• Eine Gruppe Jugendlicher steht an einer Wand. Im Vordergrund steht eine junge selbstbewusste Frau.
  • Junger Mann sitzt einsam in einer alten Bibliothek an einem Tisch und arbeitet ein Buch durch. Auf dem Tisch liegt zu seiner rechten Seite ein Stapel Bücher.
  • Ein behinderter Junge und ein Mädchen sitzen vor einem Computer. Hinter den beiden steht eine junge Frau.
  • Eine glückliche junge Familie mit Sohn und Tochter sitzt auf einem Sofa und schaut über die Rückenlehne ins Bild.
  • Zwei 16- bis 17-jährige männliche Auszubildende sitzen an einer Werkbank und bearbeiten ein metallisches Werkstück.
  • Fünfjähriges Mädchen hat bunte Farbklekse auf eine Papierplane gemalt.
  • Student und Studentinnen verschiedener Hautfarben sitzen in einer Bibliothek vor Computern.
  • Glücklicher Großvater sitzt mit seinen Enkelkindern auf einer weißen Holzbank.

„Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in Corona-Zeiten: Eine Zwischenbilanz zu den Auswirkungen auf Jugendliche, junge Erwachsene und die Strukturen der Jugend(sozial)arbeit“


Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ[1]

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Abstract

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ äußert sich mit diesem Positionspapier zu den Auswirkungen, die Corona auf junge Menschen und die Strukturen der Jugend(sozial)arbeit in den letzten Monaten hatte und weiterhin hat. Sie zieht eine Zwischenbilanz und erörtert die Frage der notwendigen Schritte und der Weiterentwicklung von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Die AGJ kritisiert die Corona-Zeit als Unzeit für die Jugend, da die gesellschaftliche Wahrnehmung der Jugend zu Anfang sehr negativ war und ihre Bedarfe und ihr Wohlbefinden erst spät mediale Aufmerksamkeit erfuhren. Psychische Belastungen, fehlender alltäglicher Austausch mit Gleichaltrigen und Zukunftsängste prägten die Corona-Zeit für junge Menschen. Insbesondere bei jungen Menschen in prekären Lebenslagen potenzierten sich diese Problemlagen. Zudem fühlten sich junge Menschen nicht vertreten und beteiligt; sie und ihre Strukturen wurden in der Krise nicht befragt und in Entscheidungen eingebunden. Der Wegfall sowie die Einschränkungen, die die Angebote der Jugend(sozial)arbeit in den letzten Monaten erfuhren, kamen für junge Menschen erschwerend hinzu. Obwohl es viele kreative Lösungen gab, um Angebote weiterhin offenzuhalten und den Kontakt zu jungen Menschen nicht zu verlieren, konnte die Jugend(sozial)arbeit in den letzten Monaten nur auf Sparflamme wirken. Zudem fehlt den Strukturen die (Planungs-)Sicherheit, wie es in den nächsten Monaten/Jahren weitergeht, da die Zusagen zur finanziellen Unterstützung bisher nur einen Förderzeitraum von 1,5 Jahren umfassen.

Die AGJ formuliert Empfehlungen zu nun notwendigen Schritten: Sie fordert die Wiederherstellung, Absicherung und den Ausbau wichtiger sozialer Infrastruktur und einen Zukunftsplan Jugendarbeit mit 5-jähriger Laufzeit, um junge Menschen und die Orte ihres Aufwachsens zu unterstützen. Zudem fordert sie die Stärkung der Jugendsozialarbeit und dass die Kommunen entsprechende Ressourcen für pandemiebedingte Herausforderungen hier zur Verfügung stellen. Die Vielfältigkeit digitaler (Sozial)Räume hat während der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen. Die AGJ fordert eine notwendige Weiterentwicklung von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit hin zu digitalen Ansätzen und Methoden – dafür braucht es einen DigitalPakt Kinder- und Jugendhilfe. Ein weiterer notwendiger Schritt ist es, die Beteiligungsstrukturen junger Menschen krisenfest zu machen, auszubauen und zu sichern. Daneben sieht die AGJ insbesondere die Schaffung von Freiräumen und Orten, wo junge Menschen „unverzweckte“ Zeit verbringen können, nach den strapaziösen Monaten der Pandemie als immens wichtig an. Zudem braucht es einen fachlichen, interdisziplinären Diskurs, wie die Kinder- und Jugendhilfe in gemeinsamer Verantwortung aller für junge Menschen relevanten Akteur*innen auf die aktuellen Herausforderungen zukünftig organisatorisch, planerisch und konzeptionell reagieren kann. 

1. Einführung

Die Corona-Pandemie hat weltweit massive Auswirkungen. In Deutschland führen die seit März 2020 bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, insbesondere die Kontaktbeschränkungen, zu schweren Einschnitten im sozialen sowie wirtschaftlichen Leben. Gerade junge Menschen trafen die Regelungen besonders hart. Jugendliche und junge Erwachsene brauchen den Austausch mit anderen jungen Menschen für eine gesunde Entwicklung und zur Bewältigung der Kernherausforderungen des Jugendalters. Sie erlebten und erleben die Corona-Krise als wesentliche Zäsur in ihrer Entwicklung, die Zeit der Kontakteinschränkungen empfanden sie als sehr belastend. Viele erfahren oder befürchten Nachteile bezüglich ihrer Bildung und ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt, fühlen sich mit ihren Bedürfnissen nicht gesehen, nehmen sich nicht als beteiligt an den Entscheidungen zum Umgang mit der Krise wahr.[2] Eine Kompensation durch die Angebote und Aktivitäten der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, die zuvor als wichtiges außerfamiliäres Auffangnetz und Sozialisationsort wirkten, war in der Corona-Krise aus Gründen des Gesundheitsschutzes eingeschränkt. Zwar konnten unter großer Kreativität Angebote um- und teils auch digital neugestaltet werden. Allerdings zeigt sich, dass diese neuen Ansätze zwar junge Menschen erreichen, Soziale Arbeit aber ohne unmittelbaren Kontakt in ihrer Wirksamkeit begrenzt ist. Zudem fielen zuvor nahezu selbstverständliche Freiräume weg, sodass jungen Menschen Möglichkeiten zu Austausch, zu gemeinsamen Erlebnissen, Selbsterprobung und Entfaltung fehlten und noch immer fehlen. Die Krise trifft dabei insbesondere junge Menschen in prekären Verhältnissen oder mit psychischen Belastungen verschärft, deren Zugang zu Unterstützungsangeboten sich erschwerte oder ganz verschloss.

Dadurch, dass junge Menschen insbesondere zu Anfang der Pandemie auf ihre Rolle als Schüler*innen reduziert wurden, wurde der Blick auf die Tatsache verstellt, dass Kindheit und Jugend aus weiteren wesentlichen Elementen besteht als aus verzweckter Zeit in Institutionen formaler Bildung. Folglich drehte sich die Diskussion nur wenig um die (Wieder)Eröffnung der offenen Angebote, der Jugendhäuser, der Orte der außerschulischen Jugendbildung und des Sports oder um die Relevanz der Angebote der Jugendsozialarbeit. 

Die AGJ hat schon kurz nach dem ersten sogenannten Lockdown im Jahr 2020 zum einen auf die Notwendigkeit hingewiesen, Kinder und Jugendliche unter den Aspekten notwendiger Freiräume, direkten und infrastrukturellen Unterstützungsbedarfen sowie Beteiligung vermehrt in den Blick zu nehmen und dies in Entscheidungen einzubeziehen[3] sowie die für sie aufgebaute Infrastruktur zu erhalten[4]. Doch trotz verschiedener Rettungsschirme der öffentlichen Hand ist eine vollständige Wiedereröffnung der Angebote noch keineswegs gesichert und die Gefahr noch nicht gebannt, dass wichtige Anlaufstellen junger Menschen verloren gehen. Ein „Platz für die Jugend am Entscheidungstisch“[5] ist ebenfalls noch immer nicht eingerichtet.

2. Resümee einer „Unzeit“ für die Jugend

Gesellschaftliche Wahrnehmung junger Menschen in der Corona-Zeit und eine fehlende Lobby

Junge Menschen wurden insbesondere zu Anfang der Corona-Krise stark auf ihre Rolle als Schüler*innen reduziert und funktionalisiert. Konkrete Themen, Anliegen und Bedarfe junger Menschen gerieten kaum in den Blick. Während sich der Großteil junger Menschen verantwortungsvoll hinsichtlich der Beschränkungen und Home-Schooling-Regelung gegenüber Familie und Gesellschaft zeigte, obwohl die jungen Menschen größtenteils unter Vereinsamung litten, war das mediale Bild geprägt von vermeintlichen Corona-Party-Gänger*innen, Regelbrecher*innen, wurde Jugend in Verbindung mit Einzelereignissen wie in Stuttgart oder Frankfurt pauschal als kriminell abgewertet und stigmatisiert. 

Die AGJ nimmt wahr, dass sich hier in den letzten Monaten einiges geändert und ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Die Zahl der journalistischen Beiträge, die die Bedeutung der Jugendzeit als Entwicklungsnotwendigkeit oder die Bedeutung von gemeinsamen Aktivitäten für das Wohlfühlen hervorheben, ist ebenso gestiegen wie das Bestreben, auf verschiedenen politischen Ebenen und auf verschiedenen Wegen mit „der Jugend“ in Kontakt zu treten. Ebenso wurden in den Bundesländern und Kommunen Schutzschirme für die Jugend(sozial)arbeit eingerichtet und mit jungen Menschen direkt Kontakt aufgenommen. Dazu haben auch Studien, die sich dezidiert mit dem Wohlbefinden und der Situation junger Menschen befassen, beigetragen.[6] Die Studien zeigen, dass junge Menschen sich psychisch stark belastet fühlen und ihnen Möglichkeiten des alltäglichen Ausgleichs fehlen. Zudem haben die meisten jungen Menschen große Zukunftsängste. Diese Ergebnisse wurden medial aufgegriffen und das Bild der Jugend änderte sich langsam. 

Dennoch wurden junge Menschen in den letzten Monaten wenig und erst spät selbst von der Politik befragt[7], bei der Priorisierung zu den gängigen Corona-Verordnungen wurden die Forderungen ihrer Vertreter*innen, aber auch die Eingaben der Jugendressorts in den entsprechenden Entscheidungsverläufen kaum mitgedacht[8] – und das, obwohl die Beteiligung junger Menschen noch nie so stark gesetzlich verankert war wie heute. 

Junge Menschen waren und sind also oftmals den Entscheidungen auf unterschiedlichen politischen Ebenen und letztlich dem Meinungsbild von (älteren) Erwachsenen ausgeliefert und nicht in den Entscheidungsgremien der Krisenpolitik vertreten. Dies ist aus jugendpolitischer Sicht nicht akzeptabel und zeigt, zweierlei, a) dass junge Menschen weiterhin zu wenig an den öffentlichen/politischen Debatten in die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse partizipieren können und b) dass jungen Menschen eine wirkungsvolle politische Lobby fehlt. 

Junge Menschen und die Folgen der Corona-Krise

In der Zeit starker Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene massiv in ihren persönlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten beschnitten. Die Folgen wirken umso belastender auf junge Menschen, da diese Lebensphase im Übergang zum Erwachsenenalter von Umbrüchen und Unsicherheiten gekennzeichnet ist. Es fehlten die zur Bewältigung der zentralen Kernherausforderungen Qualifizierung, Verselbstständigung und Selbstpositionierung erforderlichen Freiräume, sozialen und außerschulischen Kontakte. Zudem wirken die Einschränkungen umso einprägsamer für junge Menschen, da sie für diese Generation in Relation zu den älteren Erwachsenen bereits einen hohen Anteil ihrer Lebenszeit umfassen. Von der vier- bis fünfjährigen Pubertätszeit okkupiert Corona für viele schon mehr als ein Viertel – diese entwicklungspsychologisch zentrale Zeit des Ausprobierens und Abgrenzens gegenüber Erwachsenen in der Jugendphase fehlt für viele junge Menschen unwiederbringlich. 

Dennoch sind und waren Gruppenbildungs-, Freizeit- und Sportangebote eingeschränkt bzw. geschlossen. Dies traf insbesondere die Angebote der Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und das Vereinsleben, die im ersten Jahr der Corona-Pandemie stärker eingeschränkt waren als viele andere Lebensbereiche und insbesondere Kinder und Jugendliche in ihren Freizeit- und Kontaktmöglichkeiten beschränkten.[9] So fielen klassische Vereinsangebote, aber auch zahlreiche Jugenderholungsmaßnahmen und Ferienfreizeiten einschließlich der entsprechenden ehrenamtlichen Nachwuchsgewinnung und -förderung weg. Als sehr schwierig wurden somit neben der Trennung von Freund*innen aufgrund des fehlenden Schulalltags, insbesondere der Mangel an Freizeitmöglichkeiten, geschlossene Freizeiteinrichtungen sowie die Kontaktbeschränkungen empfunden.[10] 

Massive Einschnitte erlebten auch junge Menschen am Übergang von der Schule in den Beruf – eine wesentliche Statuspassage für ein gelingendes Aufwachsen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und unabdingbar für die Emanzipation junger Menschen im Sinne eines selbstbestimmten Lebens und gesellschaftlicher Teilhabe. Die durch die pandemiebedingten Einschränkungen bei den Förderangeboten im Übergang Schule und Beruf haben gerade die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit besonderem Unterstützungsbedarf wieder stark auf die familiären Ressourcen zurückverwiesen. Die Anlaufstellen, die von außen eine Alltagsstruktur, Gruppenkontaktmöglichkeiten und eine intensive pädagogische Begleitung bieten sollten, konnten nur begrenzt ihre Arbeit mit den gegebenen Kontaktbeschränkungen umstellen.

Mit dem Wegfall gewohnter Tagesabläufe fühlten sich junge Menschen vermehrt psychischen Belastungen ausgesetzt, achteten weniger auf ihre Gesundheit in Bezug auf gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung und nahmen vermehrt Streit und Konflikte im familiären Kontext wahr.[11] In der Copsy-Studie[12] beklagten mehr als 70 Prozent der 11- bis 17-Jährigen Befragten eine seelische Belastung. Kinder- und Jugendpsychiater*innen sowie Psychotherapeut*innen sehen bei jugendlichen Patient*innen vermehrt Aggressionen, Essstörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch.

Sorgen um die eigene Zukunftsperspektive und große Unsicherheiten hinsichtlich möglicher Studienorte und Studienplätze, geeigneter Ausbildungsplätze oder Möglichkeiten des Freiwilligendienstes unter Pandemiebedingungen betreffen viele junge Menschen. Internationale Alternativen (Au-pair, Freiwilligendienste im Ausland, Work & Travel) stehen weiterhin kaum zur Verfügung. Dabei geriet insbesondere der Ausbildungsmarkt aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen mittelständischer Unternehmen unter Druck. Infolgedessen gingen die Anzahl an gemeldeten Ausbildungsplätzen in 2020 um 8,8 %[13] sowie die Anzahl der neu begründeten Ausbildungsverhältnisse um 11 % deutlich zurück[14]. Dazu kommt, dass junge Menschen, die sich im letzten Schuljahr befinden, in den letzten Monaten teilweise nicht alle Bildungsinhalte vermittelt bekommen haben sowie Berufs- und Studienwahlorientierung inklusive betrieblicher Praktika und Gruppenangeboten oftmals nicht gewohnt stattfinden konnte.[15] Das hat insbesondere für Jugendliche mit Unterstützungsbedarf erhebliche Folgen für die berufliche Orientierung, die Einmündung in ein Ausbildungsverhältnis und den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung.

Bei jungen Menschen in prekären Lebenslagen (beengter Wohnraum, mangelnde Rückzugsmöglichkeit, fehlende Tagesstruktur, finanzielle Notlagen etc.) potenzieren sich diese Problemlagen oftmals.[16] Durch den Wegfall von Ressourcen sowie bekannten Unterstützungsstrukturen sind sozial benachteiligte und ausgegrenzte Menschen in erheblichem Maße gefordert. Die Corona-Pandemie bringt sie oftmals ganz besonders in Gefahr.

Darüber hinaus zeigte sich, dass Formate für die Beteiligung an politischen Entscheidungen wegfielen. So waren Räume zur Selbstorganisation, zum Austausch und zur Selbstvertretung aufgrund der Einschränkungen nur schwer nutzbar; erst recht gab es in dieser Zeit für junge Menschen kaum Möglichkeiten zur Mitgestaltung beim Krisenmanagement. [17]

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Corona-Krise zum Wegfall jugendspezifischer Lebensstile und strukturierender Angebote und Gelegenheiten führt, die in der Jugendphase selbstverständlich und von zentraler Bedeutung sind. An der Jugend orientierte Politik muss daher ihren Fokus auf die Wiederherstellung und Ermöglichung dieser prägenden Erfahrungen legen. 

Sicherheit in unsicheren Zeiten: Die Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit

Die Corona-Pandemie bestimmt das Leben junger Menschen sowie die Angebote, Inhalte und die Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit seit mehr als 1,5 Jahren. Dabei unterscheiden sich die Situation bei den Trägern, in Regionen und in den Bundesländern und somit auch die Bewältigungsstrategien und die mitunter kreativen Weiterentwicklungen, die in den Strukturen in dieser Zeit entwickelt wurden und weiterhin werden. So stellten sich Teams innerhalb sehr kurzer Zeit auf neue Kommunikationswege ein, waren für junge Menschen ansprechbar z. B. für Gespräche über die aktuelle Situation und damit verbundene Ängste oder für einfaches Quatschen[18]. Dabei wurden Räume umgestaltet, um coronakonforme Beratungssettings zu schaffen und Anlaufstellen aufrechtzuerhalten. Beratung wurde z. B. auf Spaziergänge in den öffentlichen Raum verlagert. Über Online-Plattformen wurden in der freien Zeit am Abend offene Angebote sowie Beschäftigungs- und Beteiligungsangebote gemacht. 

Insgesamt zeigt sich, dass die einzelnen Arbeitsfelder kreativ auf die Herausforderungen reagierten. Die Zugänge und Beziehungsangebote gestalteten sich „intensiver, aufsuchender, digitaler und moderner“[19]. Fachkräfte, Einrichtungen und Träger versuchten, den Wegfall strukturierender Erlebnisse bei den jungen Menschen aufzufangen und wichtige Angebote weiterzuführen. Einerseits leistete gerade die Offene Kinder- und Jugendarbeit in kürzester Zeit einen regelrechten Digitalisierungsschub, musste aber auch erkennen, dass die Beziehungsarbeit in diesem Medium nicht die gewohnte pädagogische Qualität der analogen Begegnungen erreichen konnte[20]. 

Trotz der Möglichkeiten in vielen Bundesländern, unter Einschränkung bestimmte Formate anzubieten, schränkten manche Träger selbst solche Angebote aus Sorge um entsprechende Ansteckungsdynamiken ein. In manchen Kommunen wurden deshalb Fachkräfte freigestellt, in Kurzarbeit geschickt oder für flankierende Tätigkeiten wie Notbetreuung, Nachverfolgung, etc. eingesetzt. Trotz einiger kreativer Lösungen und der zwischenzeitlichen Wiedereröffnung der Angebote sind die Strukturen weiterhin von einer geringen Planungssicherheit betroffen. 

Letztlich gibt es seit Monaten keine Sicherheit für die Akteur*innen in der Jugend(sozial)arbeit. Es konnten im Verhältnis zum regulären Betrieb kaum Ferienfreizeiten, Gruppenstunden und Zusammenkünfte junger Menschen und wenig Gruppenbildungsangebote stattfinden. Treffen, bei denen Gemeinschaft erlebt werden kann, Freiräume selbstständig gestaltet, Ideen entwickelt und Aktivitäten geplant werden, fielen aus. Der Charakter der Angebote und des Ortes der Jugendarbeit änderte sich somit in dieser Zeit. Damit wandelte sich auch ein Ort, der insbesondere in dieser verunsichernden Zeit für viele junge Menschen sehr relevant war und noch relevanter hätte sein können, um aktuelle Maßnahmen und Debatten mit den jungen Menschen aufzugreifen, somit einen Raum für Fragen zu öffnen und damit z. B. Verschwörungstheorien etc. entgegenzuwirken. 

Politische Maßnahmen für die Jugend – Aufholen nach Corona?

Während der letzten Monate gab es verschiedene politische Maßnahmen, um die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe aufrechtzuerhalten und finanziell zu unterstützen. Dennoch ist festzustellen, dass die finanziellen Mittel, die für die Kinder- und Jugendhilfe geflossen sind, längst nicht ausreichen und im Vergleich zu anderen (Wirtschafts-)Zweigen zu gering ausfallen. So erlebten viele Träger und Einrichtungen die letzten Monate als Monate der Unsicherheit und geringen Planbarkeit. Neben dem SodEG zu Anfang der Pandemie, wo es zunächst einige Verunsicherung gab, ob es auch für Träger und Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendbildung Anwendung findet, gab es auch größere Maßnahmenpakete in den Bundesländern. Große Programme wie „Aufholen nach Corona“ kommen im Jahr 2021 vergleichsweise spät. Zum ersten Mal hat die Bundesregierung mit „Aufholen nach Corona“ ein größeres Maßnahmenpaket von 2 Milliarden Euro geschnürt, das direkt die Kinder und Jugendlichen adressiert. Das Paket umfasst jedoch nur einen Förderzeitraum von 1,5 Jahren, obgleich das Aufholen absehbar noch länger andauern wird und viele Angebote noch gar nicht wiedereröffnet wurden bzw. weiterhin unter Einschränkungen stehen. Vor diesem Hintergrund stellt die Umsetzung des Aufholprogramms die Träger zusätzlich vor weitere Probleme: Wie sollen diese ergänzende Angebote durchführen, wenn diese teilweise die normalen Angebote (noch) nicht umsetzen dürfen oder können? Hinzu kommt die Problematik, dass aufgrund der Impfempfehlungen (oder deren Fehlen) ein großer Teil der Zielgruppe nicht immunisiert werden kann und damit weiterhin unter Zugangsbeschränkungen leiden wird.

Aus Sicht der Praxis von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit wäre es wünschenswert gewesen, wenn die im Aufholpaket ausgebrachten Mittel weniger kleinteilig und in unterschiedliche Förderstränge aufgespalten wären. Neben den Ländern sind hier noch das BMFSFJ sowie eine Reihe von Stiftungen und weitere Akteur*innen in der Mittelverwaltung aktiv. Ein weniger aufgesplittertes Programm mit mehr Flexibilität bei der Mittelverwendung wäre sicher effektiver und wahrscheinlich auch effizienter gewesen. Schließlich wissen die Träger – öffentliche wie freie – vor Ort am besten, welche Bedarfe dringlich sind und wo noch Lücken zu bereits zuvor aufgelegten Förderprogrammen bestehen.

3. Was es nun braucht

Die AGJ nimmt wahr, dass sich das Bild von Jugend, die Berichterstattung über junge Menschen und die Maßnahmen für sie in den letzten Monaten verbessert haben. Dennoch leiden viele junge Menschen weiterhin unter eingeschränkten Angeboten der Jugend(sozial)arbeit, Ausbildungsplatzmangel, Zukunftsängsten und dem Gefühl, nicht erstgenommen zu werden. Die AGJ leitet hieraus im Folgenden einige Empfehlungen ab, die an die verschiedenen politischen Ebenen sowie die Träger der Jugend(sozial)arbeit gerichtet sind, und verbindet diese mit dem dringenden Appell, die Auswirkungen auf junge Menschen und auf die Strukturen der Jugend(sozial)arbeit durch gezieltere Initiativen abzumildern und eine wirkungsvolle Beteiligung junger Menschen endlich strukturell und nachhaltig abzusichern. 

Beteiligung junger Menschen

Die Beteiligung junger Menschen und ihrer Selbstorganisationen an den Verhandlungen zu wichtigen politischen Maßnahmen muss sichergestellt und krisenfest gestaltet werden. Regelmäßige und fest verankerte Beteiligung muss für junge Menschen gewährleistet sein und auf Bundes-, Landes- sowie der kommunalen Ebene umgesetzt werden, um z. B. Öffnungsstrategien gemeinsam zu entwickeln. 

Dabei ist wichtig und sinnvoll, junge Menschen direkt zu befragen und ihre Interessensvertretungen systematisch einzubeziehen. Dies könnte auf Bundesebene z. B. mit der entsprechenden Beauftragung eines Meinungsforschungsinstituts geschehen und der Einbeziehung des DBJR. Auf Länderebene könnten ähnliche Formate etabliert werden (z. B. Jugendbefragungen und der Einbezug der Jugendverbände und anderer Formen der Selbstorganisation wie etwa lokale Beteiligungsgremien wie Jugendparlamente). Auf kommunaler Ebene ist der Einbezug junger Menschen durch Befragungen z. B. in Schulen, die Beteiligung der Jugendringe und der Jugendparlamente anzustreben. Aus den Befragungen müssen dann gerade lokal, öffentlich-politische Diskurse mit den Betroffenen zur Gestaltung der Lebensverhältnisse vor Ort initiiert werden, die die kulturellen Ausdrucksweisen und Sprachstile in der Jugendszene anerkennend aufgreifen und gemeinsame Aushandlungsprozesse eröffnen.

Freiräume schaffen

Trotz der kreativen Nutzung digitaler Angebote haben diese in den außerschulischen Bildungsangeboten der Jugendarbeit Grenzen. Denn: „Gerade die politische Bildung lebt von gemeinsamen Erfahrungen, die in demokratischen Bildungsräumen erlebt werden. Politische Subjektwerdung braucht Gemeinschaftserfahrungen und Orte der Begegnung“.[21] Kinder und Jugendliche benötigen also in den nächsten Monaten insbesondere Freiräume und (geschützte) Orte, an denen sie „unverzweckt“ ihren Alltag innerhalb ihrer Peer-Groups und sozialen Beziehungsgeflechten in ihrem Sinne frei gestalten und ausleben können. Die offene, verbandliche, kulturelle und sportorientierte Jugendarbeit ist genau dafür prädestiniert. Denn der freiwillige und offene Charakter der Jugendarbeit bietet Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten. Nach den letzten strapaziösen Monaten brauchen junge Menschen Erholung und Freizeit und Freiräume – und das gemeinsam mit Gleichaltrigen. Unter anderem sind offene Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit hierfür immens relevant. 


Eine starke Lobby für junge Menschen aufbauen

Für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe gilt es insbesondere in dieser Zeit im Rahmen ihres gesellschafts- wie jugendpolitischen Auftrages den Blick auf die Belange von jungen Menschen zu richten und Missstände im Umgang und in der Nichtbeachtung der Belange junger Menschen aufzuzeigen. Ziel muss es sein, dadurch eine gesamtgesellschaftliche Reflexion über den Umgang mit der jungen Generation anzuregen und junge Menschen bei der Gestaltung ihrer Zukunft mit einzubeziehen. Denn es braucht eine wirksame Lobby für junge Menschen und ihre Belange. Mit der Jugendstrategie der Bundesregierung gibt es bereits einen wichtigen strukturellen Ansatz und die Bemühung, die Jugendlobby zu bündeln und den Blick auf Jugend ressortübergreifend zu stärken. 

Die fachlichen Forderungen im Hinblick auf den Umgang mit den derzeitigen und zukünftigen Herausforderungen wurden von den unterschiedlichen Fachverbänden in den letzten Monaten umfangreich beschrieben und dargestellt.[22]
 
Benötigt wird ein fachlicher, interdisziplinärer Diskurs, wie die Kinder- und Jugendhilfe in gemeinsamer Verantwortung aller für junge Menschen relevanten Akteur*innen auf diese Herausforderungen zukünftig organisatorisch, planerisch und konzeptionell reagieren kann. Hierbei braucht es insbesondere auch Diskussionen in Jugendhilfeausschüssen und Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB III, um gemeinsam eine starke Lobby für junge Menschen zu bilden. 

Die Corona-Krise macht deutlich, dass die Achtung und Gestaltung von jugendlichen Lebenslagen eine Verstärkung ressortübergreifender Ansätze sowie Verantwortung erforderlich machen. Dabei bleibt die Notwendigkeit und Forderung einer Eigenständigen Jugendpolitik und der Weiterentwicklung und Umsetzung einer kohärenten Politik, die gute Rahmenbedingungen für die Lebensphase Jugend schafft, für die AGJ bestehen.[23]

Strukturen wiederherstellen und absichern 

Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit sind in ihrer Bedeutung für das Aufwachsen junger Menschen auch bei zukünftigen Krisen als systemrelevant anzuerkennen. Prioritäres Ziel ist das durchgehende Offenhalten der entsprechenden Angebote.

Auch wenn gerade durch Sonderprogramme während Corona zusätzliche Mittel ausgeschüttet werden, ist mit Blick auf die kommunalen Haushaltsmittel ab dem Haushaltsjahr 2022 mit entsprechenden Sparmaßnahmen auf Ebene der Städte, Gemeinden und Jugendamtsbezirke zu rechnen. In diesem Zuge ist zu befürchten, dass überwunden geglaubte Mythen der Freiwilligkeit von Angeboten und Leistungen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit gemäß §§ 11-14 SGB VIII wieder herangezogen werden und insbesondere diese Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Dies hätte zur Folge, dass selbst bei „überwundener“ Pandemie die Angebote und Leistungen der Jugendhilfe nicht nur wie bisher in zu geringem Umfang zur Verfügung stünden, sondern zudem abgebaut würden.

Es ist wichtiger denn je, jungen Menschen weiterhin nachhaltig die Stütze und Stabilität mittels der Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit zu gewähren und sich nicht aus der staatlichen/hoheitlichen Aufgabe zurückzuziehen. Gerade in Zeiten der pandemiebedingten zunehmenden Individualisierung und des Zurückwerfens der Einzelnen auf sich selbst sind diese Angebote für die Selbstpositionierung, Verselbstständigung sowie Qualifizierung wichtiger denn je, um Belastungen bei jungen Menschen abzumildern, aufzufangen und ihnen entsprechende Unterstützung und Stärkung zukommen zu lassen. Dies erfordert die unbedingte Aufrechterhaltung dieser Angebotsstrukturen wie auch den Erhalt dieser elementaren begleitenden Infrastruktur.[24]

In der Pandemie sind viele Schüler*innen und auch Teilnehmende in Förderangeboten im Übergangssystem Schule/Beruf schlichtweg verloren gegangen. Hierdurch ist für diese jungen Menschen der Übergang in eine voll qualifizierende Ausbildung nochmals erschwert worden. Ihnen konnte schlichtweg keine Unterstützung angeboten werden, die sie bei der Suche und dem Beginn einer Ausbildung oder auch für den Zugang ins Übergangssystem gebraucht hätten. Diese Jugendlichen dürfen nicht aufgegeben werden! Durch den Ausbau aufsuchender und niederschwelliger Angebote der Jugendsozialarbeit können junge Menschen, die durch die Corona-Pandemie in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe stark eingeschränkt wurden, wieder erreicht werden und an das Hilfesystem andocken.[25]

Die AGJ fordert deshalb, möglichst viele junge Menschen von dem Aufholpaket direkt profitieren zu lassen. Darüber hinaus fordert die AGJ, dass sich das Augenmerk auf junge Menschen nicht im „Aufholen nach Corona“ erschöpft, sondern dass vielmehr ein bundesweit geförderter Zukunftsplan Jugendarbeit mit 5-jähriger Laufzeit aufgelegt wird, um junge Menschen und die Orte ihres Aufwachsens zu unterstützen. Dieser muss vor allem auf den Erhalt und Ausbau wichtiger sozialer Infrastruktur setzen, Angebote vor Ort finanzieren, die Beteiligung junger Menschen unterstützen und außerschulischen Angeboten die notwendige (finanzielle) Ausstattung geben. Die Hauptverantwortung hierfür sieht die AGJ beim Bund, da es sich bei der Corona-Pandemie und ihren Folgen um eine Krise mit nationaler Tragweite handelt. Durch eine Abstimmung mit den Programmen der Länder und Kommunen sind Doppelstrukturen zu verhindern und Anstrengungen zu bündeln.

Maßnahmen auf dem Ausbildungsmarkt flexibilisieren/Jugendsozialarbeit stärken

Viele junge Menschen stehen derzeit vor enormen Zukunftsängsten, was den Übergang von Schule in den Beruf angeht. Ende August 2021 gingen über 123.000 Bewerber*innen bei ihrer Ausbildungsplatzsuche trotz Nachwuchsproblemen der Wirtschaft leer aus.[26]Hier gilt es zum einen, die arbeits- und ausbildungsmarktpolitischen Maßnahmen innerhalb des SGB II und SGB III flexibel an die Bedarfe und pandemiebedingten Herausforderungen – insbesondere mit Blick auf die Ausbildungsplätze – anzupassen, sie auszuweiten und weiterzuentwickeln.[27] Zum anderen steht auch die Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere die Jugendsozialarbeit, vor der Herausforderung, zusätzliche Unterstützungsangebote innerhalb des § 13 SGB VIII bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.[28] Voraussetzung dafür ist, dass die Kommunen entsprechende Ressourcen für pandemiebedingte Herausforderungen in der Jugendsozialarbeit zur Verfügung stellen. Kinder- und Jugendhilfeausschüsse sind gefordert, dieses Thema kontinuierlich auf ihre Agenda zu nehmen. 

Demokratiebildung in der Jugend(sozial)arbeit stärken

Die Pandemie hat jungen Menschen viel abverlangt. Zukünftig braucht es eine transparente und partizipative gesellschaftspolitische Debatte, im Besonderen mit jungen Menschen selbst, als aktuell und zukünftig am stärksten betroffene Gruppe. Dies würde dazu beitragen, dass ihre Sicht besser zum Ausdruck kommt und sie ggf. notwendige, durch Krisen ausgelöste Einschränkungen (besser) mittragen können. Durch ihren niederschwelligen Zugang kann hier die Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit im Sinne einer Brücken- und Mittlerfunktion einen wesentlichen Beitrag zu solch einer Debattenkultur und somit Demokratiefähigkeit im Sinne der politischen Bildung/Demokratiebildung beitragen.[29]

Zur Jugendarbeit gehört außerdem, Lernort für Demokratie und aktiver Teil einer demokratisch organisierten Gesellschaft zu sein. So befinden die Jugendverbände und -ringe, dass Jugend(verbands)arbeit insbesondere in dieser Zeit als Ort demokratischer Bildung zur Verfügung stehen und gestärkt und gefördert werden muss. Sie verweisen hier auf z. B. auf erstarkende undemokratische Strömungen und eingeschränkte demokratische Prozesse durch Einschränkungen im öffentlichen Leben.[30]


DigitalPakt Kinder- und Jugendhilfe schaffen

Die Vielfalt digitaler (Sozial)Räume hat während der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen. Die digitalen Medien waren zu Anfang der Pandemie meist die einzig verbliebene Möglichkeit von jungen Menschen, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Gleichzeitig waren und sind diese Zugänge während der Pandemie oftmals die einzige Möglichkeit für die Fachkräfte der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit, den Kontakt zu ihrer Zielgruppe aufrecht zu erhalten. Zugleich hat diese Entwicklung, nämlich digitale Formate stärker in der täglichen Jugendarbeit zu nutzen, diese selbst begonnen zu verändern. Dieser Prozess muss auch ungeachtet einer Pandemie fortgesetzt werden, da er die Handlungsmöglichkeiten der Jugendarbeit ausweitet und dazu beiträgt, die Zielgruppe noch besser zu erreichen.

Dies beinhaltet eine Weiterentwicklung bestehender medienpädagogischer Ansätze mit dem Ziel, nicht reflektierten und schädigenden Medienkonsum junger Menschen mit einer handlungsorientierten Mediengestaltung und Mediennutzung zu begegnen. Auch müssen die Kompetenzen der Fachkräfte, sich professionell in sozialen Netzwerken bewegen und agieren zu können, systematisch gefördert werden. Der Digitalisierungsschub in verschiedenen Handlungsfeldern, aber auch schon Entwicklungen im Vorfeld haben zur Aufweichung der Einhaltung von fachlichen Standards (z. B. Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, gleiche Teilhabe für alle etc.) geführt. Vor diesem Hintergrund gilt es, auf Ebene der Träger und der Fachkräfte die Sicherung der Standards durch entsprechende Konzepte und Qualifizierungsmaßnahmen weiterzuentwickeln und systematisch zu verankern.[31] Dazu braucht die Kinder- und Jugendhilfe dauerhaft die notwendigen Ressourcen und Strategien. Die AGJ schließt sich der Forderung des Bundesjugendkuratoriums[32] nach einem DigitalPakt Kinder- und Jugendhilfe an, um eine eigenständige Digitalstrategie für die Handlungsfelder weiterzuentwickeln. 

Starke Jugendforschung und evidenzbasiertes politisches Handeln

Erhebungen, wie die JuCo-Studien, haben den Diskurs um das Wohlbefinden junger Menschen in der Corona-Krise sowie die politische Aufmerksamkeit für die Gruppe und den Druck auf Politik stark geprägt und erhöht. Denn sie zeigten deutlich, wie es jungen Menschen mit aktuellen politischen Entscheidungen geht und verdeutlichten Missstände, z. B. bei der Beteiligung junger Menschen und den Folgen der Pandemie auf die psychische Konstitution junger Menschen. Junge Menschen haben somit die Studien auch genutzt, um ihre Meinung und Kritik zu äußern. Wie die Autor*innen selbst sagen, liegt hier eine große Chance, aber auch Verantwortung, für die Jugendforschung[33]. Denn es geht letztlich um Zugänge und Beteiligungsformate, die auch Jugendforschung ermöglichen kann. Es braucht somit neben direkten Beteiligungsformaten auch eine starke Jugendforschung, die systematisch das Wohlbefinden, die Bedarfe und Einstellungen junger Menschen erforscht und an die Politik heranträgt. Politisches Handeln sollte evidenzbasiert sein und Ergebnisse von Studien ernsthaft einbeziehen. Dafür benötigen Forschungseinrichtungen die notwendigen Ressourcen. Zudem braucht es eine Politik, die bereit ist, jugendpolitische Herausforderungen nicht nur evidenzbasiert festzustellen, sondern auch nachhaltig für Verbesserungen zu sorgen, um jungen Menschen eine Perspektive auf eine gelingende Zukunft zu geben.[34] 

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden uns alle noch lange beschäftigen. Insbesondere junge Menschen werden ihre Folgen in den nächsten Jahrzehnten noch stark zu spüren bekommen. Deshalb gilt es jetzt umso mehr, gemeinsam für eine starke Jugend und eine starke Jugendpolitik einzutreten. Die gleichberechtigte Teilhabe junger Menschen und die Stärkung ihrer Rechte ist und bleibt ein Auftrag für Jugendpolitiker*innen und letztlich für die kommende Bundesregierung. Die AGJ fordert ähnlich wie das Bundesjugendkuratorium in seiner aktuellen Stellungnahme35, dass Kinder- und Jugendpolitik einen höheren Stellenwert als bisher eingeräumt wird, junge Menschen beteiligt werden und mit ihren Bedarfen geachtet werden. Die AGJ bietet sich in diesen zukünftigen Prozessen als Gesprächspartnerin an und bekräftigt ihre Bereitschaft, sich weiterhin in einer starken Lobby für die Jugend einzusetzen. 


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Berlin, 07./08. Oktober 2021

[1]Ansprechperson für dieses Positionspapier in der AGJ ist die zuständige Referentin des Arbeitsfeldes V „Jugend, Bildung, Jugendpolitik“: Eva-Lotta Bueren (eva-lotta.bueren@agj.de).
[2] Andresen, S./ Heyer, L./ Lips, A./ Rusack, T./ Schröer, W./ Thomas, S./ Wilmes, J. (2020): JuCo-Studien, www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-sozial-und-organisationspaedagogik/forschung/laufende-projekte/juco-und-kico/. 
[3] Vgl. AGJ (2020): „Jugend stärken – auch und gerade unter Corona-Bedingungen unerlässlich“, www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/AGJ-Zwischenruf_Jugend_st%C3%A4rken.pdf.
[4] Ebendort sowie AGJ (2020); „Wenn Kümmerer*innen selbst Hilfe brauchen…  Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kinder- und Jugendhilfe“, www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/AGJ_Zwischenruf_Corona.pdf.
[5] Forderung der AGJ-Vorsitzenden Prof. Dr. Karin Böllert bei der DJHT-Abschlussveranstaltung gegenüber Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 20.05.2021, AGJ-Pressemitteilung www.agj.de/fileadmin/files/pressemeldungen/Abschluss_PM_Platz_f%C3%BCr_Jugend_im_Corona-Kabinett_-_Merkel_will_sich_was_%C3%BCberlegen_oK.pdf.
[6] Andresen, S./Heyer, L./ Lips, A./ Rusack, T./ Schröer, W./ Thomas, S./ Wilmes, J. (2020): JuCo-Studien, www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-sozial-und-organisationspaedagogik/forschung/laufende-projekte/juco-und-kico/.
[7] Das erste Jugend-Hearing der Jugendministerin Franziska Giffey während der Corona-Zeit fand z. B. erst nach einem digitalen Jugenddialog am 11.03.2021 statt. 
[8] Vgl.: Andresen et. al (2020): Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen, hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1078. 
[9] Vgl. Destatis (2021): Zahl der Woche Nr. 08 vom 23. Februar 2021, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2021/PD21_08_p002.html
[10] Langmeyer et al. (2020): Kind sein in Zeiten von Corona, www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/themen/Familie/DJI_Kindsein_Corona_Erste_Ergebnisse.pdf. 

[11] Andresen et. al. (2020): „Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen“, hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1166. 
[12] Ravens-Sieberer et. al (2021:) Impact of the COVID19 pandemic on quality of life and mental health in children and adolescents in Germany, European Child & Adolescent Psychiatry, www.researchgate.net/publication/348743342_Impact_of_the_COVID-19_pandemic_on_quality_of_life_and_mental_health_in_children_and_adolescents_in_Germany. 
[13] Bundesinstitut für Berufsbildung (2021): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2021, S. 15, www.bibb.de/dokumente/pdf/bibb-datenreport-2021.pdf. 
[14]Bundesinstitut für Berufsbildung (2021): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2021, S. 35, www.bibb.de/dokumente/pdf/bibb-datenreport-2021.pdf. 
[15] Siehe hierzu auch Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (20.04.2021): Pressemitteilung „Jugendämter in der Corona-Pandemie: Garanten gegen „menschlichen Lockdown“, www.bagljae.de/assets/downloads/umfrage-unter-jugendaemtern---garanten-gegen-menschlichen-lockdown-_002_.pdf. 
[16] Ravens-Sieberer et. al (2021): Impact of the COVID19 pandemic on quality of life and mental health in children and adolescents in Germany, European Child & Adolescent Psychiatry, www.researchgate.net/publication/348743342_Impact_of_the_COVID-19_pandemic_on_quality_of_life_and_mental_health_in_children_and_adolescents_in_Germany. 
[17] Vgl. Deinet, U./Sturzenhecker, B.: Offene Kinder- und Jugendarbeit in Coronazeiten - empirische Einblicke und konzeptionelle Folgerungen. In: deutsche jugend, Heft 4/2021, S. 161-169.
[18] Deinet, U./ Sturzenhecker, B. (2021): Erster Zwischenbericht zum Forschungsprojekt: Neustart der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in NRW in der Corona-Zeit, www.ew.uni-hamburg.de/einrichtungen/ew2/sozialpaedagogik/files/neustartzwischenberichtersterteil-9221.pdf. 
[19] BAG LJÄ (2020): Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in Zeiten von Corona und darüber hinaus – Infrastrukturen der Kommunen, der Länder und des Bundes erhalten und stärken!, www.lwl-landesjugendamt.de/media/filer_public/5c/d6/5cd6663e-1366-48af-bb7f-fb0147a21903/200525_vorlage_nr_1298_-_appell_der_bag_landesjugendaemter.pdf. 
[20] Deinet, U./Sturzenhecker, B.: Offene Kinder- und Jugendarbeit in Coronazeiten - empirische Einblicke und konzeptionelle Folgerungen. In: deutsche jugend, Heft 4/2021, S. 161-169.
[21] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): 16. Kinder- und Jugendbericht, S. 521.
[22] Vgl. BAG LJÄ, AGJ, PARITÄTISCHE, DCV, BAG KJS.
[23] AGJ (2020): „Jugend braucht mehr! – Eigenständige Jugendpolitik voranbringen und weiterdenken“, www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/Jugend_braucht_mehr.pdf. 
[24] Vgl. BAG LJÄ (2020): Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in Zeiten von Corona und darüber hinaus – Infrastrukturen der Kommunen, der Länder und des Bundes erhalten und stärken!, www.lwl-landesjugendamt.de/media/filer_public/5c/d6/5cd6663e-1366-48af-bb7f-fb0147a21903/200525_vorlage_nr_1298_-_appell_der_bag_landesjugendaemter.pdf. 
[25] Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (2020): Eine #StarkeZukunft für junge Menschen! Positionen zur Bundestagswahl 2021, www.bagkjs.de/aufsuchende-jsa-staerken/.
[26] Die Zahl ergibt sich aus den unversorgten Bewerber*innen sowie unversorgten Bewerber*innen auf Ausbildungssuche (sogenannte Bewerber*innen mit Alternative zum 30. September); Bundesagentur für Arbeit (August 2021): Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, monatsbericht-d-0-202108-pdf.pdf (arbeitsagentur.de), S. 31 ff. 
[27] Vgl. BAG LJÄ (2020): 5 Thesen zu den Auswirkungen der Coronakrise auf Kinder und junge Menschen, www.bagljae.de/assets/downloads/5b362538/BAGLJ%C3%84%20-%205%20Thesen%20Auswirkungen%20der%20Coronakrise%20auf%20die%20KJH.pdf. 
[28] Vgl. AGJ (2020): Jugendsozialarbeit in Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe, www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/Jugendsozialarbeit_in_Verantwortung_der_Kinder-_und_Jugendhilfe.pdf.  
 
[29] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): 16. Kinder- und Jugendbericht, S.329 ff.
[30] DBJR (2021): Kinder und Jugendliche müssen oberste Priorität haben, www.dbjr.de/artikel/kinder-und-jugendliche-muessen-oberste-prioritaet-haben/.
[31] Dabei sind u. a. auch die Entwicklungen auf EU-Ebene und die Empfehlungen des General Comment der Vereinten Nationen zu Kinderrechten in der digitalen Welt zu berücksichtigen. 
[32] Bundesjugendkuratorium (23.02.2021): Digitalität von Kindheit und Jugend: Digitalpakt Kinder- und Jugendhilfe, www.bundesjugendkuratorium.de/data/pdf/press/bjk_2021_digitalpakt.pdf.  
[33] Andresen et. al. (2021): Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Erfahrungen, Sorgen Bedarfe, www.uni-hildesheim.de/media/fb1/sozialpaedagogik/Forschung/JuCo_und_KiCo/Das_Leben_von_jungen_Menschen_in_der_Corona-Pandemie_2021.pdf, S. 27. 
[34] AGJ (2020): „Jugend braucht mehr! – Eigenständige Jugendpolitik voranbringen und weiterdenken“, www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/Jugend_braucht_mehr.pdf 
[35] Bundesjugendkuratorium (2021): Junge Generation braucht ein starkes neues Regierungsprogramm: Kinder- und Jugendpolitik stärken!, bundesjugendkuratorium.de/data/Regierungspunktepapier_20210908.pdf 
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