Rahmenbedingungen der Förderung von Kindern in der Kindertagespflege

Diskussionspapier des Fachausschusses „Kindheit, Familie, Deutsches Nationalkomitee für frühkindliche Erziehung“ der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

Diskussionspapier als PDF

 

In der Stellungnahme zum Thema „Qualität in der Kindertagespflege“ skizziert die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zentrale Anforderungen an eine fachlich weiter zu entwickelnde Kindertagespflege als Teil eines Gesamtsystems der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Im Folgenden sollen die Rahmenbedingungen der Förderung von Kindern in der Kindertagespflege konkretisiert werden, die direkt auf das Kind und seine Situation in der Kindertagespflege wirken. Sie umfassen im Wesentlichen drei, einander bedingende Qualitätsdimensionen, die für eine an den emotionalen, kognitiven und physischen Bedürfnissen des Kindes orientierte Frühförderung in der Kindertagespflege von Bedeutung sind:

  • die Qualität der Bindung und Beziehung zwischen Tagespflegeperson und Kind, die einen behutsamen Eingewöhnungsprozess voraussetzen,
  • die Qualität der (sozial)räumlichen und kindorientierten Gestaltung der Tagespflegestelle,
  • die Qualität der Beziehung der Kindertagespflegeperson zu den Eltern des Kindes.

Darüber hinaus soll der Blick  auf die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen gerichtet werden, die die Kindertages-pflegepersonen zur Ausübung ihrer Tätigkeit benötigen.

Bindungs- und Beziehungsqualität

Ein zentrales Kennzeichen der Kindertagespflege besteht in ihrem familienähnlichen Charakter. Insbesondere sehr kleine Kinder, die umfangreiche und zeitaufwändige Pflege- und Versorgungs-leistungen benötigen, können dort intensive, persönliche Zuwendung erfahren.  Damit das Merkmal „Familienähnlichkeit“ jedoch zum Tragen kommen kann, ist seitens der Kinder-tagespflegeperson eine emotionale, zeitliche und inhaltliche Kontinuität, Stabilität und Verlässlichkeit bei der Gestaltung der Beziehung zum Kind zu gewährleisten. 
Zur Erlangung emotionaler Sicherheit sind folgende Faktoren grundlegend für die Entwicklung des Kindes:

  • das subjektive Wohlbefinden des Kindes im Sinne eines sich „Wohlfühlens in der eigenen Haut“,
  • die Existenz kindlicher Orientierungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen,
  • die Achtung gegenüber der Person des Kindes unter einfühlsamem Wahrnehmen seiner Signale und Anerkennung seiner Individualität,
  • die intensive, persönliche Zuwendung und die direkte Ansprache des Kindes,
  • ein behutsamer Umgang mit seinem Körper unter Achtung seiner körperlichen Integrität,
  • die Aufrechterhaltung von Kontinuität in den Beziehungen mit den Erwachsenen und den Kindern,
  • genügend Zeit für die Eingewöhnung und den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen,
  • das Recht auf einen persönlichen Rhythmus und einen eigenen Platz,
  • die Existenz von Rückzugsmöglichkeiten.

Eingewöhnung

Damit sich eine förderliche Beziehung zwischen dem Kind und der Tagespflegeperson entwickeln kann, bedarf es, gerade zu Beginn des Tagespflegeverhältnisses, einer sorgfältigen und kindorientierten Vorbereitung und Durchführung dieses Angebots. Hierfür ist eine spezielle Eingewöhnungsphase, insbesondere bei Kleinstkindern, von grundlegender Bedeutung. Dabei ist Folgendes zu beachten:

  • Die Kontaktaufnahme zum gegenseitigen Kennenlernen der Familien ist entscheidend für die künftige Beziehungs-gestaltung.
  • Diese sollte behutsam und in einem angemessenen Zeitrahmen erfolgen, um dem Kind mit elterlicher Hilfe den Aufbau einer Bindungsbeziehung zur Tagespflegeperson zu ermöglichen.
  • Die Dauer und Gestaltung der Eingewöhnungsphase ist von den individuellen Voraussetzungen, die das Kind und seine Familie mitbringen, abhängig. Sie kann sich über einige Tage oder länger erstrecken. Voraussetzung für eine sanfte Eingewöhnung sind die Anwesenheit der Mutter oder einer anderen Hauptbezugsperson des Kindes in der Tages-pflegestelle, die freundliche und unaufdringliche Kontakt-aufnahme der Tagespflegeperson mit dem Kind (z. B. durch gemeinsames Spielen, Füttern und Wickeln des Kindes) sowie ein an den kindlichen Reaktionen orientiertes Eingewöhnungstempo.
  • In den ersten drei Tagen sollten keine Trennungsversuche unternommen werden.

(Sozial)räumliche Gestaltung der Tagespflegestelle

Die auf dem Weg zur Selbst- und Weltaneignung in der Kindertagespflege bereitgestellten Erfahrungsräume müssen den frühkindlichen Bildungsinteressen hinreichende Entfaltungs-möglichkeiten bieten:

  • vielfältige Gelegenheiten zum Lernen durch eigenes Tun,
  • Raum für eigene Initiative und für eigenes Gestalten,
  • Raum für vielseitige Bewegungserfahrungen,
  • den Möglichkeiten des Kindes angemessen erschließbares Material, das ein Entdecken und Überprüfen von Zusammenhängen zulässt,
  • Raum zur ungestörten Beschäftigung für sich allein,
  • Möglichkeiten zum Ausruhen, zum Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe,
  • ein Recht auf eigene Bildungswege,
  • ein Recht auf Gefühle und auf Körperlichkeit,
  • der Austausch mit anderen Kindern,
  • Kontaktmöglichkeiten und Freundschaften mit etwa Gleichaltrigen,
  • Erforschen der Aktionen und Reaktionen von anderen Kindern.

Die Umsetzung dieser Anforderungen erfordert besondere Voraussetzungen im Haushalt und im Umfeld der Tages-pflegeperson. Wichtige Bedingungen für die Strukturqualität der Kindertagespflege im Haushalt der Tagespflegeperson bzw. des Kindes und in angemieteten Räumen sind:

  • atmosphärische Offenheit, Freundlichkeit und Funktionalität der Räumlichkeiten,
  • Kochgelegenheit
  • funktionsgerechte Waschgelegenheiten,
  • sicher ausgestattete, hygienisch saubere Räumlichkeiten,
  • eine der Anzahl und Gruppenzusammensetzung sowie den Erfordernissen der Kinder angemessene Anzahl von Räumen.

Das Umfeld der Kindertagespflegestelle sollte vielfache, anregende Möglichkeiten der Bewegung, des Spielens in der Natur, des Forschens und Entdeckens sowie des Kennenlernens des und der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sozialraum bieten.
Kindertagespflegepersonen sollten für ihre Arbeit auch Bildungs-angebote anderer Träger (z. B. Musikschulen, Sportvereine) nutzen.

Anforderungen aus Sicht der Klein- und Kleinstkinder

Aufgrund der spezifischen Bedürfnisse von Kindern unter drei Jahren lassen sich für diese Altersgruppe besondere Bedingungen formulieren. Säuglinge entwickeln Selbstvertrauen im Erleben von Selbstwirksamkeit, weshalb folgende Aspekte zu berücksichtigen sind:

  • Kennenlernen und Erproben des eigenen Körpers,
  • Raum zur freien Bewegungsentwicklung zur Erarbeitung von Bewegungsmöglichkeiten sowie zur Entwicklung von Bewegungssicherheit (Gleichgewicht),
  • Gelegenheit zum risikolosen Erforschen der unmittelbaren Umgebung,
  • Möglichkeit der allmählichen Ausweitung des Aktionsraums aufgrund fortschreitender Bewegungsfähigkeiten, Berück-sichtigung eines steigenden Bedarfs nach Aufbruch (mit Rückkehrmöglichkeit),
  • Gestaltung von Pflegehandlungen als individuelle Kommunikationssituationen im Sinne einer beziehungsvollen Pflege,
  • sensible Beachtung und Begleitung der Interessen und Gefühle des Kindes,
  • Förderung der sprachlichen Entwicklung,
  • sanfte Gewöhnung an neue sozialräumliche Umstände.

Auch in dieser Entwicklungsphase ist der Kontakt mit etwa-Gleichaltrigen bedeutsam.

Die Beziehungen in der Familie der Tagespflegeperson

Mit Blick auf die Situation in der Familie der Tagespflegeperson ist die positive Gestaltung der Beziehungen zwischen eigenen und fremden Kindern eine entscheidende Bedingung für eine gelingende Kindertagespflege. Die Aufnahme eines Tagespflegekindes muss auch durch den Partner/die Partnerin unterstützt werden, der/die seiner- bzw. ihrerseits eine konstruktive und wohlwollende Beziehung zum Tagespflegekind aufbauen sollte. Seitens der Tagespflegeperson ist ein faires Verhalten gegenüber den eigenen und den Tagespflegekindern erforderlich, um Konflikte zwischen den Kindern zu vermeiden, sonst besteht die Gefahr, dass das Tagespflegeverhältnis aufgrund der emotionalen Belastungs-situation abgebrochen wird.

Betreuungsvereinbarungen

Die Kindertagespflege bildet ein sozialrechtliches Leistungs-verhältnis zwischen Jugendamt und Tagespflegeperson (Zuwendung, Bescheid). Um einen möglichst konfliktfreien Ablauf der Tagespflege zu gewährleisten, empfiehlt es sich, auch das Verhältnis zwischen Eltern und Tagespflegeperson zu gestalten. Das Kind sollte sich bei der Entwicklung seines Vertrauens in die neuen Umstände getragen wissen von dem Vertrauen seiner Eltern in das Tagespflegeverhältnis. Die Kindertagespflegeperson sollte in diesem Zusammenhang einen positiv gestimmten, freundlichen, aber auch verbindlichen Umgang mit den Eltern anstreben. Zur Herstellung eines konstruktiven Verhältnisses zwischen den Eltern und der Tagespflegeperson eignet sich der Abschluss schriftlicher Betreuungsvereinbarungen, in denen folgende Aspekte geregelt werden:

  • finanzielle und versicherungsrechtliche Fragen,
  • zeitlicher Umfang des Kindertagespflegeverhältnisses,
  • Urlaub,
  • Vertretungsregelungen bei bspw. krankheitsbedingten Aus-fallzeiten,
  • Kündigungsfristen,
  • Umgang mit Schadensfällen im Haushalt der Kinder-tagespflegeperson.

Personale Kompetenzen und fachliche Voraussetzungen für die Förderung von Kindern in Tagespflege

Im Sinne einer entwicklungsförderlichen Ausgestaltung der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern sollte eine Kindertagespflegeperson über die folgenden persönlichen Voraussetzungen verfügen: 

  • eine kindorientierte Grundhaltung, d.h. Freude am Umgang mit Kindern sowie Wohlwollen und Respekt gegenüber dem einzelnen Kind bzw. ein grundlegendes Interesse daran, jedes Kind bestmöglichst zu fördern und in seinen Bildungsprozessen zu begleiten und zu unterstützen,
  • Achtung und Einfühlungsvermögen gegenüber jedem Kind und dessen Familie,
  • eine ausgeprägte Motivation zur Übernahme der Betreuungsaufgabe verbunden mit dem Wunsch, eine langfristige Bindung und Beziehung einzugehen und aufzubauen,
  • physische und psychische Belastbarkeit,
  • Flexibilität, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Integrität
  • Kritik- und Reflexionsfähigkeit gegenüber sich selbst, Entwicklungsbereitschaft und die Fähigkeit, konstruktiv mit Konflikten umzugehen,
  • kooperative Kompetenz,
  • Organisationskompetenz z.B. hinsichtlich der Haushalts-führung und einer verlässlichen Strukturierung des Tagesablaufes.

Entscheidend für die an den Bedürfnissen des Kindes orientierte Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsauftrages in der Kindertagespflege ist die fachliche Qualifikation der Tagespflegeperson. Sie muss über pädagogisch-psychologische Grundkenntnisse und erzieherische Kompetenzen zur altersentsprechenden und allseitigen Förderung der Kinder verfügen. Dies ist beispielsweise durch eine pädagogische, psychologische oder medizinische Ausbildung bzw. einschlägige berufliche Vorerfahrung gegeben. Hinsichtlich der fachlichen Qualifikation ist entscheidend, dass die Tagespflegeperson

  • offen für Erziehungs-, Entwicklungs- und Bildungsfragen ist, ihre eigene Arbeit fachlich reflektieren kann, d. h. zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Fachfragen und zur situationsbezogenen Umsetzung des Fachwissens fähig ist, 
  • in der Lage ist, die spezifischen Interessen und Bedürfnisse sowie den Entwicklungsstand des Kindes angemessen zu berücksichtigen und es auf dieser Grundlage zu fördern,
  • die Wünsche und Erwartungen der Eltern an das Tagespflegeverhältnis zu erkennen und zu erfüllen,
  • bereit ist, sich regelmäßig weiter zu qualifizieren,
  • aktives Interesse an der Kooperation mit anderen Fachkräften und sozialen Diensten und Fachkräften (Frühförderung, Erziehungsberatung, Therapieeinrichtungen etc.) zeigt sowie bereit ist, sich mit anderen Tagespflegepersonen (z.B. im Rahmen von Arbeitskreisen) auszutauschen.

Die zukunftsorientierte Weiterentwicklung der Kindertagespflege erfordert die Orientierung an fachlichen Standards. Die Herstellung personeller, pädagogischer und struktureller Rahmenbedingungen, die für die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder förderlich sind, bildet einen wesentlichen Baustein auf dem Weg der Kindertagespflege zu einem qualifizierten Angebotssegment. 


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Essen, 13. Februar 2008