Dokumentation zur Fachveranstaltung "Digitalisierung in der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit. Anschluss an hybride Lebenswelten."

Programm (PDF)

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ richtet als Forum und Netzwerk der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland regelmäßig Fachveranstaltungen aus, um Akteur*innen in den Austausch über aktuelle fachliche Themen zu bringen. Die letzte AGJ-Fachveranstaltung des Fachausschusses V „Jugend, Bildung, Jugendpolitik“ fand am 29. November 2022 von 9-13 Uhr in digitalem Format unter folgendem Titel statt: „Digitalisierung in der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit. Anschluss an hybride Lebenswelten“.

Für junge Menschen ist die Antwort auf die Frage „analog oder digital?“ leicht zu beantworten: „Beides!“. Denn das soziale Leben und die Bewältigung der Kernherausforderungen im Jugendalter finden in hybriden Lebenswelten statt. Beides prägt die Formen der gesellschaftlichen Teilhabe junger Menschen. Ungleiche Zugangsmöglichkeiten zur Nutzung digitaler Medien verschärfen folglich bestehende Ungleichheiten und erhöhen die Relevanz digitaler Ausstattung und Kompetenzen, dies zeigte sich in der Coronakrise deutlich. Andererseits war die Pandemie auch Treiberin digitaler Weiterentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Vermehrt nutzen Akteur*innen kreativ Wege, um ihre Angebote auch auf digitale Räume zu erweitern, um so mit jungen Menschen in Kontakt zu sein und sie zu unterstützen.

In der Online-Fachveranstaltung der AGJ sollten Prozesse und Ansätze der Digitalisierung und Digitalität in der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit im Mittelpunkt stehen und medienpädagogisch reflektiert werden. Aktuellen Herausforderungen und den Potentialen der zunehmenden Digitalisierung in der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit wurde nachgegangen und die Folgen für die Adressat*innen und Fachkräfte beleuchtet. Dabei ging es um die gemeinsame Reflexion der Anforderungen und Handlungsoptionen. Was brauchen die jungen Menschen? Und was die Fachkräfte? Wie werden die Themen Digitalisierung und Digitalität für sie attraktiv? Welche guten Beispiele gibt es für Projekte in den Handlungsfeldern?

Die AGJ-Fachveranstaltung richtete sich an die interessierte Fachöffentlichkeit, insbesondere Akteur*innen aus den Strukturen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit.

 

Vortrag und Diskussion

Aufwachsen in Digitalität. Wie bewegen sich junge Menschen in digitalen Räumen?

Vortrag von André Weßel, Institut für Medienforschung und Medienpädagogik, Technische Hochschule Köln:

Präsentation zum Vortrag (PDF)

Der Vortrag von André Weßel zum Thema "Aufwachsen in Digitalität. Wie bewegen sich junge Menschen in digitalen Räumen?" bildete den Auftakt der Veranstaltung. Weßel verdeutlichte dabei, dass die Digitalisierung als aktueller Mediatisierungsschub beschrieben werden könne. Sie zeichne sich durch Ausdifferenzierung, Omnipräsenz, Konnektivität, Innovationsdichte und Datafizierung aus. Medienkommunikation sei somit fester Bestandteil des Alltagshandelns und der Lebenswelten junger Menschen. Dabei biete die sogenannte mediatisierte Sozialisation veränderte Möglichkeiten für Autonomieerlebnisse, Vergemeinschaftungserfahrungen und Identitätsentwicklung junger Menschen. Weßel machte auch deutlich, dass die Kontaktmöglichkeiten zu Freund*innen sowie die Freizeitgestaltung sich in Zeiten der Pandemie stark verändert habe. Überwiegend sei der Kontakt zu Freund*innen über Messengerdienste, Telefon und Computerspiele erfolgt.

Der Medienzugang von jungen Menschen bleibe dennoch unterschiedlich und es gebe junge Menschen, die eine unzureichende Ausstattung, eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten und somit verringerte Handlungsmöglichkeiten mit digitalen Medien und zur Ausbildung von Medienkompetenz hätten. Denn: soziale Teilhabe sei eng mit digitaler Teilhabe verknüpft. Herr Weßel machte in diesem Zusammenhang auch die (kinder-)rechtliche Dimension dieser Einschränkungen deutlich.

Folgende (medien-)pädagogische Handlungsmöglichkeiten brachte Herr Weßel in die Diskussion ein: Es brauche einen Perspektivwechsel, um junge Menschen in ihrer Digitalität zu verstehen und zu unterstützen, Bedarfe der Adressat*innen und Medien- und Handlungskonzepte zu ermitteln. Darüber hinaus brauche es eine professionelle Haltung, Zugänge müssten ermöglicht sowie Beteiligungsstrukturen geschaffen werden.

 

Arbeitsgruppe 1

Arbeit ohne Grenzen?! Wie Digitalisierung die Arbeit der Fachkräfte verändert

Julian Erdmann, JFF Institut für Medienpädagogik
Moderation: Angela Smessaert, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Präsentation zum Vortrag (PDF)

Die Arbeitsgruppe 1 beschäftigte sich mit der Frage, wie die Digitalisierung die Arbeit der Fachkräfte verändere und welche Chancen und Herausforderungen sich daraus ergeben. Es wurde deutlich, dass die Arbeit im grenzenlosen Raum des Internets und die Möglichkeiten digitaler Kommunikation und sozialer Medien eine große Chance biete, mit jungen Menschen unverstellt in Kontakt zu kommen. Die Fachkräfte seien bestrebt, dieses Potential zu nutzen, doch es gebe einige Spannungsbereiche, die zu beachten seien, dies wurde exemplarisch deutlich am von Julian Erdmann vorgestellten Projekt „Digital Streetwork Bayern“.

Zunächst wurde diskutiert, wie sich die Arbeitsorganisation durch die Digitalisierung verändert habe. Die Möglichkeit einer ständigen Erreichbarkeit und Parallelgespräche aufgrund der veränderten Zeitlichkeit bei Chats könnten für die Fachkräfte psychisch belastend sein. Die durch räumlich begrenzte Zuständigkeiten bestehende Förderlogik stelle gegenüber der räumlichen Offenheit des Internets eine Herausforderung dar.

Ein weiterer Spannungsbereich stelle die Beziehungsarbeit dar. Es sei bedeutsam, eine Balance im Nähe-Distanz-Verhältnis zu finden, die den Raum und die Trennung von privaten und beruflichen Online-Welten berücksichtige.

Ein weiteres Thema in der Diskussion waren die technischen und strukturellen Anforderungen. Es gebe noch Herausforderungen und ungenügende institutionelle Rahmenbedingungen, u.a. durch fehlende Technik, aber auch durch auf einen strikten Datenschutz ausgerichtete Arbeitgebervorgaben. Hier wurde betont, dass dem Datenschutz als Killer-Argument eine kinderrechtliche Perspektive und das Recht auf Schutz sowie Teilhabe entgegengesetzt werden könne. Als Lösungsweg wurde vorgeschlagen, auf nicht datensicheren Plattformen mit den Adressat*innen in den Kontakt zu gehen und für das Beratungsgespräch dann auf eine datenschutzkonforme Plattform überzuleiten. Es wurde darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, Kinder und Jugendliche da zu treffen, wo sie sich aufhalten.

Auch das Thema der Abgrenzung gegenüber der Verführung zu ständiger Erreichbarkeit und zur Entgrenzung zwischen Professionellem und Privatem wurde diskutiert. Hier wurde betont, dass Leitungen gefordert seien, eine gesunde Haltung und stetige Reflexion zu befördern. Es sei wichtig, die Bedürfnisse der jungen Menschen im digitalen Raum zu berücksichtigen und eine angemessene Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden.

Insgesamt wurde deutlich, dass die Digitalisierung Chancen und Herausforderungen für die Arbeit mit jungen Menschen biete. Es sei wichtig, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, aber auch die Spannungsbereiche zu beachten und an ihnen zu arbeiten.

 

Arbeitsgruppe 2

Kohle, Kommerz, Kontakte? Welche Herausforderungen und Potentiale Fachkräfte in kommerziellen Angeboten/Plattformen sehen

Annabelle Jüppner, JFF Institut für Medienpädagogik
Julija Lleshi, JMD digital / Jugendmigrationsdienste
Moderation: Kerstin Hübner, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V.

Präsentation zum Vortrag (PDF)

In der Arbeitsgruppe 2 wurde der Fokus auf die Herausforderungen und Potentiale von Fachkräften in kommerziellen Angeboten und Plattformen gelegt, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung von allgemein zugänglichen Kanälen. Es wurden Bedenken geäußert, da die kommerzielle Prägung von Influencer*innen sich nicht nur für Träger im Bereich der Medienbildung als eine Herausforderung darstelle, sondern auch Fragen der Nutzung dieser Kanäle für die eigene Arbeit aufwerfe, wie beispielsweise bei eigenen Kampagnen oder Digital Streetwork und anderer Angebote.

Auf der anderen Seite seien die Zugänglichkeit und die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über verbreitete (kommerzielle) soziale Plattformen ein wichtiger Wert für die Jugendarbeit. Auf diesem Wege könnten z. B. niedrigschwellig junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung erreicht werden, Vertrauen aufgebaut und Netzwerke geschaffen werden.

Bei der Auswahl von Plattformen, Gruppen oder Influencer*innen wurde darauf hingewiesen, besonders darauf zu achten, dass ihre Themen, Haltungen und Kommunikationsstile anschlussfähig zur Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit und ihren Werten und Prinzipien seien.

Darüber hinaus wurde deutlich, dass Fachkräfte, die im Spannungsfeld von Kontakten und Kommerz im digitalen Raum agieren, permanent als Personen präsent sind und bleiben. Dies werfe unter anderem professionsbezogene Fragen zur Entgrenzung der Arbeit auf und zur notwendigen Preisgabe persönlicher Informationen im digitalen Kontext.

 

Arbeitsgruppe 3

Abgucken oder Ablehnen? Wie  sich attraktive, jugendgerechte und interessante digitale Angebote jenseits von Instagram und TikTok entwickeln lassen.

Hami Nguyen, Bildungsstätte Anne Frank
Moderation: Heidi Schulze, jugendgerecht.de

Präsentation zum Vortrag (PDF)

In der Arbeitsgruppe 3 wurde das Spiel „Hidden Codes“ vorgestellt, das sich als Modellprojekt gegen Radikalisierung im Netz richtet. Das Spiel ist speziell für Schüler*innen der 7-10 Klassen sowie im Alter von 12 bis 19 Jahren konzipiert und bietet einen spielerischen Einstieg in ein komplexes Thema. Dabei bewegen sich die Spieler*innen durch eine simulierte Social-Media-Umgebung (Chat, durchstöbern von Profilen, Reaktionen auf Stories etc.) und werden befähigt rechte Codes und Verschwörungsmythen besser zu erkennen und ihnen auf die Spur zu gehen. Dabei werden Empowerment, gegenseitige Unterstützung sowie ein sensibler Umgang mit Informationen sowie der eigenen Positionierung in den Sozialen Medien gestärkt. Dies solle auch für die Auswirkungen diskriminierender Inhalte in den Sozialen Medien sensibilisieren. Das Feedback von Fachkräften und Jugendlichen zum Spiel sei sehr positiv.

Allerdings wurde in der Diskussion auch kritisch hinterfragt, ob die technische Ausstattung der Schulen den Einsatz einer digitalen App ermögliche und ob dies nicht auch im Kontext der Jugendhilfe problematisch umzusetzen sei. Es wurden jedoch weitere Möglichkeiten des Einsatzes erwähnt, wie die Browser-Version des Spiels oder eine Offline-Version.

Trotz des positiven Feedbacks und des pädagogischen Nutzens von „Hidden Codes“ wurde festgestellt, dass die Entwicklung einer solchen App kostenintensiv sei, weshalb die Entscheidung häufig zugunsten von Podcasts oder Erklärvideos falle. Alles in allem sei „Hidden Codes“ jedoch ein gelungenes Werkzeug, um Jugendliche im Bereich der sozialen Medien auf mögliche Gefahren hinzuweisen und für einen bewussten Umgang mit Informationen und deren Auswirkungen zu sensibilisieren.

 

Arbeitsgruppe 4

Erst Recht digital?! Wie wir Schutz-, Förder-, und Beteiligungsrechte für junge Menschen im digitalen Raum unterstützen

Sandra Liebender, Projekt „Kultur trifft Digital“, Stiftung Digitale Chancen
Cornelia Jonas, Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Moderation: Eva-Lotta Bueren, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Präsentation zum Vortrag (PDF)

Die Arbeitsgruppe 4 beschäftigte sich eingehend mit dem Thema „Erst Recht digital?! Wie wir Schutz-, Förder-, und Beteiligungsrechte für junge Menschen im digitalen Raum unterstützen“. Die Kinderrechte im digitalen Umfeld wurden vorgestellt und gemeinsam diskutiert und mit den vier Grundprinzipien der UN-Kinderrechtkonvention Nichtdiskriminierung, Kindeswohlvorrang, Leben/Entwicklung und Beteiligung zusammengebracht. Es wurde deutlich, dass nicht alle jungen Menschen die gleiche technische Ausstattung haben, um sich im digitalen Raum zu beteiligen und zu bewegen. Zudem werde der Datenschutz oftmals als eine Herausforderung beschrieben, weil Unwissen und Intransparenz über die Sammlung, Speicherung und Auswertung von Daten bestehe. Zudem brauche es kinderrechtlich gesehen ein ausgewogenes Verhältnis, damit Förder- und Teilhaberechte beachtet werden könnten. Beliebte Angebote seien oft kommerziell und verfolgten keine kinderrechtlichen Standards. Bildungsorte seien zudem unterschiedlich erfolgreich, digitale Kompetenzen junger Menschen und Erwachsener zu fördern und das Thema komme in der Ausbildung bisher zu kurz.

In der Entwicklung von hybriden Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe sollten sich Einrichtungen am Dreieck der Kinderrechte orientieren: Schutz, Teilhabe und Befähigung. Dabei spielen die Ressourcenfrage sowie die Haltungsfrage (Träger, Einrichtungen und Fachkraft) eine wichtige Rolle, um sicher im digitalen Raum zu agieren und sich hier als Einrichtung gut aufzustellen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Entwicklung und Etablierung hybrider Angebote als personal- und ressourcenintensiv wahrgenommen werde und ein Neudenken der klassischen Tätigkeiten erfordere. Es wurde deutlich, dass es wichtig sei, voneinander zu lernen, kleine Schritte gemeinsam zu gehen und relevante Akteure einzubinden, einschließlich Kinder und Jugendliche, Erziehungsberechtigte, Entscheidungsträger sowie Wirtschaft und Politik, um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in einer digitalisierten Lebensrealität zu gewährleisten.

 

Arbeitsgruppe 5

Analog? Digital? Hybrid! Wie digitale Tools Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit bereichern können

Martin Ehrlich, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Kerstin Reich, Internationaler Bund (IB)
Moderation: Daniela Keeß, Internationaler Bund (IB)

Präsentation zum Vortrag (PDF)

Die Arbeitsgruppe 5 war dem Thema „Analog? Digital? Hybrid! Wie digitale Tools Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit bereichern können" gewidmet und hat dies speziell an der Juniti-App veranschaulicht. Diese App wurde eigens für den Einsatz in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit entwickelt und soll Fachkräfte bei verschiedenen Aufgaben unterstützen, darunter die Verbreitung von Informationen, die Eventplanung, die Kommunikation, die Elternarbeit und die Social-Media-Arbeit.

Die Teilnehmer*innen der Arbeitsgruppe 5 zogen ein positives Fazit und betonten, dass die Juniti-App viel Potenzial habe, in der Praxis der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit zu unterstützen und Fachkräfte zu entlasten sowie die Qualität der Angebote zu verbessern. Dennoch gab es auch kritische Fragen, die diskutiert wurden, insbesondere bezüglich der Entgrenzung von Arbeitszeit und sowie die Frage, ob die App mit den Anforderungen des Kinderschutzes vereinbar sei.

Insgesamt wurde die Juniti-App mit ihren Zielen der Beteiligungsorientierung, Praxisorientierung, Arbeitsentlastung, Qualitätsverbesserung, Vernetzung der Hilfesysteme und Nachhaltigkeit als ein vielversprechendes Werkzeug für Fachkräfte der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit gewürdigt und diskutiert.

 

Arbeitsgruppe 6

Beteiligung inklusive Digitalität? Digitalität inklusive Beteiligung? Wie digitale Angebote/Tools die Teilhabe junger Menschen unterstützen können

Katharina Bluhm, Schabernack-Zentrum für Praxis und Theorie der Jugendhilfe e. V.
Dr. Frank Tillmann, Deutsches Jugendinstitut (DJI)
Moderation: Nils Rusche, jugendgerecht.de

Präsentation zum Vortrag (PDF)

Die Arbeitsgruppe 6 beschäftigte sich eingehend mit dem Thema „Beteiligung inklusive Digitalität? Digitalität inklusive Beteiligung? Wie digitale Angebote/Tools die Teilhabe junger Menschen unterstützen können“. Dabei wurden verschiedene Aspekte des Themas von den Teilnehmer*innen diskutiert.

Besonders positiv wurde hervorgehoben, dass digitale Angebote durch ihre Unabhängigkeit von Zeit und Ort grundsätzlich dazu beitragen können, Hürden der Teilnahme zu verringern. Das heiße, die Zeit die man habe, könne unabhängig genutzt werden – hier fiel das Stichwort Asynchronität. Durch Assistenztools könnten auch Menschen mit Behinderung besser teilhaben. Darüber hinaus würden digitale Medien die Möglichkeit bieten, die oft eintönige Fokussierung auf Texte in Beteiligungsformaten durch die Einbindung von Video- oder Audio-Elementen zu ergänzen und somit Ausdrucksformen junger Menschen besser zu nutzen. Ein Zusammenspiel von Analog und Digital sei hier jedoch häufig der beste Weg, um junge Menschen zu erreichen.

In der Arbeitsgruppe wurde das Fazit gezogen, dass ePartizipation viele Chancen biete, typische Barrieren im analogen Bereich zu überbrücken. Z. B. die räumliche Distanz zu überwinden und dadurch Gremienarbeit zu erleichtern und es generell eine Chance für kreative Ausdrucksmöglichkeiten sei. Dennoch wurde deutlich, dass die Suche nach geeigneten digitalen Umgebungen aktuell oft unbefriedigend bleibe, da immer wieder auf kommerzielle Plattformen ausgewichen werden müsse und das mit allen problematischen Aspekten (Aufruf zur Selbstdarstellung, keine Algorithmenkontrolle, Datenschutz).

Insgesamt wurde von allen Teilnehmer*innen der Arbeitsgruppe 6 betont, dass digitale Angebote und Tools ein wichtiges Werkzeug für die Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit sein können, aber auch kritisch betrachtet werden müssen. Nur durch eine sorgfältige Abwägung aller Vor- und Nachteile könnten sie effektiv und sinnvoll eingesetzt werden, um die Teilhabe junger Menschen zu fördern.

 

Podiumsdiskussion

Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück?

Voraussetzungen für Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit im Zeitalter der Digitalität

Agnes Will, Projektbüro Digitale Kinder- und Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg (LKJ)
Volker Rohde, Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e.V. (BAG OKJE)
Doreen Siebernik, GEW Hauptvorstand
Dr. Anna Grebe, Expertin Medienpolitik und Partizipation

Bei der Podiumsdiskussion diskutierten Dr. Anna Grebe (Expertin Medienpolitik und Partizipation), Volker Rohde (BAG OKJE), Doreen Siebernik (GEW) und Agnes Will (Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg) zu Voraussetzungen für digitale Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit.

Einigkeit bestand darin, dass eine Qualifizierung und Begleitung der Fachkräfte und Ehrenamtlichen sowie deren Mut und die passende, positive Haltung notwendig sei, um Voraussetzungen für Digitalisierung zu schaffen. Die Haltung sollte letztlich aber die gleiche im digitalen oder analogen Raum seien, denn es ginge darum, junge Menschen in ihrer Entwicklung und mit ihren Interessen und Bedürfnissen adäquat zu begleiten. Zudem wurde die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteur*innen als sehr relevant benannt. Ohne Ressourcen und technische Ausstattung könne dies jedoch nicht funktionieren. Die digitale Ausstattung sei jedoch in den verschiedenen Bundesländern noch sehr unterschiedlich und widerstrebe dem Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Das Mitdenken aller jungen Menschen sowie deren Beteiligung wurde als wichtiges Ziel definiert.

Es wurde festgestellt, dass es bereits vor Corona Interesse an der Digitalisierung der Jugendarbeit, aber auch viel Skepsis gegeben habe. Durch die Pandemie seien Einrichtungen gezwungen gewesen, sich damit auseinanderzusetzen und es entwickelte sich fast ein Hype um digitale Angebote. Allerdings sei auch der Wunsch nach analogen Angeboten in dieser Zeit bemerkbar geworden und geblieben. Es sei somit relevant, hybride Formen und Angebote der Jugendarbeit zu konzipieren, die digitale und analoge Kommunikation miteinander verbinden. In der Praxis gebe es bereits viele Ideen, z. B. digitale Jugendzentren, digitale Festivals etc.

Bei allem brauche es jedoch auch Fachkräfte, die dies umsetzen sowie die Lösungen der Herausforderungen bei der Arbeitsorganisation. rechtlichen Unklarheiten, der Gestaltung von Beziehungen im digitalen Raum und den damit einhergehenden Anforderungen angehen. Fachkräfte sollten in die Lage versetzt werden, bei der digitalen Transformation von Lebenswelten präventiv vermittelnd zu wirken und junge Menschen befähigen zu können. Das bedeute aber auch eine auskömmliche Finanzierung, Tarifbindung und Vernetzung zwischen Fachkräften. Auch der Zugang zu verlässlichen technischen Voraussetzungen sowie Fort- und Weiterbildung durch/unterstützt durch Träger für alle müsse gewährleistet werden. Die eigene Kompetenzentwicklung sowie das Empowerment von Fachkräften in der Praxis sei von großer Relevanz, damit diese junge Menschen begleiten können.

Die Podiumsteilnehmenden warben für Vernetzung zwischen Fachkräften sowie der verschiedenen Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, um das Thema zu setzen und eine große Aufmerksamkeit und politischen Druck herzustellen. Als eine gemeinsame Forderung wurde unter anderem der Digitalpakt Jugendhilfe genannt. Denn im Durcheinander der Verwaltungszuständigkeiten kämen Ressourcen oftmals nicht da an, wo sie hingehörten (z. B. Digitalpakt Schule) und würden nicht abgerufen. Eine Lösung sei, dass Einrichtungen direkt Gelder beantragen könnten ohne zwischen unterschiedlichen Zuständigkeiten verloren zu gehen. Vor allem brauche es statt der Förderung von zeitlich begrenzten Projekten, eine Förderung der Infrastruktur. Denn nur eine gut ausgestattete Infrastruktur könne qualitativ wertvolle digitale Projekte vorantreiben, die auch in Nach-Corona Zeiten wirken. Die Runde stellte fest, dass die Jugendarbeit derzeit vor allem damit zu kämpfen habe, junge Menschen überhaupt wieder in die Einrichtungen zu bekommen, daher sei es enorm wichtig digitale Angebote, aufsuchende Angebote (Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit) zu stärken. Dabei sei es auch wichtig, dass die Einbindung junger Menschen in politische Prozesse wieder stärker befördert und auch von Interessenvertretungen in den Fokus gerückt werde.

Anschließend wurden die Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion aufgefordert auf folgende Frage zu antworten: Benennen Sie aus Ihrer jeweiligen Sicht zwei Kernthemen, die wir bearbeiten müssen, um junge Menschen zukünftig besser im Prozess der Digitalisierung aufzustellen und das Thema voranzutreiben? Folgende Aspekte werden genannt.

  • Die Bedeutung von gleichen tariflichen Standards und gleicher technischer Ausstattung in den Bundesländern, um eine digitale Transformation zu ermöglichen. Und somit die Notwendigkeit einer klaren bundesweiten Standardsetzung.
  • Die Sicherstellung und gute Ausstattung der sozialen Infrastruktur für eine erfolgreiche digitale Transformation. Es braucht keine Projektförderung, sondern eine Absicherung der Rahmenförderung.
  • Die Einbeziehung junger Menschen und ihre Sichtbarkeit in allen Prozessen.
  • Die Schaffung von Rechtssicherheit für Fachkräfte.
  • Die Integration von Digitalisierung in den Nationaler Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung als eine der Grundpfeiler. Denn Digitalisierung ist Querschnittsthema, was überall Beachtung finden muss.
  • Es braucht Vernetzung, um Forderungen breiter an Politik richten zu können und eine starke Lobby für digitale Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit sein zu können.
  • Es braucht Mut und Willen die digitale Transformation anzugehen, aber es lohnt sich.

 

Antworten der Teilnehmer*innen

 

RESÜMEE

Die AGJ-Fachveranstaltung des Fachausschusses V "Jugend, Bildung, Jugendpolitik" war ein gewinnbringender Schritt, um die Befassung mit dem Thema Digitalisierung in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit voranzutreiben. Durch das digitale Format konnten Teilnehmer*innen aus verschiedenen Regionen Deutschlands und sogar aus dem Ausland teilnehmen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen.

Die Veranstaltung bot ein breites Spektrum an Themen, von der Nutzung digitaler Tools in der Jugendarbeit bis hin zur medienpädagogischen und jugendpolitischen Reflexion. Es wurde betont, dass die Digitalisierung in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit eine Chance sein kann, um Hürden zu verringern und die Teilhabe von jungen Menschen an gesellschaftlichen Prozessen zu erhöhen. Gleichzeitig wurden jedoch auch kritische Aspekte wie die Entgrenzung der Arbeitszeit und die Vereinbarkeit mit dem Kinderschutz diskutiert.

Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung der Qualifizierung und Begleitung der Fachkräfte und Ehrenamtlichen sowie die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteur*innen. Deutlich wurde: Ohne ausreichende Ressourcen und technische Ausstattung kann die Digitalisierung in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit nicht erfolgreich sein.

Die Veranstaltung bot den Teilnehmer*innen eine Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen und setzte ein wichtiges Signal für die Bedeutung der Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe.

 

Moderation der Gesamtveranstaltung:

Jürgen Schattmann, Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI)
Daniela Keeß, Internationaler Bund (IB)

 

Fachliche Koordination:

Eva-Lotta Bueren, AGJ-Referentin des Arbeitsfeldes „Jugend, Bildung, Jugendpolitik“

 

Ansprechperson für Nachfragen und Hinweise ist die zuständige Referentin des Fachausschusses V „Jugend, Bildung, Jugendpolitik“, Eva-Lotta Bueren (eva-lotta.bueren[at]agj.de).