Anforderungen an die Neuregelung „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV)“

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe

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Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), der Zusammenschluss von über 90 Organisationen, Institutionen, Verbänden und Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe auf der Bundesebene, hat sich in der Vergangenheit intensiv mit den Überlegungen und Empfehlungen der Hartz- Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ auseinander gesetzt und darin eine Reihe von positiven Vorschlägen und Chancen zur dringend erforderlichen Neuorientierung und Weiterentwicklung sozialstaatlicher Leistungen gesehen (vgl. „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – das Hartz-Konzept und seine gesetzliche Umsetzung“ in FORUM Jugendhilfe, Nr. 1/2003). Um kurzfristig auf das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) reagieren zu können, hat die AGJ in einem ersten Schritt ein Positionspapier veröffentlicht (vgl. „Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe“ in FORUM Jugendhilfe, Nr. 3/2003 sowie www.agj.de), um in ei- nem zweiten Schritt mit dem vorliegenden Papier detailliert Stellung beziehen zu können.

Am 13. August 2003 hat das Bundeskabinett im Rahmen seiner Sitzung den Entwurf eines vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt beschlossen. Das Gesetz hat im Kern die Einführung einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende im Rahmen des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) zum Gegenstand, welche die bisherige Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen zusammenführt. Als erwerbsfähig werden Personen bezeichnet, die gegenwärtig oder voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig sein können (vgl. Gesetz- entwurf der Bundesregierung zu Hartz IV). Die Zuständigkeit für das Arbeitslosengeld II (Alg II) wird bei der Bundesanstalt für Arbeit bzw. neu „Bundesagentur für Arbeit“ (BA) liegen.

Leitgedanke des Gesetzes ist das Prinzip „Fördern und Fordern“. Die Umsetzung soll durch die individuelle Betreuung eines Fallmanagers erfolgen. Unabhängig von der Gesamtverantwortung der BA werden weiterhin die Strukturen der Kommunen, wie z. B. der Kinderbetreuung, Schuldnerberatung und Suchtberatung benötigt, um eine umfassende Integration der Menschen in Arbeit zu ermöglichen. Das Gesetz wird nachhaltige Auswirkungen auf die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen haben. Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf bereits zugestimmt. Zur Zeit findet die Abstimmung mit dem Bundesrat im Rahmen des Vermittlungsausschusses statt. Da es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, kann daher, angesichts der unterschiedlichen Auffassungen von Regierung und Opposition, noch mit Änderungen der Reformvorhaben gerechnet werden. Ungeachtet dieser Unwägbarkeiten soll das vorliegende Papier den Entwurf der Bundesregierung darstellen und eine erste Einschätzung abgeben.

Absicherung des Lebensunterhaltes von Kindern und Jugendlichen

Arbeitslosengeld II

Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für Erwerbsfähige werden durch das SGB II auf dem Niveau der Sozialhilfe zum Alg II zusammengeführt. Das Alg II umfasst pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes wie z. B. Lebensmittel und Kleidung. Zusätzlich werden angemessene Leistungen für Wohnung und Heizung in der tatsächlichen Höhe von der BA übernommen. Wird Alg II im Anschluss an das Arbeitslosengeld bezogen, steht den Empfängern für einen Zeitraum von zwei Jahren ein monatlicher Zuschlag zu, der aber nach einem Jahr reduziert wird. Der Zuschlag beträgt im ersten Jahr 2/3 der Differenz zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II, maximal jedoch 160 € für Alleinstehende bzw. 320 € für Paare sowie 60 € pro Kind. Im zweiten Jahr halbiert sich dieser Betrag. Das Alg II wird ebenfalls gemindert, falls ein Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Die Freibeträge beim Einkommen richten sich dabei an der bisherigen Sozialhilfe aus, während die Vermögensfreibeträge von der Arbeitslosenhilfe übernommen werden.

Die Regelleistungen sind im Gesetz einheitlich für Ost und West festgelegt. Sie betragen monatlich in den alten Bundesländern 345 € und in den neuen Bundesländern 331 €. Das Alg II wird gekürzt, wenn sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige weigert, z. B. eine Eingliederungsvereinbarung zu treffen oder einer „zumutbaren“ Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies gilt auch für junge Menschen, die keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben. Für diese gelten darüber hinaus besondere Sanktionsmechanismen. Wer ein Beschäftigungs- oder Qualifizierungsangebot ablehnt, erhält drei Monate keine Geldleistungen mehr.

Sozialgeld

Die neue Leistung des Sozialgeldes ist für nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, vorgesehen. Ein Anspruch auf diese Leistung entsteht soweit keine anderen Ansprüche auf eine vorrangige Leistung, wie etwa die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit bestehen. Die Höhe des Sozialgeldes richtet sich nach dem Regelsatz des Alg II.; Kinder bis zum 15. Lebensjahr erhalten 60% des Regelsatzes. Kinder und Jugendliche im Alter von 15 – 18 Jahren erhalten einen Regelsatz, der im Vergleich zur Sozialhilferegelung von 90% auf 80% gesenkt werden soll. Werdende Mütter und Alleinerziehende erhalten Mehrbedarfszuschläge.

Kinderzuschlag

Im Bundeskindergeldgesetz wird zeitgleich mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eine Änderung vorgenommen. Ein neu eingeführter Paragraph regelt den Kinderzuschlag. Der Kinderzuschlag richtet sich an gering verdienende Eltern, die mit ihren Einkünften ihren eigenen Unterhalt finanzieren können, aber nicht den ihrer Kinder. Ohne Kinderzuschlag wären sie zukünftig auf das Arbeitslosengeld II angewiesen. Ein Anspruch in voller Höhe entsteht, wenn das Einkommen oder Vermögen der Eltern dem Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld entspricht. Der Gesamtkinderzuschlag beträgt 140 Euro pro Kind und wird maximal 36 Monate gezahlt. Übersteigt das elterliche Erwerbseinkommen den Freibetrag, so wird der Kinderzuschlag für je 10 € der übersteigenden monatlichen Erwerbseinkünfte um 7 € gemindert. Anderes Einkommen als Erwerbseinkommen sowie höhere Vermögen mindern den Kinderzuschlag in voller Höhe.

Der angekündigte Kinderzuschlag soll Eltern mit geringem Einkommen zusätzlich unterstützen. Auf diesem Weg soll eine große Zahl von Kindern aus der Sozialhilfe herausgeholt werden.

Gleichzeitig möchte man Eltern und insbesondere Alleinerziehenden mit dem Kinderzuschlag Anreize geben, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Keine Leistungsabsenkung für Kinder und Jugendliche

Die Zusammenführung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe wird auf dem Niveau der Sozialhilfe erfolgen. Die neue Regelung hat zur Folge, dass ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen schlechter gestellt sein werden als zuvor. Wie stark die neue Leistung von der bisherigen Leistung der Sozialhilfe abweicht, ist abhängig von den bisherigen Regelsätzen im jeweiligen Bundesland und der konkreten Familienkonstellation. Das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld wird auch in Zukunft kaum den wirklichen Bedarf abdecken. Kindern und Jugendlichen, die in der Vergangenheit Sozialhilfe erhalten haben, wird es mit der neuen Leistung nicht unbedingt besser gehen. Kinder aus Familien, die bisher von Arbeitslosenhilfe lebten, sind häufig schlechter gestellt. Beide Gruppen gemeinsam werden weiterhin in unserer Gesellschaft benachteiligt sein und keine verbesserten Entwicklungs- und Bildungschancen haben.

Kinderzuschlag nur ein erster Schritt

Ein pauschalierter und einkommensabhängiger Kinderzuschlag ist im Rahmen der Reform als eine Maßnahme zur Bekämpfung von Kinderarmut vorgesehen. Positiv ist der bezweckte Erwerbsanreiz für die Eltern in diesem Zusammenhang zu sehen. Aus Sicht der AGJ ist jedoch der armutspolitischen Komponente mit der Einführung dieses Instrumentes keinesfalls ausreichend Rechnung getragen. Dies kann als ein erster positiver Schritt gewertet werden, damit soziale Härten bei der Um- setzung des Hartz-Konzeptes und hier insbesondere im Zusammenhang mit dem geplanten Arbeitslosengeld II vermieden werden. Es muss aber deutlich gemacht werden, dass nur ein kleiner Teil  der jungen Menschen aus dem Alg II-Bezug herausgeholt wird. Denn der Kinderzuschlag erfasst nur ein sehr enges Familiensegment im unteren Einkommenssektor. So soll vermieden werden, dass Eltern mit Niedrigeinkommen nur deshalb anspruchberechtigt auf Leistungen nach dem SGB II werden, weil der Haushaltsbedarf durch die Zahl der Kinder steigt. Sie sollen die zusätzlichen Leis- tungen für ihre Kinder wie auch ihr Kindergeld dann von der Familienkasse beziehen.

Konsequent wäre eine Regelung wie z. B. die der Kindergrundsicherung/Einführung einer Kinderkasse gewesen, die allen Kindern ermöglicht hätte, aus dem Alg II-Bezug zu gelangen. Insgesamt sollte beim Kinderzuschlag die Frage gestellt werden, ob nicht zusätzliche Investitionen in Betreu- ungs- und Bildungsstrukturen sinnvoll sind und mehr zu einer Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen beitragen. Der Kinderzuschlag macht zwar deutlich, dass er für die Kinder gedacht ist, aber in der Realität werden viele Kinder nichts von der Leistung erhalten, da das Geld in der Familie oftmals für andere Zwecke verwendet wird.

Die AGJ begrüßt den Kinderzuschlag als einen ersten „vorsichtigen“ und in seiner Wirkung begrenzten Schritt auf dem Weg zu einer wirkungsvollen Bekämpfung von Kinderarmut. Allerdings ersetzt dieser erste Schritt nicht die Notwendigkeit, einen weiteren Ausbau der sozialen Absicherung von Kindern und Jugendlichen durch eine „Kindergrundsicherung“ energisch weiter zu verfolgen und auf die politische Agenda zu setzen.

„Fördern und Fordern“ - Aktivierende Instrumente und Sanktionsmechanismen des SGB II

Instrumente der Förderung im neuen SGB II

Mit dem neuen Gesetz wird beabsichtigt, die aktivierende Arbeitsmarktpolitik für alle Leistungsbezieher auszubauen. Den Alg II-Beziehern werden in Zukunft auch alle wesentlichen Eingliederungsmaßnahmen des Dritten Sozialgesetzbuches (SGB III) zur Verfügung stehen. Darüber hinaus

kann dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch im Einzelfall eine ergänzende Unterstützung zur Verfügung gestellt werden, die einer Eingliederung förderlich sein könnte wie z. B. Kinderbetreuung, Schuldnerberatung, Drogenberatung.

Flächendeckend sollen JobCenter in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden. Personen, die eine intensive Betreuung benötigen und erhebliche Vermittlungshemmnisse aufweisen, werden durch speziell ausgebildete Fallmanager betreut. In einer Eingliederungsvereinbarung sollen die notwendigen Leistungen zur Eingliederung festgelegt werden. In ihr soll außerdem festgehalten werden, welche Form der Eigenbemühungen der Betroffene einhalten muss. Die Vereinbarung wird für 6 Monate abgeschlossen. Wenn benötigt, werden im Anschluss daran neue Vereinbarungen getroffen.

Das neue Gesetz sieht vor, dass junge Menschen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln sind. Diejenigen, die nicht in eine Ausbildung vermittelt werden können, sollen über eine vermittelte Arbeit oder Arbeitsgelegenheit die notwendigen Fähigkeiten erwerben, um bessere Berufschancen zu erhalten.

Sanktionen als Umsetzung des Forderns

Verfolgtes Ziel des Ansatzes „Fördern und Fordern“ ist es, erwerbsfähige Hilfebedürftige in eine Erwerbstätigkeit zu bringen. Es sollen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die zu einer Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit führen. Vom Erwerbsfähigen wird eine aktive Beteiligung an allen Maßnahmen, die zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben führen, eingefordert. Eine Eingliederungsvereinbarung soll in diesem Zusammenhang abgeschlossen werden. An dieser Stelle ist zu betonen, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige eine Eingliederungsvereinbarung abschließen muss. Geht er die Vereinbarung nicht ein, wird das Arbeitslosengeld II gekürzt.

Ist es abzusehen, dass eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitmarkt in naher Zukunft nicht zu erreichen ist, wird die Annahme einer zumutbaren Arbeit erwartet. Ebenfalls wird eingefordert, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige sowie die anderen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft eigenverantwortlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Wird die Annahme einer zumutbaren Arbeit von einem Jugendlichen unter 25 Jahren ver- weigert, wird das Arbeitslosengeld II für drei Monate
gestrichen.

Bildung, Erziehung und Betreuung für alle Kinder

Dass allen Alg II-Beziehern die Möglichkeit von Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung steht, erhöht die Chance, auch gerade für junge Menschen, wieder ins Erwerbsleben zu gelangen. Besonders junge Frauen müssen durch ein ausreichendes Angebot der Kinderbetreuung bessere Voraus- setzungen erhalten, einer Qualifizierung, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die angestrebte Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen ist daher grundsätzlich positiv zu bewerten, eine Veränderung des § 24 SGB VIII, so wie sie Artikel 8 des Hartz-IV Gesetzes vorsieht, wird von der AGJ jedoch abgelehnt. Die dort formulierte vorrangige Vergabe von Plätzen in Kindertageseinrichtungen an Kinder, deren Sorgeberechtigte erwerbstätig, arbeits- oder beschäftigungssuchend sind, stellt eine grundlegende Veränderung der Zugangsvoraussetzungen des § 24 SGB VIII dar. Eine gesetzlich festgeschriebene Möglichkeit der Umverteilung vorhandener Betreuungsplätze in erster Linie an Kinder erwerbstätiger Eltern läuft dem Leitgedanken des § 24 SGB VIII, allen Kindern bei Bedarf einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, zuwider.

Zur Umsetzung eines bedarfsorientierten Angebotssystems erachtet die AGJ in einem ersten Schritt die Formulierung von Bedarfskriterien, die am Wohl des Kindes und nicht einseitig an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientiert sind, als wesentlich. Perspektivisch muss sichergestellt werden, dass Eltern bedarfsgerechte Angebote zur Verfügung stehen.

Die AGJ fordert, statt der im Entwurf des vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vorgesehenen Änderung des SGB VIII, gemeinsame Zielvereinbarungen der Länder und kommunalen Spitzenverbände zur Schaffung ausreichender Betreuungsangebote gerade für Kinder unter drei Jahren.

Rechte stärken statt Sanktionen verschärfen

Positiv ist auch der arbeitsmarktpolitische Ansatz, jungen Menschen, die keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben, direkt eine Stelle zu vermitteln. Dabei sind nicht nur die Jugendlichen bei der Stellensuche gefragt, sondern die Fallmanager. Auf ihr Engagement kommt es zentral an, wenn es darum geht, den jungen Menschen eine Perspektive zu bieten, die von ihnen auch angenommen wird. Negativ zu bewerten ist, dass es sich hierbei lediglich um die Verpflichtung handelt, (irgend)eine Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Die Vermittlung der Arbeitsgelegenheit soll dazu dienen, dem jungen Menschen bessere Ausgangsvoraussetzungen zu schaffen. Durch einfache Tätigkeiten kann Berufserfahrung erlangt werden. Zwar wird bei den Leistungsgrundsätzen des SGB II die Dauerhaftigkeit der Eingliederung als wichtiges Kriterium genannt, allerdings wird erst beim Studium der Begründung klar, dass hiermit auch der Anspruch auf eine Vermittlung in eine Qualifizierungsmaßnahme oder eine Ausbildung verknüpft ist. Hier wäre eine deutliche Stärkung der Rechtsposition junger Menschen mehr als erforderlich. Der Grundsatz, dass eine Qua- lifizierung und Ausbildung immer vor Arbeit gehen sollte, muss weiter Bestand haben. Die Grundvoraussetzung für einen gelingenden Einstieg ins Erwerbsleben ist immer noch eine qualifizierte Ausbildung. Diese sollte daher bei den Fördermaßnahmen grundsätzlich Vorrang haben.

Mit Blick auf die gravierenden Sanktionsfolgen, die die Ablehnung einer zumutbaren Arbeit für den Jugendlichen hat, ist die Frage, was unter einer solchen Arbeit zu subsumieren ist, von entscheidender Bedeutung. Regelungen oder Abgrenzungskriterien zur Zumutbarkeit finden sich im Gesetz jedoch nicht. Es gilt daher, einen Zumutbarkeitsbegriff zu entwickeln und gesetzlich zu verankern, der jugendspezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt.

Die AGJ fordert, dass der spezifisch gegen junge Menschen gerichtete Sanktionskatalog unter pädagogischen Gesichtspunkten differenziert werden muss. Insgesamt müssen die allgemeinen Sanktionen des § 31 SGB II-E einer grundlegenden verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Dies gilt auch für die Zumutbarkeitsregelungen. Ein Leben in Würde muss für alle Menschen in dieser Gesellschaft sichergestellt werden.

Das Abschließen einer Eingliederungsvereinbarung kann ein gutes Mittel sein, um Verbindlichkeit zwischen dem jungen Menschen und dem Fallmanager herzustellen. Es ist jedoch wichtig, dass die Vereinbarungen auch für den jeweiligen Jugendlichen transparent und erreichbar sind. Sie dürfen nicht nur zu Frustrationserlebnissen und zum Abbruch des Kontaktes führen. Insgesamt ist es wichtig, dass die Jugendlichen nach der Bereitstellung von Angeboten nicht aus dem Blick geraten. Die Verpflichtung zu einer erfolgreichen Integration darf nicht mit dem Hinweis „Wir haben Ihnen ja ein Angebot gemacht“ abgespeist werden.

Bei der Verweigerung einer Eingliederungsvereinbarung oder der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit soll das Alg II gekürzt werden. Diese Sanktion als alleinige Folge der verweigernden Haltung des Jugendlichen ist nicht angemessen. Zwar ist der Einsatz sanktionierender Maßnahmen in diesem Falle nicht grundsätzlich abzulehnen, nach pädagogischen für die Arbeit mit benachteiligten jungen Menschen geltenden Grundsätzen erfolgversprechend können Sanktionen aber nur sein, wenn sie auf gleicher Ebene mit Beratungsangeboten erfolgen. Junge Menschen müssen erst einmal soziale Kompetenzen und Grenzsetzungen lernen. Ausschließlich sanktionierende Maßnahmen verschärfen das Verhalten und die Situation gerade benachteiligter Jugendlicher. So besteht die Gefahr, dass statt aktiver Hilfestellung eine reine Verdrängung der Betroffenen stattfindet und diese sich dem Druck und künftigen Förderungs- und Beratungsangeboten entziehen.

Die AGJ fordert, dass im Rahmen der Eingliederungsvereinbarungen spezifische, altersbezogene individuelle Hilfen insbesondere Beratungsangebote für Jugendliche einbezogen werden. Dabei wird es notwendig sein, eine erweiterte Beratungsstruktur zu entwickeln, die über Hilfen nach §13 SGB VIII hinaus gehende Angebote macht. Dabei gilt es, die generelle Zuständigkeit für die Beratung der unter 21-Jährigen festzulegen.

Qualifizierte Unterstützung für junge Menschen sichern

Im Gesetz sind keine Hinweise auf das Recht des Jugendlichen, die Hilfe zu erhalten, die er als geeignet oder notwendig sieht, zu finden. Es wird also sehr vom Engagement und von der Professionalität des Fallmanagers abhängig sein, ob ein ausgewogenes Verhältnis des „Förderns und Forderns“ praktiziert wird.

Es bleibt insgesamt festzustellen, dass in dem neuen Gesetz kein ausgewogenes Verhältnis zwischen Fordern und Fördern existiert. Sanktionen sind klar und deutlich formuliert, Rechtsansprüche dagegen rar gesät.

Diese spezifische Dienstleistung des Fallmanagements muss für die Zielgruppe der Einsteigerinnen bzw. Einsteiger in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vor Ort im JobCenter einen besonderen Stellenwert erhalten. Nur speziell qualifiziertes Personal wird der Zugang zu den jungen Menschen gelingen. Sie brauchen sozialpädagogische Unterstützung, die ihnen in Zeiten des Übergangs Wege aufzeigt, bzw. sie auf den Wegen begleitet, die sie selber gefunden haben. Ein kontinuierlicher Ansprechpartner wie der Fallmanager kann jungen Menschen das Gefühl der Unterstützung und Hilfestellung und des „nicht alleine gelassen werdens“ vermitteln.

Die AGJ fordert die gesetzliche Festschreibung eines Fachkräftegebotes für die im Jobcenter tätigen Fallmanager. Damit diese ihre umfassenden Beratungs- und Förderungsaufgaben erfüllen können, sollte Schwerpunkt ihrer Aus- und Fortbildung insbesondere der Umgang mit benachteiligten jungen Menschen sein.

Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Risiken

Die Umsetzung des vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wird Auswir- kungen auf die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe haben. Flächendeckend sollen JobCenter in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden. Die JobCenter werden zentrale Anlaufstelle auch für junge Menschen, die eine Ausbildungs- oder eine Arbeitsstelle suchen, sein. Eine wesentliche Zielgruppe des JobCenters werden benachteiligte Jugendliche sein, denen es nicht selbstständig gelingt, eine Arbeitsstelle zu erhalten oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie sollen eine kompetente Beratung, Unterstützung und Vermittlung erhalten. Eigens hierfür werden speziell qua- lifizierte Fallmanager eingesetzt.

Wandel braucht Perspektive

Im Gesetz wird nicht umfassend festgelegt, wie die Ausgestaltung der JobCenter vor Ort aussehen soll. Eine Festlegung wurde nicht vorgenommen, um den neuen Ämtern Gestaltungsspielraum ein- zuräumen. Dieser Gestaltungsfreiraum hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass die Chance be- steht, ein individuelles Konzept für die jeweilige Stadt gemeinsam mit Kooperationspartnern zu entwickeln, denn die Problemlagen in den einzelnen Bundesländern sind sehr unterschiedlich. Ein Nachteil kann sein, dass das Interesse an einer Umstrukturierung in einzelnen Ämtern nicht groß ist und so nur minimale Änderungen der Arbeit vorgenommen werden und Kooperationspartner bei der Konzeptentwicklung außen vor bleiben.

Bereits jetzt ist festzustellen, dass in der Übergangsphase bis zum Inkrafttreten der neuen Regelungen Tendenzen des Abwartens auf kommunaler Seite punktuell festzustellen sind. Oftmals mit der Aussage, dass ohne klare Vorgaben eine konzeptionelle Entwicklung andauere und bzw. nicht klar sei, auf welche neue Struktur hingearbeitet werden soll. Diese Einstellung hat natürlich Auswirkun- gen auf die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe, da diese für eine der wesentlichen Zielgruppen des JobCenters zuständig ist. Bereits heute werden daher durch die geplante Umsteuerung bei den akti- vierenden Maßnahmen Strukturen abgebaut und in Frage gestellt. Es gilt also aktuell, die vorhande- ne Angebotsstruktur der Jugendberufshilfe zu erhalten, um eine funktionierende Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Dies gilt auch in besonderem Maße für die Über- gangszeit, in der die JobCenter ihre Arbeit aufnehmen.

Die AGJ fordert den Gesetzgeber auf, durch klare Übergangsregelungen zu gewährleisten, dass die für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt notwendigen Angebote der Jugendhilfe durch die Reformen am Arbeitsmarkt nicht in ihrem Bestand gefährdet werden.

Strukturen einbinden - Erfahrungen nutzen

Entscheidend für die Perspektive der Jugendberufshilfe wird es darüber hinaus sein, ob es gelingt, die bisherigen Ansätze der kommunalen Beschäftigungspolitik in die Arbeit der JobCenter zu integrieren. Die Regelungen des neuen SGB II, die verpflichtend festlegen, dass vorhandene Angebotsstrukturen durch die JobCenter genutzt werden müssen, sind zu begrüßen. Allerdings darf dieser Ansatz nicht durch einseitig auf finanzielle Aspekte ausgelegte Ausschreibungen der Integrationsangebote durch die Arbeitsverwaltung unterlaufen werden. Gerade bei der Integration junger Menschen sind stimmige fachliche Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Maßnahmen. Neben den notwendigen fachlichen Standards müssen die Integrationsmaßnahmen auch zeitlich angemessen gestaltet werden. Gerade bei jungen Menschen sind kontinuierliche Strukturen über den ganzen Integrationsprozess für den Erfolg der Qualifizierungsangebote von wesentlicher Bedeutung.

Um dauerhaft Strukturen zur Integration junger Menschen zu gewährleisten, fordert die AGJ, dass insbesondere gezielte Angebote für spezifische Problemgruppen durch Kooperationsvereinbarungen der JobCenter mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe sichergestellt werden.

JobCenter als Teil eines kommunalen Netzwerkes

Da im Gesetz nicht beschrieben ist, welche Aufgaben und Stellung Sozial- und Jugendämter in der Kooperation mit den Jobcentern haben werden, sollten sie sich frühzeitig als Kooperationspartner mit ihren Kompetenzen anbieten und nicht darauf warten, dass die Forderungen an den Gesetzgeber erfüllt werden. Das frühzeitige Engagement kann dazu führen, dass die Kinder- und Jugendhilfe an der konzeptionellen Gestaltung der JobCenter und ihrer Netzwerke beteiligt wird. Eines wird jetzt schon deutlich: das JobCenter wird insbesondere auf die vielfältigen Erfahrungen und Angebote der Jugendberufshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe angewiesen sein, um Problemlagen von jungen Menschen bewältigen zu können. In diesem Zusammenhang wird auch die Jugendsozialarbeit eine wichtige Rolle spielen. Fakt wird sein, dass die erste Anlaufstelle der arbeitssuchenden Jugendlichen das JobCenter sein wird. Hier muss ein individueller Hilfeplan entwickelt und an die infrage kommenden Institutionen verwiesen werden. Dabei ist es selbstverständlich, dass alle Leistungen, die in den Eingliederungsplänen vereinbart werden, auch durch die Arbeitsverwaltung finanziert werden müssen.

Junge Menschen, denen ein JobCenter nicht helfen kann oder die dessen Angebote nicht annehmen, werden früher oder später in den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe zu finden sein. Aus diesem Grund ist es wichtig, einen Fuß in die Tür der JobCenter zu bekommen, um Einfluss auf die Hilfestellungen zu nehmen und gegebenenfalls selbst Aufgaben im JobCenter übernehmen zu kön- nen wie z. B. das Fallmanagement, Profiling etc.. Es kann jedoch nicht alleine bei dem Angebot der Jugendhilfe bleiben. Eine verlässliche Partnerschaft braucht klare Kooperationsstrukturen und Verantwortlichkeiten.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe fordert den Gesetzgeber auf, die Formen der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, den Trägern der freien Jugendhilfe und den örtlichen Agenturen für Arbeit im örtlichen Jobcenter verbindlicher zu regeln und für die kommunale Ebene eine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeit bei der Ausgestaltung der Arbeitweise und der Entscheidung über Angebote und Maßnahmen des Jobcenters rechtlich zu verankern. Mit Blick auf Lebenssituationen von jungen Menschen ist die entsprechende Mitwirkungsmöglichkeit und Mitverantwortung der örtlichen Jugendhilfe zu gewährleisten.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Berlin, November 2003