Partizipation im Kontext von Kinder- und Jugendarbeit – Voraussetzungen, Ebenen, Spannungsfelder

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Einleitung

Das Recht auf Partizipation [1] ist ein Menschenrecht. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben ein Recht auf Beteiligung und Mitgestaltung. Dies ist unter anderem in der UN-Kinderrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta, im Bürgerlichen Gesetzbuch, im Baugesetz, im Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie in einzelnen Ländergesetzen verbindlich verbrieft. Die Gesetze stellen klar, dass Kinder und Jugendliche Expertinnen und Experten in eigener Sache sind und an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen sind. Kinder und Jugendliche sind Subjekte, die ihre Rechte eigenständig ausüben können.

Das Recht auf Beteiligung ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass erwachsene Menschen in unserer Gesellschaft mehr Macht und Privilegien besitzen als junge Menschen. Erwachsene haben mehr Einfluss auf die Lebenswirklichkeit und die Möglichkeiten der Lebensgestaltung von Kindern und Jugendlichen als umgekehrt. Abgesehen vom formellen Recht der Beteiligung, welches Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben, ist es auch ihr Wunsch und Wille, in verschiedenen Kontexten beteiligt zu werden. Sie wollen ihre Umwelt und Lebensrealität mitgestalten und in gesellschaftlichen und politischen Prozessen mitentscheiden.[2]

Der gesetzliche Auftrag der Partizipation gilt für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe und wird insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit realisiert [3]. In §11 SGB VIII heißt es: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen“. Die Kinder- und Jugendarbeit ist dadurch in besonderer Weise kontinuierlich aufgefordert, Partizipation zu realisieren, Möglichkeiten der Entfaltung herzustellen und Freiräume zu schaffen. Dieser Partizipationsanspruch wird in der Praxis der Kinder- und Jugendarbeit in unterschiedlichem Maße bzw. Umfang realisiert.

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ thematisiert in diesem Positionspapier die Umsetzung und Förderung von Beteiligung aus dem Blickwinkel der Kinder- und Jugendarbeit und legt den Fokus auf die Interessenslagen von Kindern und Jugendlichen. Es beschreibt Partizipation sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung, als auch ihrer Voraussetzungen: Wodurch wird wirkungsvolle und spürbare Beteiligung ermöglicht? Es beschreibt zudem verschiedene (strukturelle) Ebenen von Partizipation und thematisiert Spannungsfelder und offene Fragen.

Kritische Revision eines Wohlfühlbegriffs

Beteiligung und Partizipation zählen nicht nur in der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch im politischen Diskurs zu den „sympathischen Begriffen“. Es ist die Rede von Teilhabe, im besten Falle gerechter Teilhabe, die hergestellt werden soll, und dem Ziel, Vertrauen in Demokratie (zurück) zugewinnen. Partizipation soll dazu beitragen, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, das politische Interesse zu erhöhen und soll insbesondere junge Menschen ermutigen, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Es scheint fast, als sei „Partizipation“ eine Art Allzweckwaffe gegen jegliche Form von Ausschluss, Ungleichheit und damit einhergehender Unzufriedenheit, somit ein reichlich mit Hoffnung und Erwartung aufgeladener Begriff.

Dabei ist der Weg nicht weit, Partizipation als „Geheimrezept“ für die Akzeptanz politischer Entscheidungen zu gebrauchen. Denn Personen, die an einem Entscheidungsprozess beteiligt waren, haben es später schwer, ihn infrage zu stellen. Doch wenn das Beteiligungsangebot als bloße Legitimationsmethode dienen soll, dann handelt es sich um „Scheinpartizipation“.

Partizipation ist das zentrale und leitende Prinzip der Kinder- und Jugendarbeit. Es ist daher notwendig, dass sich ihre Akteurinnen und Akteure selbstkritisch, mit ihren Strukturen und ihrer Praxis und die ihr zugrundeliegenden Ziele und Ansprüche, auseinandersetzen. Denn: Partizipation ist mehr als nur ein methodischer Zugang. Es ist daher auch notwendig, dass sich die Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendarbeit mit ihrem reflektierten Partizipationsverständnis und dem damit einhergehenden Anspruch politisch wirksam in gesellschaftliche Prozesse einbringen.

Partizipation ist tatsächlich sowohl ein grundlegendes politisches Prinzip für eine demokratische Gesellschaft als auch ein pädagogisches Konzept. Partizipation als pädagogische Methode bewirkt nicht unmittelbar politische Mitgestaltung. Zugleich ist die Frage nach der Realisierung des Rechtes auf Partizipation eine zentrale gesellschaftspolitische Frage. Beteiligung muss jedoch erfahren und auch erlernt werden. Und hier kommt beides in eine Verbindung, denn hierfür braucht es Erfahrungsräume und Menschen mit entsprechenden Haltungen. Die Kinder- und Jugendarbeit ist ein solcher Raum.

Partizipation in der Kinder- und Jugendarbeit – ein Vorschlag zu Definition

Die häufige und selbstverständliche Verwendung des Begriffs Partizipation in Zusammenhang mit Kinder- und Jugendarbeit suggeriert, dass diese ihrem Wesen nach per se partizipativ ausgerichtet ist. Je nach Kontext und Akteur unterscheiden sich die Vorstellungen von und die Ansprüche an Partizipation jedoch erheblich: Der Begriffsgebrauch ist unscharf. Zudem lässt sich ein inflationärer Einsatz des Begriffs beobachten, wenn es darum geht, die Praxis zu begründen, etwa in der Formulierung von Förderanträgen etc. Es ist daher notwendig, die vielen Facetten des Begriffs näher zu betrachten.

Für die AGJ zielt Partizipation darauf ab, Entscheidungsräume für junge Menschen zu öffnen und transparente Strukturen zu schaffen, in denen Kinder und Jugendliche als Expertinnen und Experten in sie betreffenden Themen ernst genommen werden und in denen ihnen Macht (ab)gegeben wird. Die Intensität der Beteiligung kann variieren und von Mitsprache und Mitwirkung bis zur Selbstbestimmung und Selbstorganisation reichen.

In der Kinder- und Jugendarbeit meint Partizipation somit zweierlei: zum einen Beteiligung im gemeinsamen Prozess als partizipativer Erfahrungs- und Erprobungsraum, zum anderen politische Partizipation, die ermöglicht bzw. unterstützt wird in und durch Kinder- und Jugendarbeit. Politische Partizipation zielt auf die Teilnahme an Entscheidungen oder die Einflussnahme auf Entscheidungen, die überindividuell sind – somit mehrere/alle betreffen. In der Praxis lässt sich häufig beobachten, dass beides miteinander verbunden ist.

„Partizipation“ bezeichnet einen Prozess, bei dem sich ein Subjekt in soziale, kulturelle, ökonomische und politische Gestaltungsprozesse aktiv einmischt. Sie hat zur Voraussetzung, dass junge Menschen Verantwortung und Entscheidungsspielräume übergeben bekommen. Sie müssen ihre eigenen Themen setzen können, und das, worum es geht, muss für sie Relevanz besitzen. So macht es einen Unterschied, ob Kinder und Jugendliche im Alltag der Kinder- und Jugendarbeit an Teilfragen bzw. im abgesteckten Rahmen mitbestimmen dürfen oder selbstverantwortlich größere Veränderungen in Einrichtungen bestimmen und zu verantworten haben.

Gelingende Partizipation hat im Handlungsfeld der Kinder- und Jugendarbeit angesichts der Subjektorientierung und der Ausrichtung auf Persönlichkeitsentwicklung eine hohe Bedeutung als zentrale Rahmenvoraussetzung für Identitätsentwicklung und gesellschaftliche Positionierung. Hier leistet die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit einen wesentlichen Beitrag. Denn:
Partizipation ist eine zentrale Voraussetzung für die gelingende Identitätsentwicklung junger Menschen in einer spätmodernen Gesellschaft. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Bezugspunkte für die individuelle Lebensführung weniger dauerhaft und instabiler werden. Identitätsentwicklung kann heute nicht als Übernahme von traditionellen kulturellen Entwurfsschablonen gelingen, sondern erfordert einen aktiven Prozess identitätsstiftender Passungsarbeit. Diese Passungsarbeit wird durch Partizipation und die dadurch stattfindende soziale Integration befördert.

Die AGJ stellt daher fest: Partizipation ist kein zeitlich begrenztes Projekt, sondern ein dauerhafter Anspruch, im Sinne eines Grundverständnisses und Prinzips, auf das Kinder und Jugendliche verlässlich vertrauen können müssen.

Partizipationsförderliche Strukturen schaffen

Partizipation als Handlungsprinzip schließt Transparenz und Offenheit ein. Diese muss auch für Institutionen und somit die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit gelten. Es geht darum, Institutionen zu gestalten, die Kindern und Jugendlichen aktive Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Auch hier braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen. Es gilt, das „Prinzip Partizipation“ und seine Realisierung kontinuierlich kritisch zu betrachten und zu überprüfen.

Es muss eine in den Alltag einer Institution verankerte Beteiligungskultur geben, die verschiedene Optionen eröffnet und Platz für Konsensfindung und Konfliktbearbeitung schafft. Ideal ist ein gemeinsamer Herstellungsprozess des institutionellen Gefüges, also der Zielfindung und der regelmäßigen Überprüfung der Ziele, der gemeinsamen Regeln für Interaktionen und Grenzüberschreitungen. Letztlich muss immer auch die Möglichkeit von Machtmissbrauch und Grenzverletzungen mitgedacht werden, auf die mit klar geregelten Beschwerdemöglichkeiten bzw. Präventionsstrukturen reagiert werden muss. [4] So sollte es fest verankerte Verfahren zur Beschwerde geben, die auch in Situationen von (scheinbarer) Partizipation aller Kinder und Jugendlichen den Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, Anliegen anzubringen und Beschwerden zu formulieren.

Fragen, die sich Verantwortliche im Vorfeld stellen müssen, sind: Besteht die Bereitschaft, Zeit und Mittel zu investieren? Eignet sich die gegenwärtige Förderpraxis für partizipative Projekte (gesetzte Themen, Output- und Ergebnisorientierung vs. Ergebnisoffenheit)? In welchem Maße besteht die Bereitschaft, auch unvorhergesehene Ergebnisse zu akzeptieren?

Die AGJ stellt fest: Beteiligungsprozesse erfordern Engagement, Zeit sowie personelle und finanzielle Ressourcen. Sie brauchen zudem Durchhaltevermögen und Risikobereitschaft der beteiligten Akteure und Akteurinnen. Wichtig in Beteiligungsprozessen ist Ergebnisoffenheit: Das Konzept und die Ziele müssen Raum für ausreichend Offenheit im Beteiligungsprozess lassen, auch im Hinblick auf die Ergebnisse.

Qualitätskriterien: Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Wirksamkeit

Die Qualität von Partizipation lässt sich in verschiedenen Dimensionen beschreiben: Sie richtet sich auf Zielsetzungen und Umsetzungsstrategien (Konzeptqualität), die Gestaltung der Interaktion zwischen den Beteiligten (Prozessqualität), Rahmenbedingungen (Strukturqualität), den Umgang mit Ergebnissen (Ergebnisqualität) und schließlich die Ermöglichung von persönlichem Zugewinn (Zugewinnqualität), der sich auf die (Selbstwirksamkeits-)Erfahrungen der Beteiligten bezieht.

Partizipation hat stets eine politische Dimension und Bedeutung, auch wenn der pädagogische Prozess im Fokus steht. Bedingungen erfolgreicher Partizipation sind unter anderem Freiwilligkeit, Niedrigschwelligkeit, Ernsthaftigkeit, Wirksamkeit, Nachhaltigkeit, Lebenswelt-orientierung, Altersorientierung und Sensibilität für relevante Differenzen (etwa Geschlecht, Kultur etc.). Methodisch besteht eine breite Palette für die Gestaltung gelingender Beteiligung, die auch niedrigschwellige Angebote für unterschiedliche Zielgruppen umfasst. Essentiell ist die Transparenz von Rollen, Rechten, Verantwortlichkeiten, Entscheidungsspielräumen sowie das Offenlegen von Machtverhältnissen, Abhängigkeiten und Machtverteilung. Außerdem sollte eine Klarheit der „Spielregeln“ bestehen: Die Kinder und Jugendlichen müssen Klarheit über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Einflussnahme erhalten und darüber informiert werden, wie vonseiten der Entscheidungsträgerinnen und -träger ihre Rolle gesehen wird: etwa als Ideengebende, Interessenvertreterinnen und -vertreter oder Mitbestimmende. Die Informationen darüber müssen verständlich formuliert und vermittelt werden. Es braucht grundsätzlich einen verbindlichen Rahmen, der durch Kinder und Jugendliche jedoch immer neu ausgestaltet werden kann. Ein wichtiges Kriterium ist darüber hinaus, dass Kommunikation gleichberechtigt stattfindet. Entscheidend ist, dass die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen spürbare Wirkung hat. Deshalb ist eine zeitnahe und spürbare Veränderung oder ein Einbinden der Jugendlichen in Folgeprozesse ein wichtiges Qualitätsmerkmal.

Darüber hinaus können z. B. die Fokussierung auf die Stärken und Talente der Beteiligten wie auch der Anspruch, Beteiligten Freiräume zu bieten, in denen Umwege, Experimente und ungewöhnliche Wege erprobt und als wertvoll erfahren werden können, als weitere Qualitätsmerkmale von gelingender Beteiligung angeführt werden. [5] Auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit durch Beteiligung kann hier als ein wichtiges Merkmal genannt werden.

Die AGJ betont, dass in Beteiligungsverfahren die beschriebenen Bedingungen für gelingende Partizipation stets zu überprüfen sind. Darunter fallen unter anderem Verbindlichkeit, Wirksamkeit, Ernsthaftigkeit, Transparenz über die unterschiedlichen Rollen, Lebensweltorientierung und Sensibilität für relevante Differenzen.

Rolle und Haltung der Fachkräfte

Die essentielle Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist wichtig, damit Kinder und Jugendliche ein Vertrauen entwickeln können, dass die eigene Position gefragt ist, gesehen und als relevant betrachtet wird. Sie brauchen Sicherheit, dass es sich beim geplanten Vorhaben um ein ernst gemeintes Angebot handelt.

Dies bringt die Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit in eine verantwortungsvolle Rolle. Sie müssen über die nötigen personalen, methodischen, kommunikativen, organisatorischen und sachbezogenen Kompetenzen für die Gestaltung von partizipativer Praxis verfügen. Dafür ist es nötig, sich mit der eigenen Rolle im Partizipationsgeschehen auseinanderzusetzen, eine partizipationsfördernde Haltung zu entwickeln, stets zu reflektieren und entsprechende Methoden zu kennen. Teil des professionellen Selbstverständnisses von Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit ist es, junge Menschen grundsätzlich als kompetent zu sehen, also als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt. Um diese Haltung entwickeln zu können, braucht es Rahmenbedingungen, die den Fachkräften genügend Zeit geben, Partizipation zu leben, in den Alltag einzuplanen und nicht „hinten runterfallen zu lassen“. Denn ernst gemeinte Partizipation zu leben, kostet Zeit und Energie. Daher bedarf es für Fachkräfte auch der Möglichkeit, sich zu Partizipation weiterzubilden und Methoden zu erlernen.

Will die Kinder- und Jugendarbeit Partizipation als grundsätzliches Prinzip ernst nehmen und umsetzen, so wie es den selbst formulierten Werten und Zielen entspricht, hat dies zur Voraussetzung, dass Erwachsene Macht abgeben und Entscheidungsräume für junge Menschen öffnen. Nur diejenigen, die die Macht besitzen, können entscheiden, etwas davon an diejenigen abzugeben, die weniger Macht besitzen. Dieses Machtgefälle müssen sich Fachkräfte bewusst machen und die eigene machtvolle Position reflektieren.

Entsprechend den zuvor beschriebenen Voraussetzungen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen müssen Fachkräfte sicherstellen, dass Beteiligungsangebote annehmbar, relevant, nutzbar und dass die notwendigen Informationen zugänglich sind. Dies erfordert eine Offenheit für die Themen der Jugendlichen. Nicht die Fachkräfte entscheiden, wo junge Menschen mitentscheiden dürfen, sondern die jungen Menschen wählen ihre Themen, Orte und Formen der Beteiligung selbst.

Fachkräfte sind also einerseits in der Verantwortung, den Rahmen bzw. die Spielregeln für Partizipation zu definieren, andererseits müssen sie Transparenz und Offenheit in der Konzeption realisieren. „Die besondere Herausforderung besteht darin, Beteiligung im Alltag, in Strukturen und in Prozessen zu leben und immer bereits anzunehmen, dass das Kind bzw. der Jugendliche in der Lage ist, zu partizipieren und zugleich beständig Gelegenheiten zu bieten, damit Kinder und Jugendliche Partizipation erlernen können“.[6]  

Für die AGJ beginnt Partizipation maßgeblich mit der Haltung der involvierten Fachkräfte. Sie sind verantwortlich dafür, dass Kinder und Jugendliche Mut gewinnen, sich zu beteiligen und verschiedene Formen der Beteiligung kennenlernen. An ihnen hängt es, dass Kinder und Jugendliche Vertrauen in Beteiligung aufbauen und wissen, dass ihre Meinungen akzeptiert werden und ein Gewicht haben. Dazu müssen Fachkräfte weitergebildet werden und in den Strukturen selbst Beteiligung erfahren.

(Wie) Lässt sich Partizipation lernen?

Um aktiv teilhaben und das eigene Umfeld – und letztlich gesellschaftliche Prozesse darüber hinaus – mitgestalten zu können, benötigen junge Menschen die Erfahrung von Selbstwirk-samkeit: die Erfahrung, dass das eigene Dazutun etwas bewirkt, einen Unterschied macht. Kinder- und Jugendarbeit bietet Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten, sich selbstorganisiert und eigenverantwortlich zu engagieren. Wenn junge Menschen gemeinsam eine Aktion, eine Freizeit oder ein Theaterprojekt realisieren, erfahren sie, dass der Beitrag jedes und jeder Einzelnen wichtig ist für das Gelingen des Ganzen.

Von zentraler Bedeutung ist, dass junge Menschen sowohl ihre Rechte kennen und zugleich befähigt werden zu erkennen, welche Möglichkeiten sie haben, ihre Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsrechte zu realisieren. Dafür benötigen sie Zugang zu relevanten Informationen, so dass sie sich eine Meinung bilden können. Zudem benötigen sie mehr und mehr Einsicht in entsprechende (politische) Zusammenhänge. Dazu gehört, verstehen und durschauen zu lernen, wer welche Rolle hat, und wer was entscheidet. Dies bedeutet auch, unausgesprochene Regeln und Codes zu verstehen und zu erlernen. Es geht somit um das Erkennen und Verstehen der zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten, Spielräume und Einfluss-möglichkeiten. Kinder und Jugendliche sollten verschiedenen Strategien der Einflussnahme erproben können. Darüber hinaus sollen Kinder und Jugendliche die Fähigkeit entwickeln, sich artikulieren und die eigene Position bzw. Interessen zu formulieren und darstellen zu können – sei es verbal oder auch mit anderen Medien oder Ausdrucksformen.

In Hinsicht auf die Stärkung dieser Kompetenzen und das Erlernen dieser Fähigkeiten kann die Kinder- und Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag leisten. Denn ihre Angebote können Kindern und Jugendlichen sowohl Wissen über ihre Rechte auf Beteiligung vermitteln, als auch diese in einem geschützten Rahmen erleben und ausgestalten lassen.[7]

Ebenen der Partizipation

Partizipation findet innerhalb der Kinder- und Jugendarbeit auf verschiedenen Ebenen statt, die sich nach Abstraktions- und Organisationsgrad unterscheiden. Viele Kinder und Jugendliche sind im Laufe ihrer Zeit in der Kinder- und Jugendarbeit auf verschiedenen Ebenen beteiligt, oftmals gehen Partizipationserfahrungen auf einer konkreten Ebene der Partizipation auf einer abstrakteren Ebene voraus.

Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist es erstrebenswert, dass Kinder und Jugendliche wirkungsvoll an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden, ihre Interessen gehört und politische Entscheidungen unter Berücksichtigung derselben getroffen werden. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass für die Einzelne oder den Einzelnen das Ziel der Partizipation unbedingt auf politischer Ebene anzustreben ist, sondern sich sehr vielfältig zeigen kann. Ein Partizipationszwang besteht nicht. Kinder und Jugendliche ernst nehmen, heißt immer auch, ihnen das Recht zur Verweigerung von Partizipation einzuräumen – mag dies für Erwachsene, die sich auf den Weg gemacht haben, Kinder und Jugendliche zu beteiligen, auch im Einzelfall frustrierend sein.

Die folgenden Ebenen der Partizipation sollen verdeutlichen, wo Partizipation im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit möglich ist. Die Ebenen stellen keine Hierarchie dar, sondern sind als unterschiedliche Folien zu sehen, die übereinander gelagert sind, sich gegenseitig beeinflussen (können) und die, je nach Fragestellung, zusammengedacht bzw. getrennt betrachtet werden sollten. Viele praktische Partizipationsprozesse lassen sich sicher nicht zweifelsfrei der einen oder anderen Ebene zuordnen.

Als Teilnehmerin und Teilnehmer in Projekten/Angeboten/Veranstaltungen der Kinder- und Jugendarbeit

Für Teilnehmende eines Angebots der Kinder- und Jugendarbeit macht es einen Unterschied, ob sie in vorgegebenem Rahmen das Angebot mitgestalten können, oder ob sie lediglich passiv an einem „Event“ teilnehmen. So ist es beispielsweise in vielen Jugendverbänden Praxis, dass schon bei Kinderfreizeiten die Jüngsten in einer täglichen Freizeitrunde/Vollversammlung ihre Kritik anbringen können, dass gemeinsam nach konstruktiven Lösungen für Probleme des alltäglichen Zusammenlebens gesucht wird und dass schon Kinder an der Programmplanung beteiligt werden, die Vollversammlung vorbereiten und durchführen etc. Ähnliche Partizipationserfahrungen lassen sich im Rahmen von Jugendgruppen und Aktivitäten der Kinder- und Jugendarbeit machen oder in der offenen Arbeit, bei der gemeinsamen Raumgestaltung/Renovierung des Jugendraums/Jugendhauses.

Die große Chance von Beteiligung auf dieser Ebene ist die Niedrigschwelligkeit der Beteiligung. Beteiligung kann hier quasi „en passant“ gelernt werden. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass vonseiten der haupt- und ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendarbeit eine Bereitschaft vorhanden ist, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen und auch Änderungen jenseits des geplanten Rahmens zuzulassen.

Als Mitglied und/oder ehrenamtliche Person innerhalb von Angebotsstrukturen

Wenn Jugendliche innerhalb des Freizeitteams, der Leitungsrunde, eines Vorbereitungsteams, als Mitglied und/oder ehrenamtlich engagierte Person mitwirken, geht es darum, die Rahmenbedingungen der einzelnen Angebote/Veranstaltungen mitzubestimmen – innerhalb der jeweiligen Struktur der Kinder- und Jugendarbeit. Dies gilt in offenen, niedrigschwelligen Settings zur Mitwirkung ebenso wie in (stark) formalisierten Vereins- und Verbandsstrukturen. Das heißt, dies gilt letztlich für alle Formen der Kinder- und Jugendarbeit nach § 11 Abs. 3 SGB VIII.  Je nach Kontext geht es auf dieser Ebene der Partizipation bereits um Interessenvertretung, etwa in einem größeren kommunalen oder landesweiten Jugendring, aber auch innerhalb von größeren Dachorganisationen der Felder der Kinder- und Jugendarbeit.

Auf dieser Ebene wird die Beteiligung tendenziell formalisierter. Hierin liegt die Chance, Sinn und Vorteile von formalisiert(er)en Entscheidungswegen zu begreifen – zugleich aber auch die Gefahr, dass Beteiligung nur noch formal sichergestellt, aber nicht wirklich gelebte Praxis ist, etwa, wenn formal korrektes Vorgehen wichtiger wird als die Anliegen der Kinder und Jugendlichen und ihre Möglichkeiten, diese wirkungsvoll einzubringen. Zentrale Herausforderung für erfahrene Ehrenamtliche und Hauptamtliche sowie für Gremien ist die Bereitschaft, auch etablierte Formen immer wieder hinterfragen zu lassen und die eigene Erfahrung und Expertise zwar gut begründet einzubringen, aber dabei auch achtsam mit den Wünschen und Interessen derer umzugehen, die weniger Beteiligungserfahrung haben.

Als Interessensvertreterinnen und -vertreter über die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit hinaus

Junge Menschen, die sich innerhalb von bestehenden Strukturen bereits aktiv einbringen und weitere Gelegenheiten suchen, um Themen und Anliegen auch öffentlich einzubringen, müssen von den bestehenden Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit dabei unterstützt werden. Das heißt, wenn Jugendliche daran interessiert sind, sich gesellschaftlich und/oder politisch für Themen über die (selbstorganisierte) Gestaltung jugendlichen Zusammenlebens hinaus zu engagieren, finden sie dafür unter Umständen im örtlichen Jugendgemeinderat, in einem Jugendverband oder in einer anlassbezogenen Initiativgruppe die für sie und ihre Interessen das dafür passende Forum. So beteiligen sich junge Menschen beispielsweise an Stadt- und Verkehrsplanung, wie Nachtbus-Konzeptionen oder Spielplatzplanung. Sie beteiligen sich an Unterschriftensammlungen und nutzen digitale Mitbestimmungsmöglichkeiten. Und sie organisieren beispielsweise Demonstrationen für Zukunftsthemen, wie einen wirksamen Klimaschutz, einen fairen Welthandel, eine weltoffene Gesellschaft oder Änderungen in den Schulgesetzen, oder sie beteiligen sich im Rahmen weiterer politischer Aktionsformen wie Blockaden, Flashmobs, Performances usw.

Als Funktionsträgerinnen und -träger innerhalb der staatlichen Strukturen und des politischen Systems

Für Jugendliche besteht die Möglichkeit, sich kommunal, landes- oder bundesweit, auf europäischer oder sogar auf Ebene der Vereinten Nationen in der Vertretung von Jugendinteressen innerhalb des politischen Systems zu engagieren. Auf kommunaler Ebene kann dies je nach Verfasstheit über verschiedene Formen von Jugendforen, Kinder- und Jugendparlamenten oder Beteiligungsprojekten und -prozessen, sei es auf Verwaltungs-initiative, sei es auf Initiative eines Trägers der Kinder- und Jugendarbeit – oder über die Interessenvertretungsarbeit der Jugendverbände und Jugendringe erfolgen.

Auf Länder- und Bundesebene sind es v. a. die Dachorganisationen der Kinder- und Jugend-arbeit sowie die Landesjugendringe und der Bundesjugendring sowie die Landes- und Bundesverbände, denen die Aufgabe zufällt, die Interessen von Kindern und Jugendlichen innerhalb von Gesetzgebung und Verwaltungshandeln wirkungsvoll zu vertreten. Wirkungsvolle formalisierte Beteiligungen sind bisher nicht vorhanden. In verschiedenen Ländern vorhandene Formate, wie Jugendlandtage u. ä., sind bislang Formate der politischen Bildung, nicht aber der ernst gemeinten Beteiligung. Das heißt, Jugendliche werden angehört, sprechen und bestimmen in abgesteckten Rahmen mit. Diese Beteiligungsformen wirken in den meisten Fällen jedoch nicht darauf ein, dass Jugendliche in größere Entscheidungen einbezogen werden und Partnerinnen und Partner auf Augenhöhe sind.

Für eine effektive Partizipation auf verschiedenen politischen Ebenen ist es essentiell, dass Kinder, Jugendliche und ihre Interessenvertreterinnen und -vertreter sich bei allen Themen, die sie betreffen, beteiligen können. Grundsätzlich sind das alle Themen aus allen Politikbereichen. Unter diesen Gesichtspunkten sollte Partizipation als ein konkreter Beitrag zur Umsetzung der eigenständigen Jugendpolitik  betrachtet werden. Bestrebungen in den Ländern und Kommunen müssen vor diesem Hintergrund ebenfalls erwähnt und positiv bewertet werden.

Spannungsfelder der Partizipation

Wie zugänglich sind Partizipationsmöglichkeiten/-angebote?

Partizipation setzt voraus, dass für Kinder und Jugendliche Zugänge zu Strukturen und Angeboten möglich sind, innerhalb derer Partizipation gelebt und gelernt werden kann. Die Kinder- und Jugendarbeit ist jedoch geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen Offenheit und Geschlossenheit. Zahlreiche Ausschlussmechanismen in Struktur und Funktionsweise von Angeboten können die Zugänge für einzelne Jugendliche erschweren oder verschließen. Sei es die Clique, die (zeitweise) ein Jugendhaus dominiert, sei es, dass das Thema oder das Wertefundament des Jugendverbands (in einer bestimmten Lebensphase) nicht passen. Die Jugendverbände stehen vor der Herausforderung eine für alle offene Angebotsstruktur vorzuhalten. Für Jugendliche sind sie aber unter anderem auch besonders durch ihren milieubezogenen bzw. „geschlossenen“ Charakter interessant, denn sie treffen hier konkret auf Interessen einer Teilgruppe.

Einerseits bedeutet dies, dass die Vielfalt der Träger und Verbände für unterschiedliche Interessen unterschiedliche Angebote ermöglicht. Andererseits darf dies nicht bedeuten, dass sich der einzelne Träger/der einzelne Verband hinter dem insgesamt hohen Pluralismus der Verbände und Handlungsfelder der Kinder- und Jugendarbeit – mit den unterschiedlichsten Themen, Interessen, Arbeitsweisen und Zugängen – versteckt. Alle innerhalb der Kinder- und Jugendarbeit Tätigen müssen sich immer wieder kritisch (hinter)fragen, welche Personen und Zielgruppen sie möglicherweise ausschließen, ob Zugänge bedarfsgerecht gestaltet sind, ob es zusätzliche Angebote braucht, ob Strukturen zu verändern sind, um mehr Kindern und Jugendlichen Zugänge zu guten Partizipations-erfahrungen zu ermöglichen. Gleichzeitig bleibt richtig, dass nicht jeder Träger und jeder Verband zu jeder Zeit alle Kinder und Jugendlichen erreichen kann oder soll.

Hürden der Teilnahme müssen jedoch reflektiert und abgebaut werden. Zudem vertreten Jugendverbände auch anwaltschaftlich Kinder und Jugendliche, die nicht organisiert sind. So ist in § 12 Abs. 2 festgelegt, dass „durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten werden“. Hier gilt es, kreative Wege zu beschreiten, die es möglich machen, auch die Interessen der nicht organisierten Jugendlichen zu erfahren und in verschiedenen Aktivitäten und Maßnahmen zu treffen. Es gilt darüber hinaus, die Vielfalt der Beteiligungsmöglichkeiten zu wahren und zu fördern und dadurch die unterschiedlichen Wünsche und Interessen der Jugendlichen bei einem Engagement im Jugendverband zu berücksichtigen.

Wer setzt Themen?

Eine entscheidende Frage innerhalb jedes Partizipationsprozesses ist, wer entscheidet, um was es geht – und um was nicht. Ob die Entscheidung im Sinne der Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Einzelfall richtig gefallen ist, ist sowohl im Rahmen der Ebenen der Partizipation, als auch der jeweiligen konkreten Situation zu bewerten. Während es beispielsweise mit einer eher partizipationsunerfahrenen Gruppe überfordernd und kontraproduktiv sein kann, allzu viel gleichzeitig zur Disposition zu stellen, wird es in vielen anderen Fällen für die Kinder und Jugendlichen hochgradig unbefriedigend bleiben, wenn sie nur über Petitessen mitreden dürfen, die im Grunde keinen Unterschied machen. Zudem muss es Kindern und Jugendlichen selbst erlaubt und ermöglicht werden zu entscheiden, ob und in welchen Bereichen sie partizipieren wollen. Letztlich kann festgehalten werden, dass grundsätzlich jedes Thema, welches Kinder und Jugendliche indirekt oder direkt betrifft, dafür geeignet ist, Interesse bei den Kindern und Jugendlichen zu wecken und Beteiligungsprozesse zu initiieren.

Wann ist der passende Zeitpunkt?

Für gelingende Beteiligung mindestens ebenso entscheidend ist der richtige Zeitpunkt. Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit wären schnell überfordert, wenn sie mit jeder oder jedem Jugendlichen, die oder der neu dazukommt, alles grundsätzlich in Frage stellen würden. Dennoch müssen in angemessenen Rhythmen Fragen immer wieder geklärt werden, die für die schon länger Engagierten und v. a. für die Professionellen eigentlich nicht zur Klärung anstehen.

Bei Projekten und Veranstaltungen ist entscheidend, dass rechtzeitig mit genügend Vorlauf in der Ideen- und Diskussionsphase Beteiligung ermöglicht wird.
Auch in der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist es relevant, Jugendlichen transparent zu machen, dass es Zeiträume gibt, in denen Fenster für ihre Mitwirkung begrenzter sind. So kann z.B. manches Fenster in Wahlkampfzeiten bzw. während der Ausgestaltung von Koalitionsverträgen geöffnet werden, das danach erst mal vier bzw. fünf Jahre lang geschlossen bleibt. Auch ist es nach der Bewilligung von Fördermitteln für Projekte schwer, diese inhaltlich neu bzw. anders auszugestalten als vorher beantragt. In diesen Zeiten ist Beteiligung zwar keinesfalls „auf Eis gelegt“, aber ein Einmischen und Mitentscheiden wird herausforderungsvoller.

Ungleiche Machtverhältnisse und Voraussetzungen wirken subtil und stark

Jedes Kind und jede bzw. jeder Jugendliche, unabhängig von unterschiedlichen individuellen Merkmalen und den damit verbundenen machtwirksamen Zuschreibungen, hat das gleiche Recht auf Partizipation. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch in erheblichem Maße ungleich verteilt: hinsichtlich der Informationen, Zugänge, Erreichbarkeit sowie auch in Hinsicht auf die persönlichen Voraussetzungen. Sie sind abhängig von Erfahrungen, Kompetenzen, Fähigkeiten, Orientierungswissen, dem Kennen und Beherrschen gesellschaftlicher Spielregeln und habituellen Dispositionen. Inklusion verstehen wir in dem Sinne, dass Verschiedenheit Normalität darstellt. Daraus ergibt sich der Anspruch, dass jedes Kind und jede bzw. jeder Jugendliche, unabhängig von unterschiedlichen individuellen Merkmalen und den damit verbundenen machttechnisch wirksamen Zuschreibungen, das gleiche Recht auf Beteiligung hat. Gewarnt werden muss in diesem Zusammenhang vor der „Ambivalenz der Gleichheit“. Damit ist gemeint, dass eine Gleichbehandlung von Ungleichen zu Ungerechtigkeiten führt. Die Herausforderung besteht somit darin, in der Praxis Strukturen und Abläufe so zu konzipieren und umzusetzen, dass sich alle mit ihren individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten beteiligen können.

So ist kritisch zu fragen, ob die Kinder- und Jugendarbeit nicht Mitbestimmungsperspektiven „verspricht“, die für manche angesichts ihrer Lebenswirklichkeit fast zynisch wirken müssen? Einer Lebenswirklichkeit, in der nicht wenige junge Menschen vorwiegend Erfahrungen von Ausgeschlossen-Sein, Abgehängt-Sein und Nicht-Teilhabe machen.

Es liegt in der Verantwortung der Akteure und Akteurinnen der Kinder- und Jugendarbeit, daran zu arbeiten, dass alle Kinder und Jugendlichen mit ihren individuellen Möglichkeiten Zugang zu Partizipationsprozessen haben. Entsprechend sind die Angebote leicht zugänglich und vielfältig im Hinblick auf Themen, Methoden und Formen zu gestalten. Unterschiedliche Bedürfnisse je nach Alter, Geschlecht, sexuelle Identität und Orientierung, Behinderung, sozialer, kultureller oder ethnischer Herkunft sowie Bildungsstand werden dabei berücksichtigt. Auch Ort und Zeit der Angebote müssen dem Rechnung tragen. Unter diesen Voraussetzungen können – umso mehr in einem kontinuierlichen/längeren Prozess eingebettete – Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen eine „empowernde“ Wirkung entfalten.

Wer spricht für Jugend?

In der Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen ist man immer wieder damit konfrontiert, dass das politische Gegenüber mit „echten“ Kindern und Jugendlichen sprechen will und nicht mit Vorständen oder hauptberuflichen Vertreterinnen bzw. Vertretern. Die durch Wahlen hergestellte politische Legitimation dieser Interessenvertreterinnen und Interessensvertreter muss auch von Politik anerkannt werden. Der gesetzliche Auftrag der Jugendverbände zur Interessenvertretung (in § 12 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII) ist durch Politik zu berücksichtigen.

Letztlich muss man festhalten, dass es drei Formen von Interessensvertretungen gibt, die alle ihre Legitimation haben: Zunächst gibt es gewählte Interessensvertretung, wie z.B. der Vorstand in Jugendverbänden. Sie vertreten die im Verband organisierten Jugendlichen und haben auch den Anspruch, die nicht organisierten (mit) zu vertreten. Eine weitere Interessensvertretung sind die Träger der Kinder- und Jugendhilfe, die in ihrem Handeln für Kinder und Jugendliche wirken und deren Interessen vertreten. Und natürlich sind es auch Jugendliche auf individueller Ebene, die ihre eigenen Interessen oder die ihrer Peers etc. vertreten und sich dafür einsetzen. Alle drei Formen haben ihre Berechtigung, allerdings müssen gerade bei der letzten Form Qualitätskriterien für Partizipation festgelegt werden und Jugendliche müssen die Chance haben, informiert und erfahren in Gespräche und Prozesse zu gehen und nicht bloßgestellt zu werden. Es muss sich somit die Frage gestellt werden, mit welcher Begleitung und Zuarbeit Kinder und Jugendliche in die Lage versetzt werden können, sich als gute und effektive Interessenvertreterinnen bzw. -vertreter für ihre Altersgruppe zu engagieren.

Auf unterschiedlichen Ebenen ist zu beobachten, dass staatliche Stellen selbst über Beiräte, Jugendinitiativen und Ähnliches (oftmals mithilfe privatwirtschaftlich organisierter Agenturen) beginnen, Beteiligungsprozesse zu organisieren. Abgesehen davon, dass dabei das Subsidiaritäts-Prinzip missachtet wird, ist kritisch zu fragen: Unter welchen Bedingungen kann man dabei von gelungener Jugendbeteiligung reden, unter welchen Bedingungen sind solche Initiativen als Augenwischerei und Pseudo-Partizipation zu bewerten? Im Sinne einer starken Partizipationskultur wäre es erstrebenswert, die Rolle von Jugendringen, Jugendverbänden, Jugendhäusern, Jugendtreffs, Jugendgemeinderäten etc. für eine demokratische Kultur und gelingende Partizipation auf allen Ebenen klar zu konturieren und im politischen Alltag selbstverständlich zu verankern. Auf diese Weise hätten Kinder und Jugendliche klare Möglichkeiten, ihre Anliegen zu selbstgewählten Zeitpunkten und Themen zu artikulieren – nicht nur dann, wenn Politikerinnen und Politiker es für angemessen halten und entsprechende Partizipationsangebote machen.

Wer gibt Macht ab?

Es lässt sich durchaus eine Diskrepanz zwischen den programmatischen Verlautbarungen (nicht zuletzt auch der zuständigen politischen Gremien), den unablässigen fachlichen Forderungen und der institutionellen Wirklichkeit beobachten. Seit dem 8. Kinder- und Jugendbericht und dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (1990) hat das Thema Partizipation einen verbindlichen Status. So heißt es im ersten Absatz des achten Paragraf des Sozialgesetzbuches, dass Kinder und Jugendliche „entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“ sind (SGB VIII, § 8 Abs. 1).

Ein rechtebasiertes Verständnis versteht Partizipation als umfassend, nicht als etwas, das als Gnadenerweis aus der politischen Dominanzkultur der Erwachsenen eröffnet, aber auch wieder genommen werden kann, wenn es dieser politisch nicht mehr als passend erscheint. Die Idee und der Anspruch auf Partizipation fordern somit Strukturen, Bildungsverantwortliche und individuelle Akteurinnen und Akteure heraus, von ihrer machtvollen Position zurückzutreten. So muss offengelegt werden, wer über welche Macht verfügt, welche Macht geteilt werden kann und welchen Rahmen es für Beteiligung gibt.

Barrieren der Partizipation

Eine Grenze der Partizipation stellen die tatsächlichen (nicht nur formalen) Beteiligungsmöglichkeiten bzw. die Grenzen der Beteiligung der Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendarbeit innerhalb ihrer Strukturen dar. Wenn professionell oder ehrenamtlich Handelnde ständig selbst an Grenzen stoßen und sich im Alltag selbst nicht als mitgestaltend erfahren, ist es nur schwer möglich, proaktiv Kinder und Jugendliche wirkungsvoll zu beteiligen. Die Grenzen der Gestaltungsspielräume innerhalb gesetzlicher und anderer formaler Vorschriften (z. B. Satzungen), aber auch innerhalb pädagogischer Konzeptionen, Leitbilder, gesellschaftlicher oder trägerspezifischer Normalitätsvorstellungen usw., müssen immer wieder reflexiv sowohl auf Ebene der handelnden Akteurinnen und Akteure als auch der Kinder und Jugendlichen aufgebrochen und erneut verhandelt werden. Es geht nicht darum zu suggerieren, alles wäre möglich. Es geht vielmehr darum, einen realistischen Blick auf Möglichkeiten und (eigene) Grenzen der Partizipation zu entwickeln und weitere Spielräume zu erschließen sowie (aktuell) nicht verhandelbare Grenzen der Partizipation mit ihren Begründungen klar zu benennen, um sich nicht unreflektiert daran abzuarbeiten oder Kinder und Jugendliche in Pseudo-Beteiligungen zu frustrieren.

Wie gelingt Transmission in politische Entscheidungen?

In einer Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums zur Partizipation heißt es: „Jugendliche sollen im Rahmen von Partizipationsprojekten in Schule, Kinder- und Jugendarbeit und Kommune lernen, sich im Sinne formal institutionalisierter Verfahren zu beteiligen (z. B. Jugendforum oder Jugendgemeinderat). Sie werden somit erst einmal außerhalb von politischer Macht, Kultur und Gesellschaft verortet, Partizipation als Prinzip und Voraussetzung jeglichen pädagogischen Handelns tritt dagegen in den Hintergrund“.[10]  

Man sollte zwischen der Partizipation als politischem Prinzip und der Partizipation als pädagogisches Prinzip des sozialen oder politischen Lernens unterscheiden. Partizipative Methoden garantieren (gesellschaftliche) Mitgestaltung nicht. Partizipative Methoden lassen sich missbrauchen, um Beteiligung vorzutäuschen. Während die Beteiligten abgelenkt sind, werden woanders (die wirklich wichtigen) Entscheidungen getroffen. Eine Transmission gelingt dann, wenn Partizipation als Prinzip wahrgenommen wird und Mitbestimmungsprozesse verbindlich ermöglicht werden, deren Ergebnisse dann tatsächlich in politische Entscheidungen einfließen.
 
Verschiedene Demokratieverständnisse

Die demokratische Gesellschaft steht heute vor neuen Herausforderungen. Dies hat auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche Verständnis von Partizipation. So steht bspw. in der Diskussion, welchen direkten Einfluss Personen auf politische Entscheidungen haben sollen, und wo die Institutionen der repräsentativen Demokratie gefragt sind.

Essentiell erscheint, dass Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven sichtbar und hörbar werden und sich in unserer Gesellschaft anerkannt und zugehörig fühlen. Wie gehen wir mit stillen Stimmen um oder mit Perspektiven, die ungewöhnlich scheinen und in einer Mehrheitsdemokratie leicht unter den Tisch fallen?

Die Debatte um Partizipation in der Kinder- und Jugendarbeit kann nicht abgeschlossen werden, denn das Prinzip fordert – wenn man so will – eine permanente Auseinandersetzung mit seiner eigenen Realisierung. Partizipation bleibt eine Aufgabe im doppelten Sinne: Ein regulativer Auftrag, an dem die Kinder- und Jugendarbeit sich orientieren muss; und eine Aufgabe, die strukturell vom Scheitern bedroht ist und daher besonderer Aufmerksamkeit und Sensibilität bedarf.


Die AGJ möchte zum Ende einige Schlaglichter für gelingende Partizipation in der Kinder- und Jugendarbeit mit auf den Weg geben:

•    Partizipation ist ein Recht. Dieses steht Kindern und Jugendlichen zu und muss nicht erst von ihnen eingefordert werden.
•    Partizipation muss ernsthaft gemeint und gewollt sein. Partizipation zum Schein wird schnell entlarvt und ist gegenüber Kindern und Jugendlichen unfair und zudem demotivierend für deren weiteres Engagement.
•    Partizipation ist kein Projekt, sondern ein dauerhafter Anspruch. Für die Kinder- und Jugendarbeit ist es das zentrale und leitende Prinzip.
•    Der Gedanke/das Recht, dass Kinder und Jugendliche sich bei allen Themen, die sie betreffen, einbringen können, sollte handlungsleitend in der Praxis sein und sich in der Haltung der Fachkräfte widerspiegeln.
•    Kinder und Jugendliche müssen Klarheit über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Einflussnahme erhalten und somit ein klares Rollenverständnis entwickeln können.
•    Die Kinder- und Jugendarbeit muss kritisch hinterfragen, welche Hürden der Teilnahme für bestimmte Personen und einzelne Zielgruppen bestehen. Die unterschiedlichen Lebenslagen von jungen Menschen müssen berücksichtigt und die Hürden abgebaut bzw. bedarfsgerechte Zugänge ermöglicht werden.
•    Kreative Wege müssen beschritten werden, um alle Jugendlichen und ihre Themen zu berücksichtigen und einzubinden. Es braucht daher eine Vielfalt (in Themen, Formen und Methoden) der Partizipationsmöglichkeiten.
•    Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kann nicht von der Kinder- und Jugendarbeit allein umgesetzt werden.
•    Partizipation steht immer im Verhältnis zu Macht und Machtabgabe, deshalb müssen die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit sich dahingehend stetig überprüfen.
•    Formen der Partizipation müssen Qualitätskriterien aufweisen und erfordern eine positive Grundhaltung von den beteiligten Fachkräften und beteiligten Akteuren und Akteurinnen.
•    Partizipation erfordert Zeit, Ressourcen, Engagement und eine auskömmliche Finanzierung der Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit. Diese Erfordernisse müssen von den Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen gesehen und verbessert werden.
•    Junge Menschen wollen bei ihren Beteiligungsbestrebungen unterstützt werden. Das Erreichen einer starken Partizipationskultur kann nur gelingen, wenn Kinder- und Jugendarbeit als Motor von Partizipation gestärkt wird.

 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 06./07. Dezember 2018

 

[1] Der Begriff Partizipation wird in diesem Papier synonym zu Begriffen wie Beteiligung, Mitbestimmung, Mitwirkung, Teilnahme oder Teilhabe verwandt und dient als Sammelbegriff für verschiedene Grade und Formen des Aktivseins, der Anteilnahme und der Einbindung. Der Begriff Partizipation bedarf so einer Ausdifferenzierung, wenn es um die konkrete Beschreibung des Kontextes, der Aktivitäten und somit der Art der Partizipation geht.

[2]  Die AGJ hat sich dem Thema bereits im Positionspapier „Kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung stärken“ (2015) gewidmet. Der Fokus lag hier auf Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene.

[3]  Partizipation wird in diesem Papier am Beispiel der Kinder- und Jugendarbeit diskutiert, ist jedoch in anderen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe von ebenso großer Bedeutung.

[4]  In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass verschiedene Formen von Beschwerdeverfahren fachpolitisch diskutiert werden, darunter u. a. unabhängige Ombudsstellen. Das Positionspapier legt hier die spezifische Ausrichtung und Form der Beschwerdemöglichkeit nicht fest, aber erhebt den Anspruch, dass Beschwerdemöglichkeiten neben informellen Verfahren auch formelle und somit fest verankerte Beschwerdeverfahren bereitstellen.

[5]  Ein im Rahmen des Nationalen Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ eingerichteter Arbeitskreis hat allgemeine Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entwickelt und diese für die Bereiche Kita, Schule, Kommune, Erzieherische Hilfen und Kinder- und Jugendarbeit spezifiziert. Das Ergebnis ist ein Heft mit Qualitätsstandards und konkreten Handlungsschritten für die Umsetzung von guter Partizipation vor Ort. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/qualitaetsstandards-fuer-beteiligung-von-kindern-und-jugendlichen/95866.

[6]  Pluto, Liane (2018): Partizipation und Beteiligungsrechte. In: Böllert, Karin (Hrsg.): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe. Band 2. Wiesbaden: Springer VS, S. 945-965.

[7]  In diesem Zusammenhang wird auch auf das AGJ-Positionspapier „Politische Bildung junger Menschen – ein zentraler Auftrag für die Jugendarbeit“ (2017) hingewiesen, das sich der Relevanz von Partizipation als Bestandteil politischer Bildung widmet.

[8]  § 11 Abs. 3 SGB VIII: (3) Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören:
1. außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung,
2. Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,
3. arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit,
4. internationale Jugendarbeit,
5. Kinder- und Jugenderholung,
6. Jugendberatung.

[9]  https://www.jugendgerecht.de/eigenstaendige-jugendpolitik/

[10] Bundesjugendkuratorium (2009b): Partizipation von Kindern und Jugendlichen – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums. https://www.bundesjugendkuratorium.de/assets/pdf/press/bjk_2009_2_stellungnahme_partizipation.pdf  (letzter Zugriff am 22.11.2018).