote, sondern am aktuellen Rand eher ein Anstieg. Die Armutsrisikoquote in Deutschland liegt je nach Datenquelle bei 15,8% (in 2014, SOEP), 16,7% (in 2014, EU-SILC) bzw. 15,7% (in 2015, Mikrozensus). Dabei weisen Erwerbstätige ein deutlich niedrigeres Armutsrisiko auf als die Gesamtbe-völkerung, während Arbeitslose, aber auch Alleinerziehende, niedrig Qualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig von Armut bedroht sind. Bei der Analyse nach Lebensphasen zeigt sich, dass Kinder und junge Erwachsene ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko aufweisen, wobei sich hier starke regionale Disparitäten zeigen. Aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe ist insbesondere der im Bericht (erneut) offenbar werdende enge Zusammenhang von schlechten Bildungschancen und Armut(srisiko) relevant.

Ein weiterer im Bericht deutlich werdender Trend ist die sich trotz positiver Arbeitsmarktentwicklung verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit.[7] Dieses Phänomen wird im 5. ARB allerdings nur sehr knapp beleuchtet und muss ohne jegliche Konkretisierung des festgestellten Handlungsbedarfes auskommen.[8] Problematisch sind auch andere Leerstellen des Berichts: So wird das Phänomen der verdeckten Armut, also jene Sozialhilfeberechtigten, die ihre Ansprüche aus Unkenntnis, Scham oder Angst vor Stigmatisierung nicht wahrnehmen, nur ungenügend behandelt, obwohl es in Deutschland weit verbreitet ist.[9] Hier gilt es nachzubessern.[10]
Trotz der begrüßenswerten Ausdifferenzierung und Erweiterung des Indikatorensets zum Thema Reichtum ist die Datenlage zu hohen Einkommen und Vermögen in Deutschland nach wie vor als verbesserungsfähig einzustufen. [11] Noch entscheidender aber ist die Frage, wie hohe Einkommen und Vermögen stärker an der Finanzierung einer armutsfesten sozialen Infrastruktur beteiligt werden können, welche im 5. ARB nicht beleuchtet wird. Sie sollte in kommenden Berichten stärker in den Fokus genommen werden.[12] Nicht nur mit Blick auf die Rolle von hohen Einkommen und Vermögen fällt das Fehlen politischer Schlussfolgerungen auf, sondern beispielsweise auch bei der Betrachtung der sozialen Spaltung der Gesellschaft. Der 5. ARB stellt fest, dass die Einkommen zu Beginn des letzten Jahrzehnts noch deutlich gleichmäßiger verteilt gewesen seien als heute und dass sich seitdem die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau verfestigt habe. Ausgehend von entsprechenden Befunden erfolgen allerdings keine konkreten Vorschläge zur nachhaltigen Bekämpfung von Armut und Ungleichheit.[13] Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung von Kinder- und Familienarmut. Zwar werden im Bericht verschiedene bereits beschlossene Maßnahmen aufgezählt, die die Lebenslagen von Kindern und ihren Familien verbessern sollen (wie etwa öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung, Elterngeld, familienbezogene staatliche Leistungen, Kindergeld); eine kritische Hinterfragung des bestehenden Familienlastenausgleichs, welche angesichts des anhaltend hohen Armutsrisikos von Kindern und ihren Familien angebracht wäre, unterbleibt jedoch.[14] Hier wäre eine tiefergehende Analyse struktureller Bedingungen, welche Armut und ihre Folgen begünstigen, und – daraus folgend – eine umfassendere Darstellung von (auch langfristigen) Maßnahmen und Reformoptionen zur Verringerung des Armutsrisikos von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien wünschenswert.


II. Fachliche Aspekte

1. Armut nicht vererben!

Die gesamtgesellschaftliche Einkommensverteilung in Deutschland hat sich zulasten von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen verschoben. Von einem eingeschränkten Zugang zum durchschnittlichen Lebensstandard sind derzeit etwa 5 Prozent aller jungen Menschen unter 18 Jahren betroffen. Damit leidet ein nicht unerheblicher Teil von Kindern und Jugendlichen in dem reichen Deutschland an materiellen Entbehrungen. Begründet ist diese Tatsache vor allem in einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit von Eltern, zudem sind Zusammenhänge zwischen Familienform und Armutsrisiko nachweisbar. Einelternfamilien, Familien mit mindestens drei Kindern und mit Migrationserfahrungen sind immer noch besonders häufig betroffen.[15] Gleichzeitig ist es trotz der Fortschritte zum Bildungsstand und zur Bildungsbeteiligung bisher nicht gelungen, den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nachhaltig aufzubrechen. Über alle Altersgruppen hinweg besteht ein starker Zusammenhang zwischen Einkommen, erreichtem eigenem und familiärem Bildungshintergrund und der (weiteren) Bildungsteilnahme bzw. dem erfolgreichen Abschluss von Bildungsgängen.[16] Armut wird in Deutschland vererbt – nicht nur materiell, sondern vor allem auch durch den Mangel an Aufstiegsmöglichkeiten, der mit dem Bildungserfolg direkt zusammenhängt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Die nicht nur im europäischen Vergleich reiche Bundesrepublik Deutschland wird dem Anspruch, eine solidarische Gesellschaft zu sein, die Chancengleichheit auch über eine Umverteilung von Reichtum und dadurch die Minimierung von Armutsrisiken und -folgen herstellt, nicht gerecht. Dies hat – auch wenn die meisten Eltern alles dafür tun, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen – für junge Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt, nachhaltige negative Auswirkungen, die im Folgenden skizziert werden.

Frühkindliche Phase

Armut steht in einem deutlichen Zusammenhang mit den objektiven Belastungen, der eine Familie ausgesetzt ist. Anders ist das beim subjektiven Empfinden von Belastungen. Diese sind unabhängig von der materiellen Lage der Familien. Geht man hingegen nach der Inanspruchnahme von Angeboten der Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII, zeigt der 5. Armuts- und Reichtumsbericht auf, dass insbesondere der Anteil von Eltern und Familien im Transferleistungsbezug erhöht ist. Eltern in sozioökonomischen Risikolagen scheinen also stärker verunsichert in der altersadäquaten Begleitung ihrer Kinder.
 
Passgenaue Beratungsangebote und eine unterstützende Infrastruktur, wie zum Beispiel durch frühkindliche Bildung sind für sozial und materiell benachteiligte Familien daher wichtige Eckpfeiler eines notwendigen Unterstützungssystems. So nehmen die Inanspruchnahme sowie die Betreuungsumfänge von Kindern im frühkindlichen Bildungsbereich weiterhin zu. Die positive Entwicklung geht allerdings zum Teil an den sozial benachteiligten Familien vorbei. Dazu stellt der 5. ARB fest: „Kinder aus Haushalten mit relativ geringem Einkommen und formaler Bildung, aber auch solche mit Migrationshinter-grund, besuchen Kindertageseinrichtungen unterdurchschnittlich häufig. Dies hängt mit der geringeren Erwerbsintensität der Eltern sowie der geringeren Anerkennung der Bedeutung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote zusammen.“[17] Eine Ursache für die geringere Inanspruchnahme frühkindlicher Bildungsangebote durch Familien mit einem niedrigen Einkommen könnte sein, dass diese anteilig deutlich stärker durch anfallende Betreuungs- und Bildungsausgaben belastet werden als wohlhabendere Familien. So zeigt eine Studie des DIW, dass unter allen Familien, die für die Kita-Nutzung bezahlen, Familien aus dem unteren Einkommensbereich den höchsten Anteil ihres Einkommens für die Gebühren aufwenden.[18]

Übergang in das Schulsystem

In Deutschland hat der sozioökonomische Status der Eltern immer noch entscheidende Auswirkungen auf Bildungswege und Schulerfolg. Neben der Armutsgefährdung spielen zudem die Erwerbsbeteiligung und das Bildungsniveau der Eltern eine wesentliche Rolle. Vier Prozent aller Kinder wachsen in Familien mit allen drei Risikolagen auf. Häufiger betroffen sind trotz positiver Tendenzen weiterhin Kinder mit Migrationshintergrund.[19] Bereits vor der Einschulung kann anhand des Sprachförderbedarfes der Kinder ein deutlicher Unterschied zwischen Eltern mit formal höherer, mittlerer und niedriger Bildung festgestellt werden. Da der Umgang mit Sprache erheblichen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg hat, wird davon ausgegangen, dass sich diese Unterschiede im Laufe der Schullaufbahn weiter manifestieren. Beim Übergang von der Grundschule in weiterführende Schulen spielt neben dem Geschlecht (Mädchen wählen häufiger den Zugang zum Gymnasium als Jungen), der Bildungshintergrund der Eltern eine wesentliche Rolle. Kinder, die armutsgefährdet sind und die bei einem alleinerziehenden oder mit mindestens einem arbeitslosen Elternteil aufwachsen, wechseln von der Grundschule häufiger auf Hauptschulen. Die Unterschiede bei der Schulwahl zu nicht-armutsgefährdeten Kindern sind signifikant.[20]

Positiv zu bewerten ist, dass sich laut der PISA-Studie 2012 im Vergleich zu 2003 für Schülerinnen und Schüler Verbesserungen zeigen. Schülerinnen und Schüler im deutschen Schulsystem sind nicht nur insgesamt besser geworden, auch hat sich der Einfluss des sozioökonomischen Hintergrundes auf die schulischen Leistungen deutlich verringert.

Übergang Sekundarstufe I in weiterführende Schulen

Der Bildungsabschluss der Eltern hat weiterhin immense Auswirkungen auf die Wahl der weiterführenden Schule: Kinder, deren Eltern Abitur haben, besuchen signifikant öfter ein Gymnasium als Kinder aus weniger bildungsaffinen Elternhäusern. Auch die  Schulempfehlung, auf die der Bildungs- und Sozialstatus der Eltern weiterhin großen Einfluss hat, dominiert die Schulwahl nach der 4. bzw. 6. Klasse. Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten erhalten signifikant seltener eine Gymnasialempfehlung und besuchen mit höherer Wahrscheinlichkeit Haupt- oder Förderschulen.[21]

Jugendliche aus armutsgefährdeten Haushalten steigen in weiterführenden Schulen häufiger wieder ab und seltener auf als nicht-armutsgefährdete Jugendliche. Das heißt, die in der 5. bzw. 7. Klasse festgelegten Unterschiede bei der Wahl der Schulart manifestieren sich eher noch im Verlauf der Schullaufbahn. Das Bildungssystem ist nach oben hin weniger durchlässig für Kinder und Jugendliche aus Familien, die von Armut betroffen sind. Auch hiervon sind überproportional Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund betroffen.

Übergang in den Beruf

Der Unterschied des weiteren (Aus-)Bildungsweges macht sich zunächst eher an der Schulart und dem Schulabschluss fest, als an der sozialen Lage der Familie. Jugendliche, die ein Gymnasium besucht haben, verfolgen eher vergleichbare Bildungswege. Zwar studieren Jugendliche häufiger, wenn ihre Eltern auch einen höheren Bildungsgrad haben, aber auch ohne Studium eröffnen sich Gymnasiastinnen und Gymnasten eher aussichtsreiche Ausbildungsmöglichkeiten. Endet die Schullaufbahn mit einem anderen oder keinem Abschluss, lassen sich die Unterschiede auf dem weiteren Weg hingegen deutlicher anhand der sozialen und familiären Merkmale beobachten. Jugendliche, von deren Elternteilen nicht mindestens eines berufstätig ist, verlassen das Schulsystem im Durchschnitt früher. Sie sind zudem häufiger und länger in Übergangssituationen als ihre Altersgenossen. Negative Auswirkungen wie fehlende Schulabschlüsse oder Ausbildungen, prägen bei Jugendlichen aus armutsgefährdeten Haushalten eher ihr weiteres Leben.

Armut als Risikofaktor für die Demokratie

Im Bericht wird zutreffend festgestellt, dass Chancengerechtigkeit sich vor allem an der Durchlässigkeit des Bildungssystems festmachen lässt. Teilhabechancen unabhängig von den materiellen Bedingungen im Elternhaus zu fördern, gelingt jedoch weiterhin nur unzureichend. Mit Blick auf die notwendigen demokratischen Aushandlungsprozesse im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu einer Einwanderungsgesellschaft erhält dieses Defizit noch einmal größeres Gewicht, denn Zusammenhänge zwischen politischer Mitwirkung im Rahmen der Wahlbeteiligung und Bildungs- und Einkommens-niveau sind stark sozial segregiert. Obwohl dem deutschen Wahlsystem im internationalen Vergleich eine hohe Beteiligungsfreundlichkeit und gute strukturelle Bedingungen für politische Partizipation bescheinigt werden, geht die Wahlbeteiligung tendenziell zurück. Der besonders deutliche Rückgang bei den Kommunalwahlen zeigt in erschreckender Weise, wie wenig Gestaltungsraum die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wahrnehmen oder für nötig halten. Differenziert man die Daten nach Bildungsgrad, Schichtzugehörigkeit und Einkommen, wird deutlich, dass das Wahlverhalten heute von diesen Aspekten erheblich mehr beeinflusst ist als noch 1980. Während damals nur geringe Unterschiede zu erkennen waren, hat heute besonders die Einkommensarmut erhebliche Auswirkungen auf das Wahlverhalten: Während 2012 annähernd 90% der Bürgerinnen und Bürger mit hohem Einkommen den Bundestag wählten, waren es mehr als 20% weniger mit niedrigem Einkommen. In Stadteilen mit hoher Arbeitslosenquote wählen bundesweit (mit Ausnahme von Berlin) signifikant weniger Menschen als in solchen, in denen weniger Menschen arbeitslos sind.[22]

Diese Befunde sind sowohl für die Demokratie als solche als auch für das bewusste Erleben von Demokratie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bedeutsam: Während eine so ungleich verteilte Wahlbeteiligung direkte Auswirkungen auf die Interessenvertretung von Wählergruppen im politischen Raum hat, wirkt sich das Erleben von (Nicht)Beteiligung an formalen demokratischen Verfahren zusätzlich auf die Ausbildung demokratischer Fertigkeiten bei der nachwachsenden Generation aus. Auch das politische Interesse und ein damit einhergehendes Engagement stehen in direktem Zusammenhang mit dem Einkommen. Untere Einkommensgruppen bestimmen also erheblich weniger die Gestaltung des Gemeinwesens mit, obwohl sie davon mindestens ebenso stark betroffen sind.

Der 15. Kinder- und Jugendbericht konstatiert, dass das politische Engagement junger Menschen heute hochgradig differenziert ist: Eine abnehmende Wahlbereitschaft und die deutliche Zurückhaltung gegenüber Parteipolitik stehen dem steigenden auf eigene Interessen fokussierten Engagement im gesellschaftlichen (Nah)Raum entgegen. Gleichzeitig werden aber auch gesellschaftliche Probleme in den Blick genommen, tradierte Themen wie Umweltschutz, Menschenrechte und Kapitalismuskritik sind dabei ebenso relevant wie die Risiken der Digitalisierung. Politisches Engagement und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen haben Projektcharakter: zielgenau, kurzfristig und unverbindlich fokussieren sie auf ein spezifisches Interesse. Während dabei einerseits die Verteidigung demokratischer Prinzipien und die Ermöglichung sozialer Teilhabechancen thematisiert werden, gibt es andererseits Gruppen junger Menschen, die sich gegen eine pluralisierte Gesellschaft und ihre internationale Öffnung stellen.[23] Auch hier wird zudem ein klares Gefälle konstatiert: Junge Menschen in prekären Lebenslagen sind deutlich seltener involviert in Beteiligungsprozesse, ihr Alltagshandeln wird in geringerem Maß mit politischem Handeln in Verbindung gebracht.[24]

Mit Bildung den Armutskreislauf durchbrechen

Kinder und Jugendliche in Deutschland haben unterschiedlich gute Chancen, ihre Potenziale zu entfalten. Kommen sie aus Herkunftsschichten mit geringem Bildungsniveau und wenig Einkommen, sind sie häufig dem Risiko ausgesetzt, von Teilhabe ausgeschlossen zu werden. Viele junge Menschen haben eine Migrationsgeschichte, die nicht selten mit Diskriminierungserfahrungen verbunden ist. Andere junge Menschen werden aufgrund körperlicher, geistiger und seelischer Beeinträchtigung oder ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität und Orientierung diskriminiert. Die Bedingungen des Aufwachsens in Deutschland variieren; Herkunftsmilieus haben sich ausdifferenziert. Die Ausgestaltung von Bedingungen des Aufwachsens wird heute weniger dem Sozialraum zugeschrieben als der Familie und den Kindern und Jugendlichen selbst. Junge Menschen wirken danach an den Umständen ihres Aufwachsens mit, ohne sich über die sozialen Herausforderungen gänzlich hinwegsetzen zu können. Zugleich zeigen jüngste Ergebnisse, dass auch Kinder aus belasteten Verhältnissen ihren Alltag positiv und vielfältig ausgestalten können. Einkommensarmut oder die Erwerbsbeteiligung von Eltern bestimmen nicht notwendigerweise, wie gut Kinder in ihre Peer-Groups eingebunden sind und ob sie auffällig werden. So muss jeweils differenziert werden, welche genaue Lebenslage eine bestimmte Situation hervorruft.[25]

Bildung ist eine wichtige Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Daher muss an allen Bildungsorten Teilhabe und Chancengerechtigkeit für alle Kinder ermöglicht werden. Die Bildungschancen eines Kindes in Deutschland hängen allerdings nach wie vor stärker als in anderen Ländern vom sozialen Status der Eltern ab. Der Bildungsbericht 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass „für die Verwirklichung von Chancengleichheit (...) die vorliegenden sozialen Disparitäten des Kompetenzerwerbs (...) nach wie vor eine der zentralen Herausforderungen im Bildungssystem“ darstellen.[26]
Die Familie gilt als eine weitere unverzichtbare Bildungs- und Sozialisationsinstanz für Kinder und Jugendliche. Bei der Bekämpfung von Armut muss Familienpolitik daher gleichermaßen auch formale und nonformale Bildungsbereiche in den Blick nehmen und entsprechende Hilfe- und Unterstützungsangebote auch außerhalb von Kindertagesbetreuung und Schule für Kinder, aber auch ihre Eltern zur Verfügung stellen. So sollten alle Eltern und Kinder durch Angebote der Familienhilfe, -bildung und -beratung sowie der Frühen Hilfen bereits vor und nach der Geburt von Kindern unterstützt und durch passgenaue Angebote entlastet werden. Hierbei gilt es, die  Ressourcen, Kompetenzen und Bewältigungsstrategien für Armutslagen bei Eltern und Kindern gleichermaßen zu stärken.[27]

Demokratische Werte und Normen wie zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Achtung und Respekt, Gewaltfreiheit und Gemeinschaft werden durch Demokratiebildung erfahrbar gemacht. Demokratiebildung meint sowohl formale Wissensvermittlung über individuelle Rechte und die Möglichkeiten ihrer Inanspruchnahme als auch den Erwerb von Handlungskompetenz im Rahmen der notwendigen Aushandlungsprozesse. Aber auch hier gilt: Demokratieförderung und politische Bildung können nur in dem Maße nachhaltige Wirkung zeigen, wie mit ihnen zugleich ein Abbau von Armutsrisiken und sozialer Ungleichheit einhergeht.

2. Regionalen Disparitäten und sozialräumlicher Segregation entgegenwirken!

Bei dem Versuch, sich einem umfassenden Verständnis von Armut, Armutsfolgen und möglichen Präventionsansätzen anzunähern, ist es unabdingbar, ergänzend zu der in Abschnitt II.1 beleuchteten individuellen Ebene eine strukturelle Dimension, d.h. die räumliche Verteilung von Armut und Reichtum, in den Blick zu nehmen.

Mehr als 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ist bei der regionalen Verteilung von Armutsrisikoquoten noch immer ein Ost-West-Gefälle festzustellen: So lag die Armutsrisikoquote in den neuen Bundesländern im Jahr 2013 5,5 Prozentpunkte höher als in Westdeutschland.[28] Allerdings zeigt eine aktuelle Neuberechnung des IW Köln, die auch vom 5. ARB zitiert wird, dass sich dieser Abstand auf 2,8 Prozent verringert, wenn man die regionalen Kaufkraftdifferenzen berücksichtigt.[29] Entscheidender als Spaltungstendenzen zwischen dem Osten und dem Westen der Republik sind laut IW Köln die Disparitäten zwischen Stadt und Land. Die Armutsrisikoquote liegt in urbanen Ballungszentren acht Prozentpunkte höher als in ländlichen Regionen.

Auch eine kleinräumigere Analyse (unterhalb der Länderebene) zeigt die besondere Virulenz des Problems in städtischen Gebieten. Bisher ließ sich die Verteilung von Armut und Reichtum auf sozialräumlicher Ebene wegen fehlender Daten nicht umfassend analysieren. Hier schließt der 5. ARB bzw. seine Begleitforschung eine Lücke. Die erhobenen Daten für kleinere räumliche Einheiten machen eine Zunahme der sozialen Segregation deutlich. Unter Segregation versteht man die Konzentration bestimmter sozialer Gruppen in bestimmten Gebieten. In Bezug auf die Verteilungsmuster von sozialen Gruppen stellt der 5. ARB fest: „Es gibt sozialräumliche Segregation in den großstädtischen Gebieten Deutschlands und sie ist im Beobachtungszeitraum leicht gestiegen. Sozialräumliche Segregation und Armutsrisiko hängen statistisch zusammen, wobei sozioökonomische Segregation schwerer wiegt als ethnische Segregation.“[30]

Wie genau der Trend zu sozialräumlicher Segregation umzukehren ist und welchen Beitrag hierzu eine sozialräumliche soziale Infrastruktur leisten kann – diese Antwort bleibt der Bericht schuldig. Dabei ist diese Frage von größter Dringlichkeit und Relevanz, denn – so stellt auch der 5. ARB selbst fest – die Zusammensetzung der Nachbarschaft hat, ähnlich wie der familiäre Kontext, Einfluss auf die sozialen Chancen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner (sog. Nachbarschafts- oder Kontexteffekte). In sozial benachteiligten Stadtquartieren sind beispielsweise die Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme häufig besonders hoch, die bauliche Qualität der Gebäude im Vergleich zu anderen städtischen Teilgebieten oft deutlich schlechter, und infrastrukturelle Mängel, wie beispielsweise bei der Ausstattung wohnortnaher Treffpunkte, Spiel- und Sportplätze oder bei der Bildungsinfrastruktur, häufiger anzutreffen. Gerade für Kinder und Jugendliche mit einem noch relativ begrenzten Bewegungsradius sind wohnortnahe Angebote von besonderer Bedeutung.[31] Kinder und Jugendliche sind über ihre individuelle Lage hinaus also zusätzlich benachteiligt durch eine sozialräumliche Konzentration von Armut. Zusätzliche Bedeutung bekommt die Frage, wie sozialräumlichen Segregationstendenzen entgegengewirkt werden kann, mit Blick auf die erhöhte Zuwanderung. Denn: Ethnische Segregation in der direkten Nachbarschaft hat nachweislich einen negativen Effekt auf Arbeitsmarktintegration und Armutsrisiko von Zugewanderten.[32]
Vor diesem Hintergrund ist das Wirken der Kinder- und Jugendhilfe von immenser Bedeutung. Die Kinder- und Jugendhilfe hält als Teil der kommunalen sozialen Infrastruktur Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien bereit, die das soziale Miteinander in einem Wohnquartier verbessern und der Segregation von sozialen Gruppen entgegenwirken können. So können beispielsweise Angebote der Familienbildung und -beratung, der Kinder- und Jugendarbeit oder der Kindertagesbetreuung junge Menschen und Familien in sozial benachteiligten Quartieren stärken, Lebenslagen verbessern, Perspektiven eröffnen und nicht zuletzt Orte der Begegnung für unterschiedliche soziale Gruppen schaffen.

Allerdings ist eine kompensatorische Wirkung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe nicht voraussetzungslos, sondern hängt u.a. von der Ausrichtung der Angebote ab. Sie müssen aufsuchend, niedrigschwellig und inklusiv gestaltet sein; nicht der Kontroll-, sondern der Unterstützungscharakter muss im Vordergrund stehen. Zudem müssen Träger und Fachkräfte für Armutsursachen und -folgen sowie für Segregationstendenzen sensibilisiert sein und diese Aspekte entsprechend in ihrem Wirken berücksichtigen. Dazu gehört auch, Angebote kostengünstig bzw. kostenfrei zu gestalten.

Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Bekämpfung sozialräumlicher Konzentration von Armut liegt in der kommunalen Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe. Dazu ist es unabdingbar, Armut bzw. die Sicherstellung armutsfester sozialer Infrastruktur verstärkt als Thema der Jugendhilfeplanung in den Blick zu nehmen. So muss beispielsweise die Kitabedarfsplanung als größtes Element der Jugendhilfeplanung die Fragen aufgreifen, ob genug Betreuungsplätze vorhanden sind, um Erwerbsbeteiligung von Eltern sicherzustellen (und dies auch in Randzeiten) und wie die vorhandenen Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung als inklusive Lernorte ausgestaltet werden können, die Bildungsbenachteiligungen insbesondere von Kindern in sozial schwächeren Quartieren abbauen können. Zudem sollte die Berufsorientierung ein fester Bestandteil der Jugendhilfeplanung sein und eine Palette von Maßnahmen enthalten, die als Regelangebote verlässlich angeboten werden. Dazu zählen beispielsweise Berufswegepässe, Schülerpraktika, Stärkenparcours in den Klassenstufen 7 und 8, Berufsorientierungsmaßnahmen in den Klassenstufen 8 und 9, Mentoring-Angebote, Netzwerkstrukturen im Dreieck Jugend-Schule-Wirtschaft (zur Abstimmung aller Maßnahmen), Begleitmaßnahmen in der Ausbildungseinmündung und soziale Unterstützung während der Erstausbildung. Zudem braucht es eine stärkere Verzahnung von Jugendhilfeplanung und Sozialplanung, denn gerade der Bereich des Wohnungswesens ist zentral für die Bekämpfung von Armut,[33] erhält aber nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit.
Überhaupt ist die intensive Vernetzung und Kooperation zwischen den unterschiedlichen Hilfesystemen und Erbringungsinstanzen sozialer Dienste unabdingbar, um sozialräumlicher Segregation entgegenzuwirken. Darauf hat nicht zuletzt die Hinwendung zum Konzept der Sozialraumorientierung, welche die Entwicklung und Einrichtung neuer sozialer Angebotsstrukturen in Städten und Gemeinden befördert hat, das Augenmerk gerichtet. Allerdings ist das Versprechen einer umfassend vernetzten, integrierten Kinder- und Jugendhilfe noch lange nicht allerorten eingelöst. So gibt es nach wie vor zu viele Hürden und Reibungsverluste an den für die Armutsprävention besonders kritischen Schnittstellen zwischen den Systemen des SGB VIII und des SGB II/III. Um Armut über die Förderung von Erwerbstätigkeit entgegenzuwirken, muss die Kinder- und Jugendhilfe insbesondere das Aufgabenfeld der Integration in Arbeit verstärkt in den Blick nehmen und sollte – trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Organisationslogiken – eine enge Zusammenarbeit mit den Institutionen der Arbeitsverwaltung und auch mit der regionalen Wirtschaft vorantreiben.
 
Gleichzeitig gilt es anzuerkennen, dass die Wirkungsmacht von Kinder- und Jugendhilfe mit Blick auf die Bekämpfung sozialräumlich konzentrierter Armut Grenzen hat. So lassen sich beispielsweise Fragen von Mobilität, die insbesondere in ländlichen Regionen zentral sind und gravierende Auswirkungen auf die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Schulen und nicht zuletzt auf soziale Unterstützungsangebote selbst haben, durch die Kinder- und Jugendhilfe nicht lösen. Durch solche strukturellen Unterschiede entstehen auch in der Tiefe und Breite sozialer Angebote regionale Disparitäten, die sich durch die Kinder- und Jugendhilfe nur schwer beeinflussen lassen. Anders verhält es sich bei angebotsinduzierten Unterschieden, also der von Kommune zu Kommune variierenden Leistungsdichte der Kinder- und Jugendhilfe, die sich beispielsweise in einer ungleichen Ausstattung an Einrichtungen, Plätzen und anderen Infrastrukturangeboten niederschlägt.[34] Diese hängt u.a. damit zusammen, welche Leitbilder und strategischen Ziele eine Kommune und das jeweils zuständige Jugendamt verfolgen. Entscheidend ist auch die finanzielle Situation der Gemeinde, denn der Umfang der sozialen Angebote ist rechtlich vielfach nicht festgelegt. Hier kann die Abhängigkeit der Kinder- und Jugendhilfe von der kommunalen Kassenlage im Extremfall zu der geradezu absurden Konsequenz führen, dass ausgerechnet dort das Geld fehlt und kein Jugendhilfeangebot vorhanden ist, wo es am dringendsten benötigt wird. Vor diesem Hintergrund muss sich die Kinder- und Jugendhilfe also auch selbst die Frage stellen, inwieweit sie gewährleisten kann, dass für alle Leistungsberechtigten in vergleichbaren Lebenslagen unabhängig von ihrem Wohnort auch ein entsprechendes Netz an Angeboten bereitgestellt wird. Zugleich ist die Kinder- und Jugendhilfe in der Verantwortung, im Rahmen (kommunal-)politischer Aushandlungsprozesse für eine ausgewogene, bedarfsgerechte und inklusive Angebotspalette vor Ort sorgen. Tut sie dies nicht, läuft sie Gefahr, sozialräumliche Segregation zu reproduzieren, anstatt ihr entgegenzuwirken.

3. Bildung und Armutsbekämpfung braucht Fachkräfte!

Mit den vorhergehenden Ausführungen ist deutlich geworden, dass Armutsprävention und -bekämpfung Fachkräfte braucht. Aber was benötigen Fachkräfte? Welche Arbeitsverhältnisse und -bedingungen, welche Haltungen und Kompetenzen sind notwendig, damit die Kinder- und Jugendhilfe ihrer wichtigen Aufgabe bestmöglich nachkommen kann? Und: Wie ist es um die Armutsfestigkeit der Sozialen Berufe selbst bestellt?

Der Arbeitsmarkt unterlag in den vergangenen Jahrzehnten einem tiefgreifenden Wandel, der auch vor der Kinder- und Jugendhilfe nicht Halt gemacht hat. Die fundamentalste Veränderung ist wohl, dass neben das Normalarbeitsverhältnis (unbefristete Vollzeiterwerbstätigkeit mit festen Arbeitszeiten und existenzsicherndem Einkommen) neue Formen von Beschäftigungsverhältnissen getreten sind, die in der Abgrenzung zum traditionellen Erwerbsmodell als „atypisch“ bezeichnet werden. Unter dem Begriff „atypische Arbeitsverhältnisse“ werden Beschäftigungen in Teilzeit (mit einem wöchentlichen Umfang von weniger als 31 Stunden), Befristung, geringfügige Beschäftigung, Zeit- bzw. Leiharbeit sowie freie Mitarbeit subsumiert.[35] Der 5. ARB zeigt auf, dass atypische Beschäftigung seit den 1990er Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat – und zwar in allen ihren Erscheinungsformen. Dabei vollzog sich der größte Anstieg im Bereich der Teilzeitarbeit, deren Anteil an allen Beschäftigten von 7 Prozent im Jahr 1991 auf rund 13 Prozent im Jahr 2015 gestiegen ist.[36] Unterschiedliche Personengruppen sind unterschiedlich häufig von atypischer Beschäftigung betroffen. So kommt diese Beschäftigungsform beispielsweise besonders häufig am Anfang des Berufslebens vor, betrifft also besonders häufig junge Erwachsene, aber auch (westdeutsche) Frauen mit Kindern. Der Bericht weist darauf hin, dass die landläufige Gleichsetzung von atypischer Beschäftigung mit „prekärer Arbeit“ zu kurz greife, da prekäre Arbeit immer in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Erwartungen und Normen sowie mit subjektiven Wahrnehmungen zu sehen sei.[37] Atypische Beschäftigung werde vor allem dann zur prekären Beschäftigung, wenn Auswirkungen auf Entlohnung und berufliche Stabilität entstünden. Beispielsweise sei die Teilnahmequote an Weiterbildungen bei atypisch Beschäftigten geringer, weshalb diese Beschäftigen „vom Risiko einer Erosion beruflicher Qualifikation betroffen seien, wiederum mit der Folge von (langfristigen) Beschäftigungs- und Verdienstrisiken.“[38] Die Begleitforschung des 5. ARB verweist schließlich auf das höhere Armutsrisiko von atypisch Beschäftigten im Vergleich zu Personen in Normalarbeitsverhältnissen.[39]

Der im 5. ARB konstatierte und empirisch belegte Trend hin zur atypischen Beschäftigung am Gesamtarbeitsmarkt findet seinen Widerhall teilweise auch in den Sozialen Berufen. So ließ sich in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit eine Ausdifferenzierung und Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen beobachten. Diese Flexibilisierung wurde von Beschäftigten sowohl als Freiheitsgewinn (durch flexiblere Arbeitszeit oder mehr Familienzeit) als auch als Prekarisierungstendenz wahrgenommen.[40] Laut aktuellen Daten haben sich allerdings sowohl der Ausbau der Teilzeitbeschäftigung als auch die Zunahme der befristeten Arbeitsverhältnisse seit 2010 nicht in gleicher Form fortgesetzt.[41] So wird aktuell von einer Konsolidierung der Beschäftigungsverhältnisse – insbesondere in den neuen Bundesländern – ausgegangen, die sich möglichweise auf den Fachkräftemangel zurückführen lässt, da dieser Träger dazu veranlassen könnte, mit attraktiveren Beschäftigungsbedingungen Anreize zu setzen. Der für die Kinder- und Jugendhilfe konstatierte beispiellose Personalzuwachs seit 2006 sei also inzwischen keineswegs nicht mehr nur das Ergebnis einer überdurchschnittlichen Zunahme von Teilzeitbeschäftigung oder nur befristeten Arbeitsverhältnissen. Trotz dieser positiven Entwicklungen muss die Tatsache, dass der Anteil der Vollzeitbeschäftigten in Kindertageseinrichtungen mit nur 40 Prozent und in anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe mit 49 Prozent immer noch sehr niedrig ist, nachdenklich stimmen – insbesondere wenn man die oben skizzierten Erkenntnisse des 5. ARB anlegt. Dabei lässt sich die hohe Teilzeitquote nur teilweise damit erklären, dass die Kinder- und Jugendhilfe ein sehr weiblich dominiertes Arbeitsmarktsegment ist und Frauen (aus eigenem Wunsch) eben häufiger Teilzeitbeschäftigungen nachgehen. Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeit in Teilzeit nicht immer freiwillig erfolgt, sondern der Arbeitsmarktsituation geschuldet ist.[42]

Auch mit Blick auf das Lohnniveau lassen sich positive Entwicklungen erkennen, die aber die potentiell armutsgefährdende Gesamtsituation (noch) nicht grundlegend verändern konnten: So ist beispielsweise bei den Löhnen im Bereich der Frühen Bildung insbesondere nach den jüngsten Tarifabschlüssen ein deutlicher Aufwärtstrend zu verzeichnen, insgesamt bleibt das Lohnniveau aber niedrig und ist zudem durch ein deutliches West-Ost-Gefälle gekennzeichnet.[43] In anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere in solchen, die akademische Abschlüsse voraussetzen, mag das Gehaltsniveau insgesamt höher liegen, allerdings gibt es nach wie vor keine verlässlichen Daten, an denen sich ablesen ließe, ob in der Kinder- und Jugendhilfe nach Tarif bezahlt wird.[44]

Eine weitere Dimension von Prekarität ist die Frage der Arbeitszufriedenheit. Sie ist allerdings nicht standardmäßig Teil empirischer Untersuchungen zu Beschäftigungs-verhältnissen. Dabei wäre diese Dimension für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe von zentraler Bedeutung, wird doch schon seit geraumer Zeit eine zunehmende Arbeitsverdichtung als vordringliches Problem benannt. In Zeiten steigender Fallzahlen, zunehmender Legitimierungsanforderungen, wachsender (gesellschaftlicher) Erwartungen, steigenden Kostendrucks und immer komplexer werdender Problemlagen bei den Adressatinnen und Adressaten besteht die Gefahr, dass gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz bei Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere im öffentlichen Bereich, rapide zunehmen. Auch hier fehlt es allerdings nach wie vor an einer belastbaren empirischen Grundlage, um die Dimension des Problems und mögliche Auswirkungen auf die Qualität der von der Kinder- und Jugendhilfe erbrachten Leistungen abschätzen zu können.

Mit Blick auf die Beschäftigungsverhältnisse und -bedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe lässt sich festhalten, dass nach wie vor große Anstrengungen vonnöten sind, damit Fachkräfte ohne Existenzsorgen und das Risiko gesundheitlicher Belastungen am Arbeitsplatz handeln können. Neben der Schaffung sicherer, auskömmlicher und arbeitnehmerfreundlicher Beschäftigung müssen aber vermehrt auch die Qualifikationen in den Blick genommen werden, die Fachkräfte zur Unterstützung armer bzw. armutsgefährdeter Zielgruppen benötigen. Oder anders gefragt: Welche Kompetenzen und Haltungen braucht es für ein armutssensibles Handeln?

Es soll vorausgeschickt werden, dass die zentralen Voraussetzungen armutssensiblen Handelns im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit ohnehin angelegt sind: So ist die grundlegende Offenheit gegenüber Menschen anderer sozialer und kultureller Herkunft oder Lebensweise eine zentrale Basis (sozial)pädagogischen Handelns. Dazu gehört auch eine selbstreflexive Professionalität, die das Nachdenken über die eigene Haltung sowie eigene Vorstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Armut und Ausgrenzung ermöglicht.

Unabdingbar ist ferner ein vorurteilsbewusster Umgang, der Fachkräfte dazu befähigt, (eigene) stereotype Zuschreibungen zu hinterfragen.[45] Bei der Arbeit mit armen oder von Armut bedrohten Familien dürfen sich Fachkräfte nicht von klischeehaften Vorstellungen leiten lassen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, Stigmatisierungs- und Ausgrenzungs-mechanismen selbst zu reproduzieren, verdeckte Armut zu übersehen oder unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs von Betroffenen mit Armut nicht wahrzunehmen. Zudem muss die Stigmatisierung benachteiligter Quartiere als „Problemviertel“ vermieden werden, sondern anerkannt werden, dass viele dieser Orte als „Ankunft- und Ausgangsorte“ eine wichtige Funktion für die Gesamtgesellschaft erfüllen und entsprechende Unterstützung benötigen.

Um die Anforderungen in der Praxis bewältigen zu können, benötigen die Fachkräfte daher Grundlagenwissen über Armutsursachen, -symptome und folgen sowie über die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Menschen in ökonomischen Risikolagen und Möglichkeiten zur Resilienzförderung.[46] Sind Fachkräfte für die diversen Ausprägungsformen prekärer Lebenslagen sensibilisiert, ermöglicht ein vertrauensvolles Miteinander und eine wertschätzende Kommunikation, Armut in ihrer Arbeit mit Familien und jungen Menschen nicht zu tabuisieren, sondern respektvoll zu thematisieren. Nur so kann Unterstützungsbedarf frühzeitig identifiziert werden. Als Konsequenz müssen pädagogische Angebote so gestaltet werden, dass alle Kinder und Jugendlichen teilhaben können.

Durch einen ressourcenorientierten Ansatz können Fachkräfte dazu beitragen, Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, die bei von Armut bedrohten oder betroffenen Kindern und Familien von besonderer Bedeutung sind, zu fördern. Außerdem erfordert armutssensibles Handeln ein besonders hohes Maß an Problemlösungsorientierung. Um die in Abschnitt II.2 skizzierten Anforderungen an sozialräumliche Vernetzung mit anderen Hilfesystemen und Erbringungsinstanzen gerecht werden zu können, brauchen Fachkräfte darüber hinaus eine hohe Kooperationskompetenz.

4. Was wissen wir nicht – was müssen wir wissen

Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht legt einen Schwerpunkt auf die Altersgruppe der jungen Erwachsenen. Fragen der sozialen Ungleichheit von Kindern, Jugendlichen und deren Familien werden vor diesem Hintergrund weniger umfänglich behandelt als dies bspw. noch für den Vierten Armuts- und Reichtumsbericht gelten kann. Dennoch werden in dem Kapitel I. des Berichtsteils B die Entwicklung der Armutsrisikoquote der jüngeren Bevölkerungsgruppen thematisiert. Dabei zeigt sich, dass deren Berechnung abhängig ist von der zugrunde gelegten Datenquelle: So kann in den letzten Jahren tendenziell ein leichter Rückgang der Armutsrisikoquote für Kinder beobachtet werden, wenn die Daten von EU-SILC herangezogen werden. Ein Anstieg muss demgegenüber konstatiert werden, wenn die Daten des Mikrozensus und des SOEP die Berechnungsgrundlage bilden. Klärungsbedürftig bleibt gerade auch in Hinblick auf sozialpolitische Armutsdebatten und daraus geschlussfolgerte Maßnahmen und die entsprechende Bewertung vorhandener Strategien der Armutsbekämpfung, welche Daten die empirische Basis der jeweiligen Argumentationen und Interpretationen liefern. Völlig unberücksichtigt bleibt in allen Datensätzen zudem die so genannte verdeckte Armut und damit letztendlich das tatsächliche Ausmaß der Armutsbetroffenheit sowie eine Auseinandersetzung mit den Gründen und Motivlagen dafür, rechtlich geregelte Leistungsansprüche nicht einlösen zu können oder zu wollen.  Sollten Armuts- und Reichtumsberichte zumindest perspektivisch eine Art Sozialberichterstattung über den Wohlstand und die soziale Ungleichheit in Deutschland begründen können, sind Verständigungen über hierzu heranzuziehende und dauerhaft zu erhebende Datensätze zwingend erforderlich.  

Wie bereits der aktuelle Bildungsbericht [47] veranschaulicht auch der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht den deutlichen Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und dem Zugang zu materieller Sicherheit und qualifizierter Berufstätigkeit. Bildung wird dabei insbesondere als Schlüssel zu einer breiten Erwerbsbeteiligung betrachtet, wie insgesamt eine höhere Quote der Erwerbstätigkeit als Garant einer Armutsprävention angenommen wird. Zumindest implizit folgt der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht dabei der normativen Leitidee eines Familienideals von bildungsinteressierten und vollzeitbeschäftigten Eltern. Dass in breiten Bevölkerungsschichten zumindest in Familien mit jüngeren Kindern andere Lebensmuster gelebt und gewollt werden, bleibt ausgeblendet. Außerdem führt diese Sichtweise zudem dazu, dass Kitas in erster Linie in ihrer Bedeutung für die Ermöglichung der Erwerbstätigkeit von Eltern und nicht als Lebens- und Lernorte von Kindern wahrgenommen werden.        

Was im Fünften Armuts- und Reichtumsbericht nahezu völlig fehlt, ist die Betroffenenperspektive und damit aus Sicht einer Kinder-, Jugend- und Familienforschung vor allem die Frage danach, wie junge Menschen und ihre Familien das Aufwachsen in Armut erleben und mit welchen Ressourcen versuchen, diese schwierige Lebenslage bzw. deren Auswirkungen zu bewältigen. Die politischen und fachlichen Auseinandersetzungen darüber, inwieweit die Ergebnisse des Workshops mit Betroffenen konstitutiver Bestandteil des Berichtes sein sollten, haben schon deutlich gemacht, dass hierzu keinerlei gesicherte sowie differenzierte empirische Erkenntnisse vorliegen. So müsste eine kinder- und jugendspezifische Wahrnehmung von Armut u.a. das jeweilige Alter der Betroffenen, unterschiedliche Familienkonstellationen und deren Ressourcen sowie die Dauer prekärer materieller Lebenssituationen berücksichtigen. Ergebnisse der World Vision Studie,[48] aber auch der Sinusstudie [49] veranschaulichen deutlich, dass Armut und deren Folgen einen erheblichen Einfluss auf das familiäre Klima, die Wertschätzung der Eltern auf Seiten der jungen Generation, aber auch auf ehrenamtliches Engagement und demokratische Teilhabe haben.  

Aber nicht nur die Frage, ob und wie Armut in den betroffenen Familien bewältigt wird, ist bislang unbeantwortet, auch die Frage nach dem, was die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in diesen und für diese Familien bewirken, charakterisiert zum augenblicklichen Zeitpunkt mehr als nur ein Forschungsdesiderat. So hat der 15. Kinder- und Jugendbericht die Frage, inwieweit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in prekären Lebenskonstellationen eine eigene Jugend ermöglicht wird, sehr pointiert zur gerechtigkeitspolitischen Nagelprobe für die Hilfen zur Erziehung und die Altersphase der Jugend erklärt – und damit gleichzeitig die Messlatte zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kinder- und Jugendhilfe definiert. Gleichzeitig problematisiert der Kinder- und Jugendbericht damit, dass für nicht wenige junge Menschen das Aufwachsen nach wie vor durch soziale Ungleichheit charakterisiert ist.[50] Immer noch bestimmt die soziale Herkunft über den Bildungserfolg junger Menschen, sind die Ermöglichungsspielräume von Kindheit und Jugend auch von regionalen Gegebenheiten abhängig.[51]  

Fasst man diese Forschungsdesiderata zusammen, so ist offensichtlich, dass in der Kinder- und Jugendhilfe eine umfängliche und kontinuierliche Adressatenforschung ebenso fehlt wie eine systematische Untersuchung der Wirkungen ihrer Maßnahmen und Angebote. Das Wissen darüber, welche jungen Menschen und Familien welche Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auf der Basis welcher Motivlagen, mit welchen Erwartungshaltungen in Anspruch nehmen, ist nicht umfänglich genug vorhanden. Erste Erkenntnisse z. B. zu der Frage, wie sich Lebenssituationen junger Menschen entwickeln, die die stationären Hilfen zur Erziehung verlassen haben bzw. verlassen mussten, können ansatzweise von einem neueren Forschungsprojekt des DJI erwartet werden, das sich dem Thema der Wohnungslosigkeit junger Erwachsener widmet.[52] Demgegenüber ist nur wenig bis gar nichts darüber bekannt, was die Ursachen einer hohen Quote unplanmäßig beendeter Hilfen zur Erziehung sind. Insgesamt fehlt so etwas wie eine Datenbank, die die nicht wenigen Forschungsarbeiten im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe erfasst und deren Ergebnisse systematisiert zur Verfügung stellt.

Die Beantwortung der Frage, ob die Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich in der Lage ist, einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung von Armutsrisikolagen und deren Folgen zu leisten, setzt dabei Forschungsarbeiten voraus, die explizit nicht nur die Wirkungen des Handelns der Kinder- und Jugendhilfe fokussieren, sondern im besten Fall im Kontext von Längsschnittstudien die Lebensläufe von Adressatinnen und Adressaten auch dann noch analysieren, wenn diese nicht mehr von der Kinder- und Jugendhilfe mitverantwortet werden.
   
In dem Berichtsteil III.3 widmet sich der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht ausführlich den Ursachen der strukturellen Veränderung der Einkommensverteilung und des Arbeitsmarktes. In diesem Zusammenhang wird u.a. darauf verwiesen, dass das insgesamt konstatierte Lohnwachstum branchenspezifisch sehr unterschiedlich ausfällt. So stiegen die nominalen Bruttomonatsverdienste für Vollzeitbeschäftigte im produzierenden Gewerbe zwischen 2008 und 2015 um 18,5 Prozent und damit stärker als der Gesamtdurchschnitt (16,4 Prozent). Der Dienstleistungsbereich hingegen blieb mit einer Lohnsteigerung von 15,3 Prozent hinter der durchschnittlichen Entwicklung zurück und verbleibt insgesamt auf einem niedrigeren Niveau. Ergänzend wären hier Daten zum engeren Kontext der Kinder- und Jugendhilfe auch in Hinblick auf die Beschäftigung bei unterschiedlichen Trägergruppen und von verschiedenen Berufsgruppen wünschenswert. Insgesamt müsste eine Arbeitsmarktforschung in der Kinder- und Jugendhilfe gerade auch vor dem prognostizierten Fachkräftemangel im Interesse der Anstellungsträger und der Interessenvertretungen der Beschäftigten sein. Gewerkschaftsnahe Stiftungen könnten hier als Drittmittelgeber für entsprechende Forschungsaufträge fungieren.

Drittmittelgeber für Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen von Armut aus Sicht von jungen Menschen und ihren Familien sollte das BMAS sein, um hierüber zumindest perspektivisch für nachfolgende Armuts- und Reichtumsberichte über empirisch basierte Daten einer Betroffenenbeteiligung verfügen zu können. Des Weiteren könnten entsprechende Forschungsarbeiten entscheidenden Aufschluss über die im Bericht eher randständig thematisierten Verursachungsfaktoren von Armut und die Bedeutsamkeit sozialpolitischer Sicherungssysteme geben.

Die Frage der Wirkungen von Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe ist im BMFSFJ bereits vor einigen Jahren in einem Forschungsprogramm aufgegriffen worden, das allerdings entgegen den ursprünglichen Planungen nicht verlängert worden ist. Eine Neuauflage ist gerade vor dem Hintergrund einer fehlenden Adressatenforschung und international längst zum Standard gehörender Längsschnittstudien dringend angeraten.


III. Fazit

Die AGJ begrüßt es, dass durch die Vorlage des 5. Armuts- und Reichtumsberichts die Debatte über soziale Gerechtigkeit in Deutschland neue Impulse erfährt. Die AGJ erwartet, dass auf dieser Grundlage politische Schlussfolgerungen gezogen werden, die zu einer sozial gerechteren Gesellschaft führen. Die AGJ betont die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen des Aufwachsens aller jungen Menschen. Die AGJ verweist zudem auf die Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe in Hinblick auf ihren Beitrag zu einer sozial gerechteren Gesellschaft.

  • Armut nicht vererben!

Eine zentrale Herausforderung bei der nachhaltigen Bekämpfung von Armut in Deutschland besteht darin, den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg junger Menschen aufzubrechen. Dieses Ziel lässt sich nur durch eine inklusive, gerechter gestaltete Bildung in Kombination mit einer (Sozial-)Politik, die den Abbau sozialer Ungleichheit zur obersten Priorität macht, realisieren. Die AGJ sieht hier die Politik auf allen Ebenen in der Verantwortung, einerseits die hierfür erforderlichen rechtlichen Grundlagen zu schaffen und andererseits das politische Handeln konsequent an der Herstellung von Gerechtigkeit und dem Abbau sozialer Ungleichheit auszurichten.

  • Bildungschancen verwirklichen!

Innerhalb und außerhalb der Schule muss ein Lernumfeld geschaffen werden, das Bildungserfolg befördert und Kinder so unabhängig von den Ressourcen ihres Elternhauses unterstützt. Dies ist ohne den Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe nicht denkbar: Ob in der Kindertageseinrichtung, in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, in der Familienbildung, durch die Selbstorganisation junger Menschen in Jugendverbänden, in der kulturellen Jugendarbeit sowie in der Jugendsozialarbeit und schließlich auch im Bereich der Hilfen zur Erziehung – in all diesen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe steht die Förderung von Bildungsprozessen im Vordergrund. Zudem werden junge Menschen an der Ausgestaltung der Angebote und Leistungen beteiligt und erfahren so Selbstwirksamkeit und Anerkennung. Damit trägt die Kinder- und Jugendhilfe umfänglich zur Entwicklung junger Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten bei. Aufgrund der Orientierung der Angebote auf alle Kinder und Jugendliche wird zudem ein Beitrag zur Überwindung von armutsbedingten Ausgrenzungen und Benachteiligungen geleistet.

Die Kinder- und Jugendhilfe leistet also schon viel, um Bildungschancen zu verwirklichen – aber noch nicht genug. So lässt sich beispielsweise mit Blick auf den Bereich der Kindertagesbetreuung festhalten, dass die Spreizung der Beiträge für Kindertagesbetreuung zu einer Reproduktion sozialer Benachteiligung beitragen kann. Umso wichtiger ist es, den Zugang zu Kindertagesbetreuung unabhängig vom Elterneinkommen zu machen und arme Familien auf die Möglichkeit einer Beitragssenkung bzw. -befreiung konsequent und niedrigschwellig aufmerksam zu machen.[53] Zudem braucht es eine Qualitätsoffensive bei den Kitas, um eine spürbare Verbesserung bei der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zu erreichen. Bei entsprechender finanzieller Ausstattung könnten Kinder von geflüchteten, nicht-deutschen und weniger bildungsaffinen Familien gezielter gefördert und damit ein wichtiger Beitrag dazu geleistet werden, benachteiligungsbedingte Minderchancen zu kompensieren. Damit die Ganztagsschule ihr Versprechen, Bildungsbenachteiligung von Kindern auszugleichen, einlösen kann, braucht es auch hier konzertierte Anstrengungen mit dem Ziel des quantitativen Ausbaus bei besserer Qualität. Daneben muss insbesondere der Ausbau non-formaler Angebote, etwa der kulturellen Bildung und der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch der Hilfen zur Erziehung, vorangetrieben und die Angebote noch mehr als bisher auf Bildungsgerechtigkeit ausgerichtet werden. Auch die Stärkung und Qualifizierung politischer Bildung ist unerlässlich, um dem demokratiegefährdenden Effekt von Armut entgegenzuwirken. Demokratiebildung schafft über die Vermittlung von Wissen und das konkrete Einüben demokratischer Praktiken ein Bewusstsein für die allgemeingültigen Werte und Normen unserer Gesellschaft. Sie fördert damit die Entwicklung von Handlungskompetenz, um an Demokratie teilhaben und sie aktiv mitgestalten zu können. Hier muss die Kinder- und Jugendhilfe durch eine konsequente Umsetzung von Beteiligung und Partizipation in allen ihren Handlungsfeldern beispielgebend sein.
Für all diese Anstrengungen werden Fachkräfte benötigt. Allerdings gefährdet der sich seit geraumer Zeit abzeichnende Fachkräftemangel die Gewährleistung schon bestehender Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, ganz zu schweigen von im Bereich der Armutsbekämpfung und -prävention anfallenden Mehraufgaben. Um diesem bedenklichen Trend entgegenzuwirken, muss die Attraktivität der Beschäftigungsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe verbessert werden. Durch die Tariferhöhungen in den letzten Jahren wurden bereits wichtige Schritte in Richtung einer faireren Entlohnung gemacht; allerdings sieht die AGJ hier in einigen Handlungsfeldern nach wie vor Nachbesserungsbedarf. Doch nicht nur der monetäre Aspekt ist zu berücksichtigen – vielmehr müssen die Arbeitsbedingungen von Fachkräften verstärkt in den Blick genommen werden. Auch die Ausbildung muss weiterentwickelt werden, um einer schleichenden Deprofessionalisierung entgegenzuwirken. Zudem sollten (angehende) Fachkräfte in Aus-, Fort- und Weiterbildung verstärkt für Armut, ihre Ursachen und Folgen sensibilisiert werden. Die AGJ sieht die Länder und den Bund in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen für eine verbesserte Aus-, Fort- und Weiterbildung zu schaffen. Zudem regt die AGJ an, dass Bund und Länder eine Offensive mit dem Ziel starten, mehr junge Menschen auf entsprechende Ausbildungsberufe oder Studiengänge zu orientieren.

  • Soziale Ungleichheit abbauen!

Mit Blick auf die Armut von Kindern und Jugendlichen, die eine Folge von Armut ihrer Eltern ist, kommt der Kinder- und Jugendhilfe auch die Aufgabe zu, sozialkompensatorische Leistungen zur Verfügung zu stellen, um so zur Herstellung von Chancengerechtigkeit beizutragen. Ob Hilfen zur Erziehung, Kindertagesbetreuung oder Frühe Hilfen: Die Kinder- und Jugendhilfe leistet einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich von Ungleichheit.

Allerdings muss die Kinder- und Jugendhilfe in diesem Zusammenhang ihre Leistungen und Angebote selbstkritisch daraufhin überprüfen, inwieweit sie partiell dazu beitragen, soziale Ungleichheitsstrukturen zu reproduzieren, statt sie abzumildern. So ist nicht immer  gewährleistet, dass für alle Leistungsberechtigten in ähnlichen Lebenslagen unabhängig von ihrem Wohnort ein qualitativ vergleichbares  Netz an Angeboten bereitgestellt wird. Mit Blick auf den Abbau regionaler Disparitäten und sozialräumlicher Segregationstendenzen sind zudem ein verbessertes Schnittstellenmanagement und eine intensivierte Kooperation mit anderen Politikbereichen unabdingbar. Es bedarf einer weitsichtigen Sozialplanung, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Zudem müssen integrierte sozialräumlich ausgerichtete Ansätze im Sinne einer vernetzten sozialen Infrastruktur und einer ressortübergreifenden Programmentwicklung und -steuerung in allen wichtigen Handlungsfeldern ausgebaut werden. Darüber hinaus muss die Situation von Care Leavern, jungen Wohnungslosen und gerade volljährigen unbegleiteten Geflüchteten verstärkt in den Blick genommen werden, um zu verhindern, dass junge Erwachsene „aus dem System fallen". Dies kann nicht allein eine Aufgabe der Jugendhilfe sein, sondern bedarf einer engen Kooperation mit anderen Bereichen der Sozialpolitik.

Strukturell ist Kinder- und Jugendhilfe(politik) als ein Bestandteil von Sozialpolitik zu verstehen. Ihrem eigenen Grundverständnis nach ist sie in erster Linie eine eigenständige Säule des Sozialstaats, die konzeptionell und finanziell mit der Sozialpolitik verbunden ist. Die sozialpolitische Inpflichtnahme der Kinder- und Jugendhilfe u.a. zur Kompensation von Armutsfolgen ist vor diesem Hintergrund einerseits strukturell nachvollziehbar, andererseits hat sie unmittelbare Folgen für die Wirksamkeit von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Wenn Armutsfolgen und -risiken nicht umfassend mit im engeren Sinne sozialpolitischen Instrumenten oder durch Umverteilung vermindert werden, führt dies dazu, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Leistungen und damit auch der Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe der Kompensation von Armutsfolgen  und -risiken dient – mit der Folge deutlich verringerter Spielräume für andere Leistungsbereiche. Hier sieht die AGJ die Politik in der Pflicht, die Kompensation armutsbedingter Benachteiligungslagen nicht als zusätzliche Leistung der Kinder- und Jugendhilfe aufzulasten, sondern auf einen tatsächlichen Abbau armutsbedingter Benachteiligungslagen hinzuwirken und dadurch auch die fachliche Qualität der Kinder- und Jugendhilfe hinsichtlich weiterer Leistungsbereiche der allgemeinen Förderung, Erziehung, Bildung und Prävention zu befördern.

Soziale Ungleichheit nachhaltig abzubauen, ist zuvorderst eine politische Aufgabe, die u.a. die Neuausgestaltung monetärer Leistungen für Kinder und Familien umfasst. Bislang berücksichtigt das staatliche Unterstützungssystem den tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen nur unzureichend. Die Existenzsicherung muss sich perspektivisch daran orientieren, was junge Menschen für gutes Aufwachsen und Teilhabe brauchen. Mit der kürzlich beschlossenen Reform des Unterhaltsvorschusses wurde bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung getan – auch wenn damit nicht alle jungen Menschen gleichermaßen erreicht werden. Weitere Schritte müssen folgen. Die AGJ plädiert in diesem Zusammenhang für eine Qualifizierung des Kinderzuschlags, u.a. durch Streichung der Höchstein-kommensgrenze und Einführung eines Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende, sowie für eine gerechtere Ausgestaltung des Kindergeldes, um eine bessere Förderung von Familien mit geringem oder keinem Einkommen zu gewährleisten.

Von Politik insgesamt, insbesondere von der Bundesebene, erwartet die AGJ, dass sie der Lösung der dringlichen Probleme ungerechter Chancen und sozialer Ungleichheit oberste Priorität einräumt und hierfür die rechtlichen und materiellen Voraussetzungen schafft. Hierbei besteht die Chance, dass sich mittel- und langfristig entsprechende Kosteneinsparungen einstellen bzw. durch stärkere Teilnahme am Arbeitsmarkt Steuereinnahmen steigen und damit langfristig die öffentlichen Haushalte entlastet werden und sich mehr Handlungsspielräume für z.B. weitere Maßnahmen der Bildungsförderung öffnen. Die AGJ fordert, dass sich zukünftige Politik insgesamt daran misst, ob sie nachhaltig darauf abzielt, soziale Ungleichheiten abzubauen, Bildungschancen für alle zu verbessern und die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe wirksam weiterzuentwickeln. Nur wenn die Kompassnadel der Politikentwicklung auf diese Ziele ausgerichtet wird, kann eine kinder- und jugendgerechte Gesellschaft erreicht werden.

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 13./14. Juli 2017

 

[1] So insbesondere AGJ-Positionspapier „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Bedingungen für nachhaltige Integration schaffen“, 30.06./01.07.2016, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2016/Positionspapier_Unbegleitete_minderj%C3%A4hrige_Fl%C3%BCchtlinge.pdf ; AGJ- Diskussionspapier „Kinderarmut und Familienpolitik in Deutschland – eine fachpolitische Einordnung“,17./18.09.2015, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2015/Diskussionpapier_Kinderarmut.pdf ; AGJ-Positionspapier „Kind ist Kind! – Umsetzung der Kinderrechte für Kinder und Jugendliche nach ihrer Flucht“, 25./26.06.2015, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2015/Kind_ist_Kind.pdf; AGJ-Diskussionspapier „Jugendhilfeplanung aktivieren!“, 26./27.02.2015, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Jugendhilfeplanung.pdf ; AGJ-Diskussionspapier, „Junge Volljährige nach der stationären Hilfe zur Erziehung. Leaving Care als eine dringende fach- und sozialpolitische Herausforderung in Deutschland“, 18./19.09.2014, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/publikationen/Care_Leaver.pdf ; AGJ-Positionspapier „Die Förderung von Infrastrukturleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe stärken“, 28./29.11.2013, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Foerderung_Infrastrukturleistungen__2_.pdf ;
AGJ-Diskussionspapier „Junge Menschen am Übergang von Schule zu Beruf – Handlungsbedarfe an der Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Arbeitswelt“, 25.09.2013, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Uebergang_Schule_Beruf.pdf ; AGJ-Positionspapier „Fachlichkeit hat ihren Preis! Beschäftigungsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe – Prekarisierungstendenzen in einem Wachstumsfeld“, 21./22.06.2012, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Prekarisierung.pdf.
[2] Dieses Positionspapier kann und soll keine umfängliche Bewertung des 700seitigen ARB und seiner mehr als 1400 Seiten umfassenden Begleitforschung leisten. Die AGJ verweist auf bestehende, zum Teil sehr umfangreiche Stellungnahmen zum 5. ARB (bzw. dessen Entwurf) von ihren Mitgliedsverbänden, wie etwa dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Caritasverband, der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie.
[3] Bundesregierung (2017), 5. ARB, Langfassung, IV.
[4] Ebd., S.9.
[5] Dazu hat sich beispielsweise der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisch geäußert. Vgl. Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband e.V. zum Entwurf eines 5. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung, S.7-8.
[6] Vgl. Kapitel IV.1.5 des 5. ARB sowie die Begleitstudie „Wahrnehmung von Armut und Reichtum in Deutschland. Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsbefragung ‚ARB-Survey 2015‘“. Unbenommen dieser empirischen Befunden müssen soziale Abstiegsängste ernst genommen werden, da sie die Gefahr der sozialen Spaltung beinhalten und die Infragestellung des Wohlfahrtsstaates zur Folge haben können.
[7] Als Langzeitarbeitslose gelten grundsätzlich alle Personen, die ein Jahr und länger arbeitslos sind. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen lag in den letzten Jahren unverändert bei rund 37 Prozent. Bundesregierung (2017), 5. ARB, V.
[8] Vgl. auch die kritischen Hinweise von z.B. Caritas, Diakonie (S.7) und Paritätischem Wohlfahrtsverband (S.6) in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Entwurf des 5. ARB.
[9] Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegen die Quoten der Nicht-Inanspruchnahme der Grundsicherung zwischen 34 und 43 Prozent. (IAB-Forschungsbericht 5/2013, Simulationsrechnungen zum Ausmaß der Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008).
[10] Dies haben auch die Caritas und die AWO in ihrer jeweiligen Stellungnahme zum Entwurf des 5. ARB deutlich gemacht. Vgl. Deutscher Caritasverband e.V. 2016, Stellungnahme zum Entwurf des 5. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung. S. 15; Stellungnahme des AWO Bundesverbandes zum Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Dezember 2016 „Lebenslagen in Deutschland – Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“, S. 5.
[11] Vgl. Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, S.3-4.
[12] Vgl. Stellungnahme der Diakonie, S.15; Stellungnahme der AWO, S.4.
[13] Vgl. Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, S. 1.
[14] Vgl. auch Stellungnahme der Diakonie, S.5; siehe auch Stellungnahme der AGF, S.2, sowie Stellungnahme des Deutschen Vereins, S.6.
[15] Bundesregierung (2017), 5. ARB, Kurzfassung, S. 25.
[16] Bundesregierung (2017), 5. ARB, Kurzfassung, S.29.
[17] Bundesregierung (2017), 5. ARB, Kurzfassung, S.28.
[18] Schröder et al. (2015), „Private Bildungsausgaben für Kinder: Einkommensschwache Familien sind relativ stärker belastet“, DIW-Wochenbericht 8.2015, online abrufbar unter: www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.497236.de/15-8-3.pdf.
[19] Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016), „Bildung in Deutschland 2016“, online abrufbar unter:www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2016/pdf-bildungsbericht-2016/bildungsbericht-2016. S. 6.
[20] Vgl. hierzu auch: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016), S. 79.
[21] Bundesregierung (2017), 5. ARB,  S. 232f.
[22] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S. 162-165.
[23] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2017), 15. Kinder- und Jugendbericht (KJB), online abrufbar unter: www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf, S. 108f.
[24] BMFSFJ 2017, S. 243.
[25] 22 mio. junge chancen gemeinsam.gesellschaft.gerecht.gestalten. Kinder- und jugendpolitisches Leitpapier der AGJ zum  16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag
[26] Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014), Bildung in Deutschland 2014, S.96.
[27] AGJ-Diskussionspapier (2015), „Kinderarmut und Familienpolitik in Deutschland – eine fachpolitische Einordnung“.
[28] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S.155.
[29] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S. 155 bzw. ausführlicher Röhl, Klaus-Heiner / Schröder, Christoph (2016): Welche Regionen sind in Deutschland besonders von Armut betroffen?, IW-Kurzberichte 49.2016. Diese Befunde werden in der Fachwelt, auch unter AGJ-Mitgliedern, kontrovers diskutiert: Während der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem Armutsbericht (2016) die Relevanz regional unterschiedlicher Preisniveaus für armutsgefährdete Menschen grundsätzlich bezweifelt, unterstreicht beispielsweise der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, die Notwendigkeit, regionale Kaufkraftdifferenzen zu berücksichtigen. Cremer, Georg (2016), „Armut in Deutschland“, S. 38ff.
[30] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S. 148 bzw. ausführlicher die Begleitstudie Goebel, Jan / Hoppe, Lukas (2016): „Ausmaß und Trends sozialräumlicher Segregation in Deutschland“.
[31] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S. 269f.
[32] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S. 193 bzw. ausführlicher Goebel/Hoppe 2016. Die Studie kommt zugleich zu dem Schluss, dass ethnische Segregation – anders als soziale Segregation – in der mittelbaren Nachbarschaft auch einen positiven Effekt haben kann, da sie eine Ressource gegenüber anderen strukturellen Benachteiligungen darstellen kann.
[33] Vgl. Bundesregierung (2017), 5. ARB.
[34] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2002), Elfter Kinder- und Jugendbericht, S. 113.
[35] Vgl. Bundesregierung (2017), 5. ARB, S.79.
[36] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S.82.
[37] Der 5. ARB weist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit hin, eine eindeutig definierbare, empirisch fassbare und politisch konsensuelle Definition von Prekarität zu finden. Er bedient sich der Definition von Brinkmann et al. (2006), nach der „als prekär ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden [kann], wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert.“ Bundesregierung (2017), 5. ARB, S.84.
[38] Bundesregierung (2017), 5. ARB, S.85.
[39] Dies gilt für alle Formen atypischer Beschäftigung, wobei geringfügig Beschäftigte (rund 26 Prozent) das höchste und Teilzeitbeschäftigte mit über 20 aber unter 31 Wochenarbeitsstunden mit ca. 12 Prozent das niedrigste Risiko tragen. Das Armutsrisiko für Normalbeschäftigte beträgt nur etwa 6 Prozent. Vgl. Begleitstudie Thomsen, Stephan et al (2015), „Risiken verschiedener atypischer Beschäftigungsformen für die berufliche Entwicklung und das Erwerbseinkommen im Lebenslauf“, S. 141.
[40] Eichinger, Ulrike (2009): Die Restrukturierung der Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit aus der Beschäftigtenperspektive. In: Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik 39. Jg./ Heft 2, S. 117-128., S. 121
[41] KomDat 2/2016, S.3; vgl. auch Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017), Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017.
[42] Vgl. auch GEW (2012), Atypische Beschäftigungsverhältnisse in ausgewählten Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe.
[43] WiFF, Fachkräftebarometer Frühe Bildung, Entgelte, www.fachkraeftebarometer.de/arbeitsmarkt/entgelte/ (letzter Zugriff: 05.06.2017).
[44] Vgl. auch AGJ-Positionspapier (2012) „Fachlichkeit hat ihren Preis“.
[45] So zeigen Untersuchungen wie die der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendhilfestatistik (2017) „Empirische Befunde zur Kinder- und Jugendhilfe“ zwar einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß von Kinderarmut – gemessen am Anteil der Kinder, die Leistungen nach dem SGB II beziehen – und der Inanspruchnahme von (stationären) erzieherischen Hilfen in einer Region. Angesichts der Schwierigkeit, diesen Zusammenhang mithilfe der vorhandenden Daten schlüssig zu erklären, verweisen die Autoren aber u.a. darauf, dass Zuschreibungen von Hilfebedürftigkeit durch Fachkräfte einen möglichen Faktor darstellen können.
[46] Vgl. Hock, Beate et al. (2014): Kinder in Armutslagen. Grundlagen für armutssensibles Handeln in der Kindertagesbetreuung. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 38.
[47] Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016)
[48] World Vision (2013), 3. Kinderstudie: „Wie gerecht ist unsere Welt. Kinder in Deutschland“.
[49] Calmbach, Marc et al. (2016), SINUS-Jugendstudie: "Wie ticken Jugendliche 2016?".
[50] BMFSFJ (2017).
[51] Vgl. auch Abschnitt II.2 dieses Positionspapiers.
[52] Zwischenergebnisse des DJI-Projekts „Straßenjugendliche in Deutschland – eine Erhebung zum Ausmaß des Phänomens“ wurden in 2016 veröffentlicht und sind online abrufbar unter: www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2016/Bericht_Strassenjugendliche_2016.pdf.
[53] Vgl. auch AGJ (2017), Kinder- und Jugend(hilfe)-MONITOR, online abrufbar unter: www.agj.de/fileadmin/files/arbeitsfelder/Monitor_Dt_Kinder-jugendhilfe_FINAL.pdf.