Neue Gesundheitsrisiken bei Kindern als Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe. Das Beispiel Übergewicht

Abschlusserklärung der 14. Arbeitstagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen (IAGJ) vom 12. bis 17. September 2004 in Garderen

Abschlusserklärung als PDF


Die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Jugendfragen (IAGJ), ein Forum von Fachleuten der Jugendhilfe und des Jugendrechts aus den Ländern Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweiz, hat sich auf ihrer 14. Arbeitstagung vom 12. bis 17. September 2004 in Garderen / Niederlande mit dem Thema „Kinder und Gesundheit“ befasst und dabei insbesondere Fragen des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen und ihrer Familien diskutiert[1].

A:

Die Experten und Expertinnen waren sich einig, dass stärker als bislang die Probleme in den Blick genommen werden sollten, die sich aus den veränderten bzw. sich verändernden Lebensbedingungen für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ergeben. Dazu gehört, den fachlichen Dialog über die Grenzen der einzelnen Fachdisziplinen und Institutionen hinweg zu verstärken.

So war Ansatzpunkt der Arbeitstagung, die Einzelphänomene nicht isoliert anzugehen, sondern die Erkenntnisse und Einschätzungen aus verschiedenen Perspektiven zusammenzutragen. Dabei offenkundig werdende Kontroverspositionen sollten ausgetragen werden.

Schon in der Vorbereitung der Arbeitstagung war man übereingekommen, die z. T. sehr grundsätzlichen Fragestellungen und unterschiedlichen Sichtweisen an einem exemplarischen Themenkomplex abzuarbeiten. Gemeinsamer Nenner sollte dabei die Perspektive der Kinder und Jugendlichen einerseits sein, aber auch die Bedeutung institutioneller Strukturen und systematischer Zusammenhänge, nicht zuletzt im Vergleich der einzelnen Länder.

Exemplarisch wurde die besorgniserregende Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit („Adipositas“) bei Kindern und Jugendlichen thematisiert. Sie wird seit längerem im Bereich des Gesundheitswesens und neuerdings auch in der Medienöffentlichkeit breit diskutiert.

Wie beim Thema Magersucht (Anorexie) und anderen Formen krankhafter Selbstschädigung wirken auch bei Fettleibigkeit und Übergewicht individuelle (biologische und psychologische) Faktoren und gesellschaftliche (ökologische und sozialstrukturelle) Einflüsse zusammen. Entsprechend ist öffentliche Verantwortung gefordert, darf die Problematik nicht weiter individualisiert bzw. Spezialisten überlassen werden. Angesichts der Dramatik, die mittlerweile erkennbar wird, müssen sich auch andere Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, fragen lassen, ob sie dieses Problem nur Eltern und Medizinern zuschieben wollen oder ob sie nicht auch in besonderer, vielleicht neuer Form gefordert sind.

B:

Ausgangspunkt der Beratungen in der IAGJ waren die Berichte aus den gastgebenden Niederlanden. Die Delegationen der anderen beteiligten Länder bestätigten die Trends aus den Niederlanden. Man war sich allerdings auch einig, dass es für die nächste Zeit darauf ankomme, nicht einfach gängige Erklärungsmuster zu übernehmen, sondern differenziert nach Ursachen zu suchen und gfls. unterschiedliche Erklärungsversuche gelten zu lassen, jedenfalls aber sich zu befassen mit der Frage, was zur Minderung der Risiken bzw. zur Abwehr gravierender gesundheitlicher Gefährdungen in Form von Übergewicht und Fettleibigkeit durch die verschiedenen Institutionen, insbesondere Schule, Kindergarten und die Kinder- und Jugendhilfe getan werden könnte und sollte, aber auch, wie die öffentliche Diskussion zur Thematik zu profilieren wäre.

In diesem Sinne haben die Delegationen beraten, wie in effizienter Weise die Kinder- und Jugendhilfe diese Entwicklung durch eigene Beiträge, Vorschläge und übergreifende strukturbezogene Maßnahmen befördern kann, welche Initiativen hierzu ergriffen werden könnten. Es sollte aber auch untersucht werden, warum schon bestehende Initiativen - jedenfalls im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe - nur sporadisch unterstützt werden. Der Verdacht wurde laut, dass in der Kinder- und Jugendhilfe die Sorge dominiert, mit der stärkeren Befassung des Themas könnten auch neue finanzielle Aufwendungen die Konsequenz sein, so dass der allgemeine Kostendruck der öffentlichen Hand steigt. Daher scheint es eine Neigung zu geben, die Problematik abzuschieben oder schlicht zu verdrängen. Man bedenkt offenbar nicht die fatalen Folgen für die Betroffenen, aber auch nicht die langfristigen Folgen für Staat und Gesellschaft. Es bestand Einvernehmen, dass auch intensiv über präventive Ansätze zu sprechen ist, wiewohl nicht zu übersehen ist, dass der Begriff der Prävention im politischen Raum mitunter zu einem Schlagwort verkommen ist und der präzisen Herausarbeitung spezifischer Potenziale und differenzierter Betrachtung bedarf.

I. Zur Bedeutung von Gesundheit für Kinder und Jugendliche allgemein

Gelingendes Leben steht in engem Zusammenhang mit gesundheitlichem Wohlbefinden. Zudem wissen wir, dass eine Gesellschaft, die zukunftsfähig sein will, auf die Gesundheit der nachwachsenden Generationen angewiesen ist und schon aus solch utilitaristischen Gründen sorgsam sein muss. Das gilt als zivilisatorische Erkenntnis ebenso wie das Wissen darum, dass die Basis für Gesundheit in der Zeit der Kindheit und Jugend gelegt wird.

1. Zum Begriff „Gesundheit“

Was aber ist Gesundheit? Lässt sie sich messen? Die Definitionen zu diesem Begriff sind so unterschiedlich wie die Zusammenhänge, in denen der Begriff Bedeutung hat. Die genaue Bestimmung ist auch erschwert, weil Gesundheit – jedenfalls nach modernem Verständnis – immer in die Gesamtheit der Lebensumstände eingebettet ist. Vielfach wird er auch nur verstanden als Gegenbegriff zu dem der Krankheit („Als gesund gilt, wer nicht krank ist“).

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Gesundheit dagegen einen Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlseins und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Dieser Definition entspricht ein Gesundheitsverständnis, das neben medizinisch-biologischen Aspekten auch psychische, soziale und ökologische Gesichtspunkte mit einbezieht. Problematisch an dieser Definition ist natürlich, dass der Begriff Gesundheit in seiner Bedeutung extrem ausgeweitet wird (und damit nicht mehr handhabbar sein könnte).

Praktisch kommt es meist auf den Verwendungszusammenhang an, wenn der Begriff der Krankheit z. B. für die Krankenversicherung der entscheidende Anknüpfungspunkt für Leistungspflichten ist, Gesundheit dann die Abwesenheit von (festgestellter bzw. von den Leistungsträgern akzeptierter) Krankheit ist. Diese auf versicherungsrechtliche Aspekte verkürzte Definition ist aber kritisch zu sehen. Und selbst unter versicherungsspezifischen Aspekten sind kritische Rückfragen angebracht, denn nicht wenige sehen es als den großen Fehler in der Finanzierung des Gesundheitswesens an, dass es von der Krankheit und nicht von der Gesundheit (und seinen Potenzialen) ausgeht. Das aber zeigt auch deutlich, dass es hier um Wechselwirkungen geht, auf die wiederum Einstellungen und Verhaltensweisen sowie Einflüsse der natürlichen und sozialen Umwelt einwirken.

2. Krankheiten im Kindes- und Jugendalter

Ein historischer Vergleich verdeutlicht, dass viele der früher mit Kindheit und Jugend verbundenen Krankheiten (z. B. Infektionskrankheiten wie Masern, Röteln, Mumps, Keuchhusten, Kinderlähmung, Pocken, Scharlach) infolge allgemein verbesserter Lebensbedingungen und des Ausbaus medizinischer Versorgung und Vorsorge - jedenfalls in den Industrieländern - nur noch von geringer Bedeutung sind. Mit der Einführung von Schutzimpfungen, Hygienemaßnahmen, systematischen Diagnoseverfahren und verbesserten Behandlungsmöglichkeiten, hat sich die Gesundheitslage von Kindern erheblich verbessert.

3. Zu den „neuen“ Gesundheitsrisiken für Kinder und Jugendliche

Parallel zu diesen positiven Veränderungen haben sich jedoch im Zusammenhang mit veränderten zivilisatorischen, ökologischen und sozialen Lebensbedingungen neue Krankheiten und gesundheitliche Risiken für Kinder und Jugendliche entwickelt. Hierzu zählen vor allem chronische Erkrankungen wie z. B. Neurodermitis, Asthma, Rheuma, Bronchitis und Diabetes. Bei Säuglingen und Kleinkindern kommt es zu frühen Eltern-Kind- Bindungs-, Beziehungs- und Regulationsstörungen (exzessives Schreien, Schlaf- und Fütterstörungen). Nach neuen epidemiologischen Untersuchungen sind auch psychische, psychosomatische und psychosoziale Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in nicht unerheblichem Maße verbreitet. Nach den Ergebnissen der unterschiedlichen Untersuchungen leiden je nach Alter zwischen 8 und 15 % an psychischen Dysfunktionen, unter anderem im Leistungs-, Wahrnehmungs-, Gefühls- und Kontaktbereich. Bei vielen dieser Störungen und Indikationen wie z. B. Depressionen, Zwangssyndromen, Magersucht ist zudem eine Vorverlagerung im Alter und eine Zunahme in der Häufigkeit zu beobachten. Essstörungen (Anorexie und Bulimie) haben insbesondere bei weiblichen Jugendlichen zugenommen. Darüber hinaus breiten sich Suchtkrankheiten verstärkt aus. Vor allem durch Alkohol, Nikotin, illegale Drogen und durch Arzneimittel hervorgerufene Suchtkrankheiten haben zu einer wachsenden Zahl von abhängigen Kindern und Jugendlichen und hohen Gesundheitsbelastungen geführt. Je nach Krankheit, Störung bzw. Anomalie ergeben sich mit Blick auf männliche und weibliche Kinder und Jugendliche Unterschiede.

4. Konkret: Übergewicht und Fettleibigkeit („Adipositas“)

Besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die immer größer werdende Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher erlangt. Übergewicht ist eines der größten gesundheitlichen Probleme in den Industrieländern weltweit und dies gilt uneingeschränkt auch für die Kinder und Jugendlichen in diesen Ländern. Denn zum einen legt Übergewicht in der Kindheit oft den Grundstein für Übergewicht im Erwachsenenalter und sorgt so für eine deutlich erhöhte Rate an Krankheit und vorzeitiger Sterblichkeit. Zum anderen aber leiden die Kinder auch selbst, sowohl durch die körperlichen und zunehmend auch gesundheitlichen Auswirkungen der Fettsucht als auch durch die zunehmende soziale Geringschätzung, die gerade Jugendliche besonders belastet.

Die medizinische Bedeutung von Übergewicht und Adipositas ist unumstritten. Exzessives Körpergewicht ist vergesellschaftet mit einer Reihe von schwerwiegenden Krankheiten und führt zu einer deutlich eingeschränkten Lebenserwartung. Gleichwohl scheint der weltweite Anstieg ungebrochen. Sind Hunger und Unterernährung eine festverankerte Größe als gesundheitliche Bedrohung in den sog. unterentwickelten Ländern, so entwickelt sich das Pendant – Übergewicht in den Industrieländern – zu einer allmählich gleichwertigen Gefahr.

Auch in den Mitgliedsländern der IAGJ ist die Fettleibigkeit vor allem junger Menschen ein massives Problem und die häufigste ernährungsbedingte Gesundheitsstörung. In Deutschland zum Beispiel ist jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche übergewichtig. 7 bis 8 % sind adipös (= Body Mass Index liegt durchschnittlich über 25). In der Schweiz leiden 34 % der Sechs- bis Zwölfjährigen an Übergewicht, 10 bis 16 % sind sogar adipös. Österreich und die Niederlande weisen ähnlich hohe Zahlen auf. Dabei sind Jungen stärker von Übergewicht betroffen als Mädchen, die häufiger an Untergewicht leiden. Die WHO spricht bereits von einer Adipositasepidemie, denn dicke Kinder werden oft auch dicke Erwachsene. Experten rechnen damit, dass in 40 Jahren jeder 2. Erwachsene adipös sein wird.

Die Folgen für die Kinder sind fatal: Dicke Kinder haben ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko – etwa für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Problemen, Diabetes und Gelenkerkrankungen, Erkrankungen der Gallenblase sowie eine erhöhte Unfallhäufigkeit. Hinzu kommen die psychosozialen Probleme. Hänseleien durch Gleichaltrige, Unbehagen bei körperlicher Bewegung, Druck in Schule und Elternhaus.

Die Ursachen sind hinlänglich bekannt: Die Kinder essen zu viel, zu süß und zu fett – dafür aber zu wenig Obst und Gemüse. Hinzu kommt der Verlust von Esskultur, in der das Wissen über gesunde Ernährung und entscheidende Kulturtechniken wie das Kochen und gemeinsame Essen zunehmend verloren geht. Darüber hinaus wird die massive Veränderung in der Lebenswelt von Kindern als Ursache angegeben: Freie Spielräume für Kinder und Jugendliche verschwinden zunehmend, gerade in städtischen Gebieten werden sie immer stärker von der Straße bzw. freien Bewegungsräumen verdrängt und verbringen ihre Zeit in Häusern. Kinder und Jugendliche treiben zu wenig Sport bzw. bewegen sich zu wenig und verbringen zu viel Zeit mit elektronischen Medien, mit Fernsehen, Computerspielen und Playstations. So haben z. B. ein Drittel der deutschen Kinder, die täglich mehr als vier Stunden vor dem Fernsehgerät oder vor dem Computer sitzen, Übergewicht. Die für die physische und psychische Entwicklung von Kindern dringend erforderlichen vielfältigen Bewegungserlebnisse, die insbesondere die sensomotorische Entwicklung fördern, fallen weg. Befunde von grobmotorischen Koordinationsschwächen häufen sich bei Kindern und Jugendlichen. Hinzu kommen fein- und visomotorische Schwächen und Sprachstörungen.


II. Kinderarmut und Gesundheit

Neben den rein medizinisch-biologischen Krankheitsbildern haben sich die Gesundheitsrisiken von Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße durch verfestigte prekäre Lebenslagen in Folge ungünstiger sozialökonomischer Bedingungen erhöht. Der Zusammenhang zwischen der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und ihren spezifischen sozialen Lebenslagen und Lebensweisen ist mittlerweile kaum noch zu bestreiten. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Bedingungen des sozialen Umfelds und die sozio-ökonomische Lage der Eltern bzw. Familie - gemessen an Bildung, beruflichem Status und Einkommen bzw. der Ausstattung mit finanziellen Ressourcen - den Gesundheitszustand eines Kindes wesentlich beeinflussen. Im Zusammenhang mit der Armutsentwicklung spricht man mittlerweile von einer Infantilisierung bzw. Familiasierung  von Armut. Aufgrund zunehmender sozialökonomischer Problemlagen, die insbesondere infolge von Arbeitslosigkeit und familiären Konflikten (Trennungen und Scheidungen) nicht nur auf Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Bildungsstatus begrenzt sind, vergrößert sich entsprechend auch die Gesundheitsproblematik der betroffenen Kinder und Jugendlichen[2], die auch als Erwachsene eine regelmäßig schlechtere Gesundheit aufweisen werden. Fehlende Gesundheit wiederum minimiert Entwicklungspotentiale und Ressourcen und erhöht damit den Grad an sozialer Benachteiligung.

Es ist erwiesen, dass der Gesundheitszustand sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher häufig defizitär ist; dies gilt für fast alle körperlichen und psychischen Erkrankungen (Ausnahmen sind z. B. Allergien). Internationale Studien zur Morbidität ergaben z. B. eine bis zu neunfach höhere Krankenhauseinweisungsquote von Kindern, die älter als ein Jahr alt waren und in unterpriviligierten sozialen Schichten aufwuchsen. Untersuchungen zur postnatalen Mortalitätsrate zeigten, dass diese in den untersten sozialen Schichten im Verhältnis zur höchsten um das mehr als Zweifache erhöht ist. Generell zeigten internationale Untersuchungen bei Kindern zwischen 5 und 16 Lebensjahren, die aus unteren sozialen Schichten stammen, folgende signifikant häufiger anzutreffende Gesundheitsrisiken: Erhöhte Risikofaktoren im Hinblick auf cardiovasculäre Erkrankungen (Rauchen, geringe sportliche Aktivität), deutlich erhöhte Quoten von akuten und chronischen Erkrankungen der oberen Luftwege, erhöhter Kariesbefall, größere Anzahl schwerer Unfälle und schlechtere selbsteingeschätzte Gesundheit als bei Kindern aus privilegierten sozialen Verhältnissen. Mit Blick auf Übergewicht und dadurch entstehende Folgeschäden belegen zahlreiche Untersuchungen eindeutig, dass ein Leben in Unsicherheit und Armut Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen begünstigt. Auch in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz gilt nach Auskunft der Expertinnen und Experten: je höher die soziale Schicht, desto geringer die Rate der Kinder mit Übergewicht.

Kinder und Jugendliche in Armut zeigen allerdings überhaupt ein riskanteres Gesundheitsverhalten (hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Rauchen, Trinken, Fehlgebrauch von Arzneimitteln, Medienkonsum, Gewalt- und Risikobereitschaft etc.) und beteiligen sich seltener an Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen. Angebote des Gesundheitswesens werden von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien weniger häufig wahr- und in Anspruch genommen. Bestehende Versorgungskonzepte, die die Gesundheitsprävention bei Kindern, die in sozial benachteiligten Lebensverhältnissen aufwachsen betreffen, wirken nicht ausreichend, weil die Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung die Zielgruppe oftmals nicht erreicht, mit der Folge, dass diese Kinder und Jugendlichen in weit geringerem Maße eigene Potentiale entwickeln, ihr gesundheitsrelevantes Verhalten zu ändern oder gar gesundheitsbelastende Verhältnisse positiv zu beeinflussen.


III. Öffentliche Verantwortung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

1. Wer ist zuständig?

Gesundheitsförderung junger Menschen und entsprechende Prävention sind nach Meinung der Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer nicht (mehr) nur Aufgaben des Gesundheitswesens. Aspekte der Kindergesundheit spielen auch in anderen Handlungsfeldern eine immer größer werdende Rolle, also insbesondere den Bereichen Kindertagesstätten, Schule, Umwelt und Verbraucherschutz. Entsprechend der - auch von den in der IAGJ repräsentierten Mitgliedsländern ratifizierten - Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen erkennen die Vertragsstaaten das Recht jedes Kindes auf das

erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an (Artikel 24 Absatz 1 UN-KRK). Obwohl Kindern dieses Recht damit als Menschenrecht zugesichert ist, wird auch in den genannten vier Ländern das zugesicherte Niveau - gemessen an den geltenden Standards für Wohlstand und Leistungsfähigkeit - vielfach unterschritten. Insbesondere mit Blick auf die Zunahme chronischer Krankheiten, psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen, Behinderungen, Vernachlässigungen, Misshandlungen und Missbrauch sowie Suchtmittelabhängigkeit sind auch diese vier Länder noch weit von dem wünsch- und machbaren Maß an Gesundheit entfernt.

Aber wie lässt sich nun mehr Gesundheit für Kinder und Jugendliche schaffen bzw. sichern?

2. Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgaben

Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen dient der Persönlichkeitsentwicklung und ist eine entscheidende Bedingung selbstbestimmter Lebensgestaltung. Eine große Verantwortung liegt bei den Eltern, wenn es darum geht, die Gesundheit von Kindern zu schützen und zu fördern. Jedoch ist - wie schon gesagt - Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung nicht nur Aufgabe der Eltern, sondern liegt ebenso wie Bildung, Erziehung und Betreuung in gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit. Dem grundrechtlichen Anspruch eines jeden Kindes auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit und dem in der UN-KRK verankerten Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit (s. o.) kann nur auf der Grundlage einer breitenwirksamen Gesundheitsförderung entsprochen werden.

Da Gesundheit im Sinne des ganzheitlichen Verständnisses der Weltgesundheitsorganisation (s. o.) mehr erfordert als medizinische Versorgung, spielen Aspekte der Kindergesundheit in nahezu allen Politik- und Handlungsfeldern (Wirtschaft, Umwelt, Wohnen, Verkehr, Forschung, Planung, Kinder- und Jugendschutz, Schule, Kindergarten, Verbraucherschutz usw.) eine Rolle. Gesundheitsschutz, die Entwicklung von Gesundheitskompetenzen und die Stärkung einer gesundheitsförderlichen Kultur sind unter Beteiligung bzw. Mitwirkung all dieser Stellen in öffentlicher Verantwortung zu gestalten. Es geht um ein möglichst breites gesamtgesellschaftliches Bündnis für die Gesundheit junger Menschen und um die Entwicklung einer gesellschaftlichen Kern- Gesundheitskompetenz.

Exemplarisch diskutiert wurde im Rahmen der Tagung auch die Frage nach den Verantwortlichkeiten bei Umweltbelastungen. Die Belastung und Verschmutzung der natürlichen Lebensgrundlagen sind in den vergangenen Jahrzehnten zwar reduziert worden. Gleichwohl besteht nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Belastung von Wasser, Luft und Boden. Da Kinder und Jugendliche besonders stark unter Belastungen durch Außenluftschadstoffe und Innenraumschadstoffe (z. B. durch Passivrauchen und Lärm) leiden, ist z. B. hier der Abbau von Umweltbelastungen für den Abbau von Gesundheitsrisiken von großer Bedeutung und die - z. T. ja laufenden Initiativen – müssen vorangetrieben werden.

Mit Blick auf ernährungsbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen ist nach spezifischen Verantwortlichkeiten zu fragen. Sie setzen an bei der Art und Weise der Produktion, also beim Hersteller, betreffen aber ebenso den Handel und die Werbung. Wenn es z. B. darum geht, Kinder und Jugendliche vor der Gefahr des Übergewichtes zu schützen, muss in geeigneter Form der Aspekt des Kinder- und Jugendschutzes in der Werbung bei Lebensmitteln und Genussmitteln Berücksichtigung finden. Nährwert- und gesundheitsbezogene Aussagen, die in der Werbung verwendet werden oder auf Verpackungen der Lebensmittel angebracht sind, müssen klar und wahr, aber auch verständlich sein, um eine Irreführung und Täuschung gerade junger Menschen in diesen Bereichen zu vermeiden. Hier gibt es noch zahlreiche Verbesserungsbedarfe, wie während der Tagung an vielen Beispielen demonstriert wurde.

Schulen sind, soweit es darum geht, mehr Gesundheitsbewusstsein bei Kindern und Jugendlichen zu schaffen, in besonderem Maße gefordert. Außer in der Familie entwickeln Kinder vor allem hier ihre individuellen Lebensformen und Lebensstile, können also auch Lebensweisen mit entsprechenden (sozial-)pädagogischen Kompetenzen und Engagement beeinflusst werden.

3. Gesundheitsförderung als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe. Hinweise für die verschiedenen Arbeitsfelder

Was kann nun ganz speziell die Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse zur Förderung von mehr Kindergesundheit bzw. zu mehr Schutz vor Gesundheitsrisiken bzw. –schädigung beitragen?

Obwohl Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung in den einschlägigen Gesetzen der IAGJ- Mitgliedsländer begrifflich nicht als ausdrückliche Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe genannt werden, gehören inhaltlich ganz gewiss Schutz und Förderung der Gesundheit junger Menschen zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Die grundsätzlichen Ziel- und Aufgabenbestimmungen der Kinder- und Jugendhilfe umfassen nämlich ein System, das alle Aktivitäten umschließt, die auf die Förderung der Entwicklung und auf die Erziehung junger Menschen ausgerichtet sind. In diesem Zusammenhang ist Gesundheit ein Aspekt, aber ein besonders bedeutsamer: Es geht nicht mehr und nicht weniger als um den Schutz vor gesundheitlichen Gefahren durch den Aufbau gesundheitsfördernder Kompetenzen und Potenziale.

Es ist ja kein Zufall, wenn die Ziele des Gesundheitswesens bezogen auf Kinder und Jugendliche einen hohen Grad an Übereinstimmung zeigen mit den grundsätzlichen Schutz- und Förderzielen der Kinder- und Jugendhilfe. Vielfach lassen sie sich operativ in ihrem direkten Bezug auf Kinder und Jugendliche und ihre Familien auch nur unter maßgeblicher Mitarbeit der Kinder- und Jugendhilfe realisieren. Es ist auch kein Zufall, dass wichtige Teile der Kinder- und Jugendhilfe zu früheren Zeiten einmal Teile des Systems Gesundheitswesen waren. Dass sie ihm nicht mehr untergeordnet sind, darf als Fortschritt gesehen werden. Würde nun aber der Aspekt der Gesundheit ausgeblendet, hätte die Kinder- und Jugendhilfe ein Stück Identität verkannt.

Vielmehr müssen Gesundheitsförderung und Prävention als zentrale Herausforderungen und relevante Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt sein (oder notfalls wieder werden). Konzepten der Prävention kommt im Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe dabei eine immer größere Bedeutung zu.

Gerade für Kinder und Jugendliche müssen präventive und gesundheitsfördernde Investitionen möglichst in den Lebensjahren beginnen, in denen Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster aufgebaut und stabilisiert werden. Die Kinder- und Jugendhilfe kann hierzu durch die Stärkung gesundheitsfördernder Potentiale und Kompetenzen junger Menschen und ihrer Eltern im Rahmen ihrer Bildungs- und Förderarbeit in den verschiedensten Leistungsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe einen originären Beitrag leisten.

Aus Sicht der IAGJ sollten alle Institutionen und Leistungsbereiche der Kinder- und Jugendhilfe von der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, dem Kinder- und Jugendschutz, der Familienförderung und institutionellen Kinderbetreuung bis hin zu den Hilfen zur Erziehung den Gesundheitsaspekt stärker berücksichtigen mit dem Ziel, in ihren Aufgaben- und Leistungssegmenten gesundheitsunterstützende Faktoren zu stärken und krankheitsauslösende Faktoren zu verhindern bzw. zu reduzieren. Damit soll nicht die primäre Verantwortung für Gesundheitsförderung und Prävention vom Gesundheitswesen auf die Kinder- und Jugendhilfe verlagert werden. Die Betonung des Gesundheitsaspekts im Kontext aller Jugendhilfemaßnahmen dient vielmehr der qualitativen Weiterentwicklung der Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe und dem Ziel, bei Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für Gesundheitsfragen zu schaffen und gesundheitsfördernde Gewohnheiten und Verhalten zu verbessern.

Um gesundheitsfördernde Maßnahmen vor allem in der Lebensweise, im Bewegungsverhalten, in der Ernährung und im Lebensumfeld dauerhaft bei jungen Menschen zu verankern, müssen alle Kinder und Familien schichtübergreifend und ohne soziale Stigmatisierungen erreicht werden. Vor allem die in ihrer gesundheitlichen Entwicklung besonders belastete und gefährdete Zielgruppe der sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen ist hierbei zu berücksichtigen. Für sie müssen interdisziplinäre und über den Gesundheitsbereich herausreichende Präventionskonzepte entwickelt werden, die nicht zuletzt die gesundheitliche Kompetenz der Eltern stärken.

a) Eltern- und Familienbildung:

Kindergesundheit steht positiv wie negativ in Abhängigkeit zum Verhalten der Eltern und zu ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, die Gesundheit ihrer Kinder zu fördern. Prekäre Familiensituationen (z. B. Trennungen und Scheidungen der Eltern) bergen zugleich Gesundheitsgefährdungen für Kinder und Jugendliche. Familienbildungsmaßnahmen sollten daher immer auch Aufklärung und Beratung in gesundheitlichen Fragen umfassen.

b) Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit

Sowohl die Jugendverbandsarbeit als auch die offene Jugendarbeit und der Sport haben besondere Bedeutung, wenn es um die Stärkung des individuellen Gesundheitsverhaltens geht, da peer-groups von Kindern und Jugendlichen das Potential zur Anerkennung und Förderung gesundheitsfördernder Lebensstile besitzen. Gesundheit und gesundheitsbewusstes Verhalten sollten daher konsequent zum Inhalt der Jugendarbeit gemacht werden.

In der Jugendsozialarbeit geht es häufig um Jugendliche, die in mehrfacher Beziehung benachteiligt sind Sie haben häufig keinen Schulabschluss, keinen Ausbildungsplatz, sind arbeitslos, häufig wohnungslos, verschuldet und haben oft auch gesundheitsrelevante Defizite. Eine ganzheitliche Jugendsozialarbeit sollte sich daher nicht auf schulische und berufliche Integration beschränken, sondern gesundheitsfördernde Elemente mit einbeziehen.

c) Jugendschutz

Sowohl der gesetzliche als auch der erzieherische Jugendschutz haben bei der Gesundheitsförderung eine besondere Bedeutung, denn sie betonen neben der Gefahrenabwehr die Eigenverantwortlichkeit und die Mitverantwortlichkeit für andere. Im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe sollte Jugendschutz daher auch als Gesundheitsschutz verstanden werden, der verstärkt Maßnahmen für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien vorsieht.

d) Suchtprävention

Ein zentrales Feld der präventiven Kinder- und Jugendhilfe ist die Suchtprävention. Vor allem im Bereich der Jugendarbeit, aber immer häufiger auch im Kindertagesstättenbereich gibt es vielfältige Maßnahmen und Initiativen zur Suchtprävention. Diese gilt es auszubauen und insbesondere für Kinder und Jugendliche aus Familien mit entsprechendem Suchtverhalten zu verstärken. Über Aufklärung hinaus muss Suchtprävention helfen, Handlungspotentiale zu entwickeln, die von Suchtrisiken wegführen.


e) Hilfen zur Erziehung

Erziehungsprobleme, mit denen Kinder und Jugendliche und vor allem ihre Eltern in die Erziehungsberatungsstellen kommen, hängen häufig mit gesundheitlichen Problemen bzw. gesundheitsrelevanten Indikationen, insbesondere mit psychischen Erkrankungen, zusammen. Im Rahmen der Entscheidung, ob Erziehungshilfe gewährt wird und wenn ja welche, sollte aus Sicht der IAGJ-Delegationen öfter als bislang auch die gesundheitliche Situation des Kindes oder Jugendlichen untersucht und berücksichtigt werden, ebenso bei der konkreten Ausgestaltung der Hilfen, und zwar einerseits unmittelbar, wenn sie konkrete Gesundheitsgefährdungen betreffen, andererseits auch mittelbar dadurch, dass sie die Eigenverantwortlichkeit und die Ressourcennutzung der Kinder und Jugendlichen stärken. Unabdingbar ist hierbei die enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden Gesundheitsdiensten und Fachberufen.

f) Erziehungsberatung

Bei Erziehungsberatungen muss verstärkt auch der Gesundheitszustand betroffener Kinder, Jugendlicher und ihrer Familien in den Blick genommen werden und ggf. mit den entsprechenden Gesundheitsfachdiensten zusammengearbeitet werden. So wird die eigene Beratungsarbeit effektiver, gesundheitliche Schwächen und Risiken können frühzeitig erkannt und medizinische Versorgung vermittelt werden.

g) Kindertagesstätten

Hier kann und soll Gesundheitsförderung frühzeitig beginnen. Auch die Eltern können - breitenwirksam und schichtübergreifend - einbezogen werden. Kindertagesstätten haben besonders günstige Voraussetzungen, sich an einer umfassenden gesundheitsorientierten Familienbildung zu beteiligen. Bisher werden die Möglichkeiten des sozialen Settings Kindergarten und Schule zur Gesundheitsförderung aber nach Meinung der Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer nicht ausreichend genutzt. Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung müssen in die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und den Eltern integriert werden und zu einem wesentlichen Inhalt der Arbeit von Kindertagesstätten gemacht werden. Insbesondere die Förderung eines gesunden Ernährungsverhaltens und die Stärkung der sprachlichen und motorischen Fähigkeiten sowie der Fähigkeiten zur Stressbewältigung sollten Ziele der Kindertagesstätten und Schulen sein. Ferner sollten die Curricula von Aus-, Fort- und Weiterbildung für Erzieher(innen) im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung verbessert werden.


4. Zentrale Handlungsbedarfe im Interesse nachhaltiger Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen

a) Vermittlung von gesundheitsfördernden Kompetenzen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung

Immer wichtiger wird auch die Vermittlung gesundheitsfördernder Kompetenzen als Bestandteil in den verschiedenen Aus-, Fort- und Weiterbildungsgängen der Sozialberufe. Gesundheitsrelevante Inhalte sollten auch bei den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere den Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen, Erziehern und Erzieherinnen, den Fachkräften der Jugendarbeit, der Familien- und Erziehungsberatung sowie den Fachkräften der Jugendhilfeplanung und der Hilfen zur Erziehung, zum festen Bestandteil ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung werden. Dabei würde es der interdisziplinären Kooperation dienen, wenn den Fachkräften des Gesundheitswesens stärker gesundheitsrelevante Sozialfaktoren und unter dem Fokus der Kindergesundheit die Leistungs- und Aufgabensegmente der Kinder- und Jugendhilfe vermittelt werden. Umgekehrt sollte Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe Interesse und Grundkompetenzen in medizinischer und sozialmedizinischer Hinsicht vermittelt werden.

b) Verbesserung der Datenlage, Forschungsausbau

Wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer Maßnahmen zur Förderung der Kindergesundheit und erfolgreicher Präventionsstrategien sind gesicherte Daten zur gesundheitlichen Lage junger Menschen. Je besser die Zusammenhänge aller gesundheitsrelevanten Faktoren erfasst werden, desto effektiver können gesundheitsfördernde Maßnahmen für junge Menschen gestaltet werden. Kindergesundheitsaspekte sollten aber nicht nur in Gesundheitsberichten thematisiert werden, sondern auch in der Kinder- und Jugendhilfeberichterstattung ebenso wie in der Sport-, Familien- und Sozialberichterstattung.

Ganz allgemein, so der Tenor der Arbeitstagung, sollte die Kinder- und Jugendgesundheitsforschung ausgebaut werden. Sinnvoll sind insbesondere Forschungsprojekte, die sich mit den Ursache-Wirkungs-Beziehungen beschäftigen und - unter Berücksichtigung vor allem sozial relevanter Faktoren - wirksame Möglichkeiten der Intervention und Förderung von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien aufzeigen.

c) Ressortübergreifende Kooperation und Vernetzung, Bündnisse für gesunde Kinder und Jugendliche

Zentrale Herausforderung für alle relevanten Handlungsbereiche im Interesse der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist der fachliche Austausch von Ansätzen und Erfahrungen zur Gesundheitsförderung junger Menschen, verbunden mit konkreten Schritten zur weiteren Vernetzung von Organisationen, Initiativen und der Entwicklung von Bündnissen, damit Kindergesundheit nachhaltig wirksam und möglichst präventiv gefördert werden kann. Diese gemeinsame Zielsetzung sollte alle wichtigen Akteure und Akteurinnen wie Eltern, Ärzte und helfende Berufe, des gesamten Gesundheitswesens, Lehrerinnen und Lehrer und die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe (vor allem der Eltern- und Familienbildung, der Bildungsarbeit in Kindertagesstätten und Schulen sowie der Jugendarbeit) zusammenführen und in vielfältiger Weise kooperieren lassen.

So ist bei übergewichtigen Kindern beispielsweise eine Vernetzung der schulärztlichen Dienste, Kinderärzte, Ernährungsberater und Ernährungswirtschaft, Sportvereine oder Krankenkassen sinnvoll, aber auch Settings wie Familie, Kindergärten, Schulen oder Kinder- und Jugendarbeit sollten für eine nachhaltige Gesundheitsförderung bei Kindern mit einbezogen werden. Hierbei nehmen regionale Projekte und Netzwerke zur Kindergesundheit eine wichtige Rolle vor Ort ein.

Diskussions- und Aktionsnetzwerke auf lokaler und regionaler Ebene sind insgesamt besonders wichtig, um breitenwirksame, sozialraumorientierte und infrastrukturelle gesundheitsfördernde Angebotsformen zu entwickeln. Entsprechende Initiativen zur Bildung solcher Kooperationen und Bündnisse sollten auch von der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere von den Jugendämtern, ausgehen.

Ansprechpartner und –partnerinnen:

- für die Niederlande: Herr Prof. Dr. Paul Vlaardingerbroek
Holländischer Familienverband, Universität Tilburg

- für Deutschland:    Herr Thomas Mörsberger
Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Heidelberg

- für die Schweiz:    Herr Dr. Heinrich Nufer
Marie Meierhofer-Institut für das Kind, Zürich

- für Österreich:    Frau Mag. Martina Staffe
Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen, Wien


Redaktion:
Frau Tanja Grümer
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, Berlin

 

[1] Wie es der Tradition der alle zwei Jahre stattfindenden Arbeitstagungen entspricht, wurde die Tagung auch dazu genutzt, sich umfassend über die Entwicklung im Bereich der Jugendhilfe und insbesondere des Jugendrechts auszutauschen. Die schriftlichen Berichte können bei Bedarf angefordert werden bei der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, Mühlendamm 3, 10178 Berlin. Sie sind im Internet abrufbar unter www.agj.de.

[2] In Deutschland leben derzeit etwa 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche mit ihren Familien von Sozialhilfe; etwa auf das Dreifache wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen geschätzt, die in prekären Lebensverhältnissen beziehungsweise unter sozioökonomisch ungünstigen Bedingungen leben.