Zusammenführende Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zu den beiden Sitzungen der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“ mit den Themen Kinderschutz und Fremdunterbringung

Stellungnahme als PDF

Die AGJ beteiligt sich an dem vom Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) gestarteten breiten Beteiligungs- und Dialogprozess zur Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe. In der Arbeitsgruppe wurden durch sie zur Repräsentation der Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe 15 Personen zuzüglich Stellvertretungen in die Arbeitsgruppe „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“ benannt. Die Besetzung dieser Plätze ist in einem Verfahren erfolgt, dass alle Mitgliederstrukturen der AGJ gleichermaßen berücksichtigt. Die seit dem Jahr 2015 zum Reformprozess des SGB VIII bestehende AGJ-Arbeitsgruppe begleitet den Prozess parallel.

Zur Vorbereitung der Sitzungen der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“ stellt das BMFSFJ zwei bis drei Wochen vor den jeweiligen Sitzungen Arbeitspapiere als Diskussionsgrundlage zur Verfügung und bittet um kurzfristige Rückmeldung aus dem Kreis der AG-Mitglieder. Verbandsinterne Abstimmungsprozesse können in Anbetracht der vorgegebenen Zeitläufe nicht umgesetzt werden. Um einem produktiven fachlichen Einbeziehungsprozess trotz dieser schwierigen Bedingungen Wege zu öffnen, haben die innerhalb der AGJ mit dem SGB VIII-Reformprozess befassten Personen (Mitglieder der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“, deren Stellvertretungen sowie der Mitglieder der AGJ-AG „Reformprozess SGB VIII“) Vorabkommentierungen zu den Arbeitspapieren verfasst und intern abgestimmt. Die ersten beiden Vorabkommentierungen bilden die Grundlage dieses Papiers.

Der Vorstand der AGJ macht durch den Beschluss dieser zusammenführenden Stellungnahme im Nachgang der Bundes-AG-Sitzungen deutlich, dass die hier dargelegten Positionen solche der AGJ sind. Zu ausgewählten Gesichtspunkten wird zudem die Gelegenheit wahrgenommen, auf Äußerungen von Teilnehmenden der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“ einzugehen. Die AGJ verbindet hiermit das Bestreben, einen stärkeren dialogischen Austausch in den Prozess einzubringen.

Es ist geplant, ebenfalls eine solche zusammenführende Stellungnahme im Nachgang zu den Sitzungen der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“ zu den Themen Sozialraum und Inklusion zu verfassen.

Ausrichtung dieser Stellungnahme und erste generelle Anmerkungen

Struktur und Inhalte dieser zusammenführenden Stellungnahme orientieren sich an den Impulsen der Arbeitspapiere des BMFSFJ, die sukzessive im Verlauf des Bundesdialogprozesses auf der Internetseite www.mitreden-mitgestalten.de veröffentlicht werden. Sie sind als Bezugspunkt dieser Stellungnahme zu berücksichtigen, die den BMFSFJ-Arbeitspapieren in der Gliederung weitgehend folgt. Einführend sei zudem darauf hingewiesen, dass sich die bislang bekannten Arbeitspapiere des BMFSFJ stark voneinander unterschieden. In dem Papier zum Kinderschutz für die Sitzung am 15. Februar 2019 wurde fast ausschließlich zu einer erneuten Auseinandersetzung mit den Regelungsvorschlägen des nicht in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) aufgefordert. In dem Papier zur Fremdunterbringung für die Sitzung am 4. April 2019 wurden hingegen eine Vielzahl unterschiedlichster Vorschläge ohne innere Gewichtung oder Bezug nebeneinandergestellt. Für eine fundierte fachliche Einschätzung blieben die Ausführungen dabei vielfach zu vage und ließen weder die mögliche Gestaltung von Normen noch von anderweitigen fachlichen Impulsen (etwa Förderprogrammen) erkennen. Auf eine Auseinandersetzung mit jedem Vorschlag der BMFSFJ-Arbeitspapiere wird daher verzichtet und vielmehr weiterhin versucht Gesamtlinien hervorzuheben.

Auf grundsätzlicher Ebene stellt sich für die AGJ im Rahmen des Dialogprozesses die Frage, wieviel Wirkkraft Rechtsetzung zugeschrieben wird. Sowohl im Rahmen der Bundes-AG „SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten“, aber auch im Rahmen der begleitenden Beteiligungs-formen (IKJ-Fokusgruppen etc.) werden hohe Erwartungen gegenüber dem Recht deutlich: Dieses soll eine Lösung für bestehende Konflikte und Problemfelder stellen. Die AGJ warnt insofern vor einer Überfrachtung des Gesetzes, die gerade im sensiblen Bereich der Hilfeplangestaltung auch zu einer Formalisierung des Beratungs-, Aushandlungs- und Verständigungsprozesses statt zu dessen Qualifizierung führen kann. Aus diesem Grund braucht es zielgerichtete rechtliche Impulse, die so im Arbeitspapier noch nicht deutlich werden [1].

Deutlich hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass die AGJ insbesondere die in der in den Arbeitspapieren des BMFSFJ erklärte Absicht einer Stärkung der Rechte der Adressatinnen und Adressaten ebenso wie die Absicht einer Absicherung fachlicher Standards prinzipiell begrüßt. Dennoch muss auch die Gestaltung solcher Normen sorgfältig abgewogen werden. Allein die Betonung in einer Norm, dass bestehende Rechte auch tatsächlich zu beachten sind, wird kaum zu deren erhöhten Umsetzung führen. Auch vor diesem Hintergrund wäre ein ähnlich hoher Konkretisierungsgrad wie im ersten Arbeitspapier künftig wieder hilfreich. Dabei sollten auch Bezüge zwischen einzelnen Vorschlägen unterschiedlicher TOPs hervorgehoben werden – etwa in dem verdeutlicht wird, ob bzw. inwiefern das Ziel der Stärkung von Beteiligungsmöglichkeiten unterschiedlicher Adressatengruppen durch einen zusammengefassten Rechtsatz gewollt, und folglich keine Zersplitterung für fachliche Entwicklung möglicherweise kontraproduktive Überfrachtung des SGB VIII Ergebnis sein könnte.

A) Besserer Kinderschutz und mehr Kooperation

1. Heimaufsicht

Zur Umgestaltung der Regelungen zur Betriebserlaubnis wurden innerhalb der AGJ zum einen Fragen präsent, die an den Einrichtungsbegriff anschlossen, zum anderen die Nachweis-pflichten bzw. Prüfrechte betrafen. Die zudem im Arbeitspapier vorgeschlagene Einfügung des Zuverlässigkeitskriteriums fand innerhalb der AGJ dem Grunde nach Zustimmung.

Einrichtungsbegriff

Im Arbeitspapier des BMFSFJ wurde der Vorschlag einer Legaldefinition des Einrichtungsbegriffs (§ 46 SGB VIII-KJSG) erneut aufgegriffen. Aus Sicht der AGJ würde eine solche Legaldefinition zur Rechtsklarheit beitragen und ist folglich zu begrüßen. Sie sollte dringend an der entsprechenden Rechtsprechung anknüpfen. Deshalb – aber auch in sprachlicher Hinsicht – sollte die vorgeschlagene Formulierung nochmal überdacht werden, Keine der im Arbeitspapier vorgestellten Optionen lösen die bekannten Herausforderungen bislang zufriedenstellend.

Die AGJ regt vor diesem Hintergrund an, das Kriterium ‚Leitungsverantwortung des Trägers‘ in die Legaldefinition aufzunehmen (so z. B. schon BVerwG vom 24.2.1994 – 5 C 17/91: „in einer besonderen Organisationsform unter verantwortlicher Leitung zusammengefasster Bestand an räumlichem…“). Dies könnte sowohl als Abgrenzungskriterium bei den familienanalogen Erziehungsstellen wie auch bei dezentral organisierten Einrichtungen dienlich sein:     
Hinsichtlich der familienanalogen Erziehungsstellen erfolgt in der Rechtsprechung eine Abgrenzung danach, ob die Aufnahme der untergebrachten Minderjährigen in den von der Erziehungsperson eigenverantwortlich geführten Privathaushalt oder unter verantwortlicher Leitung bei weitreichendem Weisungsrecht in eine Wohnung des Trägers erfolgt (OVG Münster vom 17.11.2016 – 12 A 237/16 zu Kinderdorfeltern).    
Bei dezentraler Organisationsformen wird die erforderliche räumliche Bezogenheit nicht bereits abgelehnt, weil diese gerade nicht „unter einem Dach“ liegen. Vielmehr wird hinterfragt, ob die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Trägers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist (BVerwG vom 24.8.2017 – 5 C 1/16).

Die AGJ rät entschieden davon ab, die sonstigen betreuten Wohnformen (§ 48a SGB VIII) oder auch die Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Minderjährige (SGB XII beziehungsweise ab 2020 SGB IX) aus der Betriebserlaubnispflicht zu entlassen. Dies würde trotz vergleichbarer Vulnerabilität der betreuten Minderjährigen ein unterschiedliches Schutzniveau für untergebrachte Minderjährige in Einrichtungen bzw. einrichtungsähnlichen Formen etablieren und damit einem gleichgerichteten Kinderschutz zuwider stehen. Eine solche Herausnahme würde den Charakter des § 48a SGB VIII als Auffangnorm, insbesondere aber auch das angestrebte Ziel der Gesamtzuständigkeit unter dem Dach des SGB VIII konterkarieren.

Hingegen sollten Einrichtungen der Jugendarbeit wie bisher nicht von der Heimaufsicht erfasst werden. Es besteht die Befürchtung, dass dies zu Lasten von ehrenamtlichen Strukturen gehen würde. Zu klären ist, inwieweit die Formulierung des § 45a SGB VIII-KJSG z. B. auch verbandlich organisierte Zeltlager erfasst.

Nachweispflichten (Buch- und Aktenführung / wirtschaftliche und finanzielle Lage)

Innerhalb des Arbeitspapiers werden Vorgaben zur Buch- und Aktenführung gemacht, die zum einen den konkreten Betrieb jeder Einrichtung, zum anderen die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Trägers erkennbar machen (§ 45 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII-KJSG).

Grundsätzliche Kritik an den Vorgaben des § 45 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII bestehen aus Sicht der AGJ nicht. Allerdings erscheint es sinnvoll, wenn schon bei der Gesetzgebung, die Erwartungen an die Umsetzung deutlich gemacht werden und damit eine Richtschnur für die konkrete Umsetzung auf der Verwaltungsebene gegeben ist. Ressourcenverbrauchender Formalismus ist zu verhindern, weshalb es eine genaue Zielbeschreibung braucht.

Unklar bleibt besonders, welche Vorstellungen zur konkreten Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Trägers bestehen (was muss vorgelegt werden und wie wird begutachtet?).

Warnend weist die AGJ zudem daraufhin, dass aufgrund landesrechtlicher Zuständigkeitsverschiebungen die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage in der gleichen Behörde angesiedelt sein kann wie der Abschluss der Leistungs- und Entgeltvereinbarungen (so wird in Hessen das Landesjugendamt bereits jetzt umfassend bei seiner Aufgabenerfüllung durch die kommunalen Jugendämter unterstützt). Es ist zu verhindern, dass bei weitreichendem Einblick in die Buchhaltung unbillig Wissensvorteile zu Lasten der freien Träger ausgenutzt werden. Eine Offenlegung aller Bücher dürfte auch vor diesem Hintergrund überzogen und zudem in Anbetracht bestehender Prüfressourcen zu umfassend sein. Um die Solvens in geeigneter Weise nachzuweisen wäre bspw. ein entsprechendes Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder ein ordnungsgemäßer Jahresabschluss hinreichend.

Prüfrechte

Im Arbeitspapier wurde eine Konkretisierung und Erweiterung der Prüfrechte (§ 46 SGB VIII-KJSG) vorgeschlagen. Deren Umsetzung erfordert in der Praxis eine Hinterlegung mit entsprechenden personellen Ressourcen, um politische Erwartungen nicht per se zu enttäuschen. Neben angemessenen Kapazitäten zur Prüfung, ist aus fachlicher Sicht auch ein Ausbau von Beratung und Begleitung z. B. in Anbetracht neuer Fragen zur inklusiven Ausrichtung oder zur Stärkung der Elternarbeit notwendig. Neben der Aufsichtsfunktion im Rahmen unterschiedlicher Prüfaufträge zu Beginn und während des Betriebes, gilt es aus Sicht der AGJ die Ausrichtung der Betriebserlaubnisbehörde auf Unterstützung in Form von Planungs- und Betriebsführungsberatungen zu wahren und zu stärken. Es sind die Prinzipien der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Trägern der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe zu wahren (§ 4 SGB VIII).

Die AGJ hält es für richtig, dass die vorgesehene Regelung der Prüfrechte es in das Ermessen des Landesjugendamtes stellt, ob unangekündigt oder angekündigt geprüft wird. Zu anlassbezogenen Prüfungen wird es in der Regel aufgrund von Beschwerden oder konkreten Hinweisen kommen. Aber auch andere Prüfungen sind nur nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens möglich, brauchen also in der Regel ebenfalls einen Auslöser um nicht als überfallartige Belastung zu wirken (bspw. Routinebesuch in bestimmten Zeitabständen).

Die AGJ teilt die auch im Arbeitspapier des BMFSFJ wiedergegebenen Bedenken zu Gesprächen, die allein mit den betreuten Minderjährigen und ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten geführt werden. Die hier deutlich werdende Spannung zwischen plausiblen behördlichen Informationsinteressen und der gleichermaßen notwendigen Wahrung von Vertrauensschutz ist im Kinderschutz immer wieder spürbar und lässt sich auch nicht einfach auflösen. Darum erscheint es sachgerecht, den Minderjährigen die Möglichkeit zu geben, nicht völlig unbegleitet in solche Gespräche und insbesondere längere Befragungen zu gehen. Sie sind aufzuklären, dass ihrem Wunsch nach Hinzuziehung einer Vertrauensperson (das kann z. B. auch eine Ombudsperson sein) nachzukommen ist. Ein entsprechendes Recht ist im Gesetz zu verankern. Wir möchten davor warnen, ein solches Recht der Minderjährigen bereits aus Sorge davor zu beschneiden, dass die vom Kind benannte Vertrauensperson selbst Täter sein könnte.

Weitere Punkte im Themenfeld Heimaufsicht/Erlaubniserteilung

Über die genannten Themen hinaus möchten die AGJ anregen, die in § 47 Abs. 2 SGB VIII-KJSG vorgesehene gegenseitige Informationspflicht der Betriebserlaubnisbehörden und des örtlichen sowie der belegenden Jugendämter wieder in die Diskussion aufzunehmen. Da zwischen diesen drei genannten Behörden eine Verantwortungsgemeinschaft besteht und sie unterschiedlichen Bezug zu den betreuten Kindern haben und mit verschiedenen Handlungsoptionen ausgestattet sind, erscheint eine gegenseitige Information wichtig.

Auch die im KJSG angedachte Änderung der Zuständigkeitsverteilung bei der Pflegeerlaubniserteilung (§ 87a SGB VIII-KJSG) wurde weder in der Sitzung zum Kinderschutz noch der Sitzung zur Fremdunterbringung aufgegriffen. Die AGJ würde begrüßen, wenn künftig der örtliche Träger für die Erteilung einer Tagespflegeerlaubnis zuständig wäre, in dessen Bereich die Tagespflegetätigkeit ausgeübt wird, und allein die Zuständigkeit für die Vollzeitpflege am gewöhnlichen Aufenthaltsort/Wohnort der antragstellenden Person belassen wird.

2. Kooperation Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen

Hervorgehoben werden soll hier zunächst, dass die AGJ ein auf der gemeinsamen Verantwortung für den Kinderschutz beruhendes kooperativ-abgestimmtes Handeln für sehr wichtig hält.    
Aus diesem Grund begrüßt sie die im ersten Arbeitspapier des BMFSFJ unter Handlungsbedarf angesprochene Stärkung der Mitverantwortung des Gesundheitswesens für den Kinderschutz, welche gerade auch im SGB V stärker zum Ausdruck kommen sollte. Gleichzeitig ist es richtig und wichtig, die fachliche Zuständigkeit beim Jugendamt zu belassen.    
Gerade bei den Fragen einzelfallbezogener Kooperation wird das bereits zu den Prüfrechten der Betriebserlaubnisbehörden angesprochene Spannungsfeld spürbar zwischen nachvollziehbaren Informationsinteressen und dem (eben auch im Kinderschutz) für eine wirksame Hilfebeziehung funktional erforderlichen Vertrauensschutz. Einfache Lösungen verbieten sich, insbesondere ist eine einseitige Auflösung dieses Spannungsfelds verkürzt. Das Ringen um eine vertrauensvolle Kooperationsbeziehung zwischen Berufsgeheimnisträgern und Jugendamt muss auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen achten.

Sehr erfreut hat die AGJ in der Diskussion während der AG-Sitzung am 15. Februar 2019 wahrgenommen, dass hinsichtlich des grundsätzlichen Rollenverständnisses und der Aufgabenverteilung zwischen den Systemen Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen Einigkeit im oben genannte Sinne deutlich wurde. Durch Vertreterinnen und Vertreter beider Systeme wurde hervorgehoben, dass über fallübergreifende Kooperation dieses Verständnis so verdeutlicht und etabliert werden müsse, dass es im Einzelfall eine tragfähige Grundlage bilde, die sowohl die jeweilige Expertise als auch den Datenschutz der Betroffenen respektiere. Diese Austauschebene bliebe bei den Regelungsvorschlägen des KJSG und im Arbeitspapier zurück, die einseitig bei der fallbezogenen Kommunikation und Kooperation ansetzten.

Einbeziehung in Gefährdungseinschätzung / Rückmeldepflicht

Die in § 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII-KJSG vorgesehene Beteiligung des Berufsgeheimnisträger bei der Gefährdungseinschätzung, der eine Mitteilung nach § 4 KKG gemacht hat, wurde von der AGJ bereits im Jahr 2017 begrüßt. Hierfür war wichtig, dass es sich nicht um eine verpflichtende Beteiligung in jedem Kinderschutzfall handelt, sondern diese nach fachlicher Einschätzung des Jugendamtes erfolgt.

Da die multidisziplinäre Kooperation eine höchst sensible Frage im Kinderschutz ist, möchte die AGJ allerdings nochmal eine Präzisierung anregen. Wenn in der Norm implizit nur die Botschaft „Ihr könnt, wenn Ihr wollt“ vermittelt wird, schafft dies Verunsicherung und kann zu Vorwürfen/Misstrauen führen („Warum habt Ihr nicht hinzugezogen?“). Für die Entwicklung einer verlässlichen, ausgereiften Praxis wäre hilfreich zu klären, wer wann und zu welchem Zeitpunkt einbezogen wird. Das gibt der Änderungsvorschlag zu § 8a Abs. 1 SGB VIII bislang nicht sinnvoll wieder. So wird es erstens nicht immer zielgerichtet sein, die Person zu beteiligen, die die initiierende Mitteilung nach § 4 KKG gemacht hat. Je nach Gefährdungslage kann es sachgerecht sein, andere Personen auf Grund ihrer Fachexpertise oder ihres Kontaktes zum Kind hinzuzuziehen (z. B. nach kinderärztlicher Mitteilung von Hinweisen auf Schwierigkeiten im Sozialkontakt, könnte es sachgerecht erscheinen die Schule hinzuzuziehen). Zweitens sind fachlich folgende Zeitpunkte zu unterscheiden, an denen sich die Zielsetzung der Einbeziehung unterscheiden kann: Ersteinschätzung nach Meldung, Gefährdungseinschätzung mit Entwicklung eines Schutzplans, Gefährdungseinschätzung bei Überprüfung der Wirksamkeit des Schutzplans, Übergang von Schutzplan zu Hilfeplan bzw. Maßnahmenende. Auch in dieser Hinsicht würde die vorgeschlagene Formulierung in der Praxis unterschiedliche Erwartungen wecken. Entscheidend bleibt aus Sicht der AGJ aber, dass das Jugendamt einbeziehen kann, wessen Einbeziehung nach fachlicher Einschätzung es für geboten hält.

Auch hinsichtlich der in § 4 Abs. 4 KKG-KJSG vorgesehenen Rückmeldung sind mit der Normierung verbundene gesetzgeberische Abwägungen und Erwartungen ganz klar deutlich zu machen. Es kann konstatiert werden, dass das Bedürfnis nach Rückmeldung letztlich bei allen nach § 4 KKG sowie § 8a Abs. 2 SGB VIII Meldenden hoch und sehr verständlich ist. Anerkannt ist aber auch, dass es des Schutzes der Vertrauensbeziehung zwischen den dann agierenden Fachkräften des Jugendamtes und der Familie als Basis für den aktuellen und zukünftigen Aufbau von Hilfebeziehungen braucht. § 4 Abs. 4 KKG-KJSG sieht allein eine Rückmeldung dazu vor, ob gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung ebenfalls gesehen werden, ob das Jugendamt tätig geworden und noch tätig ist. Eine weitreichendere Information der Berufsgeheimnisträger (also wie das Jugendamt tätig ist/war, zu welchem konkreten Verlauf es kam etc.) legitimiert diese Norm nicht. Entsprechenden höheren Erwartungen (insb. aus dem Gesundheitswesen) sollte aus Sicht der AGJ schon im Gesetzgebungsprozess entgegengetreten werden, da anderenfalls aufgrund von nicht erfüllten Annahmen das Kooperationsverhältnis wiederum gedämpft werden könnte und die Jugendämter in erneute Erklärungsnot zum beschriebenen Spannungsfeld kommen. Aus Sicht der AGJ ist es hochbedenklich, wenn auch in den eingereichten Stellungnahmen zum Arbeitspapier oder Einzeläußerungen während der AG-Sitzung am 15. Februar 2019 teils Forderungen gestellt werden, unter den professionellen Akteuren müsse alles Wissen geteilt werden. Wirksamer Schutz kann nach fachlicher Überzeugung der AGJ nicht durch generelle Informationsoffenheit hergestellt werden, sondern braucht in der Einzelfallarbeit die herausforderungsvolle Balance zur Wahrung von Intimität und Vertrauen mit der betroffenen Familie.

Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass die AGJ die Bedeutung des Wissens um den Fortgang des Verfahrens nach einer § 8a Abs. 2 SGB VIII oder § 4 KKG-Meldung je nach Einzelfall durchaus erkennt. Informationsweitergabe kann notwendig sein, da diese die weitere Hilfebeziehung des/der Meldenden (z. B. Arzt-Patientenverhältnis, Betreuungssituation in der Kita/Schule) beeinflussen mag. Dies ist von den Jugendämtern bei der Aufstellung des Schutz- und ggf. nachfolgenden Hilfeplans zu berücksichtigen und auf entsprechende Einverständniserklärungen hinzuwirken, was noch nicht durchgängig in der Praxis geschieht.

Umstrukturierung § 4 KKG

Die AGJ hat die Umstrukturierung des § 4 KKG-KJSG schon im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens 2017 kritisiert und sich dafür ausgesprochen, § 4 Abs. 1 bis 3 KKG in der jetzigen Form und damit als Spiegel der Handlungsstufenchronologie zu belassen. Sie nimmt als positives Signal aus der Sitzung am 15. Februar 2019 mit, dass sich so auch die in der Teilnehmenden der Bundes-AG aus dem Gesundheitswesen in ihren Kommentierungen positionierten und die BMFSFJ-Vertreterinnen resümierten, sie hätten das Signal gegen die Umstrukturierung verstanden.

Hintergrund der Kritik ist die fachliche Einschätzung, dass durch eine Umstrukturierung die eigene Handlungspflicht der Berufsgeheimnisträger entgegen der Intention des Bundeskinderschutzgesetzes in den Hintergrund tritt, die Offenbarungsmöglichkeit gegenüber dem Jugendamt dann wieder vor Nutzung der eigenen, fachlich und persönlich herausfordernden Handlungsoptionen angestoßen wird und dadurch auch hierzu erfolgte Aufklärungs- und Qualifizierungsbemühungen konterkariert werden [2]. Die Ergebnisse der Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes sind so zu interpretieren, dass das Wissen um § 4 KKG zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinreichend verbreitet war. Hier wurde durch die Praxis seither viel getan. Auch das Wissen um das Beratungsangebot durch insoweit erfahrene Fachkräfte steigt, teils wurden sogar spezifische Beratungsangebote installiert. Aus diesen Gründen spricht sich die AGJ strikt gegen die im KJSG noch beabsichtigte Umstrukturierung aus.

Änderungen im SGB V

Die vorgesehenen Änderungen werden begrüßt. Es wird weiterhin die Notwendigkeit gesehen, dass Änderungen im SGB V zur Verbesserung der Kooperation und für die Gestaltung wirksamer Hilfen über die Systemgrenzen hinweg vorgenommen werden. Hier erhofft sich die AGJ Anregungen unter anderem aus dem Diskussionsprozess der AG Kinder psychisch kranker Eltern und bittet darum, deren Vorschläge in die Sitzung am 17./18. September 2019 einzubringen.

Weiterer Punkt im Themenfeld Kinderschutz

Die Frühen Hilfen habe sich als wichtiger Beitrag zur frühen Förderung von Kleinkindern und ihrer Eltern bewährt. Sie sind aber nur in der Lage ihren Beitrag zum präventiven Kinderschutz weiter so zu leisten, wenn sie angemessen ausgestattet sind. Deshalb ist eine Aufstockung des Fonds Frühe Hilfen notwendig.

3. Schnittstelle Justiz

Während des KJSG-Gesetzgebungsprozess musste in der AGJ eine Auseinandersetzung mit den Vorschlägen zu diesem Themenfeld weitgehend zurückgestellt werden, daher wird begrüßt, nun auf diese eingehen zu können.

Hilfeplan in familiengerichtlichen Verfahren

Innerhalb der Bundes-AG-Sitzung am 15. Februar 2019 kam es zwischen den Teilnehmenden zu einer intensiven Diskussion um den Vorschlag eine Übersendung des Hilfeplans in familiengerichtlichen Verfahren in § 50 Abs. 2 S. 2 SGB VIII-KJSG. Die AGJ möchte die Gelegenheit hier nutzen nochmals zu begründen, warum sie nicht glaubt, dass die vorgeschlagene Änderung bestehende Kommunikations- und Informationsdefizite zwischen Jugendamt und Familiengerichten zu beseitigen hilft. Trotz richtiger Intention handelt es sich um das falsche Mittel.

Eine Seitenbemerkung in der Bundes-AG-Sitzung, bei der die Übersendung des Hilfeplans mit der Übersendung eines Arztbriefes verglichen wurde, machte deutlich welche unzutreffende Vorstellungen die Diskussion dabei aber offenbar prägte. Der Hilfeplan ist kein zusammen-fassendes Dokument, sondern dokumentiert das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses und wird stetig fortgeschrieben. Er wird rechtsdogmatisch auch nicht als klassische Nebenbestimmung zum Verwaltungsakt gesehen und unterscheidet sich damit selbst vom Gesamtplan der Eingliederungshilfe. Dieser Verständigungsprozess, der die Hilfeplanung auszeichnet, kann nur gelingen, wenn intime Informationen unter Wahrung des Vertrauensschutzes eingebracht werden können. Dabei muss auch die Freiheit gewahrt bleiben, Details einzubringen, die im gerichtlichen Verfahren keine Rolle spielen und bei denen die Sorge hemmen könnte, dass im familiengerichtlichen Verfahren jede Partei Akteneinsicht verlangen kann. Die AGJ bittet vor dem Hintergrund des Eindrucks der Bundes-AG-Sitzung am 15. Februar 2019 nicht nur das BMFSFJ um Abstandnahme von dem Vorschlag, sondern auch Schnittstellenpartner um Überprüfung ihrer Vorstellung vom Hilfeplan und ihrer bisherigen Stellungnahmen zum Vorschlag.    

Die vorgesehene Übersendung des Hilfeplans bewirkt den Schein einer vollständigen Informationsübermittlung durch bürokratisches Übersenden und übersieht die Notwendigkeit, zielgerichtet zu überlegen, welche Informationen das Familiengericht für seine Entscheidungsfindung benötigt. Genau diese fachliche und abgewogene Kommunikation ist jedoch zentral. Im Verhältnis zwischen Familiengericht und Jugendamt ist letzteres in seiner Rolle als Fachbehörde zu verdeutlichen, welche das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlung und durch fachspezifische Expertise unterstützt. Das Jugendamt ist kein „Antragsgegner“ und auch nicht allein als „Ermittlungsgehilfe“ des Familiengerichts zu verstehen.    

Hinzukommt, dass eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen familiengerichtlichen Verfahren (Kinderschutzfälle vs. Umgangs-/Sorgerechtsfälle) sinnvoll erscheint und genauer zu überlegen ist, welche Informationen jeweils wann erforderlich sind und wie deren Kenntnisgabe sichergestellt werden kann. Deshalb regen wir ein Nachdenken über Alternativvorschläge an (ggf. auch im FamFG).

Kooperationsverpflichtung

Die AGJ hält gesetzliche Kooperationsverpflichtungen für sinnvoll. Bisher werden diese jedoch zumeist allein im SGB VIII verankert, korrespondierende Vorschriften in den jeweils entsprechenden Gesetzbüchern wären zielführend. Das ist ein Manko, dem die Praxis in der Umsetzung des § 81 SGB VIII begegnet und das nun auch bei dem Änderungsvorschlag des § 52 SGB VIII auffällt.    
Gleichzeitig ist bei jeder gesetzlichen Verpflichtung zu Kooperation (mit Einzelfallbezug oder strukturell) zu beachten, dass die spezifische Rolle der Kooperationspartner sich hierdurch nicht grundlegend ändert. Die Datenschutzvorgaben sind nicht anders als bisher zu beachten. Es ist zu begrüßen, dass dies im Arbeitspapier des BMFSFJ deutlich angesprochen ist. Insofern ist aber wiederum zu klären, welche Erwartungen mit dem Änderungsvorschlag konkret verbunden werden und ob bzw. wie und mit welchen Einschränkungen diese erfüllt werden können.

Mitteilungspflichten in Strafverfahren

Die Einführung von § 5 KKG als Mitteilungspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Jugendamt verdeutlichende Norm wird von der AGJ begrüßt.

4. Beteiligungsvorgaben im allgemeinen Teil des SGB VIII

Elternunabhängiger Beratungsanspruch

Die AGJ hat bereits die Einführung eines niedrigschwelligen, elternunabhängigen Rechtsanspruchs durch die Änderung des § 8 Abs. 3 SGB VIII-KJSG begrüßt [3]. Sie findet es richtig, dass Kinder auch ohne vorherige Prüfung einer bestehenden Not- und Konfliktlage ein Recht auf Beratung haben und unterstützt den Änderungsvorschlag § 8 Abs. 3 SGB VIII-KJSG klar. Unter anderem wurde hierzu während der Bundes-AG-Sitzung am 15. Februar 2019 ein breiter Fachkonsens deutlich.

Ombudsstellen und externe Beschwerdemöglichkeiten

Ebenfalls breite fachliche Zustimmung findet das Fachkonzept „Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe“. Auch die AGJ fordert seit längerem die Einfügung einer gesetzlichen Regelung, die die verbindliche Einrichtung externer unabhängiger Ombudschaften vorsieht [4]. § 9a SGB VIII-KJSG bleibt als Ermessensvorschrift hinter diesen Erwartungen zurück, wurde aber als erster positiver Schritt begrüßt [5].

Die Einfügung der Alternative „oder vergleichbarer Strukturen“ im parlamentarischen Prozess wird jedoch kritisch betrachtet. Die gesetzliche Regelung soll die flächendeckende Umsetzung dieses spezifischen fachlichen Beratungskonzepts fördern, welches Betroffene bei Konflikten in der Kinder- und Jugendhilfe und im Umgang mit der bestehenden Machtasymmetrie stärkt. Durch die Formulierung „oder vergleichbarer Strukturen“ wird diese normative Zielrichtung der weichen „kann-Regelung“ nochmals abgeschwächt und sollte aus Sicht der AGJ daher gestrichten werden.

Hingegen hält die AGJ die Einfügung der über S. 2 erfolgten Betonung für sehr sinnvoll, dass es sich um unabhängige, externe (also weder im Jugendamt noch bei einem leistungserbringenden Träger der freien Jugendhilfe angesiedelte) Stellen handeln muss und diese nicht weisungsgebunden handeln. Unabhängigkeit ist aber nicht allein durch das Gesetz, sondern muss in der Praxis durch die strukturelle sowie konzeptionelle Anlage der Stellen sowie gesicherte Finanzierungswege abgesichert werden.

Dass bisher in der Kinder- und Jugendhilfe tätige Ombudsstellen sich in ihrem Aufgabenfeld auf hilfeplan(analog)gestaltete Leistungen begrenzen, ist vor dem Hintergrund der besonderen Vulnerabilität des hier erfassten Adressatenkreises und der spezifischen Verfahrens- und Rechtsschutzvorgaben zu erklären. Ombudschaftliche Beratung hält die AGJ aber auch in anderen Aufgabenfeldern der Kinder- und Jugendhilfe zur Stärkung der Leistungsberechtigten für sinnvoll, betont aber, dass für diese spezifische Ombudsstellen einzurichten sind [6]. Anderenfalls droht die Beratung durch zu große Breite des Aufgabenfeldes leerzulaufen.

Die Ergänzung des § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII-KJSG um externe Beschwerdemöglichkeiten wird von uns begrüßt. Als solche könnten (neben anderen externen Vertrauenspersonen) auch Ombudsstellen herangezogen werden. Diese Aufgabenverknüpfung kann – sowohl konzeptionell wie auch für die Finanzierung – sinnvoll sein, um Ombudschaft als Anliegen und Verantwortung aller Akteure der Kinder- und Jugendhilfe hervorzuheben und ihre Unabhängigkeit zu stärken.

Die AGJ fordert ergänzend eine Verpflichtung der Jugendämter interne und externe Beschwerdemöglichkeiten bereitzuhalten, die parallel zu § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII-KJSG konstruiert werden könnten [7].

5. Auslandsmaßnahmen

Die AGJ hat die Regelung des § 36c SGB VIII-KJSG als Anknüpfung an die erfolgreiche Bund-Länder-Debatte begrüßt [8], aber bereits an dieser Stelle darum gebeten zu prüfen, ob diese Vorgaben auf Grund der teils sehr unterschiedlichen ausländischen Rechtslage überhaupt greifen können (z. B. gibt es nicht in allen Ländern vergleichbare Heimaufsichtsverfahren zu §§ 45 ff. SGB VIII). Außerdem wurden Überlegungen zu unbeabsichtigten Nebenfolgen angeregt, etwa weil die Anwendung der Vorgaben in Abs. 2 auf den Umzug einer Pflegefamilie vom grenznahen Gebiet ins Ausland nicht passgerecht erscheint. Auf beides wurde weder im Arbeitspapier des BMFSFJ noch in der AG-Sitzung am 15. Februar 2019 eingegangen.

Der AGJ ist besonders wichtig, dass die Eignung der mit der Leistungsgewährung zu betrauenden Einrichtung oder Person an Ort und Stelle überprüft wird (Nr. 3). Das setzt voraus, dass die Jugendämter hierzu ressourcenmäßig auch in Lage versetzt sein müssen.

Gerne unterstützen möchte die AGJ die vom Deutschen Verein in den Dialogprozess eingebrachte Anregung aufgreifen, in diesem Kontext verstärkt auf die Beachtung internationaler Vorschriften hinzuwirken. Ein Hinweis in § 38 SGB VIII auf die mit den zuständigen Behörden des jeweiligen Mitgliedsstaates durchzuführenden Konsultationsverfahren wäre sinnvoll, die in der Brüssel IIa-Verordnung [9] und dem Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern [10] vorgesehen sind.

6. Weitere Punkte im Themenfeld Kinderschutz und Kooperation

Die AGJ unterstützt das Ziel der Einführung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Entlastung insbesondere ehrenamtlich organisierter Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe [11].    
Auch die Neufassung des § 72a Abs. 5 SGB VIII-KJSG wurde von der AGJ begrüßt [12], findet sich im Arbeitspapier des BMFSFJ aber nicht wieder. Sie muss auch vor dem Hintergrund der nun gültigen EU-DSGVO geprüft werden. Vorrangiges Ziel muss sein, im Dialog mit der freien Kinder- und Jugendhilfe ein praktikableres und rechtssicheres Instrument zur Abfrage der Eignung von Personen für die Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Auch in der AG-Sitzung am 15. Februar 2019 wurde nicht signalisiert, ob eine Änderung des Bundeszentralregisters und von § 72a SGB VIII noch angestrebt wird.

Auch der Schutz von Minderjährigen und Frauen in Aufnahmeeinrichtungen wird im Arbeitspapier des BMFSFJ nicht erwähnt. Vor dem Hintergrund des sogenannten Geordnete-Rückkehr-Gesetzes, in dem die Vorschläge § 44 Abs. 2a und Abs. 3 S. 1 AsylG-KJSG und der entsprechende Verweis hierauf in § 53 AsylG-KJSG für Gemeinschaftsunterkünfte in nochmals deutlich abgeschwächter Form aufgenommen wurde, fordert die AGJ deutlichere gesetzliche Regelungen. In Anbetracht einer in der zu beobachtenden Praxis, die Kinder- und Jugendhilfe aus dem Bereich von Aufnahmeeinrichtungen versucht auszugrenzen, wären zum Beispiel nachzuweisende Kooperationsverpflichtungen der Aufnahmeeinrichtungen mit dem örtlichen Jugendamt sinnvoll. Nur so können Gefährdungssituationen angemessen vorgebeugt und gegebenenfalls rechtzeitig erkannt und kann Beratung und Unterstützung in Fragen der Erziehung zu den schwierigen Bedingungen des Aufwachsens begleitet geflüchteter Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien sinnvoll bereitgestellt werden.    

Die AGJ hält insbesondere Großeinrichtungen wie AnKer-Zentren per se als für Kinder ungeeignete Orte. Sie fordert eine bedarfsgerechte räumliche Gestaltung für diese und andere vulnerable Gruppen. Vor dem gleichen Hintergrund sind auch andere Schutzeinrichtungen (z. B. Frauenhäuser, Notunterkünfte der Wohnungslosenhilfe) hin zu einer kindgerechten Ausstattung und konzeptionellen Ausgestaltung zu stärken. Der Zugang zu inklusiv ausgestalteten Betreuungs- und Bildungsangeboten ist sicherzustellen.

B) Unterbringung junger Menschen außerhalb der eigenen Familien

1. Beteiligung, Beratung und Unterstützung der Eltern fremduntergebrachter Kinder

Stärkung der Beteiligung der Eltern am Hilfeprozess / Stärkung der Unterstützung der Eltern

Die AGJ befürwortet fachlich die Intention der Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten der Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe als einen zentralen Wirkfaktor gelingender Hilfebeziehungen. Dabei sind neben den unter diesem TOP angesprochenen Herkunftseltern, immer auch Pflegeeltern und andere enge Bezugspersonen, insbesondere aber auch eine Beteiligung der jungen Menschen selbst in den Blick zu nehmen. Im Arbeitspapier des BMFSFJ wird die Beteiligung dieser unterschiedlichen Personengruppen in getrennten TOPs, ohne Bezugnahme untereinander, gemacht.

Es leuchtet ein, wenn das BMFSFJ im Arbeitspapier zu Fremdunterbringung Vorschläge in Richtung Beteiligung macht. Solche sind fachlich grundsätzlich immer wert, diskutiert zu werden. Bereits in den einführenden Anmerkungen dieser Stellungnahme wurden Bedenken hinsichtlich der Wirkmacht von Rechtsänderungen deutlich gemacht, die selbst im Kontext der fachlich hochbedeutsamen Beteiligung nicht in den Hintergrund treten. So enthält das SGB VIII bereits in seiner jetzigen Fassung z. B. eine Pflicht zur Aufklärung. Auch ist Beratung, Elternarbeit oder eine ambulante Hilfe parallel zur Fremdunterbringung möglich, ohne dass diese Möglichkeiten tatsächlich bisher hinreichend wahrgenommen werden.

Die AGJ hält es für sinnvoll, den Eltern fremduntergebrachter Kinder einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung einzuräumen und dabei die Möglichkeit paralleler Hilfen, so sie geeignet und notwendig sind, ausdrücklich zuzulassen.

Für eine vermehrte Beteiligung der Adressatinnen und Adressaten in der Praxis dürfte aber gesetzlich nur eine Vorschrift mit Ausstrahlungswirkung förderlich sein, die darauf verzichtet, kleinteilig und vermeintlich chronologisch Beteiligungsaspekte als Verfahrensnorm durchzuregulieren. Die AGJ verspricht sich eine stärkere fachliche Rezeption durch die Praxis, folglich nicht durch seitenlange Vorgaben im Gesetz, das nicht versuchen sollte, spezifische und detaillierte fachliche Handlungsanweisungen zu ersetzen. Eine Konkretisierung des § 36 SGB VIII sollte deshalb eine Verdeutlichung der Aufgaben gegenüber der Praxis anstreben, etwa durch die pointierte Aussage, dass die Adressatinnen und Adressaten in den Prozess jeder Entscheidungsfindung fortlaufend einzubeziehen sind. Dabei muss insbesondere deutlicher als bisher werden, dass neben der kooperativen Ausgestaltung der Hilfen auch auf fachliche Verfahren und Standards zur Beteiligung bei Ermittlung des Hilfebedarfs hinzuwirken ist – sowohl zu Beginn als auch bei der Fortentwicklung im Hilfeverlauf [13]. Gleiches gilt bereits für den Prozess des Clearings bei Inobhutnahme, die gesondert und ohne Bezugnahme auf die vorherigen TOPs am Ende des BMFSFJ-Arbeitspapieres angesprochen wird.

Die AGJ teilt die im Arbeitspapier deutlich werdende Einschätzung, dass tatsächlich gerade jungen Volljährigen sowie Eltern nach einer Fremdunterbringung noch zu häufig vorgeworfen wird, sich nicht selbst aktiv genug einzubringen. Hier wird nach Ansicht der AGJ allerdings vor allem ein Ressourcenproblem deutlich, dass allein durch eine Gesetzesänderung nicht angegangen werden kann. Zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe gehört es, behinderungs-, einstellungs- und sprachbedingte Barrieren von Beteiligung zu überwinden, was neben Aufklärung auch eine Anpassung der Gesprächs- und Hilfebedingungen und ein stetiges Werben oder die Verdeutlichung „offener Türen“ braucht. Studien zur Beteiligung zeigen, dass Vieles möglich wird, wenn es auch ernsthaft gewollt ist. Allerdings gelingt Beteiligung nicht unter engen zeitlichen und stark standardisierten Vorgaben. In der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 wurde hinterfragt, welches Maß von wiederholtem Engagement von den Jugendämtern verlangt werden kann und soll: Reicht die bloße Information über das Recht auf Beteiligung? Welche Tätigkeiten zum Empowerment der Adressatengruppe werden erwartet? Wie wirkt es sich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns aus, wenn das Angebot der Beteiligung dennoch nicht angenommen wird?

Da bislang die Beteiligung nichtsorgeberechtigter Eltern gesetzlich tatsächlich nicht geregelt ist, würde eine ausdrückliche Erwähnung dieser als Adressatengruppe von der AGJ begrüßt. Auch ein Wiederaufgreifen des § 37a SGB VIII-KJSG wird positiv gesehen. An dem Beispiel dieser Norm kann jedoch gezeigt werden, dass die Einzelbewertung der Vorschläge kaum möglich ist. Denn es wird z. B. der Bezug der Vorschläge unter TOP 1 I 3, II 1 und II 2 des BMFSFJ-Arbeitspapiers nicht klar: Beim ersten Vorschlag wird eine Adressatengruppe expliziert (Beteiligung nichtsorgeberechtigter Eltern), beim zweiten unter anderem für diese ein Rechtsanspruch auf Unterstützung und Beratung bei Fremdunterbringung und beim dritten eine parallele Verfahrensbestimmung vorgeschlagen (konzeptionelle Umsetzungsüberlegungen und festlegungen in der Hilfeplanung). Einzelbewertungen der Vorschläge sind kaum möglich. Jeder Vorschlag für sich mag sinnvoll sein, alles gemeinsam schränkt die jeweilige Wirkkraft möglicherweise wieder ein und wird „geduldiges Papier“. Zudem sind neben den hier angesprochenen (Herkunfts-)Eltern, eben auch stets die jungen Menschen selbst in den Blick zu nehmen. Die Bezüge zwischen den TOPs des Arbeitspapiers blieben auch in der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 unklar.

2. Schutz kindlicher Bindungen bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie

Sicherung der Kontinuität (Perspektivklärung / Stabilität für das Kind oder den Jugendlichen)

Auch hinsichtlich der Ausführungen und Vorschläge im Arbeitspapier des BMFSFJ zu TOP 2 möchte die AGJ auf die einführenden grundsätzlichen Hinweise verweisen. Sowohl die prozesshafte Perspektivklärung als auch die Sicherstellung stabiler Beziehungserfahrungen sind fachlich deutlich zu begrüßende Ziele. Wiederum bleiben aber die Vorstellungen des BMFSFJ zur gesetzlichen Umsetzung dieser Ziele zu vage für eine konkrete Bewertung.

Die besondere Sensibilität dieses Themenfeldes wurde in der letzten Legislaturperiode auch durch den öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen den Koalitionsparteien bei der Bewertung des damaligen Vorschlags einer Dauerverbleibensanordnung (§ 1631 Abs. 4 BGB-RegE zum KJSG) deutlich. Dieser Konflikt führte auch dazu, dass selbst von den allseits begrüßten ausdifferenzierten Beratungs- und Unterstützungsansprüche für Eltern und Pflegeeltern (§§ 37, 37a SGB VIII-KJSG-RegE zum KJSG) Abstand genommen wurde.

Die AGJ schließt sich der in der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 getroffenen Einschätzung an, dass die Überschrift dieses Vorschlags fehlleitend ist: Jede familiengerichtliche Entscheidung bleibt bei entsprechenden Kindeswohlerwägungen abänderbar und ist insofern nicht auf Dauer. Die AGJ würde begrüßen, wenn inhaltlich die Vorschläge unter treffenderer Bezeichnung wieder aufgegriffen würden und geäußerte verfassungsrechtliche Bedenken (Art. 6 Abs. 2 GG) durch die gleichzeitige Verankerung eines Rechts auf Begleitung für Herkunftseltern ausgeräumt werden können.

Bestehen diese Bedenken fort, fordert die AGJ die politisch Verantwortlichen auf, alternative Möglichkeiten eines über familiengerichtliche Entscheidungen abgesicherten kontinuierlichen Verbleibs auszuloten. Zivilrechtliche Anreize zu Herkunftselternarbeit können auch jenseits eines jederzeitigen Herausgabeanspruchs von Personensorgeberechtigten gesetzt werden. In Betracht kommt z. B. eine familiengerichtlich bestätigte, von allen Seiten getragene Entscheidung über den fortlaufenden Verbleib (also von Kind, Herkunftseltern, Pflegeeltern und Jugendamt). Zu begrüßen wäre daneben eine Umgestaltung der Regelung zum jederzeitigen Herausgabeanspruch (§ 1632 Abs. 1 BGB), wonach dann eine Herausgabe des Kindes im Konfliktfall beim Familiengericht zu beantragen ist, wenn das Kind bereits einen bestimmten Zeitraum in der Pflegefamilie lebt. Dieser Zeitraum ist im politischen Prozess festzulegen – in den Niederlanden wurde z. B. der einjährige Verbleib in der Pflegefamilie gewählt. Beide Möglichkeiten helfen eine Balance zwischen dem Recht der Eltern auf das Zusammenleben mit ihrem Kind und dem Recht des Kindes auf Schutz seiner Beziehungen und Bindungen, eine verlässliche Prüfung der Kindeswohlgefährdungsgrenzen und die Festlegung eines geordneten Übergangs herzustellen.

Das Beispiel Schutz kindlicher Bindungen und Einbeziehung der kindlichen Perspektive macht besonders deutlich, dass es Raum für vertieften fachlichen Austausch und das Durchdenken alternativer Regelungsideen braucht.

Es gibt Hinweise, dass das Risiko von Abbrüchen in Pflegeverhältnissen steigt, wenn von Pflegefamilien stark kompensatorische und verhaltensändernde Leistungen erwartet werden. Die oben genannten Lösungsvorschläge zur „Dauerverbleibensanordnung“ reichen zur Begegnung dieses Problems nicht. Hier scheint es wichtiger durch fachliches Handeln zur Konfliktreduktion beizutragen und zu helfen, dass sich ein sogenanntes Arbeitsbündnis zwischen Pflegefamilien und leiblichen Eltern entwickelt.

Die AGJ fordert zudem etwa der problematische Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erneut zum Thema zu machen, auf den weder im Arbeitspapier des BMFSFJ noch in der Bundes-AG-Sitzung eingegangen wurde. Der dort festgelegte Zuständigkeitswechsel nach zwei Jahren Verbleib in der Pflegefamilie führt in der Praxis zu den mit Abstand meisten Wechseln der örtlichen Zuständigkeit im Bereich des SGB VIII und damit in einer Vielzahl von Fällen zu Problemen, weil gefundene Verständigungen und eine eingespielte Aufgabenwahrnehmung zwischen Personensorgeberechtigten, fallzuständiger Jugendamtsfachkraft, Pflegekinderdienst, Pflegefamilie und dem jungen Menschen erneut in Frage gestellt werden.

Bisher noch gar nicht Erwähnung gefunden hat ferner der für die Praxis hochrelevante Aspekt der Geschwisterbindungen/-beziehungen. Oft haben junge Menschen bereits Sorgeaufgaben für ein oder mehrere Geschwisterkinder übernommen. Das zu berücksichtigen, kann sowohl bei einer gleichzeitigen Fremdunterbringung als auch bei Verbleib eines Geschwisterkindes in der (Herkunfts-)Familie für die betroffenen jungen Menschen hochbedeutsam sein. Einerseits sind Möglichkeiten der gemeinsamen Unterbringung, andererseits die Sorge um die Situation des Geschwisterkindes und den Kontakt zu diesem zu berücksichtigen. Es geht um Ressourcenfragen (die notwendige Einhaltung von Auslastungsquoten widerspricht einer Freihaltung von Plätzen, dennoch könnte überörtlich für entsprechende Bedarfe Vorhaltungen getroffen werden). Es geht aber auch um die Einbeziehung dieser Perspektive in die Hilfeplanung, die zu stark am Kind als Einzelperson orientiert ist.

Pflegekinder mit Behinderung

Die AGJ setzt sich seit vielen Jahren für die Einführung einer Gesamtzuständigkeit unter dem Dach des SGB VIII ein [14]. Sie erwartet diesbezüglich detaillierte Regelungsvorschläge im Arbeitspapier des BMFSFJ für die letzte Bundes-AG-Sitzung, in der das Thema Inklusion aufgegriffen wird. Gerade auch in Anbetracht der zu beachtenden Zeitläufe der Legislaturperiode ist eine konkrete Debatte unbedingt notwendig. In der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 wurde von vielen Teilnehmenden hervorgehoben, dass sie die Einführung der Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen für dringend erforderlich halten, da sie zu Verweisungen und ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen sowohl bei ambulanten wie stationären Leistungen führt.

Im Hinblick auf die Situation von Pflegekindern mit Behinderung sind – als Vorschritt zur Gesamtzuständigkeit – rechtliche Veränderungen zur verbesserten fachlichen Einbindung in das System des Pflegekinderwesens der Kinder- und Jugendhilfe bereits jetzt dringendes Gebot. Wie das im BMFSFJ-Arbeitspapier zu Fremdunterbringung vorgeschlagene „Fallmanagement“ unter Berücksichtigung der SGB IX-Vorgaben das leisten können soll und wie es aussehen kann, bleibt ebenso wie die vorgesehene bessere Planung des Übergangs ins Erwachsenensystem aus Sicht der AGJ unklar, weshalb eine Bewertung dieses Vorschlags hier nicht möglich erscheint.
Ziel muss es sein, einen Unterstützungsstand auf dem fachlichen Niveau der Kinder- und Jugendhilfe zu etablieren und Zuständigkeitsstreitigkeiten abzubauen.    

Eine Klarstellung, dass Familienpflege nach § 54 Abs. 3 SGB XII/§ 80 SGB IX auch unter den durch die Jugendämter zu gewährenden Beratungs- und Unterstützungsanspruch des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB VIII fällt (TOP 4 Vorschlag 3), dürfte dabei kontraproduktiv sein. Es ist zu befürchten, dass dies nur zu (weiteren) Streitigkeiten zwischen den öffentlichen Trägern der Eingliederungshilfe und den Jugendämtern führt – sehenden Auges würde eine „doppelte Zuständigkeit“ etabliert. Bereits jetzt ist hochumstritten, inwieweit fachspezifische Begleitung zum Umfang der Hilfe selbst und inwieweit zu einem „begleitenden“ Unterstützungs- und Beratungsanspruch gehört. Eine solche Änderung würde die Träger der Eingliederungshilfe weiter aus der Verantwortung nehmen und sich auf die Qualität der angebotenen Hilfen auswirken.    
Sehr wichtig fand die AGJ in der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 den Hinweis, dass Elternarbeit bei stationärer Eingliederungshilfe nicht vorgesehen ist und entsprechende Rechtsansprüche auch hier zu verankern sind. Solange die Gesamtzuständigkeit unter dem Dach des SGB VIII noch nicht eingeführt ist, braucht es eine Klarstellung, dass sich der Träger der Eingliederungshilfe auch im Rahmen seiner Zuständigkeit an den fachlichen Standards der Jugendhilfe zu orientieren hat.

Wirklich sinnvoll wäre für Pflegefamilien für Kinder mit und ohne Behinderung, wenn im jeweiligen Sozialgesetzbuch ein ausdrücklicher Anspruch auf fachspezifische Begleitung durch einen geeigneten Pflegekinderfachdienst verankert würde (dazu auch unter TOP 4). Je nach Ausformung vor Ort kann die Einhaltung der fachlichen Standards durch die Inanspruchnahme eines im Jugendamt angesiedelten, kommunalen Pflegekinderdienstes im Wege der Amtshilfe erfolgen. Auch über die Inanspruchnahme eines Pflegekinderdienstes in freier Trägerschaft ließe sich die Einhaltung fachlicher Standards sicherstellen. Hier ist eine Gültigkeit der Vereinbarungen nach § 77 SGB VIII (bzw. §§ 78a ff. SGB VIII bei Aufgreifen des Vorschlags 2 unter TOP 4) auch für den Träger der Sozialhilfe festzuschreiben. Orientierung für ein solches Modell könnte § 75 Abs. 5 SGB XII bieten, wonach sich bei der Inanspruchnahme von Pflegeeinrichtungen durch einen Sozialhilfeträger Art, Inhalt, Umfang und Vergütung nach den SGB XI-Vereinbarungen richten. Diese sind im Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger abzuschließen, werden damit aber unter Einbeziehung der fachlichen Expertise des Jugendamtes verhandelt. Es ist dringend geboten, die derzeit in der Praxis bei Pflegekindern mit Behinderung wahrzunehmenden Standardabsenkungen der Dienste zu verhindern.

Aus Sicht der AGJ sind zudem Entlastungsmöglichkeiten von (Pflege-)Familien von Kindern mit Behinderung dringend anzustreben. Gleiches gilt für die offenbar intendierte Gegensteuerung zu qualitativen Absenkungen allein in Folge eines Zuständigkeitswechsels ins System der Eingliederungshilfe trotz gleichgebliebenem Bedarfs. Es braucht Festlegungen, die eine Hilfekontinuität für Wechsel von der Kinder- und Jugendhilfe in die Sozial-/Eingliederungshilfe, aber auch Hilfekontinuität über die Volljährigkeit hinaus absichert. Die Beschreibung des Handlungsbedarfs auf Seite 15 des BMFSFJ-Arbeitspapiers sind hier durchaus treffend. Leider werden diese drei Problempunkte in den Handlungsoptionen des Arbeitspapiers bislang aber nicht aufgegriffen, sie sind aus Sicht der AGJ daher spätestens in der 5. Bundes-AG-Sitzung am 17./18. September 2019 zu erörtern. Auch hier könnte über die (fortbestehende) Gültigkeit der SGB VIII-Vereinbarungen als Lösungsweg nachgedacht werden. Jeder dieser drei Aspekte betrifft neben Pflegefamilien auch alle anderen Familien von Kindern mit Behinderung.

3. Unterstützung bei der Verselbstständigung, Übergangsgestaltung

Übergangsgestaltung / Unterstützungsbedarf in der Übergangssituation im Erwachsenenalter / Kostenheranziehung

Auch zu den in diesem Abschnitt des BMFSFJ-Arbeitspapiers enthaltenen Vorschlägen weist die AGJ auf die in den einführenden Anmerkungen dieser Stellungnahme dargestellten Bedenken hin. Die Intention einer Akzentuierung der fachlichen Aufgabe, Perspektiven prozesshaft zu erarbeiten und auf abgestimmte, flüssige Übergänge hinzuwirken, wird begrüßt. Dennoch kommt es wiederum auf die konkrete Gestaltung einer solchen Norm an, damit diese nicht z. B. zu einer starren und damit nicht mehr bedarfsgerechten Umsetzung in der Praxis führt.

Eine Federführung des Jugendamts bei der Klärung der Zuständigkeit erscheint in der Praxis nicht durchsetzbar. Sozialleistungsträger, aber auch Schulen bestehen auf ihre Prüfhoheit hinsichtlich der eigenen Zuständigkeit und damit ihrer Leistungs- und Finanzierungsverantwortung. Davon zu unterscheiden ist die frühzeitige Einbindung und Kooperation bei der Hilfeplanung, zu der allseitig verpflichtet und für die eine „federführende“ Koordination des Beteiligungsprozesses bestimmt werden kann. Umso bedeutsamer ist eine korrespondierende, gesetzliche Pflicht der anderen Sozialleistungsbehörden in den betreffenden Sozialleistungsgesetzen, an der von den Jugendämtern einberufenen Übergangsplanung teilzunehmen.

Noch wichtiger erscheint es der AGJ aber, die Rechtstellung von Care Leavern zu stärken:

Keinesfalls darf hinter die in § 94 Abs. 6 SGB VIII-KJSG vorgezeichneten Änderungen bei der Kostenheranziehung junger Menschen zurückgefallen werden. (Beitragssenkung auf 50 Prozent und Schonbeträge). Als positives Signal hat sie aufgenommen, dass auch von Seiten der kommunalen Spitzenverbände informell signalisiert wurde, dass eine Absenkung auf 25 Prozent sachgerecht erscheine. Immer noch vorherrschend scheint dabei die Auffassung, die jungen Menschen erhielten ja auch eine öffentliche Leistung hierfür. Den Hinweis der Care Leaver, sich das aber nicht ausgesucht oder gar verschuldet zu haben, möchte die AGJ unterstützen. Sowohl aus der fachlichen Erwägung einer Erhöhung der Motivation der jungen Menschen für Ausbildung und Arbeitstätigkeit, als auch aus ökonomischen Erwägungen bezogen auf den bei 25 Prozent weiter bestehenden Verwaltungsaufwand, schließt sich die den Forderungen der Care Leaver nach einer vollständigen Befreiung von der Kostenlast an [15].    

Jenseits der Frage Befreiung von der Kostenlast, möchte die AGJ auf eine im Zuge des sogenannten BTHG-Korrekturgesetzes geplanten Änderungsvorschlag hinweisen, der die Berechnung des Kostenbeitrags für die jungen Menschen, abweichend von § 93 Abs. 4 SGB VIII, vom Einkommen des aktuellen Monats statt des entsprechenden Monats im Vorjahr abhängig machen will. Es handelt sich keineswegs, wie teils behauptet, um eine nur klarstellende Korrektur, sondern die Entscheidung eines virulenten Rechtsstreits zum Nachteil der jungen Menschen, der wiederum mit einer Erhöhung des Verwaltungsaufwandes bei Prüfung einhergeht. Die AGJ fordert dringend nicht in einem Parallelprozess Verschlechterungen zulasten der jungen Menschen in Fremdunterbringung durchzusetzen, die den Diskussionsprozess der Bundes-AG konterkarieren.

Der pauschalen Behauptung des BMFSFJ-Arbeitspapiers, die Voraussetzungen des § 41 SGB VIII seien zu unpräzise, wird deutlich entgegengetreten. Entscheidend ist, ob die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zur Verselbstständigung noch erforderlich ist. Bereits seit langem fordert die AGJ allerdings, die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen des § 41 SGB VIII verbindlicher zu gestalten. Dabei sollte der Regelrechtsanspruch für die Altersgruppe von 18 bis 23 Jahren in einen zwingenden individuellen Rechtsanspruch bei entsprechendem Bedarf der jungen Volljährigen umgestaltet werden. Die Fortsetzungsoption in begründeten Einzelfällen des § 41 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 SGB VIII ist zu bewahren und durch eine Coming back-Option für Care Leaver zu ergänzen. Jugendstudien verweisen ebenso wie Forschung zu veränderten Reifeprozessen für eine eigenständige Lebensführung darauf, dass junge Menschen heute ein höheres Alter bei einem Auszug haben als zu Zeiten des JWG oder bei Erlass des KJHG/der Einführung des SGB VIII. Argumentationen, die dies verneinen und pauschal eine frühere Beendigung von Hilfe fordern, sind insbesondere als Versuch einer Kostenfolgebegrenzung zu sehen. Sie berücksichtigen nicht hinreichend, dass eine verfrühte Hilfebeendigung die Nachhaltigkeit von Hilfeerfolgen stark gefährdet. Problemanzeigen aus der Praxis machen deutlich, dass derzeit (allerdings wiederum wohl insbesondere aus Ressourcengründen) nicht hinreichend die Absicherung eines stabilen Lebensumfelds zur Erreichung von Bildungsabschlüssen beachtet wird und die betroffenen jungen Menschen zudem eher auf nichtakademische Ausbildungsgänge verwiesen werden. Beides ist aus Sicht der AGJ nicht akzeptabel und wird auch unter TOP 5 (Bildungsauftrag in der Heimerziehung) nicht hinreichend aufgegriffen, da die Verantwortung bei der Leistungsgewährung in den Vorschlägen dort ausgeblendet bleibt. Bei den Übergangsplanungen muss deutlich sein, dass junge Menschen ohne Ausbildungs- und Bildungsperspektive nicht ohne weiteres in die Eigenständigkeit entsandt werden dürfen. Selbst bei positiver Prognose der Persönlich-keitsentwicklung braucht es unter anderem zur Stabilisierung in Krisen eine verlässliche Weiter-/Nachbetreuung durch die Kinder- und Jugendhilfe [16].

Die AGJ begrüßt ausdrücklich das Aufgreifen von Vorschlägen nach einem eigenständigen Leaving-Care-Anspruch und der Etablierung offener Anlaufstellen für Care Leaver. Diese sind entsprechend der Forderungen der sog. Berliner Erklärung der Care Leaver auszugestalten, so dass im Vorschlag II 3 (Leaving-Care-Anspruch), die II 1 (verbindlichere Ausgestaltung des Nachbetreuungsanspruchs in § 41 Abs. 3 SGB VIII) und des Vorschlags II 3 (regelmäßige Kontaktierungspflicht des Jugendamts) erfasst wäre. Die AGJ tut dies, weil den in Fremdunterbringung aufgewachsenen jungen Menschen auch nach ihrer Verselbstständigung die Ressource Elternhaus in der Regel eben nicht zur Verfügung steht, auf die andere junge Menschen zumeist eher selbstverständlich für Rat, emotionale sowie finanzielle Unterstützung oder gar Auszeiten von der Selbstständigkeit zurückgreifen können.    

Dringend bittet die AGJ aber darum, auf eine Aufgabenklarheit für die im Arbeitspapier benannten unterschiedlichen Stellen zu achten, um so eine Verschiebung der Verantwortung zu vermeiden. Pflegepersonen (mit oder ohne Erlaubnispflicht nach § 44 SGB VIII) zu einer Nachbetreuung formell verpflichten zu wollen, erscheint per se nicht hilfeformgerecht – hingegen könnte gut eine Einbeziehung der Pflegekinderdienste erwogen werden. Die in der Bundes-AG-Sitzung am 4. April 2019 geäußerte Idee, die Ombudsstellen könnten diese Aufgabe übertragen werden, verkennt, dass Ombudsstellen einen spezifischen Beratungsauftrag haben, der nicht einer pädagogischen Nachbetreuung entspricht.

4. Beratung und Unterstützung der Pflegeeltern

Die AGJ teilt die im BMFSFJ-Arbeitspapier deutlich werdenden Qualifizierungsbestrebungen des Pflegekinderwesens. Besonders die Betrachtung des detailreichen Vorschlags 1 zur gesetzlichen Klarstellung des Beratungs- und Unterstützungsanspruchs von Pflegeeltern, der nahezu vollständig die Herausforderungen einer Vollzeitpflege aufzählt, illustriert erneut die bereits einführend in diese Vorabkommentierung benannten Bedenken zur Rechtweite der Impulswirkung von Recht. Im Arbeitspapier des BMFSFJ vermisst wird eine Bezugnahme auf die Ausdifferenzierung von § 37 SGB VIII-RegE-KJSG. Wirklich sinnvoll wäre für Pflegefamilien für Kinder mit und ohne Behinderung, wenn ein ausdrücklicher Anspruch auf fachspezifische Begleitung durch einen geeigneten Pflegekinderfachdienst verankert würde. Solange das fachpolitische Ziel der Gesamtzuständigkeit unter dem Dach des SGB VIII noch nicht umgesetzt ist, ist zusätzlicher Nährboden für Zuständigkeitsstreitigkeiten unbedingt zu vermeiden, wie er sich hier in Vorschlag 3 andeutet (dazu näher schon unter B.2/Pflegekinder mit Behinderung).

5. Heimerziehung

Inklusive Heimerziehung / Beteiligung stärken

Die AGJ hält eine strukturelle Förderung von selbstorganisierten Vertretungen im Kontext von Fremdunterbringung (Heimkinder-/Pflegekinderrat, Netzwerke von Care Leavern oder Elternvertretungen) für hochbedeutsam. Ohne eine solche Förderung und die Auseinandersetzung mit der Frage, was es zu einer Befähigung zur Beteiligung braucht, lässt sich eine Einbeziehung der jungen Menschen als Expertinnen und Experten ihrer Lebensverhältnisse z. B. im Rahmen von Jugendhilfeausschüssen kaum nachhaltig umsetzen.

Im Hinblick auf konkrete Regelungsmöglichkeiten ist eine bundesgesetzliche Sicherung der Einführung von Landesheimräten mit entsprechender Ausstattung erstrebenswert. Für die kommunale Ebene erscheint die Einführung einer Regelung in Orientierung an der Vorschrift zur Beratung, Unterstützung und Förderung der Zusammenschlüsse von Tagespflegepersonen (§ 23 Abs. 4 S. 3 SGB VIII) zielführend.

Bei den Vorschlägen zu TOP 5 II 2 bis 4 (Aufnahme in § 45 Abs. 2 SGB VIII von Selbstvertretungsinstrumenten; gesetzliche Verpflichtung zur Einbeziehung des Personenkreises der Nutzenden in die Entwicklung von Beteiligungsinstrumenten; Verpflichtung zu Entwicklung und Evaluation von Konzepten der Elternbeteiligung) bittet die AGJ um eine Verdeutlichung des Bezugs zu TOP 1-3 des BMFSFJ-Arbeitspapiers. Wie unter B.1/Beteiligung, Beratung und Unterstützung der Eltern bereits dargestellt, wird jungen Menschen und Eltern fremduntergebrachter Kinder der Vorwurf entgegengebracht, gar nicht an Mitwirkung interessiert zu sein. Allein eine formale Verankerung einer Vielzahl von Beteiligungsrechten läuft leer, wenn die Befähigung zur Nutzung dieser Rechte nicht in den Fokus genommen wird. Die unterschiedlichen Vorgaben zur Beteiligung der Adressatinnen und Adressaten sind deshalb im Zusammenhang zu denken und zu diskutieren, um der Gefahr eines Leerlaufens durch Überregulierung zu begegnen und tatsächlich eine verstärkte Praxisentwicklung anzustoßen. Zu diskutieren ist, inwiefern gesetzliche Festlegungen auf spezifische Beteiligungsstrategien tatsächlich zielführend sein können – gerade wenn diese auf Zweifeln an der Umsetzung beruhen. Die Praxis zeigt immer wieder, dass sich einzelne Beteiligungsverfahren „abnutzen“, nicht für alle Kinder, Jugendliche und Familien gleichermaßen geeignet sind.

Kooperation von öffentlichen und freien Trägern zur fachlichen Weiterentwicklung der Heimerziehung / Fachkräfte in der Heimerziehung

Die fachliche Weiterentwicklung der Heimerziehung wird in der Kooperation zwischen den öffentlichen und freien Trägern zum einen im Zusammenhang mit der Jugendhilfeplanung, zum anderen bei den Verhandlungen um den Abschluss von Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen thematisiert. Von einem Wissenschafts-Praxis-Transfer erhofft man sich zudem konkrete Impulse für die in diesem Bereich tätigen Fachkräfte. Obgleich die Anknüpfungspunkte damit sicher richtig gewählt wurden, ergibt sich für die AGJ bislang weder welche Umsetzungsvorstellungen mit den im BMFSFJ-Arbeitspapier benannten Vorschlägen verbunden sind, noch welche Folgen hierbei erwartet werden können.

In Anbetracht des hohen ungedeckten Fachkräftebedarfs in der Kinder- und Jugendhilfe sind Ausbildungs- und Fachkräfteinitiativen des Bundes im Interesse der unterschiedlichen Handlungsfelder des SGB VIII außerordentlich wichtig – auch über die Heimerziehung hinaus [17]. Die AGJ warnt aber trotz der notwendigen Debatte um zu verändernde Ausbildungs-/Studieninhalte davor, Schmalspurausbildungen und hochgradigen Spezialisierungen Vorschub zu leisten.    
Die AGJ begrüßt und unterstützt bereits erfolgte Anstrengungen der (Wieder-)Gewinnung, Qualifizierung und Bindung von Fachkräften und appelliert nachdrücklich, in diesen nicht nachzulassen. Ohne das entsprechende Personal können die gesetzlichen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nicht fachgerecht umgesetzt werden, ohne sie lassen sich bedarfsgerechte Angebote und Hilfen nicht realisieren, ohne sie laufen die Rechte der Adressatinnen und Adressaten leer. Das gilt für alle Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch für die Disziplinen der Schnittstellenbereiche. Beispielhaft genannt sei mit Blick auf das Ziel der Inklusion die Eingliederungshilfe, sei aber auch die in der Praxis als drängendes Problem wahrgenommene Versorgung und Unterstützung bei psychischer Erkrankung der jungen Menschen oder auch ihrer Eltern. Die AGJ sieht an dieser Stelle jedoch keinen jugendhilferechtlichen Änderungsbedarf. Sie bittet darum die aufgeworfenen Detailvorschläge zu erläutern und sie in den Gesamtzusammenhang einer grundsätzlichen Debatte um Aus- und Weiterbildungsoptionen und -initiativen zu stellen.

Bildungsauftrag in der Heimerziehung und strukturelle und konzeptionelle Weiterentwicklung

Die Stärkung des Bildungsauftrags auch im Rahmen von Fremdunterbringung ist ein wichtiges fachliches Anliegen, entsprechende Signale und Anstrengungen von Seiten der Bundesregierung sind zu begrüßen. Auch bei diesem TOP des BMFSFJ-Arbeitspapiers stellt sich aber wiederum die Frage, ob Rechtsetzung dabei ein wirkungsvolles Mittel ist (vgl. grundsätzliche Bedenken in der Einführung dieser Stellungnahme). Anders als nach den bislang im Arbeitspapier aufgenommenen Vorschlägen, sieht die AGJ hierbei jedoch insbesondere Handlungsbedarf hinsichtlich der Akzeptanz und Förderung eines Strebens nach höheren Bildungsabschlüssen (vgl. dazu unter B.3/Unterstützung bei Verselb-ständigung). Hilfebeendigungen im Zusammenhang des Erreichens der Volljährigkeit dürfen Bildungsbiografien nicht gefährden, andernfalls wird die nachhaltige Wirkung der Unterstützung der jungen Menschen gefährdet. Es braucht entsprechende Strukturen, die es ermöglichen, Bildungswege besser in Blick zu nehmen und zu unterstützen.

Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfestatistik

Eine Einschätzung zu den Änderungen der Kinder- und Jugendhilfestatistik nimmt die AGJ nicht vor. Sie möchte lediglich anregen, neben solchen Stichtagsabfragen oder Erfassungen in einzelnen Jahren auch die Möglichkeit von Langzeitstudien zu prüfen.

6. Inobhutnahme

Strukturelle Kooperation / Verweildauer / Unterstützung der Eltern / Beteiligung des jungen Menschen / Bereitschaftspflege / Statistik und Forschung

Die AGJ lehnt Änderungen an der Regelung zur Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) ab. Es fehlt jede empirische Basis, dass die in der Praxis als klar, ausdifferenziert und ausgewogen wahrgenommene Vorschrift defizitär wäre oder Ausgangspunkt für eine kritisch zu beleuchtende Praxis wäre. Die Vorschläge sind wiederum zu vage, um eine seriöse fachliche Beurteilung zuzulassen. Ein rechtlicher Klärungsbedarf wird nicht gesehen.

Hinsichtlich der Stärkung der Rechte der Adressatinnen und Adressaten soll an dieser Stelle nochmals auf die Ausführungen in den TOPs 1 bis 5 verwiesen werden. Beteiligungsrechte sind pointiert so auszugestalten, dass der Handlungsauftrag unmissverständlich deutlich wird – ohne jedoch durch Überregulierung ein bedarfs- und situationsangemessenes fachliches Handeln zu formalisieren. Übergänge sind derzeit unter anderem dadurch erschwert, dass die Suche nach bedarfsgerechten, für den jeweiligen Einzelfall passgenauen Hilfen oftmals nicht schnell abgeschlossen werden kann. Es fehlen schlichtweg passende, noch dazu möglichst nah am bisherigen Lebensraum gelegene Hilfen. Im Fall einer Fremdunterbringung sind die unter B.2/Sicherung der Kontinuität angesprochenen Aspekte der Perspektivklärung sowie Stabilität wichtig. Unter Beachtung der genuinen Bedürfnisse der Minderjährigen (etwa durch die Einrichtung von Geschwistergruppen vergleiche oben) muss ein fachlicher Rahmen während der Inobhutnahme sowie bei Anschlusshilfen gestaltet werden, der ein Aufgreifen ihrer bisher erlebten Biographie, die Entwicklung von Perspektiven und ein Erleben von transparent und verlässlich agierenden Erwachsenen möglich macht. Rechtliche Änderungen laufen nach Einschätzung der AGJ hier leer.

Abschließend sei die Frage erlaubt, warum gerade ein besonderes politisches Interesse offenbar an einem Ausbau von Bereitschaftspflegeplätzen besteht und spezifisch dieser Bereich anstelle einer breiten Initiative zur Gewinnung von Pflegefamilien erwogen wird. Aus fachlicher Sicht können gerade die Anforderungen während einer Kurzzeitpflege besonders sensibel und hochemotional sein. Inobhutnahmesituationen sind immer Krisenreaktionen, deshalb bestehen besonders hohe Anforderungen an Fachlichkeit und Kompetenz der handelnden Personen auf Seite der Kinder- und Jugendhilfe. Vor diesem Hintergrund bedürfen auch Pflegepersonen, die Bereitschaftspflege anbieten, einer besonderen Qualifikation und Unterstützung.

Weiterer Punkt im Themenfeld Inobhutnahme

Die AGJ hält an ihrer Kritik am Notvertretungsrecht der Jugendämter während der (vorläufigen) Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten fest [18]. Der Gesetzgeber sollte zum Notvertretungsrecht zumindest eine explizite Pflicht zur personellen Trennung von Fallzuständigkeit und Interessenvertretung in § 42a Abs. 3 SGB VIII vorsehen. Im Verteilverfahren braucht es zudem ein durchsetzbares Recht der jungen Geflüchteten, bei besonderen Bedarfen (etwa bei Familienzusammenführung im Inland) eine Abänderung der Verteilentscheidung bewirken zu können.

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 27./28. Juni 2019


Fußnoten

[1] Vergleiche hierzu AGJ-Positionspapier 2018 „Recht wird Wirklichkeit – von den Wechselwirkungen zwischen Sozialer Arbeit und Recht“.
[2] Eine große Reichweite wird voraussichtlich z. B. durch die AWMF S3+ Leitlinie "Kindesmisshandlung, -missbrauch und -vernachlässigung" erreicht, die im Februar 2019 veröffentlicht wurde. Materialien (unter anderem Kitteltaschenkarte "Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung“). Online abrufbar auf der Website der AWMF unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-069.html
[3] AGJ-Stellungnahme zum KJSG-Referentenentwurf 2017, S. 3; AGJ-Empfehlungen 2016 „Vielfalt gestalten, Rechte für alle Kinder und Jugendlichen stärken!“, S. 5.
[4] Unter anderem AGJ-Empfehlungen 2016, S. 6; AGJ-Diskussionspapier 2012 „Ombudschaften“.
[5] AGJ-Stellungnahme zum KJSG-Referentenentwurf 2017, S. 3.
[6] AGJ-Positionspapier 2018 „Zugänge zur Kindertagesbetreuung“, S. 5.
[7] AGJ-Empfehlungen 2016, S. 6.
[8] AGJ-Empfehlungen 2016, S. 26f; AGJ-Stellungnahme zum KJSG-Referentenentwurf 2017, S. 6.
[9] Verordnung (EG) Nr.  2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung.
[10] Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern, kurz Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern (KSÜ).
[11] AGJ-Empfehlungen 2016, S. 30; AGJ-Stellungnahme zum KJSG-Referentenentwurf 2017, S. 6.
[12] AGJ-Stellungnahme zum KJSG-Referentenentwurf 2017, S. 6.
[13] AGJ-Empfehlungen 2016, S. 4.
[14] Unter anderem AGJ Empfehlungen 2016, S. 7 ff.; AGJ-Stellungnahme 2013 und AGJ-Positionspapier 2011 „Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen“.
[15] Vergleiche Berliner Erklärung 2019 „Rechtsanspruch Leaving Care“. Online als PDF auf der Website der Uni Hildesheim unter: https://www.uni-hildesheim.de/media/fb1/sozialpaedagogik/Forschung/Gut_begleitet_ins_Erwachsenenleben/Berliner_Erkla__rung_Rechtsanspruch_Leaving_Care_18032019.pdf
[16] Vergleiche auch AGJ-Positionspapier 2018 „Wer passt hier nicht zu wem? Sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen und die Förderangebote im Übergang Schule-Beruf“.
[17] Vergleiche AGJ-Positionspapier 2018 „Dem wachsenden Fachkräftebedarf richtig begegnen! Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Personalentwicklung mit verantwortungsvollem Weitblick“.
[18] AGJ-Positionspapier 2019 „Notvertretung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete – nur zur Not vertreten?“; AGJ-Stellungnahme 2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher.