„Gute Erziehung, Bildung und Betreu- ung: Anforderungen an Kindertages- betreuung aus Sicht von Familien“

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Eltern stehen heute vor vielfältigen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen, die mit hohen, teils widersprüchlichen Erwartungen an ihre Alltags-, Erziehungs- und Bildungskompetenzen einhergehen.

Familien müssen im voranschreitenden gesellschaftlichen Wandel ihren Platz in einer zunehmend globalisierten Welt finden sowie mit den damit einhergehenden strukturellen Veränderungen umgehen und in einer entgrenzten Arbeitswelt eine Balance zwischen Familie und Beruf schaffen und bewahren. Andererseits sehen sich Eltern verstärkt dem Druck ausgesetzt, vor dem Hintergrund der gestiegenen Bedeutung frühkindlicher Bildung ihren Kindern möglichst frühzeitig und umfangreich die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen.

Die Verhältnisse, in denen Kinder und ihre Eltern leben, sind sozial wie kulturell heterogen und durch unterschiedliche Lebensstile geprägt. Die Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Müttern, die Herausbildung von unsicheren Formen familialen Zusammenlebens, aber auch Mobilitäts- und Migrationsprozesse haben zur Folge, dass Familien vielfältigen Belastungen ausgesetzt sind. Zugleich müssen Eltern hohen Ansprüchen an eine gelingende Erziehung genügen, zum Teil ohne über die erforderlichen materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen zu verfügen. Auch aufgrund des Verlusts an handlungsleitenden Routinen und Vorbildern bei wachsender Informationsflut nehmen (Erziehungs-)Unsicherheiten zu. Die Folge ist, dass Elternschaft als immer schwieriger wahrgenommen wird und mit einem wachsenden Bedarf an Unterstützung einhergeht – sowohl monetär und infrastrukturell als auch in Form von ausreichender Zeitautonomie.

Im vorliegenden Papier beschreibt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ Anforderungen an eine Kindertagesbetreuung, die Familien unterstützt, indem sie eine gute Erziehung, Bildung und Betreuung gewährleistet und die Bedürfnisse von Kindern und Eltern nicht aus dem Blick verliert.


Familien brauchen flexible Betreuungsangebote

Die Pluralisierung von Lebenslagen und die Veränderungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt  beeinflussen ganz wesentlich die Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an die Beschäftigten. Die Kindertagesbetreuung steht in diesem Zusammenhang vor vielfältigen neuen Herausforderungen, die Innovationsbereitschaft und eine verstärkte Orientierung an den Bedarfslagen der Familien und den Bedürfnissen der Kinder erfordern. 

Zeitlich und organisatorisch flexiblere Betreuungsangebote mit dem Ziel, Eltern die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung zu erleichtern, stellen neben dem Bildungsauftrag ein zentrales Thema in der aktuellen Debatte über Kindertagesbetreuung dar.

Bei der Gestaltung der Angebote müssen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Flexibilität und  Zumutbarkeit für Kinder unterschiedlichen Alters sowie die Sicherung des Kindeswohls im Zentrum der Betrachtung stehen. 

Differenzierte Angebotsformen  müssen sich dabei  sowohl an den Bedarfs-lagen der Familien orientieren, den  Erwartungen der Familien an ihre eigene Zeitgestaltung entgegenkommen und  ebenso dem Auftrag der Kindertagesbetreuung bei der Erziehung, Bildung und Betreuung gerecht werden.

Dabei gilt es, die unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnisse der Kinder, ihrer Familien, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aufzuzeigen und angemessen und ausgewogen zu berücksichtigen. Die gesetzlich mögliche und derzeit notwendige Flexibilisierung der Kindertagesbetreuungsangebote, insbesondere der Öffnungszeiten der Einrichtungen, erfordert deshalb die Auseinandersetzung aller Verantwortungsträger mit dem Thema. Flexibilisierung hat auch Grenzen.

Die individuellen Bedürfnislagen der Kinder, die Stabilität von Bindungsmöglichkeiten zu Erwachsenen und Kindern sowie die Anforderungen einer partnerschaftlichen Kooperation mit den Eltern dürfen nicht aus dem Blick geraten. Je jünger das Kind ist, desto mehr spielen stabile Rahmenbedingungen, beständige Bezugspersonen und Verlässlichkeit im Lebensrhythmus für ein harmonisches Aufwachsen von Kindern  eine Rolle.

Familienleben braucht Zeit. Durch eine Flexibilisierung der Betreuungsangebote  kann Kinder- und Jugendhilfe einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung zu unterstützen. Darüber hinaus ist aber auch die Arbeitgeberseite gefordert, verstärkt auf die Belange von Familien einzugehen und unterstützend wirksam zu werden.  

Die Kinder- und Jugendhilfe ist in erster Linie verpflichtet, Kinder in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und kann mit ihrer fachlichen Profession eine entsprechende Lobbyarbeit  bei der Etablierung vielfältiger familienunterstützender Angebote und bei der Schaffung von familienfreundlicheren Arbeitszeiten  in der Diskussion mit der Wirtschaft unterstützen. 


Familien brauchen Kontinuität und Verlässlichkeit

Neben flexiblen Angeboten wünschen sich Eltern mehr Orientierung und Austausch in Erziehungs- und Bildungsfragen, bedarfsorientierte Unterstützung in belasteten Lebensphasen, zusätzliche Hilfen bei der Alltagsbewältigung zwischen Familie, Beruf und Freizeit oder auch Begegnungsmöglichkeiten mit Gleichgesinnten.

Hierzu brauchen sie leicht zugängliche Anlaufstellen, vertraute Ansprechpartnerinnen und -partner und wohnortnahe Treffpunkte, in denen sie neben Kontakten mit anderen Eltern die erforderliche Information und Beratung, Begleitung und Unterstützung bei der Erziehung, Bildung und Betreuung ihrer Kinder bereits frühzeitig erhalten.

Besonders geeignet sind hierfür Kindertageseinrichtungen, die von den Eltern unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft in hohem Maße genutzt und von ihnen als alltagsnahe Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsangebote weitgehend akzeptiert werden. Die hohe Inanspruchnahme und die positiven Einstellungen gegenüber Kindertageseinrichtungen bilden gute Voraussetzungen für die Eltern, um vertrauensvolle Beziehungen zu den sozialpädagogischen Fachkräften aufzubauen und eine Grundlage für eine verlässliche Zusammenarbeit zu erwerben, von denen später auch die Grundschule profitiert.


Horizontale Kontinuität durch Familienzentren herstellen

In diesem Kontext sind in den letzten Jahren als Formen der Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen unterschiedliche Konzepte wie Familienzentren, Eltern-Kind-Zentren und vergleichbare Ansätze entwickelt worden. Hierdurch soll den gewandelten Bedingungen des Aufwachsens von Kindern stärker Rechnung getragen, eine Qualitätssteigerung frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung erzielt, Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Bildungs- und Erziehungsaufgaben gestärkt sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden. In der Praxis der Länder und Kommunen haben sich Einrichtungen mit höchst unterschiedlichem Profil herausgebildet, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, eltern- und  kindfördernde Angebote in gebündelter Form miteinander zu verbinden und Kindertageseinrichtungen zu Bildungs- und Erfahrungsorten für Kinder und Eltern gleichermaßen auszubauen.

Als wesentliche Zielkomponenten des Leistungsspektrums von „Familien-zentren“ gelten

  • die umfassendere und frühzeitige, individuelle Förderung der Kinder, um die Frühprävention zu verbessern, aber auch die Weichen für mehr Lebensqualität, einen guten Schulstart und eine erfolgreiche Bildungsbiographie zu stellen,
  • Information und Beratung in Erziehungsfragen, Unterstützung bei Alltagskonflikten sowie die Bereitstellung von Familienbildungsangeboten, um den Eltern Wissen über die Entwicklung und Erziehung von Kindern zu vermitteln sowie ihre Erziehungs- und Beziehungskompetenzen im Familienalltag zu stärken,
  • die Öffnung und Erweiterung der Angebotsstrukturen sowie die Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern, um mehr Variabilität in den Betreuungszeiten zu schaffen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
  • die Vermittlung von Dienstleistungsangeboten und haushaltsnahen Hilfen zur Unterstützung der Alltagsbewältigung,
  • der Ausbau von Angeboten, die der Verständigung und Auseinander-setzung mit anderen Kulturen dienen, um zur interkulturellen Integration beizutragen sowie gegenseitigen Austausch und beiderseitige Wertschätzung zu fördern,
  • die Weiterentwicklung zu einem Ort der Begegnung, um zur Vernetzung der Eltern beizutragen, soziale Ressourcen und Eigenpotenziale der Familien zu stärken sowie Kontakt und Austausch mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen im Gemeinwesen und unterschiedlichen Generationen zu ermöglichen. 

Damit Familienzentren diese Ziele erfolgreich realisieren können, ist bei der Gestaltung der Angebote eine konsequente Orientierung an den Interessen und Bedürfnissen der Familien im Sozialraum erforderlich. Hierzu sind zielgruppenorientierte Angebote und Ansprachekonzepte, auch für Zuwandererfamilien und Familien aus bildungsferneren Schichten, zu entwickeln, die an den Interessen, dem Mitgestaltungswillen und der Engagementbereitschaft der Eltern ansetzen. Sie bedingen eine Haltung des Respekts und der Anerkennung der Eltern, ihrer Lebenslagen, Wertvorstellungen und Kompetenzen und müssen mit der Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen für eine intensivierte Zusammenarbeit mit den Eltern einhergehen (wie erhöhte Zeitkontingente, Verankerung in der Aus- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte).

Daneben ist eine weitreichende, verbindliche und zielgerichtete Kooperation von Familienzenten mit anderen Akteuren, Einrichtungen, Organisationen im Sozialraum erforderlich (wie Tagespflegestellen, Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Familienbildungsstätten, Familienverbänden, Selbsthilfeorganisationen oder Dienstleistungsanbietern), die in der Konzeption der unterschiedlichen Angebote mit verankert und über entsprechende Ressourcen abgesichert werden müssen. 


Biographische Kontinuität erleichtern

Im Verlauf ihrer Familienbiographie müssen Kinder und Eltern zahlreiche Übergänge zwischen unterschiedlichen Bildungsinstitutionen und -gelegenheiten bewältigen. Welche und wie viele Übergangssituationen dies genau sind, hängt von den individuellen Bildungsverläufen der Kinder sowie den Bildungspräferenzen und -entscheidungen der Eltern, aber auch von ihren Lebens- und Erwerbsverhältnissen sowie den Angebotsstrukturen vor Ort ab.

Die beteiligten Akteure aus Kinder- und Jugendhilfe und Schule haben dabei die Aufgabe, die jeweiligen Übergangssituationen zu begleiten und zu strukturieren, damit Kinder und Eltern diese Diskontinuitäten nicht als Brüche erleben. Die Gestaltung des Wechsels sollte auf verschiedenen Ebenen ansetzen:

  • Damit Kinder die vielfältigen Entwicklungsaufgaben erfolgreich meistern, die mit dem Übergang von der Familie in die Kindertageseinrichtung und später dem Eintritt in die (Ganztags-)Grundschule sowie in die weiterführende Schule verbunden sind, müssen sie bereits frühzeitig durch kindgerechte Lernangebote gefördert werden, die sich an der jeweiligen Bildungsbiographie, den individuellen Rahmenbedingungen sowie dem familialen Kontext orientieren. Eine wichtige Voraussetzung zur Aneignung der erforderlichen Kompetenzen sind kontinuierliche Bezugspersonen, die den Kindern die Eingewöhnung und Bindung erleichtern und ihnen Sicherheit und Vertrauen bieten. 
  • Bei der Vorbereitung auf die Übergänge ist es erforderlich, die Eltern von Anfang an mit einzubeziehen, verlässliche Beziehungen und eine vertrauensvolle Kooperation zu ihnen im Rahmen eines koproduktiven Prozesses aufzubauen, um gemeinsam mit ihnen Übergangsszenarien zu entwickeln. Gegenstand einer gleichberechtigten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sind Informations- und Entwicklungsgespräche. Notwendig ist aber auch Transparenz über Ziele, Inhalte, Formen und Organisation der Kooperation, die in Vereinbarungen festgehalten werden.
  • Für die Kindertageseinrichtungen bedeutet die Übergangsgestaltung die Erarbeitung tragfähiger Konzepte für die Zusammenarbeit mit den Eltern und den Lehrkräften an den Grundschulen, um die Anschlussfähigkeit der Bildungsprozesse sicherzustellen, ohne dabei den eigenen Bildungsauftrag aufzugeben.
  • Auf der Ebene von Jugendhilfe und Schule sind geeignete Strukturen herzustellen, die es erlauben, eine Kooperationskultur zwischen den verschiedenen Akteuren aufzubauen. Sie erfordern auf beiden Seiten abgestimmte Bildungs- und Lernpläne sowie angemessene Rahmenbedingungen im Hinblick auf den Personalschlüssel und die Klassenstärken, das Zeitbudget für die fachliche Vorbereitung sowie die Höherqualifizierung der sozialpädagogischen Fachkräfte und der Lehrkräfte in Ausbildung, Studium und Weiterbildung (z.B. in Form von Tandemfortbildungen, Hospitationen oder auch als Fachkräfteaustausch).


Familien als Taktgeber einer nachhaltigen Familienpolitik

Aus übergeordneter Perspektive erfordert mehr Kontinuität für Familien eine nachhaltige Familienpolitik, die im Spiegel des Siebten Familienberichtes gleichermaßen Lebenslauf- und Zeitperspektive in den Blick nimmt.  Hierzu soll zum einen die klassische Dreiteilung des Lebenslaufs in Kindheit und Jugend als Bildungsphase, das Erwachsenenleben als Berufs- und Familienphase sowie das Rentenalter als Freizeitphase überwunden und durch altersintegrierende Konzepte ersetzt werden. Derartige Modelle beanspruchen, die Verteilung der Lebensaufgaben besser zu organisieren, um Überlastung und Überforderung in bestimmten Lebensphasen abzubauen und ein Nebeneinander verschiedener Lebensbereiche zu ermöglichen. Zum anderen soll den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung getragen werden, indem die klassische Vorstellung der Industriegesellschaft mit festen Zeitstrukturen, klarer Aufgabenverteilung in der Familie sowie zwischen Familie und Bildungseinrichtungen abgelöst wird.

Erforderlich ist eine neue Balance zwischen Familienzeit, Ausbildung und Beruf, indem Sorgeaufgaben für andere, die Entwicklung von „Humankapital“ und beruflich-ökonomische Aktivitäten gleich bewertet und entsprechend verlässlich gestaltet werden. Dies bedingt eine gesellschaftliche Strategie, die eine neue Integration von Familie und Erwerbsarbeit, Nachbarschaft und Gemeinde anstrebt. Sie setzt in den verschiedenen Lebensbereichen und seitens der jeweiligen Akteure Zeitstrukturen voraus, die die Familie und ihre Bedarfe ins Zentrum stellen.

Zur Umsetzung einer nachhaltigen Familienpolitik müssen Rahmen-bedingungen und dazu passende Finanzierungsmodalitäten geschaffen werden, die die Verknüpfung der einzelnen Lebensphasen und -bereiche erleichtern, indem sie

  • Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten im sozialen Nahraum, im Bildungs- und Erziehungsbereich sowie im Gemeinwesen eröffnen,
  • akzeptierte und legitimierte Unterbrechungen der Erwerbsarbeit durch die Anerkennung von Bildungs-, Care-, und Sozialzeiten (Optionszeiten für Männer und Frauen gleichermaßen) ermöglichen, 
  • Berufsausstiege und -umstiege durch Kombinationen von Erstausbildung, Optionszeitennutzung, Erwerbszeitenunterbrechung neu gestalten, durch die über Anrechnungsmöglichkeiten von Berufsausbildung und Weiterbildung neue Berufswege geschaffen und lebenslanges Lernen ermöglicht wird,
  • ermöglichen, dass Kinderwünsche, auch im Fall biographisch sehr früher oder später Mutter- und Vaterschaft, durch geeignete Infrastruktur-angebote realisiert werden können,
  • die unterschiedlichen Angebote für Familien im Rahmen einer Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungslandschaft integrieren, die eine Entzerrung von Bildungs- und Betreuungszeiten ermöglicht und auch Zeitränder am Abend, am Wochenende und in den Ferien berücksichtigt.


Institutionelle Entwicklungserfordernisse – Von familienergänzenden zu familienunterstützenden Einrichtungen

Kindertageseinrichtungen müssen den veränderten familialen Lebenswelten Rechnung tragen. Als Angebote, die nahezu alle Familien erreichen, bringen sie zugleich besonders gute Voraussetzungen mit, um Hilfen dort anzubieten, wo sie benötigt werden. Die Herausforderungen für sie liegen daher heute in der Weiterentwicklung von familienergänzenden zu familienunterstützenden Institutionen. Dies erfordert eine Ausweitung des professionellen Selbstverständnisses, das die Entwicklungsförderung der Kinder und die Unterstützung von Familien in ihren spezifischen Lebenslagen miteinander verknüpft. Wie auch im Siebten Familienbericht gefordert wird, sollten hierbei alle Familien und nicht nur benachteiligte Familien in den Blick genommen werden.
Gleichzeitig wird man der Forderung nach einer unterstützenden Infrastruktur für tendenziell alle Familien nur mit Angeboten gerecht werden können, die die vorhandene Vielfalt der Lebensverhältnisse, Lebensmodelle und Bedürfnisse produktiv aufgreifen und passende konzeptionelle, organisatorische und pädagogische Antworten suchen. Dazu braucht es Einrichtungen, die sich noch stärker zu den Familien und ihrem sozialen Umfeld hin öffnen, aber auch Rahmenbedingungen, die einerseits flexibel genug sind, um unterschiedliche Ansätze und Entwicklungen zu ermöglichen und andererseits die Sicherheit bieten, dass erfolgreiche Modelle nachhaltig gesichert werden. 

Einen Fluchtpunkt für derartige konzeptionelle Überlegungen markiert gegenwärtig die Debatte über Familienzentren / Eltern-Kind-Zentren. In diesem Rahmen lässt sich, wie beschrieben, eine ganze Reihe von Fragen bündeln, die sich heute stellen, sei es die Frage eines frühzeitigen und fließenden Übergangs von privater in öffentliche Kinderbetreuung, der effektiven Förderung von Kindern in benachteiligten Verhältnissen, der Integration von Familien mit Migrationshintergrund, eines verbesserten Zugangs zur Familienbildung oder der Überwindung versäulter Jugendhilfestrukturen im Sinne einer familienorientierten Reorganisation und Integration von Leistungen.

Eine Antwort auf diese Fragen wird es allerdings nicht geben.

Familienpolitik muss in Abstimmung mit allen relevanten politischen Ressorts neue Modelle entwickeln und erproben sowie systematisch aus den Erfahrungen lernen – nicht von perfekten Lösungen und Modellen ausgehen, sondern Visionen entwickeln und Prozesshaftigkeit als Chance anerkennen und nutzen. Trägern und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe kommt hierbei eine besondere Rolle zu.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Berlin, 24./25. November 2011