Qualitätsentwicklung nach dem „Gute-Kita-Gesetz“? Rückblick und zukünftige Entwicklungspotentiale

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ[1]

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Abstract

Die qualitative Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung ist eine wichtige Aufgabe, die gesamtgesellschaftlich bewältigt werden muss und ein gemeinsames Ziel von Bund, Ländern und Kommunen ist. Mit dem am 01. Januar 2019 in Kraft getretenen „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege“ (KiQuTG, sog. „Gute-KiTa-Gesetz“) wurde die Weiterentwicklung der Qualität in der Frühen Bildung bundesgesetzlich verankert. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zieht in diesem Papier eine Zwischenbilanz und zeigt Entwicklungspotenziale auf. Davon ausgehend leitet die AGJ Empfehlungen ab, die im weiteren Prozess zur Verbesserung der Qualität nach dem „Gute-Kita-Gesetz“ berücksichtigt werden sollen.

Aus Sicht der AGJ ist es ein zentrales Ziel, dass die Mittel, die in den letzten Jahren für das KiQuTG bereitgestellt wurden, dauerhaft und in wachsendem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus fordert die AGJ die Verstetigung und Sicherstellung des Monitorings unter der Finanzierungsbeteiligung des Bundes, um den weiteren Prozess der Steuerung der Qualitätsentwicklung auf transparente und wissenschaftlich gesicherte Datengrundlage zu stellen. Die Stärkung der Teilhabe von Familien sieht die AGJ als ein notwendiges Ziel an. Daneben sind der Abbau von Zugangshürden zum System, die Unterstützung von Familien sowie die Stärkung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von großer Relevanz. Die AGJ erwartet im zukünftigen Prozess zudem partizipative und evidenzbasierte Entscheidungsstrukturen, auf denen die Qualität fußt. Hierzu gehören die Evaluation und das Monitoring sowie die Beteiligung von Kindern, Familien, Fachkräften, Kindertagespflegepersonen und Trägern bei Entscheidungen über Maßnahmen und Ziele. Es bedarf dauerhafter Beteiligungsverfahren auf Landesebene. Daneben braucht es weitere Orte, an denen ein Austausch zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Trägern und Wissenschaft zur Qualitätsentwicklung und gemeinsamen Zielen möglich ist. Inklusion muss hier als Leitgedanke aller Einrichtungen und Angebote umgesetzt und als explizites Handlungsfeld gestärkt werden. Eine für alle Qualitätsverbesserungen wichtige Voraussetzung ist die Deckung des Fachkräftebedarfs. Die AGJ sieht es als notwendig an, dass insbesondere die Länder, aber auch Kommunen und Träger ausreichende Maßnahmen ergreifen, um den Fachkräftebedarf zu decken. 

1. Einleitung

Die Kindertagesbetreuung ist das am stärksten gewachsene Handlungsfeld in der Kinder- und Jugendhilfe. Zwischen 2006 und 2020 gab es bundesweit einen Zuwachs beim Personal von über 385.000 Mitarbeiter*innen, oder 86 Prozent, sowie einen Anstieg der Anzahl der  betreuten Kinder um 30,2 Prozent auf über 3,9 Millionen.[2] Noch nie gab es so viele Beschäftigte und Plätze in der Kindertagesbetreuung sowie Personen, die für das Handlungsfeld ausgebildet werden. Damit gehen gestiegene öffentliche Ausgaben für die Kindertagesbetreuung einher: Von 2010 bis 2019 haben sie sich mehr als verdoppelt.[3] 

Durch das große Engagement von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern kam es trotz des nach wie vor erforderlichen massiven Ausbaubedarfs nicht wie befürchtet zu qualitativen Einschränkungen, sondern es konnten gleichzeitig qualitative Weiterentwicklungen erreicht werden. 

Vor diesem Hintergrund wird seit Jahren ein kritisch-konstruktiver Dialog um eine Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung geführt.[4] Diese Qualitätsdebatten haben sich mit der finanziellen Beteiligung und inhaltlichen Rahmung infolge des 2019 in Kraft getretenen Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (KiQuTG) als Teil des sogenannten „Gute-KiTa-Gesetzes“ wahrnehmbar verändert. Das KiQuTG fußt auf einem Zielkatalog, den Bund, Länder, Kommunen unter Beteiligung der Verbände und der Wissenschaft in einem mehrjährigen Aushandlungsprozess gemeinsam definiert haben. Die Struktur des Zielkataloges wurde 2014 in einem gemeinsamen Communiqué „Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern“[5] festgelegt und 2016 in einem Zwischenbericht6 für die verschiedenen Handlungsfelder ausdifferenziert. 

Der Zwischenbericht machte deutlich, dass die notwendige Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung ein langfristiger Prozess ist. Um die angestrebten Handlungsziele zu erreichen, sind in allen Bundesländern erhebliche Anstrengungen notwendig. Zentral für das Gelingen der Qualitätsentwicklung ist eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den für die Kindertagesbetreuung aufzubringenden laufenden Kosten. Maßstab dafür sollte, ausweislich der Erklärung der Bund-Länder-Konferenz am 14. und 15. November 2016, „der Nutzen sein, der auf der Ebene des Bundes durch eine hochwertige Kindertagesbetreuung entsteht.“ Denn es sei vor allem der Bund, der von einem Ausbau guter Kindertagesbetreuung profitiere: „Er ist wesentlicher Nutznießer von besserer Bildung, von mehr Erwerbsbeteiligung, mehr Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen, geringerer Armutsquote und von vielem mehr.“[7] 

Fragen der Umsetzung der Qualitätsentwicklung wurden zunächst offengelassen. Es wurde explizit festgehalten, dass für die Erstellung des Zwischenberichtes die inhaltlichen, strukturellen und zeitlichen Umsetzungsfragen nicht im Mittelpunkt standen.[8] Der Auftrag bestand darin, ein Kompendium für sehr gute Qualität in der Kindertagesbetreuung vorzulegen. Die Diskussion über konkrete Umsetzungsschritte sollte in eine abgestimmte und langfristig angelegte Gesamtstrategie des Bundes und der Länder münden. 

Eine solche Gesamtstrategie sollte neben dem Zwischenbericht und dem KiQuTG immer auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigen. So soll mit dem Beschluss des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes die Inklusion auch in der Kindertagesbetreuung weiter verbessert werden. Damit alle Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen inklusiv arbeiten können, sind weitere Unterstützungsmaßnahmen notwendig. Ebenso müssen die Folgen der Corona-Pandemie, die sich in einer verschärften sozialen Spaltung, aber auch in der zeitweisen Verschiebung der Gewichtung vom Bildungsauftrag hin zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der intensiveren Nutzung von digitalen Medien zeigen, Berücksichtigung finden. 

2. Qualitätsentwicklung erfordert weiterhin Gesamtstrategie 

Das KiQuTG ist ein erster Ansatz, eine abgestimmte und langfristig angelegte Gesamtstrategie des Bundes und der Länder zur Qualitätsentwicklung im komplexen System Kindertagesbetreuung zu entwerfen, so wie es in der Bund-Länder-Erklärung 2016 vorgesehen war. Laut Gesetzesbegründung zum KiQuTG sieht sich der Bund in der Verantwortung, dass alle Kinder bundesweit gleiche Entwicklungs- und Bildungschancen vorfinden.[9] Das KiQuTG formuliert daher anspruchsvolle Ziele: Der Bund möchte mit dem Gesetz die Qualität frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindertagesbetreuung weiterentwickeln mit der Perspektive, bundesweit gleichwertige qualitative Standards zu etablieren und noch bestehende Unterschiede zwischen den Ländern anzugleichen. Gleichzeitig soll die Teilhabe in der Kindertagesbetreuung verbessert werden. Zudem liegt ein Fokus auf der besseren Vereinbarkeit von Kindererziehung, familiärer Pflege und Erwerbstätigkeit. Dazu benennt das Gesetz zehn Handlungsfelder[10], in denen Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität ergriffen werden können. Diese entsprechen weitgehend den im „Communiqué Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern“ aus dem Jahr 2014 festgelegten Handlungsfeldern, welche der gleichnamige Zwischenbericht von Bund und Ländern aus dem Jahr 2016 ausdifferenziert. Zudem sind nach dem Gesetz auch Maßnahmen zur Entlastung von Eltern bei den Gebühren förderfähig, um die Teilhabe an Kinderbetreuungsangeboten zu verbessern. Elternbeiträge werden im Zwischenbericht 2016 als Hürde zur Inanspruchnahme identifiziert und festgestellt, „dass eine sozialverträgliche Gestaltung von Beiträgen bis hin zur Beitragsfreiheit die Nutzung außerfamiliärer Betreuungsangebote insbesondere auch durch bildungsferne oder sozial benachteiligte Familien sowie Familien mit Migrationshintergrund fördern kann.“[11] Das umfangreiche wissenschaftliche Monitoring der Handlungsfelder und die Evaluation[12] des Gesetzes bieten darüber hinaus wichtige Grundlagen für die weitere bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung.

Das Engagement des Bundes ist jedoch zunächst durch eine entsprechende Änderung des Finanzausgleichsgesetzes auf die Jahre 2019 bis 2022 und insgesamt 5,5 Mrd. Euro begrenzt und daher aktuell nicht langfristig angelegt. Abgesehen von der bislang noch nicht geregelten Finanzierung über 2022 hinaus ist auch der finanzielle Umfang des KiQuTG deutlich hinter den Erwartungen geblieben. Abseits der Finanzierung gab es weitere Kritikpunkte an dem Gesetz: So wurde moniert, dass die Reduzierung von Elternbeiträgen nicht primär eingesetzt wird, um die Teilhabe unterrepräsentierter Gruppen zu verbessern, mit der Folge, dass die Beitragsreduzierung eher als generelle familienpolitische Leistung zur Entlastung von Familien interpretiert wurde. Der Instrumentenkasten als Rahmen für die Qualitätsentwicklung wird zwar überwiegend als hilfreich betrachtet, allerdings besteht bei einigen Akteur*innen die Sorge, dass, solange der Bund den Ländern innerhalb der zehn Handlungsfelder freistellt, in welche Maßnahmen die Bundesmittel investiert werden, eine Angleichung von Unterschieden wenig wahrscheinlich ist.[13] Damit stellt sich die Frage, ob die selbstgesteckten Ziele, bundesweit gleichwertige qualitative Standards zu etablieren und bestehende Unterschiede zwischen den Ländern anzugleichen, bei gleichzeitiger Entlastung der Eltern von den Gebühren, über den gewählten Weg mit den gewählten Mitteln erreicht werden können. 

Aus Sicht der AGJ muss die Diskussion um die Gesamtstrategie zur Qualitätsentwicklung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem KiQuTG erneut aufgegriffen werden. Zum einen betrifft das die verlässliche und angemessene finanzielle Beteiligung des Bundes, zum anderen die Weiterentwicklung einer Gesamtstrategie, die die Interessen aller in den Bick nimmt. Die Herausforderung besteht darin, dass der Prozess zur Sicherung und Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung aktuelle und zukünftige Entwicklungen berücksichtigen und ihre Bedeutung im Kontext der grundlegenden Handlungsfelder bewerten muss. Eine Gesamtstrategie muss die Dynamik der Situation abbilden und sich dementsprechend anpassen lassen. Dabei ist eine Voraussetzung für viele Entwicklungen, dass eine ausreichende Zahl an qualifizierten Fachkräften vorhanden ist. In den Eckpunkten für ein Qualitätsentwicklungsgesetz 2017 wird explizit darauf hingewiesen, dass das „für die angestrebten personalintensiven Qualitätsverbesserungen [bedeutet], dass zusätzliche Anstrengungen zur Personalgewinnung und ?bindung notwendig sind.“[14] Gleichzeitig darf es nicht bei einzelnen Verbesserungen bleiben. Denn die Bund-Länder-Erklärung 2016 weist darauf hin, dass der weitere Qualitätsentwicklungsprozess nicht punktuell erfolgen kann und sich daher isolierte Forderungen verbieten.[15] 

Der neuen Bundesregierung kommt die Aufgabe zu, über die weitere Beteiligung des Bundes an der Qualitätsentwicklung zu entscheiden. Alles andere als eine Verlängerung oder Verstetigung der Beteiligung des Bundes wäre ein herber Rückschlag für die Kindertagesbetreuung in Deutschland. 

3. Empfehlungen für die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung nach 2022

Die Kindertagesbetreuung ist ein dynamisches Feld und unterliegt hohen und stetig wachsenden Anforderungen. Insbesondere die Corona-Pandemie zeigt deutlich, wie wichtig Kindertagesbetreuung für Kinder, Eltern und die Gesellschaft ist. Daher sollte die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung ein zentrales Thema für die kommenden Jahre sein. Es braucht eine von allen Beteiligten getragene und langfristige Gesamtstrategie zur Qualitätsentwicklung. Die AGJ leitet daher Empfehlungen ab, die im Prozess zur Verbesserung der Qualität berücksichtigt werden sollen. 

Verstetigung der Mittel

Dem System der Kindertagesbetreuung stehen in den kommenden Jahren weitere Belastungsproben bevor: Der Ausbau der Kindertagesbetreuung ist in vielen Ländern noch nicht beendet, der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften und Kindertagespflegepersonen wächst weiterhin und die inhaltliche Ausdifferenzierung des frühpädagogischen Auftrags nimmt zu. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der AGJ notwendig, dass der Bund die Anstrengungen der Länder zur Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung dauerhaft finanziell und strukturell unterstützt. Die weitere Qualitätsentwicklung hängt dabei grundsätzlich von der verbindlichen Zusage des Bundes ab, sich beständig und in wachsendem Umfang an den Kosten zu beteiligen. Der ursprünglichen Forderung der Länder, dass der Bund sich mit bis zu 5 Mrd. jährlich an der Qualitätsentwicklung beteiligt, schließt sich die AGJ an. Ebenso wird die Verstetigung der Investitionsprogramme des Bundes für die Kindertagesbetreuung als notwendig erachtet. Des Weiteren bedarf es eines weiteren kontinuierlichen Engagements der Länder zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung
Verstetigung des Monitorings

Der weitere Prozess der Steuerung der Qualitätsentwicklung muss auf einer transparenten und wissenschaftlich gesicherten Datengrundlage erfolgen. Das beinhaltet insbesondere das Monitoring, aber auch andere wissenschaftliche Erhebungen. Aufgrund der großen Bedeutung des Monitorings als Steuerungsinstrument für die Qualitätsentwicklung plädiert die AGJ dafür, das Monitoring dauerhaft sicherzustellen. Eine Verstetigung des Monitorings unter Voraussetzung der weiteren Finanzierungsbeteiligung des Bundes kann die Entwicklungen in den Ländern im Sinne des Zwischenberichtes sichtbar machen und zeigen, ob eine stärkere Angleichung in den einzelnen Handlungsfeldern erkennbar ist. 
Stärkung der Teilhabe von Familien. 

Viele Eltern haben höhere Erwartungen an ihre Rolle und finden, Erziehung sei schwieriger geworden. Das geht einher mit steigenden Bildungserwartungen und sich pluralisierenden Lebensformen. Der neunte Familienbericht macht deutlich, dass viele Eltern es als ihre Aufgabe ansehen, ihre Kinder bestmöglich zu fördern. Eine intensive elterliche Fürsorge verlangt den Eltern – insbesondere den Müttern – hohen Einsatz ab und führt gelegentlich zu Überforderung.[16] Die Veränderung der Situation, in der Familien leben, bringt die Notwendigkeit mit sich, die familiale Lebensführung stets neu zu gestalten und herzustellen.[17] Vor diesem Hintergrund gewinnt die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften an Bedeutung. Familienzentren und Kindertageseinrichtungen bieten verstärkt Bildungs-, Betreuungs- und Beratungsangebote an, die sich an die gesamte Familie richten. 

Umso gravierender wirkt es sich daher aus, dass die frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung nach wie vor sozial selektiv in Anspruch genommen wird. Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen sind seltener in (qualitativ hochwertiger) Kindertagesbetreuung zu finden; ihre Eltern erleben unterschiedliche Zugangshürden.[18] Diese Segregationstendenzen im System Kindertagesbetreuung müssen im weiteren Prozess erkannt, abgebaut und diskriminierungssensible Zugänge geschaffen werden. Der neunte Familienbericht hält zudem fest, „dass neben der Zeit, die Kinder in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege betreut werden, dem quantitativen Ausbau und insbesondere die Qualität der pädagogischen Arbeit eine wichtige Dimension für ungleichheitsreduzierende Effekte im frühkindlichen Bereich ist“[19]. Im Sinne einer Teilhabeverbesserung muss es das vorrangige Ziel sein, die sozioökonomischen Unterschiede bei der Teilhabe gezielt zu verringern und die Qualität der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung armuts- und diskriminierungssensibel weiterzuentwickeln und Ausschlüsse zu bekämpfen. 

Partizipative und evidenzbasierte Entscheidungsstrukturen

Über die Ziele der Qualitätsentwicklung besteht ein großer fachlicher und politischer Konsens. Diese sind im Zwischenbericht 2016 festgehalten worden. Unterschiedliche Sichtweisen gibt es zu den Wegen zur Zielerreichung und der Prioritätensetzung bei den Maßnahmen. Unabhängig davon, ob die Festlegung von weiteren Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung auf Landes- oder auf Bundesebene erfolgt, ist daher die Entscheidungsgrundlage von besonderer Bedeutung. 

Die Ergebnisse der Evaluation und des Monitorings[20] sollten Ausgangspunkt für einen Dialog auf Bundes- und Landesebene sein, der die Konkretisierung von Umsetzungsschritten zum Ziel hat. Dabei müssen die Bedarfe und Perspektiven von Kindern, Familien, Kindertagespflegepersonen, Fachkräften und Trägern bei der zukünftigen Qualitätsentwicklung eine stärkere Rolle spielen und verbindlich bei der Auswahl von Zielen und Maßnahmen berücksichtigt werden. Die Erhebung und Einbeziehung von Qualität aus der Perspektive von Kindern sollte dabei integraler Bestandteil einer partizipativen Weiterentwicklung sein. Auch die stärkere Berücksichtigung der Kinderrechte sollte forciert werden. Dafür erachtet es die AGJ als notwendig, dauerhafte Beteiligungsverfahren auf Landesebene zu etablieren, die gemeinsam Empfehlungen für die Qualitätsentwicklung formulieren, wie es in einigen Ländern bereits üblich ist. Denn Teil der Gesamtstrategie zur Qualitätsentwicklung sollten auch geeignete Verfahren sein, um die länderspezifischen Maßnahmen und Ziele regelmäßig zu aktualisieren. 

Zudem braucht es Orte der Diskussion, wo sich Bund, Länder, Kommunen, Träger und Wissenschaft regelmäßig und intensiv über aktuelle Entwicklungen und Notwendigkeiten bei der Qualitätsentwicklung austauschen und eine gemeinsame Vision entsteht, die von allen verfolgt wird. 
SGB VIII – Inklusion als Leitgedanke aller Einrichtungen und Angebote umsetzen

Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurde die inklusive Lösung und damit die Verantwortung der Jugendhilfe für alle Kinder gesetzlich verankert und Inklusion als Leitgedanke festgeschrieben. Dies umfasst die grundsätzlich gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderungen in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege und damit einhergehend die engere, verbindlichere Zusammenarbeit mit allen beteiligten Leistungsträgern. Dies gilt es bei allen Schritten der Qualitätsentwicklung mitzudenken. Eine inklusive Ausgestaltung der Kindertagespflege und aller Einrichtungen und Angebote der Kindertagesbetreuung benötigt eine qualitative Begleitung von Fachberatung in der Trägerberatung, der Konzeptionsentwicklung sowie der Weiterqualifizierung der Fachkräfte im System. Auch ein Monitoring, das die inklusiven Entwicklungen abbildet sowie mehr qualitative Forschung zu guter Praxis beinhaltet, sollte implementiert werden, um Inklusion als Leitgedanken in der Praxis zu stärken. Die inklusive Ausgestaltung des Systems bildet sich in mehreren Handlungsfeldern des Gesetzes ab und sollte aus Sicht der AGJ im Sinne des inklusiven Leitgedankens des SGB VIII als explizites Handlungsfeld gestärkt werden.

Deckung des Fachkräftebedarfs als notwendige Voraussetzung für Qualitätsentwicklung

Eine notwendige Voraussetzung für gute Qualität in der Kindertagesbetreuung ist die Deckung des Fachkräftebedarfs. Da ohne ausreichende pädagogische Fach- und Assistenzkräfte weder die Qualität noch die Teilhabequoten verbessert werden, ist es aus Sicht der AGJ sinnvoll und notwendig, dass insbesondere die Länder ausreichende Maßnahmen ergreifen, um den mittel- und langfristig prognostizierten Fachkräftebedarf zu decken – unter Berücksichtigung der Angleichung der Teilhabequoten, der demografischen Entwicklung und der geplanten Qualitätsverbesserungen. Die weitere Diskussion über Qualitätsverbesserungen sollte daher den Fachkräftebedarf und die notwendigen Anstrengungen zur Personalgewinnung und ?bindung vorrangig berücksichtigen. Diese beziehen sich sowohl auf die Ausweitung der Ausbildungs? und Studienplatzkapazitäten und weiterer geeigneter Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung als auch auf die Bindung bereits vorhandener Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege. Dennoch darf sich die qualitative Weiterentwicklung nicht in den Anstrengungen zur Gewinnung von mehr Fachkräften erschöpfen: Qualität muss auch ohne gedeckten Fachkräftebedarf gesichert und weiterentwickelt, Gestaltungsspielräume von Trägern genutzt und attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden. 

Aus Sicht der AGJ ist es zudem wünschenswert, dass der Bund in einer Machbarkeitsstudie untersuchen lässt, welcher Mittelaufwand notwendig ist, damit bis zum Jahr 2030 alle Bundesländer die Ziele aus dem Zwischenbericht vollumfänglich umsetzen. Dabei ist insbesondere der zusätzliche Fachkräftebedarf zu erheben. 

Mit diesem Positionspapier will die AGJ den Dialog um die Weiterführung der Qualitätsentwicklung nach dem „Gute-Kita-Gesetz“ vorantreiben. Sie erwartet, dass die formulierten Hinweise und Empfehlungen im weiteren Prozess berücksichtigt werden. Die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung auf stabile Füße zu stellen, sieht die AGJ als eins der wichtigen Ziele einer neuen Bundesregierung und bietet sich als Gesprächspartnerin für die kommenden Prozesse an. 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 07./08. Oktober 2021

 

[1] Ansprechperson für dieses Positionspapier in der AGJ ist die zuständige Referentin des Arbeitsfeldes IV „Kindheit, Kinderrechte, Familienpolitik“: Eva-Lotta Bueren (eva-lotta.bueren@agj.de). 
[2] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2020. 
[3] Deutscher Bundestag, Drucksache 19/28645, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Aktuelle Entwicklung der Kosten für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Förderung.
[4] Der Rahmen für diese Entwicklung wurde 2014 in einem gemeinsamen Communiqué „Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern“ festgelegt und in dem Zwischenbericht 2016 für die verschiedenen Handlungsfelder ausdifferenziert.
[5] Jugend- und Familienministerkonferenz (2014): Communiqué Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern. www.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Archiv/Communique-bund-laender-konferenz.pdf. 
[6] BMFSFJ und JFMK (2016): Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern. Zwischenbericht 2016 von Bund und Ländern und Erklärung der Bund-Länder-Konferenz. www.bmfsfj.de/resource/blob/112482/637f7d53eeea62363305df51ace10dba/zwischenbericht-bund-laender-konferenz-fruehe-bildung-data.pdf 
[7] Ebd. S. 3. 
[8] „Frühe Bildung – mehr Qualität für alle Kinder“ Erklärung der Bund-Länder-Konferenz 14. und 15. November 2016, Nr. 4. www.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Fruehe_Chancen/Bund-Laender-Konferenz/Zwischenbericht_mit_unterschriebener_Erklaerung.pdf. 
[9] Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (KiTa-Qualitäts- und -Teilhabeverbesserungsgesetz - KiQuTG).
[10] Die Handlungsfelder im KiQuTG sind folgende: 
1. Bedarfsgerechtes Angebot, 2. Fachkraft-Kind-Schlüssel, 3. Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte, 4. Stärkung der Leitung, 5. Verbesserung der räumlichen Gestaltung, 6. Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung, 7. Förderung der sprachlichen Bildung, 8. Stärkung der Kindertagespflege, 9. Verbesserung der Steuerung des Systems, 10. Bewältigung inhaltlicher Herausforderungen sowie Maßnahmen zur Entlastung der Eltern bei den Gebühren. 
[11] BMFSFJ und JFMK (2016): Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern. Zwischenbericht 2016 von Bund und Ländern und Erklärung der Bund-Länder-Konferenz. www.bmfsfj.de/resource/blob/112482/637f7d53eeea62363305df51ace10dba/zwischenbericht-bund-laender-konferenz-fruehe-bildung-data.pdf,  S. 11. 
[12] BMFSFJ (2021): Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (KiQuTG). 
[13] Hierzu z. B.: www.sueddeutsche.de/leben/familie-gute-kita-gelder-fliessen-kritik-an-gebuehrenbefreiung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191216-99-156076, www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/qualitaet-nicht-ausreichend/. 

[14] Jugend- und Familienministerkonferenz (18./19. Mai 2017): Frühe Bildung weiter entwickeln und finanziell sichern – Eckpunkte für ein Qualitätsentwicklungsgesetz. www.bmfsfj.de/resource/blob/136092/87443188114d2e5faccd0365ebac844e/jfmk-protokoll-quedlinburg-2019-data.pdf. 
[15] BMFSFJ und JFMK (2016): Frühe Bildung weiterentwickeln und finanziell sichern. Zwischenbericht 2016 von Bund und Ländern und Erklärung der Bund-Länder-Konferenz. www.bmfsfj.de/resource/blob/112482/637f7d53eeea62363305df51ace10dba/zwischenbericht-bund-laender-konferenz-fruehe-bildung-data.pdf.
[16] BMFSFJ (2021): Eltern sein in Deutschland. Zusammenfassung des Gutachtens der Sachverständigenkommission des Neunten Familienberichts. S. 23. 
[17] Siehe hierzu auch das AGJ-Positionspapier (2020) „‚Care braucht mehr!‘ Die Bedeutung von Sorgearbeit anerkennen, Ressourcen sorgender Familien stärken!“. www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/Care_braucht_mehr.pdf 
[18] Siehe hierzu auch das AGJ-Positionspapier (2018) „Zugänge zur Kindertagesbetreuung. Eine Betrachtung aus kinderrechtlicher Perspektive“. www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2018/zugaenge_kita.pdf 
[19] BMFSFJ (2021): Elternsein in Deutschland. Zusammenfassung des Gutachtens der Sachverständigenkommission zum 9. Familienbericht. www.bmfsfj.de/resource/blob/174072/901fc1e82a5f657ea9eaaaa4a3fb140d/neunter-familienbericht-kurzfassung-data.pdf, S. 34.
[20] Die Ergebnisse der Evaluation lagen der AGJ zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Papiers leider noch nicht vor. Der erste Monitoringbericht (Gute-KiTa-Bericht) wurde im Dezember 2020 veröffentlicht www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/gute-kita-bericht-2020-163402).  Die Monitoringergebnisse zum Jahr 2020 werden im zweiten Bericht Ende 2021 veröffentlicht.