Kommentierung des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ zum Länderbericht der OECD für Deutschland

„Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland“

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1. Einleitung

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichte am 30. November 2004 im Rahmen der thematischen Untersuchung der OECD: „Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung“[1] (kurz „Starting Strong“) ihren Länderbericht für Deutschland.

Mit dem Länderbericht, der Teil der zweiten Runde der o.g. thematischen Untersuchung der OECD in insgesamt 20 Ländern[2] ist, liegt erstmals eine internationale Beurteilung des Angebots an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland vor.

1998 wurde die Untersuchung vom OECD-Bildungsausschuss ins Leben gerufen, angestoßen durch das Kommuniqué der Bildungsminister der OECD von 1996 „Lebenslanges Lernen als Realität für alle“[3], und es beteiligten sich im Folgenden zwölf Länder an der ersten Untersuchungsgruppe, deren Ergebnisse im Juni 2001 in der länderübergreifenden Analyse unter dem Titel: "Starting Strong I" veröffentlicht wurden.
Ziel der internationalen Vergleichsstudie ist es, den beteiligten Staaten Anregungen für die Weiterentwicklung der Kinderbetreuung zu geben und die Erkenntnisse aus den einzelnen Staaten auf internationaler Ebene zu kommunizieren.

Im weiteren Verlauf wurde nun, 2004, im Rahmen der zweiten Analyse unter dem Titel: "Starting Strong II", Deutschland als neunzehntes Land untersucht.

Grundlage für die Untersuchung in den einzelnen Ländern bilden dabei immer die sogenannten Hintergrundberichte, die nach einem von allen Teilnahmeländern vereinbarten Rahmen zu erstellen sind sowie der Besuch der OECD-Untersuchungsgruppe, die aus einem Mitglied des OECD-Sekretariats und Expertinnen und Experten mit unterschiedlichem analytischem und politischem Hintergrund besteht. Die Erstellung des sogenannten Hintergrundberichts sowie die Koordination des Besuches der OECD-Untersuchungsgruppe, werden durch das zuständige Ministerium durchgeführt.

Grundlage für den Länderbericht der OECD für Deutschland bildete der vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) im Auftrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erstellte Hintergrundbericht, der eine umfassende Darstellung des Betreuungsangebotes in ganz Deutschland sowie der gegenwärtigen Politik in Deutschland enthält.

Im Juni 2004 bereiste die OECD-Untersuchergruppe, begleitet durch das BMFSFJ, 10 Tage lang die fünf beteiligten Bundesländer in Deutschland: Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Während Ihres Besuches trafen die Expertinnen und Experten der OECD-Untersuchungsgruppe mit vielen Hauptakteuren im Bereich der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) aus Politik und Praxis zusammen. In jedem der o.g. Bundesländer hatten sie Gelegenheit zur Besichtigung zahlreicher Beispiele für Programme und Angebote für Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren.

Die Ergebnisse der Untersuchungen der Expertinnen und Experten wurden dann im o.g. Länderbericht der OECD für Deutschland zusammengefasst.


2. Inhalte des Länderberichtes

Der Länderbericht der OECD für Deutschland (im Folgenden kurz: Länderbericht) enthält eine Beschreibung sowie die von der OECD-Untersuchergruppe durchgeführte Analyse der wichtigsten Politikbelange in Zusammenhang mit frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland. Er stützt sich dabei in erheblichem Umfang auf die im Hintergrundbericht für Deutschland gelieferten Informationen sowie auf formelle und informelle Diskussionen, Unterlagenanalysen, einschlägige Forschungsliteratur und die Beobachtungen der Expertinnen und Experten der OECD-Untersuchungsgruppe.


Aufbau des OECD-Länderberichtes für Deutschland:

  • Kapitel 1: Ein einleitendes Kapitel, das die Gründe für die thematische OECD-Untersuchung darlegt sowie Ziele und Rahmen des Besuchs beschreibt.
  • Kapitel 2: Kontextuelle Aspekte, die die FBBE-Politik in Deutschland bestimmen, mit einer Beschreibung der demographischen Entwicklungen, der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation und damit verbundener Politikfelder, ökonomischer Faktoren, jüngerer historischer Ereignisse und der Verwaltung.
  • Kapitel 3: Gegenwärtige FBBE-Politik und –Angebote beschreibt das unmittelbare Politikumfeld der FBBE in Deutschland; die Struktur des FBBE-Angebots in West und Ost; die wesentlichen Formen der Versorgung und der Anbieter; Zugang, Personalbeschaffung und Finanzierung und wie sich die Formen der Versorgung über diese Dimensionen hinweg unterscheiden; die Beschäftigten in der FBBE in Deutschland; Regulierung und Qualitätsmerkmale; Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen; Eltern und FBBE-Angebote.
  • Kapitel 4: Kritische Punkte der FBBE in Deutschland befasst sich mit ausgewählten kritischen Aspekten, etwa der Notwendigkeit eines Ausbaus des deutschen FBBE-Systems; der Spannung zwischen bundesstaatlichen und örtlichen Stellen hinsichtlich der Regulierung und des Setzens von Standards; der Beziehung zwischen FBBE, den Schulen und außerschulischer „Betreuung“; Belangen der Beschäftigten; Forschung und Datensammlung.
  • Kapitel 5: Schlussfolgerungen bietet Orientierungsvorschläge und Anregungen in kritischen Bereichen für Behörden und FBBE-Interessengruppen in Deutschland.

Quelle: OECD-Länderbericht für Deutschland: „Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 7, Absatz 8., November 2004

3. Kommentierung einzelner Themenfelder des Länderberichtes

Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ begrüßen ausdrücklich die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der internationalen Vergleichsstudie der OECD „Thematische Untersuchung der Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung“.

Der Länderbericht sowie der Hintergrundsbericht zur OECD-Studie, stellen, nach Auffassung der Mitglieder des Fachausschusses, ein wichtiges Instrument im Rahmen des Ausbaus des Systems der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland dar. Insbesondere, da der Länderbericht Stärken und Schwächen des vorhandenen FBBE-Systems in Deutschland behandelt, ohne mit einem „Ranking“ im internationalen Ländervergleich und den damit verbundenen Auswertungen durch die Presse verbunden zu sein, wie dies bei den P.I.S.A.-Studien der OECD der Fall war.


3.1. Zu den im Länderbericht aufgeführten Stärken und Ressourcen der FBBE in Deutschland

Gehaltvolle Konzepte

Es ist erfreulich, dass im Rahmen des Länderberichtes die Bedeutung der gehaltvollen Konzepte der Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland sowie des ganzheitlichen sozialpädagogischen Ansatzes hervorgehoben werden. Der deutschsprachige Begriff der
„Sozialpädagogik“, gibt, nach Auffassung der Untersuchungsgruppe, die Trias: „Betreuung, Bildung und Erziehung“ sprachlich besser wieder, als dies „education & care“ in der englischsprachigen Forschung vermögen (a. a. O., S. 23, Absatz 43f. und S.49 Absatz 122.).

Das gut ausgebaute FBBE-System in den Neuen Bundesländern und seine allmähliche Ausdehnung auf den Westen

Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ teilen die Auffassung der OECD-Untersuchungsgruppe, dass die neuen Bundesländer bereits über eines der am besten ausgebauten FBBE-Systeme verfügen. Es war eine wichtige Errungenschaft, dass der hohe Versorgungsgrad nach der Wiedervereinigung zu großen Teilen aufrechterhalten werden konnte (a. a. O., S. 50, Absatz 122).

Der Fachausschuss „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ hat sich bereits im Rahmen seines Arbeitspapiers „Bildung – Erziehung – Betreuung. Ausbau des Angebotes für Kinder unter drei Jahren“ (Mai 2004) dafür ausgesprochen, dass im Rahmen des von der Bundesregierung bestrebten Ausbaus des Angebotes für Kinder unter drei Jahren eine Erweiterung des Platzangebotes in Kindertageseinrichtungen in den Alten Bundesländern nicht zu Lasten der bestehenden Kapazitäten in den Neuen Bundesländern gehen dürfe. Die Mitglieder des Fachausschusses hatten diesbezüglich an Länder und Kommunen appelliert, den in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden bedarfsgerechten und qualitativen Ausbau des Angebotes für Kinder unter drei Jahren nachhaltig zu verfolgen und ein verlässliches und bedarfsgerechtes Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.


Chancengleichheit und Gemeinnützigkeit

Im Länderbericht wird der gemeinnützige Charakter des FBBE-Systems in Deutschland in Abgrenzung zu gewinnorientierten Einrichtungen in angelsächsischen Ländern, insbesondere unter dem Aspekt der Chancengleichheit, gewürdigt. Das deutsche System funktioniere insgesamt mit dem Bestreben, alle Kinder in gleicher Weise zu erreichen. Trotz allem seien dabei – wie auch im gewinnorientierten Bereich – die Gehälter der Angestellten nicht angemessen (a. a. O. S. 50, Absatz 122.). Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ begrüßen die von der Expertenkommission akzentuierte Orientierung von Kindertageseinrichtungen am Gemeinwohl. Der Fachausschuss teilt die Auffassung der Untersuchungsgruppe, dass Tageseinrichtungen für Kinder eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung haben, weil sie als Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe generell dazu beitragen, durch Betreuung, Bildung und Erziehung Benachteiligungen zu vermeiden und positive Lebensbedingungen für Kinder und ihre Familien zu schaffen. Zur Herstellung von Chancengleichheit ist es daher, nach Auffassung der Mitglieder des Fachausschusses, erforderlich, das Recht des Kindes auf Betreuung, Bildung und Erziehung stärker in den Blick zu nehmen.

Der bedarfsgerechte Ausbau der Angebote für Kinder unter drei Jahren erfordert, so die Mitglieder des Fachausschusses, die konsequente Orientierung an den entwicklungsbedingten Bedürfnissen der Kinder und den Interessen ihrer Familien, die über die arbeitszeitbedingten Erfordernisse des Arbeitsmarktes und ein rein quantitativ orientiertes Betreuungssystem hinausgehen.

3.2. Zu den im Länderbericht aufgeführten Schwächen der FBBE in Deutschland

Finanzierung

Acht Schlüsselelemente sind es, die Expertinnen und Experten der jeweiligen OECD- Untersuchungsgruppe zu „Starting Strong“ den Ländern mit auf den Weg geben. Einer davon lautet: „Beträchtliche öffentliche Investitionen in Dienstleistung und Infrastruktur sind nötig.“ (vgl. Hintergrundpapier der OECD-Untersuchungsgruppe: „Key points - The eight key elements of successful ECEC policy”). Damit richtet sich ein Augenmerk der Begutachter auf die finanzielle Gesamtsituation des Systems der Frühen Betreuung, Bildung und Erziehung. In den Schlussfolgerungen des OECD Länderberichts für Deutschland wird explizit darauf hingewiesen, dass die staatliche Finanzierung der FBBE-Einrichtungen in Deutschland, verglichen mit dem vom European Comission Childcare Network empfohlenen Mindestanteil von 1% des Bruttoinlandproduktes, zu gering sei (a. a. O., S. 70, Absatz 183.).

Die Frage der Finanzierung des FBBE-Systems taucht im Länderbericht sowohl unter der Überschrift „Subsidiarität und Föderalismus“ (a. a. O., S. 18, Absatz. 31.) auf, als auch insgesamt unter dem Kapitel „Finanzierung der Einrichtungen“ (a. a. O., S. 35). Die OECD- Untersuchungsgruppe verdeutlicht so die Breite der Finanzierungsaspekte in einem föderalistischen Land wie Deutschland. Auf Seite 35 des Länderberichtes heißt es: „Wie bei vielen Aspekten der FBBE in Deutschland ist es zwar möglich, einen groben Überblick über die Finanzierung zu geben, aber jeder Versuch einer detaillierten Darstellung wird durch die Komplexität eines Systems, in dem 16 Länder für die Finanzierungsvereinbarungen auf ihrem eigenen Gebiet jeweils selber zuständig sind, erheblich erschwert, denn es existieren tatsächlich 16 Regelungen, die sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Dies macht es sehr schwer, sich ein klares Bild von der Finanzierungsgestaltung zu machen. Einer der Experten für das labyrinthische Finanzsystem beschrieb diesen Umstand schlicht mit dem Worten: ‚Es gibt kein deutsches Finanzierungssystem!“.

Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ stellen mit Anerkennung fest, dass trotz der äußerst komplizierten Finanzierungssituation im Länderbericht der Versuch gemacht wurde, zumindest für die besuchten Bundesländer eine Übersicht über die Finanzierungswege zu geben. Sie teilen zudem die Einschätzung des Länderberichtes, „[...] dass die staatliche Finanzierung der FBBE-Einrichtungen in Deutschland relativ gering erscheint (0,42% des BIP) verglichen mit den Ausgaben für das Bildungssystem (5,3% des BIP) und die Höhe der staatlichen Aufwendungen für die FBBE in anderen europäischen Ländern [.  ]“ (a. a. O., S. 70, Absatz 183.). Dies unterstützen auch die Ergebnisse weiterer Studien der OECD, in deren Zusammenhang festgehalten wurde, dass in Deutschland „Im Kindergarten [...] der durch private Gebühren finanzierte Anteil der Ausgaben doppelt so hoch wie im OECD-Mittel“ sei.[4] Deutschland gibt demnach, so der OECD-Länderbericht, für den Bereich der FBBE- Einrichtungen und Grundschulen insgesamt zu wenig Geld aus, während die Ausgaben im weiterführenden Schul- und Bildungssystem im europäischen Durchschnitt liegen. Rückblickend heißt es hierzu im Länderbericht: „Die Ziele von FBBE schienen häufig eher vom aktuell verfügbaren Budget bestimmt als von dem Bemühen, das Budget auf die wachsenden Herausforderungen und Qualitätsanforderungen heutiger Tageseinrichtungen abzustimmen.“ (a. a. O., S. 62, Absatz 160.)

Des Weiteren wird im Länderbericht, bezogen auf die Elternbeteiligung an der Finanzierung der FBBE-Einrichtungen, der Frage nahgegangen, ob bei wachsender Bedeutung des Kindergartens für die frühere Förderung und seiner allgemeinen Verfügbarmachung die Elternbeiträge nicht Stück für Stück verringert bzw. ganz abgeschafft werden könnten, wie dies in den meisten europäischen Ländern für die 3- bis 6-Jähringen der Fall ist (a. a. O., S.70, Absatz 183.).

Eine Zielperspektive, deren Umsetzungsmöglichkeiten innerhalb der Mitglieder des AGJ- Fachausschusses unterschiedlich bewertet wird. Eine Umsetzung der im Länderbericht angeratenen Abschaffung von Elternbeiträgen, wird von den Mitgliedern des AGJ- Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“, insbesondere mit Blick auf die gültigen gesetzlichen Finanzierungsgrundlagen in einzelnen Ländern, durchaus als problematisch bewertet. Es besteht jedoch Einvernehmen darüber, dass Elternbeiträge so gestaltet sein sollten, dass kein Kind, aufgrund der Finanziellen Situation seiner Eltern, vom Besuch einer Kindertagesstätte ausgeschlossen wird.


Föderalismus

Wie ein roter Faden durchzieht das Thema Föderalismus den Länderbericht. So heißt es beispielsweise auf Seite 50: „Die verwandten Prinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität sorgen für ein Betreuungssystem, das staatlichen und lokalen Ebenen sowie individuellen Anbietern beträchtliche Verantwortung überträgt.“

In dieser sowohl positiven als auch kritischen, bedenklichen Beschreibung versucht der Länderbericht die gegenwärtige Situation des Systems der Tageseinrichtungen für Kinder in Deutschland zu beschreiben und sie - im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern – erklärbar zu machen.
Unter der Überschrift „Föderalismus“ auf Seite 19 wird im Länderbericht zunächst der Versuch unternommen, die unterschiedlichen Ebenen der Verantwortung zu beschreiben, um sie dann, im letzten Teil des Berichtes, entsprechend zu bewerten. So werden für alle Ebenen: Bund, Länder, Kommunen und freie Träger, deutlich positive als auch negative Elemente dargestellt. Kritisch hinterfragt werden das System der unterschiedlichen Ebenen immer wieder bei der Qualitätsentwicklung und bei der Transparenz des Finanzierungssystems. Die „Spannung zwischen nationalen Standards und lokaler Autonomie“ wird als kritischer Punkt im System der FBBE in Deutschland beschrieben: „Es erscheint unangemessen, dass Umfang und Qualität der FBBE höchst ungleich über das Land verteilt sind, und dass Familien in verschiedenen Bundesländern nicht in etwa die gleiche Unterstützung und die gleichen sozialen Chancen und Bildungschancen für ihre Kinder erwarten können.“ (a. a. O., S. 53).

Deshalb fordert der Länderbericht in seiner Umsetzungskonsequenz eine stärkere Verantwortung des Bundes für die Qualität- und Standardsetzung im System der FBBE.

Es heißt als Empfehlung: „Unsere Diskussion bezüglich eines gemeinsamen nationalen Rahmens oder gemeinsamer Richtlinien findet vor dem aktuellen Hintergrund vermehrter Forderungen nach einer sogar noch weitergehenden Dezentralisierung der Zuständigkeit für die Kindertagesbetreuung statt, wobei manche Stimmen für den kompletten Rückzug des Bundes eintreten und sogar eine ‚Kommunalisierung’ der FBBE-Leistung unterstützen. Bei einer vollständigen Umsetzung würde dies nicht nur die Beteiligung des Bundes, sondern den Beitrag der Länder ein Ende machen, mit bedauerlichen Konsequenzen für die Quantität und Qualität des Kinderbetreuungsangebots. Außerdem hätte die Herausnahme der Bundesebene den Effekt, dass die FBBE-Leistungen von derjenigen Regierungsebene abgekoppelt würden, die mit der Umsetzung der Rechte von Kindern als deutsche Staatsbürger betraut ist, wobei man insbesondere jene Artikel der UN-CRC (UN-Konvention über die Rechte des Kindes) Sinn haben muss, die sich auf Gerechtigkeit für Kinder und Versorgung für Kinder einschließlich Betreuung, Bildung und Gesundheit beziehen.“ (a. a. O., S.54, Absatz 133.).

Zur Finanzierung des Ausbaus der FBBE-Angebote in Deutschland, mit Blick auf die föderalen Strukturen, schlägt der Länderbericht vor: „Wir möchten jedoch das Bundesministerium, die Länder, die Kommunalbehörden sowie die Hauptinteressengruppen dazu ermutigen, gemeinsame Finanzierungsstandards auszuarbeiten und wirksame Finanzierungsmechanismen einzurichten, in Anbetracht dessen, dass Kinderbetreuungsangebote die Grundlage lebenslangen Lernens und eine Chance für die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft sind.“(a. a. O., S. 71, Absatz 186.) .


Das Personal: Ausbildung und Beschäftigung

Zu den wesentlichen Kritikpunkten des Länderberichts gehören die Qualifikations- und Personalsstrukturen innerhalb des FBBE-Systems. Gemessen am europäischen Standard ist das Qualifikationsniveau – laut OECD-Untersuchungsgruppe – in Deutschland in diesem Bereich vergleichsweise niedrig. Personal mit einschlägiger Hochschulausbildung ist im deutschen System nicht im nennenswerten Umfang vorhanden. Die Ausbildung der Hauptbeschäftigtengruppe, d.h. der staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erzieher, rangiert innerhalb der Bildungspyramide relativ weit unten (a. a. O., S. 37ff, Absatz 86.-90.). Hieraus resultiert ein beträchtlicher Ausbildungsunterschied zu den anderen Berufsgruppen, die für die Arbeit mit Kindern zuständig sind (wie Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagoginnen und Pädagogen). Diese Statusunterschiede erschweren, aus Sicht der Expertinnen und Experten der OECD-Untersuchungsgruppe, beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit der Schule, d.h. die Ausgestaltung dieser Kooperation als „starke und gleichberechtigte Beziehung zwischen zwei Systemen“ (a. a. O., S. 57, Absatz 144.).

Der AGJ-Fachausschuss „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ schließt sich den Forderungen der OECD-Untersuchungsgruppe im Länderbericht an, die Ausbildung der Beschäftigten insgesamt zu qualifizieren, um verbesserte Entwicklungs- und Lernergebnisse der Kinder über das ganze System hinweg zu erzielen.

Aus Sicht der OECD-Untersuchungsgruppe bildet dabei die Verlagerung der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in den Hochschulbereich einen wesentlichen Ansatzpunkt, um den wachsenden fachlichen Ansprüchen und der Komplexität der Tätigkeiten in Kindertageseinrichtungen Rechnung adäquat zu tragen (a. a. O., S.72, Absatz 190.).

Die Mitglieder des Fachausschusses hatten sich bereits in ihrem Arbeitspapier „Bildung – Erziehung – Betreuung. Ausbau des Angebotes für Kinder unter drei Jahren“ (Mai 2004) in diesem Kontext grundsätzlich für eine Neukonzeption und Weiterentwicklung der Erzieherinnen- bzw. Erzieherausbildung auf europäisches Niveau sowie für die Etablierung eines vernetzten, fachlichen Unterstützungssystems zur Fort- und Weiterbildung  des Personals in Kindertageseinrichtungen ausgesprochen.

Mit Blick auf den Personaleinsatz wird von der OECD-Untersuchungsgruppe im Länderbericht u.a. auf die zu geringe Präsenz von Männern und Beschäftigten mit Migrationshintergrund im FBBE-System hingewiesen. Erforderlich sind in diesem Zusammenhang grundsätzlich Personalkonzepte und Rekrutierungsstrategien, die auf eine personelle Vielfalt in Kindertageseinrichtungen zielen, um der tatsächlichen Zusammensetzung von Familien und der wachsenden Zahl von Migrantenkindern auch personalpolitisch angemessen zu begegnen (a. a. O. S.73, Absatz 193.). Die Mitglieder des AGJ-Fachausschuss „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ teilen die Position der Expertinnen und Experten der OECD-Untersuchungsgruppe, die Zusammensetzung der Teams auch mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit intensiver zu verfolgen. Hierbei sind Ansätze, verstärkt Männer für die pädagogische Arbeit in der FBBE zu gewinnen, auszubauen. Des Weiteren, so die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses, sollte diskutiert werden, wie der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund verbessert werden kann. Die Mitglieder des Fachausschusses unterstützten darüber hinaus die Vorschläge im Länderbericht, die Qualifizierung im Bereich der Tagespflege zu verbessern sowie die Tagespflegepersonen bei ihrer Tätigkeit verstärkt zu begleiten und zu unterstützen (a. a. O. S.73, Absatz 192.).


Forschung und FBBE-System

Laut Aussage des Länderberichts besteht zwischen dem Ausbildungsniveau der meisten Beschäftigten und dem Hochschulbereich im deutschen FBBE-System eine erhebliche Kluft. Dies erschwert den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Forschung in das FBBE- System und umgekehrt. Eine wesentliche Barriere für die Weiterentwicklung des FBBE- Systems bildet in diesem Zusammenhang allerdings auch die schmale Forschungsbasis im Bereich der frühkindlichen Pädagogik. Grundlagenforschung wird nach Ansicht der OECD- Untersuchungsgruppe nicht in nennenswertem Umfang durchgeführt. Dieser unbefriedigende Zustand ist u.a. auf die geringe Anzahl der Lehrstühle und das geringe Förderungsvolumen zurückzuführen (a. a. O., S. 62f, Absatz 162.-164.). Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses schließen sich deshalb der Empfehlung im Länderbericht an, sowohl die akademische Präsenz in der FBBE als auch die Forschungspräsenz zu sichern (a. a. O., S. 76, Absatz 199.).


Defizite bei der Datensammlung

Neben der erforderlichen Ausweitung der Forschungsaktivitäten wird im Länderbericht an vielen Stellen auf die unzureichende Informations- und Datenbasis auf nationaler Ebene hingewiesen, die die fachliche Auseinandersetzung und politische Bewertung im Bereich FBBE erschwert (a. a. O., Absatz 165. u. 166.). Diese Unklarheiten betreffen insbesondere die Situation der Heranwachsenden mit besonderen Lernbedürfnissen, d.h. (1) der Kinder mit Behinderungen, (2) der Kinder mit Lernschwierigkeiten aufgrund einer Kombination von sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Risikofaktoren (wie etwa geringes Einkommen, schlechte Gesundheit, Immigrantenstatus oder Familiendysfunktion) sowie (3) der Kinder mit Lernschwierigkeiten, die nicht sozial oder kulturell bedingt sind, wie beispielsweise Legasthenie o.ä. (a. a. O., S. 63f., Absatz 167. und 168.). Die Mitglieder des AGJ- Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ unterstützten die Forderung der OECD-Untersuchungsgruppe zur Erweiterung der Datensammlungen und zur Differenzierung der statistischen Erhebungsgrundlagen, um auf diese Weise eine der wesentlichen Voraussetzungen zur Evaluation einer Politik für Kinder zu schaffen.

Evaluation

Die Expertinnen und Experten der OECD-Untersuchergruppe schätzten ein, dass im Bereich der Kindertagesbetreuung in Deutschland eine weitgehende Dezentralisierung und lokale Autonomie zu verzeichnen ist. Langfristig erscheint den Experten die in diesem Kontext vorzufindende Vielfalt an Qualitätsstandards inakzeptabel (a. a. O., S.53, Absatz 132.).

In diesem Zusammenhang sei es erforderlich, im Rahmen der Erarbeitung von Qualitätsentwicklungskonzepten zu entscheiden, in welchen Bereichen verbindliche nationale Standards als Qualitätsmerkmal festgeschrieben sein sollen (a. a. O., S. 53, Abs. 130.ff).

Die Mitglieder des Fachausschusses schließen sich der Meinung der OECD- Untersuchergruppe an, dass vor diesem Hintergrund eine strikte Entwicklung, Anwendung und Bewertung der verschiedenen Ansätze mit einem fortdauernden Monitoring der qualitativen Entwicklung auf lokaler und überörtlicher Ebene durch ein externes Organ verbunden werden sollte (a. a. O., S. 69, Absatz 180.). Für die externe Evaluation würde es sich, nach Meinung der Mitglieder des AGJ-Fachauschusses anbieten, die in den meisten Bundesländern vorhandenen Strukturen bei den Landesjugendämtern, die bislang Mindeststandards überwachen, zu nutzen. Ein solches Verfahren würde auch den Festlegungen und Aufgabenzuschreibungen des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (§ 22a SGBVIII) entgegenkommen, das die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also die Jugendämter und die Landesjugendämter, gemeinsam verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen die Qualität der Förderung in den Kindertageseinrichtungen sicherzustellen. Dazu gehört auch der Einsatz von Instrumenten und Verfahren zur Evaluation der Arbeit und die Weiterleitung der Evaluationsergebnisse an die Hauptinteressengruppen (formative Evaluation). Ein wichtiges Mittel der Qualitätssicherung und -weiterentwicklung wird darüber hinaus von den Mitgliedern des AGJ-Fachausschusses in der internen Evaluation gesehen.

Für diese Qualitätsentwicklungsprozesse ist, und da teilen die Mitglieder des AGJ- Fachausschusses die Auffassung der Untersuchergruppe, der Ausbau von Unterstützungssystemen für die Einrichtungen wie der Fachberatung und Fachaufsicht auf Landesebene und lokaler Ebene notwendig. Dabei bedarf es nicht nur einer den fachlichen Anforderungen entsprechenden Personalausstattung der Beratung, sondern auch ihrer Qualifizierung, der Neudefinition ihrer Rolle und der Entwicklung neuer Arbeitsmethoden.


4. Gesamteinschätzung und Ausblick

Die Entscheidung zur Teilnahme an der thematischen Untersuchung der OECD zur „Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung“[5] wird vom AGJ Fachausschuss „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ sehr begrüßt. Das deutsche System der Kinderbetreuung in einem internationalen Diskussionszusammenhang beraten und bewertet zu sehen, ist eine Chance, neue Ideen und Konzepte in die weitere Entwicklung einzubeziehen und auch die bereits begonnene Reformdebatte fortzuführen.

Trotz der o.g. Chancen bleibt jedoch anzumerken, dass der vorliegende Länderbericht an vielen Stellen regionale Spezifika widerspiegelt, die nicht unbedingt auf das Gesamtsystem übertragen werden können. So sind die besuchten Einrichtungen exemplarisch für qualitätsvolle Konzepte, stellen aber nicht unbedingt den im System erreichten Durchschnitt der Qualität dar. Es darf beispielsweise bezweifelt werden, ob die in der Studie positiv bewertete Zusammenarbeit mit Eltern tatsächlich flächendeckend in Deutschland auf dem beschriebenen Niveau stattfindet. Des Weiteren fehlt – nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Datenlage – das Thema Migration weitgehend im Länderbericht und es liegt der Schluss nahe, dass durch das Auswahlsystem bedeutende Aspekte zu Bedarfslagen und Konzepten nicht berücksichtigt werden konnten. Der AGJ-Fachausschuss „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ regt an, insbesondere auch quantitativ orientierte Forschungsvorhaben zu initiieren und zu unterstützen, die es erlauben, repräsentative Ergebnisse mit bundesweiter Aussagekraft zum FBBE-System zu gewinnen. Er schlägt jedoch vor, bei zukünftigen Forschungsvorhaben die Auswahl von Einrichtungen auf Grundlage von Zufallsstichproben durchzuführen um so ein realistischeres Bild der Gesamtsituation in Deutschland zu erhalten.

In diesem Zusammenhang wird ebenfalls angeregt, die von der OECD an alle Landesjugendämter geleiteten Erhebungsbogen auszuwerten und als Anlage zum Länderbericht auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses „Kindheit, Familie, DNK für frühkindliche Erziehung“ möchten insbesondere die im Länderbericht eingeforderte Entwicklung einer langfristigen Strategie im Sinne einer „Vision“ dessen, was Deutschland erreichen will, nachhaltig unterstützen. Die wirksame Verbesserung des Systems der Kinderbetreuung sowie die Stärkung der effektiven und bewährten Anteile – ohne eine solche Vision – läuft Gefahr, fachlich und politisch notwendige Entwicklungen dem Zufall zu überlassen.

Die Mitglieder des AGJ-Fachausschusses plädieren daher nachdrücklich dafür, dass Deutschland sich an weiteren internationalen Studien und Untersuchungen beteiligt, damit alle Chancen zur Verbesserung des Systems der Kinderbetreuung genutzt werden können. Der für Mai 2005 angekündigte Vergleichende Bericht (Comparative Volume) zur zweiten Runde der thematischen Untersuchung der OECD in insgesamt 20 Ländern, Starting Strong II, wird hier noch einmal wichtige Impulse im internationalen Vergleich bieten.

Berlin, den 21. Februar 2005

 

[1] Engl. Originaltitel: Thematic Review of Early Childhood Education and Care Policy
[2] Beteiligte Länder: Australien, Österreich, Belgien, Kanada, die Tschechische Republik, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Irland, Italien, Korea, Mexiko, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Großbritannien und die USA.
[3] Engl. Originaltitel: Making Lifelong Learning a Reality for All.

[4] Education at a Glance 2004: OECD Briefing Notes for Germany, vom 14. September 2004.
[5] Engl. Originaltitel: Thematic Review of Early Childhood Education and Care Policy