Freiwilligendienste für junge Menschen ausbauen und weiterentwickeln

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe

Stellungnahme als PDF


Im Januar 2004 stieß der Bericht der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingesetzten Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ auf das große Interesse der Öffentlichkeit. Der Bericht entwickelt mögliche Alternativen für den Zivildienst und zeigt Perspektiven für Freiwilligendienste auf. Konkrete Angaben zum Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) macht der Kommissionsbericht allerdings nicht, sondern verweist auf eine derzeit vom BMFSFJ durchgeführte Evaluation. Die Evaluation soll die Auswirkungen des neuen FSJ/FÖJ-Gesetzes von 2002 erfassen und Möglichkeiten für eine weitere Attraktivitätssteigerung und Ausgestaltung der geregelten Freiwilligendienste aufzeigen.

Als Reaktion auf den „Impulse“-Bericht macht die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ) mit der Stellungnahme „Freiwilligendienste für junge Menschen ausbauen und weiterentwickeln“ auf den jugendpolitischen Handlungsbedarf für die Stärkung und Weiterentwicklung von Freiwilligendiensten für junge Menschen aufmerksam.


Zu den Ergebnissen der Kommission

Die Ergebnisse der „Impulse“-Kommission werden von der AGJ weitgehend begrüßt. Hier sind insbesondere der Strukturwandel von Pflicht- zu Freiwilligendiensten, die Betonung des besonderen Stellenwertes der Freiwilligendienste zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sowie der empfohlene Ausbau und die Aufwertung der Freiwilligendienste zu nennen. Bezogen auf das FSJ ist die Bestätigung des besonderen Stellenwertes pädagogischer Begleitung ausdrücklich zu begrüßen. Vergleichbare Anforderungen in Bezug auf Qualität, Verlässlichkeit und Kontrolle von Bildungsangeboten sollten auch für neue Formen von Freiwilligendiensten gelten.

Einzelne Ergebnisse und Empfehlungen sind dagegen kritisch einzuschätzen. In dem Bericht der Kommission und den Empfehlungen wird sehr wenig über die aktuellen Entwicklungen der Freiwilligendienste für junge Menschen und die Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung und ihre Perspektiven ausgeführt. Vor allem entwickelt der Bericht die Ausgestaltung zukünftigerFreiwilligendienste nicht auf Grundlage der Interessen und der Nachfrage von Freiwilligen, sondern argumentiert – auf der Basis der Abschaffung von Wehr- und Zivildienst - anhand des gesellschaftlichen Bedarfs und der Bedürfnisse von Einsatzstellen. Entsprechend dem aktuellen Stellenwert der Freiwilligendienste und ihrer Leistungen für die Gesellschaft sollten die Freiwilligendienste für Jugendliche aber eigenständig weiterentwickelt und ausgeweitet und dabei eine zu enge Verknüpfung mit den Bedarfen von Einsatzstellen vermieden werden.

Ein wesentlicher Teil der Empfehlungen im „Impulse“-Bericht bezieht sich auf die Entwicklung von neuen generationsübergreifenden Freiwilligendiensten. Aus Sicht der AGJ ist der Aufbau von neuen Formen von flexibleren und generationsübergreifenden Freiwilligendiensten zu begrüßen, denn Freiwilligendienste sind Bildungsjahre für alle. Das FSJ/FÖJ dient mit seiner Dauer und Intensität vor allem jungen Menschen als eine Bildungsphase zur Berufsorientierung, die sich in der biographischen Phase zwischen Schule und Ausbildung bzw. Schule und Studium zusätzlich noch positiv auf mögliche berufliche Planungen oder den Numerus Clausus und eine damit verbundene Studienwahl auswirken. Der Aufbau der o.g. neuen Dienste sollte sich daher ergänzend und bereichernd zu den bisherigen auf junge Menschen ausgerichteten Freiwilligendiensten verstehen und diese weder inhaltlich noch strukturell gefährden.


Erfolgreiche Freiwilligendienste für junge Menschen (FSJ/FÖJ) weiterentwickeln

Das FSJ wird dieses Jahr 40 Jahre alt. Gerade in den letzten zehn Jahren ist das FSJ erheblich ausgeweitet worden. Neue Tätigkeitsbereiche sind hinzugekommen, beispielsweise das Freiwillige Ökologische Jahr oder das FSJ in Denkmalpflege, Kultur oder Sport. Die Zielgruppen haben sich erweitert: mehr Hauptschüler und mehr Jugendliche ab 16 Jahren leisten ein FSJ, auch die Zahl der männlichen Freiwilligen steigt. Darüber hinaus hat sich die pädagogische Begleitung den aktuellen Anforderungen angepasst, beispielsweise durch die Ermöglichung von sozialraumorientierten und weitgehend selbstgestalteten Projekten.

Mit der Gesetzesreform des FSJ/FÖJ nach dem Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001 und der entsprechenden Weiterentwicklung des FSJ hat sich sowohl das öffentliche Interesse als auch das Interesse von Jugendlichen an diesen Freiwilligendiensten noch einmal deutlich gesteigert. Vor allem die Nachfrage junger Menschen nach einem Freiwilligenplatz liegt - obwohl die KJP Förderung 2002 um 5 Millionen aufgestockt und die Zahl der Plätze im letzten Jahr um fast 15% auf rund 16.000 Plätze erhöht werden konnte – um ein Vielfaches über dem vorhandenen Platzkontingent und weist auf die Notwendigkeit hin, die Zahl der Plätze deutlich zu steigern.

Ein grundlegendes Problem in der Umsetzung des neuen FSJ/FÖJ-Gesetzes konnte bislang noch nicht gelöst werden: eine bedarfsorientierte Ausweitung in neue gemeinwohlorientierte Aufgabenfelder und der Einbezug von weiteren Einsatzstellen in den nicht-pflegesatzgeförderten Bereichen (insb. Kultur, Kinder- und Jugendarbeit, Sport etc.). Diese Bereiche haben als Aufgabe von Kommunen und Ländern zumeist keine zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten, die ihnen erlauben, die beim FSJ/FÖJ entstehenden Kosten zu tragen. Die Strukturen in diesen engagementbereiten Feldern können auf das steigende Interesse von Einrichtungen und Jugendlichen nicht angemessen reagieren und sind insbesondere auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen. Das gleiche gilt für eine Ableistung des Freiwilligendienstes im Ausland. Auf grundsätzliche Probleme stößt ferner auch der Einbezug anerkannter Kriegsdienstverweigerer wegen der unterschiedlichen Förderbedingungen. Es ist nicht vermittelbar, dass eine Freiwillige bzw. ein Freiwilliger weniger stark gefördert wird als ein Kriegsdienstverweigerer, dessen Freiwilligkeit nur eine partielle ist.


Konsequenzen und Forderungen

Bereits in ihrem Positionspapier zur Entwicklung der Freiwilligendienste von 2001 hat die AGJ verdeutlicht, was den Stellenwert der Freiwilligendienste in Form des FSJ, des FÖJ, der internationalen Jugendgemeinschafts- und Friedensdienste und der Europäischen Freiwilligendienste (EVS) für die Jugendlichen und für die Gesellschaft ausmacht. Dabei waren insbesondere die bildungspolitischen Aspekte dieser Dienste hervorgehoben und ihre Bedeutung als Bildungsjahre dargestellt worden. Gleichzeitig wurden aber auch weitere wesentliche Aspekte für eine Weiterentwicklung angesprochen, die nach wie vor unzureichend berücksichtigt wurden und auch bei den künftigen Bestrebungen wesentlich stärker in den Vordergrund gestellt werden sollten:

  • Die Bedürfnisse, Interessen und Möglichkeiten der Jugendlichen müssen eindeutig im Vordergrund stehen und Ausgangspunkt für alle weiteren Bestrebungen sein. Jeder junge Mensch, der sich freiwillig engagieren möchte, sollte auch einen geeigneten Platz erhalten. Auch Jugendliche mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, benachteiligte, ausländische und männliche Jugendliche sind verstärkt einzubeziehen.
  • Es ist zu begrüßen, dass die Ableistung eines Freiwilligendienstes - wie mit dem neuen Gesetz geregelt - zum Erlöschen der Pflicht zum Absolvieren des Zivildienstes führt.
  • Entsprechend den unterschiedlichen Interessen der Jugendlichen ist ein breites und differenziertes Spektrum an Einsatzfeldern und Einsatzstellen erforderlich; auch in Projekten und Initiativen der nicht-pflegesatzgeförderten Bereiche sind geeignete Einsatzmöglichkeiten zu eröffnen (Kinder- und Jugendarbeit, Kultur, Sport). Im Ausland sind verstärkt Freiwilligendienste zu ermöglichen.
  • Bei der angestrebten Weiterentwicklung der Freiwilligendienste sind diese als Bildungsjahre zu erhalten und weiter auszugestalten. Möglichkeiten für selbstgestaltete und eigenverantwortliche Projekte sollen verstärkt geschaffen werden.
  • Das FSJ dient den Jugendlichen als Orientierungsjahr und darf sich deswegen keinesfalls nur an den Interessen der Einsatzstellen orientieren.


Freiwilligendienste brauchen eine verlässliche Finanzierung

Die AGJ bedauert sehr, dass im Kommissionsbericht „Impulse für die Zivilgesellschaft“ zwar der große gesellschaftliche Wert von Freiwilligendiensten und ihr Ausbau als dringende Aufgabe benannt werden, die Fragen der Finanzen hierfür aber ausgespart bleiben. FSJ/FÖJ - als jugendpolitisch unverzichtbares Bildungsprojekt - brauchen eine verlässliche öffentliche Förderung. Eine „neue Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit“, wie sie die Bundesjugendministerin, Frau Renate Schmidt, bei der Vorstellung des Kommissionsberichtes einbrachte, setzt die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen voraus. Von daher fordert die AGJ:

  • Die finanzielle Ausstattung dieser Dienste ist soweit anzuheben, dass die festgelegten Mindest- standards gewährleistet werden können. Hier ist vorrangig die Übernahme eines größeren Kos- tenanteils insbesondere für die nicht-pflegesatzgeförderten Bereiche und für eine stärkere Umsetzung der Freiwilligendienste im Ausland zu klären. Die Mittel zur Förderung der Freiwilligendienste sind dazu deutlich aufzustocken. Dem Staat kommt hier die Verantwortung zu, die Einsatzstellenvielfalt zu sichern, wobei auch Akteure wie beispielsweise Menschenrechtsorganisationen und Träger aus unterschiedlichen gemeinwohlorientierten Bereichen unterstützt werden sollten
  • .Um die pädagogische Begleitung zu sichern, ist eine entsprechende Ausstattung notwendig, z.B. zur Entwicklung von zielgruppenspezifischen bzw. tätigkeitsfeldbezogenen Begleitmodellen und zur Förderung von Prozessen der Selbstbildung bzw. zur Unterstützung von eigenverantwortlichen Projekten. Für den erhöhten Betreuungsbedarf, der sich aus dem verstärkten Einbezug benachteiligter Jugendlicher ergibt, sind ebenfalls zusätzliche Fördermittel erforderlich.
  • Freiwilligendienste leisten einen wirkungsvollen Beitrag für eine demokratische Gesellschaft und stellen aus gesellschafts- und bildungspolitischer Sicht ein unverzichtbares Instrument ge- sellschaftlicher Zukunftssteuerung dar. Freiwerdende Mittel aus dem Zivildienst können im Bereich der Freiwilligendienste sinnvoll eingesetzt werden. Nur durch zusätzliche Gelder ist es möglich, das Bildungsangebot zu sichern, die Vielfalt der Einsatzstellen und die angemessene Begleitung der Jugendlichen zu gewährleisten sowie die Zahl der Plätze der Freiwilligendienste für junge Menschen deutlich zu erhöhen.


Geschäftsführender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Berlin, April 2004