Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) – Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Diskussionspapier als PDF


Europäischer Qualifikationsrahmen (EQR)

Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) ist ein prioritäres Vorhaben der bildungspolitischen Zusammenarbeit auf EU-Ebene, das sowohl in der Lissabon-Strategie als auch im Kopenhagen-Prozess zur beruflichen Bildung verankert ist und an den Bologna-Prozess anknüpft.[1] Ziel des EQR ist die Verständigung auf einen allgemeinen bildungsbereichsübergreifenden Referenzrahmen auf europäischer Ebene. Dieser soll es ermöglichen, Qualifikationen aus verschiedenen Mitgliedstaaten in Bezug zueinander zu setzen und so die Transparenz, Vergleichbarkeit und Übertragung von Qualifikationen erleichtern. 

Der Europäische Qualifikationsrahmen – 2008 vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen – dient als Referenzrahmen für die europaweite Vergleichbarkeit von Qualifikationen. Das Ziel des EQR ist, die Mobilität von Beschäftigten und Lernenden zwischen den verschiedenen Ländern und den verschiedenen Bildungssystemen zu fördern und ihr lebenslanges Lernen zu erleichtern. Der Rahmen empfiehlt, nationale Qualifikationssysteme bis 2010 auf den EQR zu beziehen und zu gewährleisten, dass sich alle neuen Qualifikationen, die ab 2012 erteilt werden, auf das entsprechende EQR-Niveau beziehen. 

Das Kernstück des EQR sind acht Referenzniveaus, die beschreiben, welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen die Beschäftigten/Lernenden haben, unabhängig davon, wo diese Qualifikationen erworben wurden. Der EQR gilt für alle Arten von Qualifikationen, von der schulischen über die akademische bis zur beruflichen Bildung. Er bedeutet eine Abkehr vom Lerninput (Dauer eines Lernprozesses, Art der Einrichtung) und eine Verschiebung des Schwerpunktes auf die Lernergebnisse. Zudem soll der EQR durch die Validierung auch von nicht formalem und informellen Lernen das lebenslange Lernen fördern. 

Die meisten EU-Mitgliedstaaten entwickeln derzeit ihre eigenen Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) mit Bezug zum EQR und streben wie Deutschland einen achtstufigen Rahmen an, so Belgien (Flandern und Wallonien), Estland, Lettland, Kroatien, Litauen, Malta, Slowakei, Tschechien, Slowenien, Türkei, England, Wales, oder haben sich darauf schon festgelegt. Einige Länder sehen ein System vor, in dem für die berufliche Bildung fünf Stufen vorgesehen sind, die mit den drei Stufen der Hochschulen verbunden werden (Spanien, Rumänien). Irland hat ein zehnstufiges System vorgelegt, Schottland hat sich ein zwölfstufiges Modell gegeben. Frankreich will sein bestehendes fünfstufiges Modell an den achtstufigen Europäischen Qualifikationsrahmen anpassen.

Bei der Implementierung der jeweiligen nationalen Qualifikationsrahmen setzen einige Länder auf Verordnungen, Gesetze oder freiwillige Implementierungen; einige haben nationale Qualifizierungsagenturen oder Koordinierungsstellen eingerichtet. Weitere Staaten (Bulgarien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Ungarn, Kanada, Australien, Montenegro, Mazedonien, Serbien, Schweden, Zypern, Kosovo) arbeiten mit unterschiedlicher Intensität an nationalen Qualifikationsrahmen. 

Das vorliegende Papier bezieht sich auf den aktuell vorliegenden „Diskussionsvorschlag eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR)“.

Entwurf des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR)

Im Juni 2007 wurde im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin der Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (AK DQR) konstituiert. Ihm gehören rund 30 Mitglieder aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften, Freie Wohlfahrtspflege, Vertretungen von Bundesländern sowie des Bundesinstituts für Berufsbildung an. Den Vorsitz des AK DQR, der in Absprache mit der Bund-Länder-Koordinierungsgruppe Deutscher Qualifikationsrahmen arbeitet, haben das BMBF und die KMK, Letztere vertreten durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen.

Im Februar 2009 hat der AK DQR einen „Diskussionsvorschlag eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ vorgelegt. Seine Elemente werden seit Mai 2009 branchenbezogen validiert. Von 2010 an soll das deutsche Bildungssystem über den DQR mit dem EQR verknüpft werden und bis 2012 alle neuen Qualifikationsnachweise – vermittelt über den DQR – mit einem Verweis auf das zutreffende Niveau des Europäischen Qualifikationsrahmens versehen werden.

Mit dem DQR soll erstmals ein umfassendes, bildungsbereichsübergreifendes Profil aller in Deutschland erworbenen Kompetenzen vorgelegt werden. Als nationale Umsetzung des „Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ soll er die Besonderheiten des deutschen Bildungs-systems berücksichtigen und zur angemessenen Bewertung und Vergleichbarkeit deutscher Qualifikationen in Europa beitragen. 

Ein Ziel des DQR war es, als Teil eines Systems lebenslangen Lernens, Kompetenzen in Form modularisierter (Teil)qualifikationen an die Stelle von Berufsabschlüssen treten zu lassen, die durch Fort- und Weiterbildung „aufgestockt“ werden können. Entsprechend beinhaltet der DQR-Entwurf acht, in einer einheitlichen Struktur beschriebene Referenzniveaus, die jeweils die Kompetenzen, die für die Erlangung einer Qualifikation erforderlich sind, festlegen. Eine mögliche Zuordnung von Bildungsabschlüssen zu den Niveaus sieht vor: 

 

  • Stufe 1: Hauptschul- bzw. ab Förderschulabgangszeugnis
  • Stufe 2: Hauptschulabgangszeugnis mit Erfahrung im Berufsfeld und Ausbildungsreife
  • Stufe 3: zweijährige Berufsausbildung, Fachabschluss, Realschulabschluss
  • Stufe 4: dreijährige Berufausbildung, qualifizierter Fachabschluss, Abitur 
  • Stufe 5: dreijährige Berufausbildung mit Erfahrung im Berufsfeld, Abschluss Fachakademie
  • Stufe 6: Meister/Techniker/Bachelor
  • Stufe 7: Betriebswirt/Master
  • Stufe 8: Promotion.

Bezogen auf die Dreiteilung in Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen hat es spezifische nationale Ergänzungen gegeben. Kenntnisse werden beschrieben als die Differenzierung von Wissenstiefe – graduiert durch Faktenwissen (Wissen was), Regelwissen (Wissen wie), Begründungswissen (Wissen warum) und Theoriewissen (umfassendes Begründungswissen) sowie Wissensbreite – graduiert durch Grundlagenwissen, integriertes Wissen, Grenzwissen eines Lern- oder Arbeitsbereiches. In Bezug auf Fertigkeiten wird unterschieden zwischen instrumentellen Fertigkeiten  – graduiert durch Erschließung, Auswahl und Anwendung von Wissen und Verfahren, systemischen Fertigkeiten  – graduiert durch Interpretation und Gestaltung von Wissen und Verfahren sowie Bewertung – graduiert durch die Bewertung von Verfahren und Verfahrensergebnissen als Reflexion. Kompetenzen sind die Fähigkeiten und die Bereitschaft, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und persönliche Entwicklung zu nutzen. Kompetenz ist in diesem Sinne in erster Linie Handlungskompetenz.. 

Im Gegensatz zu dem EQR hat sich der Arbeitskreis DQR für ein 4-säuliges System entschieden. Die Begründung für die Bestimmung und starke Gewichtung von Handlungskompetenz zielt dabei auf eine Schwächung der nach Ansicht des Arbeitskreises technokratisch-funktionalen Kompetenz-bestimmung des europäischen 3-säuligen Systems – eine Entscheidung, die nicht unumstritten ist und u. a. von der HRK und der KMK kritisiert wird. Die Unterscheidung von Selbstkompetenz und Sozialkompetenz gilt bei den Kritikern bislang als nicht überzeugend gelungen und die Fachkompetenzen Wissen und Fertigkeiten sind nur bedingt mit Knowledge und Skills des EQR vereinbar. 

Die Anfang des kommenden Jahres abgeschlossene Validierungsphase umfasst zur Zeit exemplarisch vier Berufs- und Tätigkeitsfelder: Metall- und Elektroberufe, Handel, das Gesundheitswesen und den IT-Bereich. Bei der weiteren Ausgestaltung des DQR ist vorgesehen, zunächst alle formalen Qualifikationen des deutschen Bildungssystems in den Bereichen Schule, berufliche Bildung, Hochschulbildung und Weiterbildung einzubeziehen. Neben den hierfür vorzunehmenden hierarchischen Zuordnungen entsprechender Kompetenzen zu den Niveaustufen wird in Deutschland derzeit unter der Leitidee „employability“ (Beschäftigungs-/Berufsfähigkeit) ein Abgleich von Abschlüssen und Niveaustufen angestrebt. 

Mit der Verwendung ausschließlich formaler Qualifikationsprofile als Maßstab für die Zuordnung zu den Stufen des DQR wird eine Orientierung an Kompetenzen erst bei der Neuordnung von Berufen anwendbar. Damit zieht sich der Gesamtprozess der Implementierung des DQR über viele Jahre hin, und es finden entgegen der angestrebten Lernweg- und Lernort-unabhängigkeit von Kompetenzbestimmung erst einmal auch prozessorientierte Kompetenzen und Input-Kriterien Eingang. Nicht festgelegt ist bislang außerdem, inwieweit ein Individualiserungsmodell (Einzelfall-entscheidungen) oder ein Typisierungsmodell angewandt werden soll.


European Credit System for Vocational Education and Training (ECVET) und European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS)

Zur aufgezeichneten Entwicklung im DQR tritt mit der von der EU in Ergänzung zum Lissabon-Prozess beschlossenen Einführung von ECVET (European Credit System for Vocational Education and Training) eine weitere hinzu. ECVET ist ein Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (Ausbildung und berufliche Erfahrung). Es beabsichtigt, Transparenz, Vergleichbarkeit, Transferierbarkeit und wechselseitige Anerkennung von beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen auf verschiedenen Niveaus zu fördern.[2]

Auch beim ECVET sollen Qualifikationen nicht durch den für ihren Erwerb notwendigen Aufwand, sondern durch die erzielten Lernergebnisse und Kompetenzen beschrieben werden. In die Definition der ECVET-Niveaus können unterschiedliche Bewertungskriterien einfließen wie Dauer, Art, Ziele und/oder Ergebnisse der Bildungsmaßnahme, erforderliche Kompetenzen, um bestimmte Tätigkeiten ausüben zu können, Position einer Qualifikation in der Berufshierarchie und die Einordnung bestehender Niveaus aufgrund von Entsprechungsnachweisen.

Das Europäische Leistungspunktesystem ECVET wurde vom Europäischen Parlament im Dezember 2008 in erster Lesung beschlossen. Es soll ab 2012 „schrittweise“ angewandt werden. Auch wenn die Bundesrepublik sich für die Übernahme von ECVET entschieden hat, bleibt Vieles ungeklärt, zum Beispiel wie ein tarifierbares System entstehen soll und wer Lerneinheiten und Punkte anerkennen soll.

Besondere Bedeutung hat die Frage, ob ECVET sektorbezogen eingeführt werden soll. Ein sektorbezogenes System müsste sich an Lernergebnis-einheiten als das kleinste abprüfbare Bündel von Lerneinheiten orientieren und selbst geeignete Referenzpunktsysteme beschreiben. Eine Justiziabilität wird nicht angestrebt, Voraussetzung für den sektoralen Ansatz ist vielmehr eine vertrauensvolle Kooperation. Einzelne Domänen werden eigene Methoden und zertifizierbare Instrumente für die Erfassung und Einordnung von Kompetenzen entwickeln müssen (in Form von Leittexten, Aufgabenbeschreibungen etc.). Sektorgruppen könnten aber auch in europäischer Abstimmung in Aushandlungsverfahren weitergehen (möglicher-weise bis hin zu Referenzrahmen für einzelne Berufe).

Zu klären bleibt, ob hierbei übergeordnete Agenturen, die sich unter anderem mit sektoraler Akkreditierung, Validierung und Akkumulierung beschäftigen und deren Arbeit 2012 abgeschlossen werden soll, in die Arbeit einbezogen werden können.[3]

Für den europäischen Hochschulrahmen gilt das European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS). Studierende können international und national erworbene Leistungspunkte an- und verrechnen lassen. Es wird darauf ankommen, ECVET und ECTS, deren Zielsetzungen im Wesentlichen identisch sind, kompatibel zu gestalten, damit die politisch geforderte Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungssektoren befördert wird. Ungelöst ist in diesem Kontext nicht nur die Frage der Anerkennung einzelner Leistungen, sondern auch und insbesondere die Problematik von Zugangsberechtigungen für andere beziehungsweise für andere weiterfüh-rende Bildungsgänge. Dies bezieht sich insbesondere auf die Zulassung zum Hochschulstudium ohne Hochschulzugangsberechtigung.


Anforderungen an die Implementierung eines DQR 

Der DQR wird das (Aus-)bildungssystem, Berufsbilder und Standards beruflicher Qualifikationen grundlegend beeinflussen und die Institutionsorientierung des traditionell versäulten deutschen Bildungswesens durchbrechen. Der bildungsbereichsübergreifende DQR kann ein wichtiges Instrument für eine höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems und der Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung werden. Grundsätzlich sollen alle Kompetenzniveaus des DQR auf schulischen, betrieblichen, hochschulischen und beruflichen Bildungs- und Karrierewegen erreichbar sein und prinzipiell keine Niveaus für bestimmte Qualifikationen reserviert werden. Er soll helfen, Inhalte der Ausbildungen lernergebnisorientiert zu formulieren, Ausbildungen (inhaltlich und zeitlich) flexibler zu gestalten, Lernergebnisse durch Qualitätssicherungsverfahren abzusichern und unabhängig von Bildungsweg(en) und Abschlüssen zu akzeptieren, Niveauunterschiede bei dualer Ausbildung und Aufstiegs-fortbildungen zu akzeptieren, Anschlussfähigkeit sicherzustellen und zertifizierbare Instrumente für die Erfassung und Bewertung von Kompetenzen zu entwickeln. Dieser Prozess ist zu unterstützen.

Die zehnmonatige Validierungsphase ist aber zu kurz. Eine ein- bis zweijährige Periode mit umfangreicher wissenschaftlicher Begleitforschung, insbesondere über die Gestaltung der Übergänge zwischen den einzelnen Bildungssystemen scheint erforderlich. Ohne ausreichende Plausibilität der Kriterien besteht die Gefahr einer Dequalifizierung. Nach der Erarbeitungs- und Validierungsphase und muss sich ein breites (wissenschaftliches und politisches) Konsultationsverfahren anschließen, um breite Akzeptanz in der Gesellschaft und eine europäische Kompatibilität zu erreichen. Die Debatte um Standards und Kompetenzen im Zusammenhang mit dem DQR sollte zu einer Qualitätsdebatte im Bildungssystem und zu einer Systematisierung von Ansätzen beitragen.

Aus Sicht der AGJ hätten die Ergebnisse non-formalen und informellen Lernens bei der Ausgestaltung des DQR von vornherein und im Sinne des EQR berücksichtigt werden müssen. Dies muss zwingend nachgeholt werden. Die im DQR veranlagte gestiegene Wertigkeit von Personal- und Selbstkompetenz ist zu begrüßen.

Im Rahmen der Zuordnung formaler Qualifikationsprofile sollten aus Sicht der AGJ nicht nur – wie derzeit vorgeschlagen – sämtliche Qualifikationen vom allgemeinen und beruflichen Pflichtschulabschluss bis zur akademischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung enthalten sein, sondern auch die Anerkennung von Kompetenzen formal geringer Qualifizierter ermöglicht werden: ein Förderschulabschluss, eine Hauptschulabsolvierung (ohne Abschluss), ein gelenktes Praktikum wie andere berufsvorbereitende Maßnahmen, ein Berufsgrundschuljahr und ähnliche Qualifikationen müssen in den DQR integrierbar sein. 

Wünschenswert wären Modellprojekte im Bereich internationaler Vergleiche, sowie die Errichtung eines Beratungsgremiums zum EQR auf europäischer Ebene, das sich aus nationalen Interessenvertretern zusammensetzt, die übergeordnete europäische Standards einbringen und vertreten sollte. 

Die Einstufung beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen im DQR bildet zurzeit lediglich ein Transparenz-/Übersetzungssystem und kein diagnostisches Instrument. Die Einstufung auf einem bestimmten Niveau begründet keine Ansprüche (obwohl andere Staaten hier teilweise anders verfahren), wird aber gleichwohl möglicherweise Auswirkungen auf Tarif- und Eingruppierungsfragen haben und ein wichtiges Instrument im Diskurs der Bildungssysteme werden. Die Frage, ob der DQR längerfristig nur die Transparenz fördern oder regulierend sein wird, lässt sich heute nicht mit Bestimmtheit sagen. 

Das Verhältnis von DQR und ECVET muss im Diskurs deutlich werden. Das vorgesehene DECVET (Deutsches Leistungspunktesystem der beruflichen Bildung) muss beruflich-fachlich outcome-orientiert sein, und weniger abhängig vom Input, der Dauer der Ausbildung und den Zeugnissen werden. Ein Weg könnte sein, Anerkennungsverfahren in „trialen“ Ausbildungen (Betrieb, Schule, Hochschule kombiniert) festzulegen. Jedenfalls ist es wichtig, die Hochschulen in die Validierungsphase einzubeziehen.

Die berufliche Bildung und Erfahrung sollte nicht niedriger als die hochschulische Bildung bewertet werden; der Beschluss der KMK vom März 2009 zum Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber weist dazu die Richtung auf. Bedeutung wird der DQR aber nur erlangen, wenn die outcome-Orientierung durchgängiges Prinzip wird. Die damit einhergehende Konsequenz einer tendenziellen Aufgabe der Dominanz des dualen Systems / Berufsprinzips in Deutschland  darf aber nicht zu Dequalifizierung und/oder tariflicher Abstufung führen. 


Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe ist in mehrfacher Hinsicht von der Einführung des DQR betroffen. In Hinblick auf das Personal der Kinder- und Jugendhilfe ist darauf zu achten, dass die Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Ausbildungswege der Fachkräfte eine angemessene Eingruppierung in die jeweiligen Stufen des DQR findet, ohne dass damit tarifliche Schlechterstellungen einhergehen oder die Erreichbarkeit höherer Qualifikationsniveaus erschwert wird. Auch ist noch gar nicht abzusehen, in welcher Form innerhalb von Weiterbildungsangeboten erworbene Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen überprüft, zertifiziert und anerkannt werden sollen.

Bezogen auf die Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe ist zur Zeit nicht deutlich absehbar, wie das Übergangssystem Schule-Beruf und damit die Kompetenzvermittlung in der Jugendberufshilfe in den DQR integriert wird. Auch die Ergebnisse von non-formalen Bildungsprozessen beispielsweise in der Kinder- und Jugendarbeit oder in der Jugendverbandsarbeit bleiben solange unberücksichtigt, wie insgesamt non-formale und informelle Bildungsprozesse im Gegensatz zu den Intentionen des EQR im DQR ausgeblendet werden. Letzteres verweist schließlich darauf, dass die bildungspolitischen Debatten in der Kinder- und Jugendhilfe der letzten Jahre in dem aktuellen Entwicklungsstand eines DQR keine angemessene Entsprechung finden. Von der Bezugnahme auf einen erweiterten Bildungsbegriff ist der DQR noch weit entfernt. Allerdings würde eine Anerkennung und Überprüfung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen in nicht-formalen und informellen Bildungsprozessen deren Formalisierung unter Umständen auch begünstigen. Aber selbst wenn die Integration eines erweiterten Bildungsbegriffes in den DQR gelänge, ist noch völlig offen, wie entsprechende Kompetenzfeststellungsverfahren entwickelt werden können und vor allem, wer für diese Verfahren verantwortlich ist.  Das aber heißt insgesamt, die Kinder- und Jugendhilfe ist gefordert, sich sowohl im Interesse der Fachkräfte und der Handlungsfelder als auch im Kontext ihrer Selbstbeschreibung als Bildungsinstitution aktiv in den Prozess der Institutionalisierung des DQR einzubringen, um die Chancen stärker an Inklusion und Integration orientierter Bildungswege wahrnehmen zu können.   


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 02./03. Dezember 2009


Weitere Informationen:

  • Bundesinstitut für Berufbildung (BIBB) (2009): Auf dem Weg zu einem Nationalen Qualifikationsrahmen. Übrlegungen aus der Perspektive der Berufbildung. Von Dr. Georg Hanf und Dr. Volker Rein. (www.bibb.de/de/25722)
  • Europäische Kommission (2008): Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR). Luxemburg 
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2009): Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) – Positionen, Reflexionen und Optionen. Gutachten von Dehnbostel, Peter/Neß, Harry/Overwien, Bernd im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung. Frankfurt
  • Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (2007): Stellungnahme des 103. HRK-Senats vom 13.2.2007 zum Europäischen Qualifikationsrahmen und zur bevorstehenden Erarbeitung eines nationalen Qualifikationsrahmens. Bonn
  • www.bundestag.de/cgibin/druck.pl
  • www.deutscherqualifikationsrahmen.de

[1] Lissabon-Strategie: Im Jahr 2000 initiierte der Europäische Rat in Lissabon eine auf ein Jahrzehnt angelegte Strategie zur wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung der Europäischen Union; im Jahr 2005 wurde die Strategie in Teilen revidiert. Der Bildung kommt bei der Realisierung der Ziele zur Sicherung von Wettbewerb und Qualität eine führende Rolle zu. Dabei stehen die Erhöhung der Qualität und Wirksamkeit der Bildungssysteme und die Verbesserung des Zugangs zur allgemeinen und beruflichen Bildung unter dem Leitprinzip des Lebenslangen Lernens im Vordergrund. 
Kopenhagen-Prozess: Die Bildungsministerinnen und Bildungsminister der EU, der EEA*- und EFTA**-Staaten sowie die europäischen Sozialpartner definierten mit der 2002 verabschiedeten Kopenhagener Erklärung konkrete Themenfelder und Umsetzungsschritte für eine verbesserte europäische Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung. Zu den Themenfeldern zählen 

  • die Stärkung der europäischen Dimension der beruflichen Bildung, 
  • die Verbesserung der Transparenz in Bezug auf nationale Systeme einerseits und berufsqualifizierende Abschlüsse auf der anderen Seite, 
  • die Erarbeitung gemeinsamer Instrumente zur Qualitätssicherung in der Berufsbildung, 
  • die Entwicklung von Grundsätzen zur Validierung von informell und non-formal erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen sowie 
  • eine verstärkte internationale Zusammenarbeit in einzelnen Wirtschaftssektoren.
  • European Economic Area: Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum verbindet die EFTA-Länder, die Europäische Gemeinschaft und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

**European Free Trade Association: Mitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation sind Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. 
Bologna-Prozess: Der 1999 gestartete Bologna-Prozess hat das Ziel, bis zum Jahr 2010 einen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Dazu gehört ein gestuftes Studiensystems aus Bachelor und Master mit europaweit vergleichbaren Abschlüssen, die Einführung und Verbesserung der Qualitätssicherung sowie die Steigerung der Mobilität im Hochschulbereich.

[2] ECVET ist Teil eines Konzeptes im Bereich der beruflichen Bildung, das außerdem den EQR, das Europäische Netzwerk zur Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung (ENQA-VET) und den EUROPASS als Transparenzinstrument für Qualifikationsnachweise umfasst.

[3] Education, Audiovisual & Culture Executive Agencies (EACEA)