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Anforderungen an Personalentwick- lung in der Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

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Vorbemerkung

Der deutschlandweite Trend des Rückgangs der Bevölkerung, die Zunahme des Anteils an älteren und hochbetagten Menschen, die den Anteil der jungen Menschen schon heute überwiegen und all die anderen Auswirkungen der demografischen Entwicklung zeigen sich regional höchst unterschiedlich. Es gibt in Deutschland nach wie vor Regionen, die durch den Zuzug jüngerer Menschen, aber auch älterer Personengruppen geprägt sind. Andere hingegen haben in den letzten Jahren bis zu einem Drittel ihrer Einwohner verloren. Selbst innerhalb eines einzelnen Jugendamtsbezirks gibt es ein Nebeneinander höchst unterschiedlicher Entwicklungen. Dies ist bei der Betrachtung der Herausforderungen, die sich durch die demografische Entwicklung ergeben, zu berücksichtigen.

Der Umbruch im Altersaufbau der Gesellschaft wirft vielfältige Fragen und auch Probleme auf. Diese dürfen aber kein Anlass für Pessimismus sein, sondern sie sind als Herausforderungen zur gelingenden Gestaltung gesellschaftlicher Zukunft unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu begreifen. In tatsächlich zukunftsorientierter Herangehensweise gilt es, den demographischen Wandel gerade auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe aktiv und konstruktiv zu nutzen.

Im Zuge des demografischen Wandels werden Kinder und Jugendliche zwar mehr und mehr in die Rolle einer gesellschaftlichen Minderheit geraten. Sie werden dadurch aber zugleich auch zu einem zunehmend „knappen und kostbaren Gut“, für dessen Erziehung und Bildung bestmöglich qualifizierte und motivierte Fachkräfte im Hinblick auf die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft dringend gebraucht werden.


1 Strukturelle Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe durch den demografischen Wandel

Problem der Kohortengerechtigkeit

Förderliche Bedingungen des Aufwachsens müssen für alle Kohorten hergestellt werden. Das Schicksal, einem geburten-starken oder geburtenschwachen Jahrgang anzugehören, darf nicht darüber entscheiden, ob man bessere oder schlechtere Chancen hat. Durch den extremen Einbruch der Geburtenquote in Ostdeutschland nach dem Ende der DDR wird es über mehrere Generationen hinweg Kohorten mit einer geringen Anzahl von Kindern geben.

Der demografische Wandel wird auch in den westlichen Bundesländern längerfristig eine tendenziell verminderte Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen nach sich ziehen. Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe müssen sich darauf in gemeinsam abgestimmten Planungsprozessen rechtzeitig einlassen, um eine fachlich leistungsfähige sowie eine wirtschaftlich überlebensfähige Jugendhilfelandschaft als wesent-lichen Bestandteil der sozialen Infrastruktur weiter zu gewährleisten.

Migrationserfahrungen werden normaler

Ein Aspekt der demografischen Entwicklung in Deutschland ist, dass der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund wächst, dies gilt insbesondere bei den Kindern. Somit zwingt allein die demografische Entwicklung die Kinder- und Jugendhilfe, reflektierter und grundlegender mit dem Thema interkultureller Öffnung ihrer Einrichtungen, Angebote und Leistungen umzugehen als dies bisher der Fall war. Dabei gilt es, die spezifischen Ressourcen von Menschen mit Migrationserfahrung bzw. familiärem Migrationshintergrund mehr in den Blick zu nehmen, aber auch den besonderen Förderbedarfen junger Menschen mit Migrationshintergrund mehr gerecht zu werden. Migrations-hintergrund ist in Deutschland häufig ein Merkmal, hinter dem materiell benachteiligte Lebensverhältnisse und – auch dadurch noch verstärkt – Beeinträchtigungen von Bildungschancen stehen.

Veränderte Bedingungen des Aufwachsens

Kinder werden seltener, so leben beispielsweise in München nur noch in 15% der Haushalte Kinder (Perspektive München. Kinder- und familienfreundliches München 2007). D. h. in 85% der Haushalte in München gibt es keinen Anlass über die Bedürfnisse von Kindern an die Wohnumgebung, an die örtliche Infrastruktur etc. nachzudenken. Quasi-natürliche Orte des Austausches über Erziehungsfragen fallen weg, verwandtschaftliche Netze werden aufgrund von 1- oder 2-Kind-Familien dünner. Es sinkt damit langfristig das Potenzial informeller Hilfe. Dies hat zur Folge, dass institutionelle Angebote diese Funktion mit übernehmen müssen. Dies würde bedeuten, dass sich die Rolle von Kindertages-einrichtungen, Jugendzentren, Beratungsstellen, Familienbildungs-stätten etc. weiter in Richtung Ratgeber bei Erziehungsunsicherheit entwickeln müssen. Sie müssen quasi die Funktion von Familienmitgliedern übernehmen. Aktive Netzwerkarbeit rückt damit stärker in den Vordergrund der Aufgaben, Jugendhilfe-planung muss sich auch intensiver um die Gestaltung potentieller Treffpunkte kümmern. Es wird darauf ankommen, in den Kommunen Angebote und Vernetzungen zu schaffen, die neben einer bedarfsgerechten Bereitstellung von Angeboten der Tagesbetreuung Orte bieten, an denen Väter, Mütter und Kinder zusammentreffen, sich austauschen und gegenseitig unterstützen – Orte somit, die partiell auch das ersetzen, was in Folge des demografischen Wandels an verwandtschaftlichen Netzwerken verloren geht.

Einige ländliche Räume werden sich tendenziell entvölkern, in einer wachsenden Zahl von Orten wird es keine Kindergärten und Schulen mehr geben. Die Wege von Kindern und Jugendlichen zu diesen Einrichtungen werden somit deutlich länger, sie sind dabei von den Fahrplänen des öffentlichen Nahverkehrs abhängig und ihre selbstbestimmte und selbst gestaltbare Tageszeit verkürzt sich darüber hinaus durch den Ganztagscharakter von Kindergärten und -schulen. Auch Kirchen, Sportvereine und andere für das Gemeinwesen wichtige Organisationen werden nicht mehr in jedem Ort zu finden, Beratungsangebote, gesundheitliche und erzieherische Hilfen vielfach nicht mehr in Wohnortnähe erreichbar sein. So wird es z.B. in der Jugendarbeit in ländlichen Räumen darum gehen, professionell ausgestattete Angebote an bestimmten Orten (z.B. den Schulstandorten) zu konzentrieren, zugleich aber auch selbstorganisierte Treffpunkte für junge Menschen in den Gemeinden zu ermöglichen und mit mobilen Angeboten zu unterstützen. Kindergärten und Grundschulen werden als gemeinsame Bildungshäuser in manchen Orten noch eher gehalten werden können als wenn sie separate Institutionen bleiben. Die Jugendhilfeplanung der Landkreise und die dort vorhandenen Kompetenzen - die es angemessen auszustatten gilt - müssen in diesem Zusammenhang stärker als bisher auch von anderen Bereichen genutzt werden, um die Planung der Schulstandorte, des Gesundheitswesens, der beruflichen Bildung, des öffentlichen Nahverkehrs wie überhaupt des öffentlichen Lebens gemeindeübergreifend zu gestalten.

Im Sinne der Generationengerechtigkeit gilt es nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass die weniger werdenden jungen Menschen nicht gegenüber den älteren bei der Gewährung von Leistungen oder der Bereitstellung von Angeboten benachteiligt werden, sondern dass auch dort, wo etwas für junge Menschen getan wird, nicht die Vorstellungen der Älteren, was gut für die Jugend zu sein habe, dominieren, ohne dass die jungen Menschen ausreichend an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden und ihre Wünsche, Bedürfnisse und Interessen angemessen zum Ausdruck bringen können.

Gefährdung von Pluralität und Lebensweltorientierung

Der Rückgang der Anzahl an potentiellen Adressaten und Adressatinnen der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe kann auch dazu führen, dass die Pluralität der Angebote deutlich zurückgeht. So ist anzunehmen, dass auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus nicht viele kleine Angebote erhalten werden, sondern sich wenige durchsetzen können. Diese Entwicklungen hin zu einer Konzentration auf wenige, große Träger wird auch durch Finanzierungskonstrukte befördert, die zunehmend durch befristete Projekt- und Förderphasen, Vorfinanzierungsleistungen und hohen Aufwand für das Akquirieren und die Abwicklung von Förderungen gekennzeichnet sind. Deshalb stellt sich gerade unter dem Vorzeichen des demografischen Wandels die Frage, ob zur Vermeidung eines Verlustes von Trägerpluralität nicht auch Prinzipien der Finanzierung von Angeboten zu überdenken sind. Ein solcher Verlust führt nämlich unausweichlich dazu, dass es kaum mehr Auswahlmöglichkeiten für die Adressaten und Adressatinnen geben wird. Das Schrumpfen der absoluten Anzahl an Kindern führt nicht zu Verringerung der Anzahl unterschiedlicher familialer Lebensformen, elterlicher Erziehungsvorstellungen oder jugendkultureller Orientierungen, insofern steht der Pluralitäts-reduktion auf der Angebotsseite eine gleichbleibende oder sogar wachsende Pluralität auf der Nachfrageseite gegenüber. Die Verwirklichung des Wunsch- und Wahlrechts ist damit noch mehr als bisher in Frage gestellt. Für den Umgang mit dieser Entwicklung braucht es fachlich akzeptable Antworten, jenseits von scheinbaren Sachzwängen und finanzpolitischen Vorgaben. Dort, wo einzelne Träger dominieren, muss dafür Sorge getragen werden, dass sie mit der nötigen Binnendifferenzierung und Sensibilität auf unterschiedliche Bedürfnisse und Wertvorstellungen der Adressatinnen und Adressaten bzw. Leistungsberechtigten der Kinder- und Jugendhilfe eingehen.

Die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe als weicher Standortfaktor im Wettbewerb der Regionen

Die in vielen Regionen Deutschlands bereits heute beobachtbaren Schrumpfungsprozesse führen zwischen den Regionen zu einer verstärkten Konkurrenz um gut ausgebildete Bevölkerungsgruppen.  Der Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt sich dabei immer mehr zu einem so genannten weichen Standortfaktor, der für die Ansiedlung von Firmen in der Region eine Rolle spielt. Dadurch ergeben sich auch neue Kontakte der Kinder- und Jugendhilfe zum Bereich der freien Wirtschaft. Im Vordergrund stehen dabei natürlich Angebote der Kindertagesbetreuung, niedrigschwellige Angebote der Unterstützung von Familien, Freizeitangebote für Jugendliche. Da aber das soziale Klima und die Stimmung vor Ort auch sehr stark von dem Umgang mit den etwas schwierigeren Problemsituationen und -gruppen geprägt sind, wirken sich auch die Angebote von Beratungsstellen, aufsuchende Formen der Jugendsozialarbeit und die Qualität der Hilfen zur Erziehung in nicht zu unterschätzendem Maße aus.

Es wäre kurzschlüssig, den Rückgang in der Alterspopulation der jungen Menschen derzeit mit Einsparungsmöglichkeiten gleichzusetzen. Die vielfältigen Veränderungen in den Rahmen-bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen erfordern in vielen Feldern eine Qualifizierung bisheriger Strukturen, um so den sich wandelnden Anforderungen an Bildung, Betreuung, Erziehung und Schutz angemessen Rechnung tragen zu können. Dabei kommt der Gestaltung lokaler Bildungslands-chaften, wie sie der 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundes-regierung vorschlägt, eine wesentliche Bedeutung zu. Ziel ist und bleibt, familienfreundliche, kinder- und jugendgerechte Lebens-bedingungen in den Gemeinden zu erhalten und im generationen-übergreifenden Dialog weiterzuentwickeln.

2    Strukturelle Anforderungen an die Personalentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe 

Fachkräftebedarf

Die demografische Entwicklung führt im Hinblick auf den Fachkräftebedarf zu zwei gegenläufigen Entwicklungen, die jeweils mit hohen Anforderungen an das interne Personalmanagement des einzelnen Trägers gekoppelt sind:

Die große Ausbauphase der Kinder- und Jugendhilfe scheint insgesamt betrachtet vorbei zu sein, die Anzahl der Beschäftigten sinkt leicht. Dem Ausbau der bislang noch weithin unzureichenden Angebote für die Unter-3-Jährigen steht der Abbau von Kindergartenplätzen wegen der sinkenden Anzahl von Kindern entgegen. Der Ausbau ambulanter Angebote in der Erziehungshilfe geht häufig mit dem Abbau stationärer Plätze, der neben der fachlichen Umsteuerung inzwischen auch durch sinkende Zahlen junger Menschen bedingt ist, einher. Mit anderen Worten, ein Nachfragerückgang wird nicht ohne spürbare Folgen für das Personal bleiben.

Die Altersstruktur in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe stellt dagegen andere Anforderungen an das Personal-management. Der Altersdurchschnitt der Fachkräfte ist teilweise schon relativ hoch und wird durch die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre noch weiter steigen. Zugleich zeichnet sich bereits ein großer Bedarf an altersbedingt zu ersetzendem Personal ab, dem relativ geburtenschwache Jahrgänge gegenüberstehen, so dass die Konkurrenz der Arbeitgeber um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus diesen Alterskohorten zunehmen wird. Was auch dazu führt, dass es nicht nur eine Konkurrenz zwischen den Trägern der Tagesbetreuung, sondern auch mit anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe sowie anderen sozialen Bereichen (z.B. Senioren-arbeit) geben wird, die sich auch im Ausbildungsbereich manifestieren wird. Auf dem Arbeitsmarkt insgesamt wird auch die Bezahlung der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe darüber entscheiden, ob sich genügend junge Menschen für dieses Tätigkeitsfeld entscheiden.

Aktuelle Daten zur Altersstruktur der Fachkräfte für den Bereich Tageseinrichtungen aus dem Jahr 2006 zeigen für die westlichen Bundesländer eine weitere Zunahme bei den Beschäftigten, die 40 Jahre und älter sind. Da sich das Arbeitsgebiet insgesamt auf Expansionskurs befand, führte dies bis vor kurzem nicht zu einem Rückgang der Anzahl der jüngeren Fachkräfte am Berufseinstieg. Im Jahr 2006 lässt sich jedoch für das jüngere Personal eine deutliche Trendwende erkennen und die Zahl der Fachkräfte ohne Berufserfahrung im Alter zwischen 20 und 25 Jahren ging deutlich zurück. In den östlichen Ländern hat sich die Altersstruktur weiter leicht zugunsten der älteren Fachkräfte verschoben. Inzwischen sind dort 71% aller Tätigen in Tageseinrichtungen 40 Jahre und älter. Immerhin jede dritte Fachkraft ist dort über 50 Jahre alt. Bei einem regulären Ausscheiden mit 65 Jahren wäre in Ostdeutschland ab 2011 mit einem nennenswerten Ersatzbedarf von Fachkräften in Tageseinrichtungen zu rechnen.

Zusätzlich zu dem steigenden Personalbedarf aufgrund des Anteils von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den nächsten Jahren in Rente gehen werden, entsteht  durch den geplanten Ausbau für unter Dreijährige ein Bedarf an bis zu 68.000 zusätzlichen Fachkräften sowie weitere 47.000 Tagespflegepersonen - vor allem in den westlichen Bundesländern (vgl. KOMDAT Jugendhilfe 1/2007).

Im Übrigen bedarf es angesichts des steigenden Bevölke-rungsanteils mit Migrationshintergrund nicht nur in vermehrtem Umfang interkultureller Kompetenzen der Fachkräfte in allen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe, vielmehr sollten auch deutlich mehr Fachkräfte mit eigenem Migrationshintergrund für die Kinder- und Jugendhilfe gewonnen werden. Die AGJ hat dazu in ihrer Stellungnahme „Qualifizierung von Fachkräften für die Kinder- und Jugendhilfe“ vom Juni 2004 Folgendes ausgeführt: „Eine Intensivierung der Aufmerksamkeit für internationale und interkulturelle Fragen ist nicht nur bezogen auf die Qualifi-zierungsinhalte, sondern auch bezogen auf die sozialen, kulturellen und ethnischen Hintergründe von Lehrenden und Absolventen und Absolventinnen angebracht. Hierüber böte sich die Chance, die derzeit oft ungenutzten Potenziale von Fachkräften mit Migrationshintergrund – Bilingualität und Bikulturalität – fachlich stärker zu betonen.“

Personalentwicklung

Die Kinder- und Jugendhilfe muss sich, wie die Arbeitswelt insgesamt, auf die Auswirkungen des steigenden Anteils älterer und die sinkende Zahl jüngerer Erwerbspersonen, die direkt aus dem Bildungssystem nachrücken, schon heute einstellen. Die Fragen für die Personalentwicklung lauten also: 

  • Wie gelingt es, die Fachlichkeit des Personals und damit auch des Angebots bei erwartbaren Schwankungen in der Nachfrage und dem anstehenden Generationswechsel abzusichern?
  • Wie gelingt es, alternsgerechte (Der Begriff „alterns-gerechte“ Arbeitsgestaltung bezieht sich auf die gesamte Erwerbsbiographie, während „altersgerechte“ Arbeitsge-staltung auf spezielle Maßnahmen für eine Altersgruppe, insb. für die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abhebt.) Personalkonzepte für die verschiedenen Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln, unter denen eine Erwerbstätigkeit bis ins höhere Alter realisiert werden kann?
  • Wie gelingt es, Menschen mit Migrationshintergrund stärker für das Berufsfeld Kinder- und Jugendhilfe zu gewinnen und zu qualifizieren?

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat in den vergangenen Jahren Studien zum demografischen Wandel in der Arbeitswelt im Rahmen des Transferprojekts „Öffentlichkeits- und Marketingstrategie demographischer Wandel“ gefördert. Sie gehen davon aus, dass weder kurz- noch mittelfristig eine Arbeits-kräfteknappheit auf breiter Front zu erwarten sein wird. Sehr wohl zunehmen können und werden aber qualifikatorische und regionale Diskrepanzen, außerdem wird das Durchschnittsalter der Belegschaften steigen. Während vom BMBF für den Bereich der freien Wirtschaft zahlreiche Studien zu diesem Thema vorliegen, ist dies für den sozialen Bereich und den öffentlichen Dienst nur vereinzelt der Fall. Dennoch können auch für die Kinder- und Jugendhilfe wertvolle Anregungen aus diesen Materialien gewonnen werden.

Fachlichkeit und Innovationsfähigkeit sichern

Die o.g. kollektive Alterung der Belegschaften in der Kinder- und Jugendhilfe ist zum Einen auf nachlassende Fluktuation zurückführen - wer einen festen Arbeitsplatz hat, überlegt sich in unsicheren Zeiten das Risiko eines Arbeitswechsels sehr genau -, zum Anderen auf das Ende des Expansionskurses und damit das Fehlen neuer Stellen in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, sieht man einmal vom Ausbau der Ganztages-angebote und der Angebote für die unter Dreijährigen ab. Der neue TVöD erschwert den Wechsel erfahrener Fachkräfte darüber hinaus auf seine Weise und stellt insgesamt immer weniger eine leistungsgerechte tarifliche Absicherung dar.

Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterliegen zwar einem tendenziellen Abbau körperlicher Leistungskapazitäten, verfügen aber über einen reichen Schatz geistig-sozialer Kompetenzen. Leistungsvoraussetzungen wie Gedächtnis, Kreativität, Problem-lösungskompetenz, Intelligenz, soziale Kompetenz und Stress-bewältigungsfähigkeit sind in hohem Maße von den Anregungs-bedingungen abhängig, denen ein Individuum im Laufe seines Berufslebens ausgesetzt ist. Sie können durch gezielte Förderung erhalten bzw. sogar ausgebaut werden.

Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens wird zwar sowohl von Arbeitgebern als auch Beschäftigten gleichermaßen betont, tatsächlich nehmen nach Angaben des BMBF jedoch ältere Arbeitnehmer ab 50 Jahren deutlich weniger an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teil. Dies liegt sowohl an betrieblichen Rentabilitätskalkülen hinsichtlich der Amortisation einer Weiterbil-dungsinvestition, aber auch an der geringen Attraktivität von Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte in Hinblick auf deren Verwertbarkeit für die eigene berufliche Laufbahn. Arbeitgeber müssen also lebenslanges Lernen durch Angebote und Anreize fördern, Fort- und Weiterbildungsträger für ältere erfahrene Fachkräfte angemessene und attraktive Angebote entwickeln, Beschäftigte müssen ein eigenes Interesse daran haben, sich weiter zu qualifizieren. Regelmäßige Mitarbeitergespräche sind hier ebenso von Bedeutung wie das Erfordernis, dass die jeweilige Einrichtung, der Träger oder das Jugendamt sich als lernende Organisation verstehen. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Tätigkeit in der Einrichtung, dem Träger oder dem Jugendamt gelegentlich wechseln, zumindest aber neben ihrer gewohnten Aufgabe immer wieder durch neue Projekte, Übernahme von zeitlich befristeten Funktionen oder Mitwirkung in Arbeitsgruppen herausgefordert werden bzw. die Chance erhalten, Neues erproben zu können.

Was die Innovationsfähigkeit betrifft, so verdanken einige der traditionellen Industriezweige in Deutschland, wie z.B. der Maschinenbau, ihren internationalen Erfolg nicht zuletzt auch ihrem erfahrungsbasierten „Innovationsmilieu“, das auf Kooperation und Austausch zwischen den älteren, erfahreneren und den jüngeren, mit frischem Fachwissen ausgestatteten Entwicklern setzt. Das Prinzip der Altersmischung sollte also in möglichst vielen Arbeitsbereichen bzw. Teams oder Arbeitsgruppen eines Trägers realisiert werden.

Bedenkt man, wie im Alltag junger Menschen Freunde, Eltern und Großeltern ganz verschiedene Rollen spielen, sich mancher pubertierende Jugendliche mehr von seinen Großeltern als von seinen Eltern verstanden fühlt und zahlreiche Senioren als ehrenamtliche Paten oder Mentoren jungen Menschen erfolgreich zur Seite stehen, so macht dies deutlich, dass Erziehung und Bildung ebenso wie Jugendarbeit keineswegs nur durch Fachkräfte jüngeren und mittleren Alters am besten gelingen, vielmehr auch ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine wichtige und ganz spezifische Rolle für jüngere Menschen spielen können.

Kompetenzen zum generationenübergreifenden Denken und Handeln sollten bereits auch in der breit anzulegenden Grundausbildung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe vermittelt werden. Aus- und Fortbildung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe muss im Übrigen selbstverständlich auch die Kompetenzen vermitteln, mit den in Abschnitt 1 dieses Papiers beschriebenen Herausforderungen professionell umgehen und darauf bezogene zukunftsweisende Planungen, Konzepte und praktische Handlungsansätze entwickeln zu können.

Burn-out vorbeugen – Leistungsfähigkeit erhalten

Zweifellos steigen gerade auch in der Kinder- und Jugendhilfe die psychischen und mentalen Belastungen und Beanspruchungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit fortschreitenden Jahren zu Burn-out führen können. So werden die Problemlagen und Belastungen, die zu einer stationären erzieherischen Hilfe führen immer komplexer, die Verweildauer in stationären Einrichtungen geht zurück und der Stresspegel in den stationären Gruppen steigt durch die dadurch bedingte höhere Fluktuation zusätzlich an. Der Lärm einer quirligen Kindergartengruppe, die individuellen Ansprüche jedes (Einzel)-Kindes auf besondere Zuwendung und die Notwendigkeit, Bildungsfortschritte jedes Kindes sorgfältig zu dokumentieren, stellen erhebliche Ansprüche an die Erzieherinnen und Erzieher. Fachkräfte der Jugendarbeit müssen sich mit sehr pluralen Interessen, wechselnden Bedürfnissen und Zielgruppen auseinandersetzen, aber auch die berufliche Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, mit denen sie es in der offenen Jugendarbeit und der Jugendberufshilfe zu tun haben, ist nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Fachkräfte sehr belastend. Schulsozialarbeiter/-innen werden an Schulen gerufen, an denen die Lehrer nicht mehr weiter wissen. Mitarbeiter/-innen der Jugendämter sehen sich mit steigenden Fallzahlen und dem ständigen Risiko konfrontiert, dass ein Kind in ihrem Verantwortungsbereich schwer misshandelt wird oder gar zu Tode kommt.

Maßnahmen einer alternsgerechten Arbeitsgestaltung, zur Vermeidung von Burn-out-Syndromen und der betrieblichen Gesundheitsförderung sollten schon zu Beginn der Berufslaufbahn einsetzen. Hierzu zählen neben sportlichen Angeboten, Entspan-nungstrainings, gesundheitsfördernden Tätigkeitswechseln und einem gesundheitsbewussten Kantinenessen auch kulturelle und musische Aktivitäten, die Geist und Körper fit halten und für den notwendigen Ausgleich sorgen.

Mag es auch auf den ersten Blick seltsam erscheinen, so kann doch auch die Kinder- und Jugendhilfe von den Anregungen profitieren, die die Forschungsgesellschaft für Gerontologie (FFG) im Hinblick auf  Lebensarbeitszeitmodelle in der Altenpflege entwickelt hat, die einen längeren Verbleib im Beruf erlauben und eine verbesserte Integration von Arbeit, Qualifikation und Freizeit ermöglichen. Die dort beschriebenen absehbaren Heraus-forderungen an professionelle außerfamiliäre Pflegedienstleister – mehr hochbetagte, multimorbide und demente Pflegebedürftige müssen mit im Durchschnitt älteren Belegschaften betreut werden – stellen für ältere Fachkräfte ähnliche Belastungen dar, wie sie oben für die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe beschrieben wurden.

Das daraufhin bezogene Konzept einer Lebensarbeits-zeitgestaltung steht für die innovative Idee einer zukunfts-orientierten Arbeitszeitgestaltung, die konzeptionell die Zeitspanne vom Eintritt in den Beruf bis zum Berufsaustritt umfasst. In diesem Konzept soll mittels flexibilisierter Verteilungsmuster von Arbeitszeit wie Wahlarbeitszeiten, bedürfnisorientierte Teilzeitarbeit, Arbeits-zeitkonten, Ansparmodelle, Sabbaticals etc. eine Ausrichtung an den individuell unterschiedlichen Zeitbe-dürfnissen und -präferenzen der Beschäftigten, die je nach Lebensphase und Lebenslage variieren mögen, erreicht werden. Dabei orientiert sich die Lebensarbeitszeitgestaltung weniger an einem standardisierten Lebensverlauf mit aufeinanderfolgenden  Bildungs-, Erwerbs-tätigkeits- und Ruhestandsphasen, sondern an einer bestmöglichen Integration von Bildung, Erwerbstätigkeit sowie Erholungsphasen in einer Zeit.

Insgesamt sollen durch eine vorausschauende Planung von Weiterbildungszeiten oder durch die Aussicht – je nach Lebensphase – über mehr Zeit für Regeneration, für familiäre Anforderungen, ehrenamtliche Ambitionen oder allgemein Privates im Vergleich zur Arbeitszeit verfügen zu können, unterschiedlichste Wege zur Neuorganisation der Lebensarbeitszeit beschritten werden. So kann die Lebensarbeitszeitgestaltung für den Erhalt der beruflichen Leistungsfähigkeit und die Motivation der Beschäftigten bis ins Alter förderlich sein und die positiven Effekte der Arbeit - Anerkennung, Bewusstsein, etwas zu leisten und gebraucht zu werden, soziale Kontakte zu Kunden bzw. in der Kinder- und Jugendhilfe zu Kindern und Jugendlichen - können dazu beitragen, Arbeitskräfte jung und fit zu halten, wenn der nötige Ausgleich zu den unvermeidlichen Belastungen in einem bedürfnisgerechten Verhältnis steht.

Vielfalt fördern

Die Zusammensetzung der Belegschaften bei den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe wird in Zukunft noch vielfältiger und pluraler sein als dies heute schon der Fall ist. Der durch den demografischen Wandel bedingte Fachkräftebedarf wird den Anteil berufstätiger Frauen weiter steigen lassen, sich wandelnde Geschlechterrollen werden zu mehr Männern auch in den derzeitigen Frauendomänen der Kinder- und Jugendhilfe wie z.B. der Tagesbetreuung führen, Frauen werden wiederum – gerade auch aufgrund ihrer besseren Bildungsabschlüsse – deutlich mehr Führungspositionen einnehmen als dies heute noch der Fall ist, die Altersspanne in den Betrieben wird größer werden und der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund wachsen. Job Sharing und flexible Arbeitszeitmodelle wie die oben beschriebene Lebensarbeitszeitgestaltung werden das Personalmanagement vor neue Herausforderungen stellen. Telearbeit und E-Learning werden neben der Präsenz im Büro oder im Seminarraum der Hochschule bzw. des Fortbildungszentrums normal werden.

Für die Träger der Kinder- und Jugendhilfe wird somit Diversity Management immer mehr an Bedeutung gewinnen – nicht nur im Hinblick auf ihre Belegschaften, sondern ebenso auf ihre Zielgruppen. Sie sollten sich beizeiten darauf einstellen. Aus- und Fortbildungsträger sowie Beratungsinstitutionen wie Landes-jugendämter und freie Institute sollten mit gutem Beispiel vorangehen bzw. ihren Beitrag dazu leisten, good practice herauszufinden und zu transferieren.

3    Zusammenfassung

Im Kern lassen sich drei zentrale Anforderung an die Personalentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung benennen:

  • Systematische Personalentwicklung hat angesichts der demografischen Entwicklung an Bedeutung gewonnen und ist zu einer zentralen Managementaufgabe geworden. Sowohl auf der Führungsebene bei Einrichtungen und Trägern der Kinder- und Jugendhilfe als auch im Rahmen der Steuerung und Jugendhilfeplanung ist eine systematische Personalentwicklung zu verankern. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen der Weiterqualifizierung des Personals, die Vorbeugung eines Burn-out-Syndroms, die Vermeidung einseitiger Belastungen, altersgerechte Arbeitsorganisation, die Herstellung einer breiten Altersmischung in Teams.
  • Die Ausbildungsgänge, die für Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe qualifizieren, sind für junge Menschen mit Migrationshintergrund attraktiver zu gestalten.
  • Stellenausschreibungen sind so abzufassen, dass sich Fachkräfte mit Migrationshintergrund in besonderer Weise positiv angesprochen fühlen.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 9./10. April 2008