Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe zum Gesetzentwurf des Bundesrateszur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz

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Vor dem Hintergrund einer seit Beginn der 90er Jahre steigenden Jugendkriminalität hat sich der Deutsche Bundesrat wiederholt mit Änderungen im Sanktionensystem des Jugendgerichtsgesetzes beschäftigt. Der letzte Gesetzentwurf in diesem Kontext (Bundesratsdrucksache 312/03) sieht neben der in lediglich einem einzigen Satz getroffenen Feststellung, dass die vielfältigen präventiven Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugenddelinquenz zu intensivieren und nachhaltig auszu- bauen sind, vor allem vor, das Fahrverbot auszubauen, einen so genannten Warnschussarrest einzuführen, die Straftaten Heranwachsender entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in der Regel nach Erwachsenenstrafrecht zu ahnden, das Höchstmaß der Jugendstrafe von gegenwärtig zehn auf 15 Jahre anzuheben sowie einen Vorführungs- oder Haftbefehl auch im vereinfachten Jugendverfahren zu ermöglichen.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe teilt insoweit die Ansicht des Bundesrates, als auch nach ihrer Auffassung Prävention Vorrang haben muss vor Strafverfolgung und daher präventive Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugenddelinquenz zu intensivieren und nachhaltig auszubauen sind. Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe bedauert indes ausdrücklich, dass der Bundesrat an dieser Stelle weder die Chance zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation im präventiven Bereich genutzt, noch versucht hat, zumindest den Bereich der ambulanten Maßnahmen für straffällige junge Menschen zu stabilisieren bzw. zu verbessern. Statt dessen werden lediglich restriktive Änderungen im Sanktionensystem vorgeschlagen.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe nimmt zu den Gesetzesänderungen im Einzelnen wie folgt Stellung:

1. Der Gesetzentwurf sieht den Ausbau des Fahrverbotes zu einer vollständigen Hauptstrafe des Jugendstrafrechts vor mit der Folge, dass die Sanktion „Fahrverbot“ auf alle Arten von Straftaten Anwendung finden soll.

Auf der Grundlage des offenen Weisungskatalogs des § 10 JGG kann ein Fahrverbot auch schon nach geltender Rechtslage ausgesprochen werden. Im Hinblick auf die mit Weisungen grundsätzlich angestrebte erzieherische Wirkung auf den Jugendlichen sollte allerdings nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe von einem Fahrverbot nach Möglichkeit nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Tat und der Sanktion besteht (wie bspw. bei Verkehrsdelikten).

2. Der Gesetzentwurf sieht außerdem die Einführung eines so genannten Warnschussarrestes vor, um dem Richter die Möglichkeit zu geben, neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugend- strafe oder einer Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe, Jugendarrest anzuordnen. Damit soll dem Jugendlichen nachdrücklich der Ernst seiner Situation und die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung vor Augen geführt werden.

Gegen die Einführung eines solchen Warnschussarrestes sprechen zum einen empirische Erkenntnisse, wonach die - vom vorliegenden Gesetzentwurf intendierte - abschreckende Wirkung des Arrestes die tatsächliche Dauer des Arrestes kaum überdauert (==> hohe Rückfallquo- ten). Zum anderen bestehen rechtssystematische Bedenken. Erstens richten sich Jugendarrest und Jugendstrafe jeweils an unterschiedliche Zielgruppen. Zweitens gilt auch in Bezug auf den Warnschussarrest der verfassungsrechtlich bedingte Grundsatz „ambulante vor stationäre Maßnahmen“. Das derzeitige Jugendgerichtsgesetz bietet dem Gericht zudem mit § 23 bereits eine breite Palette von nichtstationären Reaktionsmöglichkeiten, um dem jungen Straftäter für die Dauer der Bewährungszeit den Ernst der Lage zu verdeutlichen und die Lebensführung durch Weisungen und Auflagen zu beeinflussen.

3. Darüber hinaus will der Gesetzentwurf, dass Straftaten Heranwachsender in der Regel nach Erwachsenenstrafrecht geahndet werden.

Das deutsche Jugendstrafrecht zeichnet sich dadurch aus, dass bei Heranwachsenden das Jugendgericht zuständig ist und dieses unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und nach Würdigung der Tat im Einzelfall entscheiden kann, ob es bei Tätern im Alter von 18 Jahren bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht anwendet (§ 105 JGG).

Eine wesentliche Aufgabe der Jugendgerichtshilfe ist es dabei, gutachterlich zu der Frage Stel- lung zu nehmen, ob der Heranwachsende zum Tatzeitpunkt entwicklungsmäßig noch einem Ju- gendlichen gleich stand. Die Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende führt dazu, dass die dort vorhandenen vom Erziehungsgedanken geprägten abgestuften Sanktionsmöglich- keiten genutzt werden können. Dagegen gibt es im Erwachsenenstrafrecht für das Gericht im Wesentlichen nur die Möglichkeiten von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe ist der Auffassung, dass es weiterhin dem Gericht überlassen werden sollte, bei Heranwachsenden nach Würdigung des Einzelfalles zu entschei- den, ob es Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anwendet. Eine Festlegung durch den Gesetz- geber, dass Jugendstrafrecht nur im Ausnahmefall angewendet werden darf, ist nicht sachge- recht. Bereits nach dem geltenden Recht entscheidet das Gericht im Einzelfall anhand gesetz- lich vorgegebener Kriterien, ob allgemeines oder Jugendstrafrecht angewendet wird. Dieser Grundsatz würde zwar auch nach der vorgeschlagenen Gesetzesnovellierung gültig bleiben, die Bewertungsmaßstäbe würden jedoch zugunsten des allgemeinen Strafrechts verschoben. Das widerspricht dem Vorrang des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht, der nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe auch bei Heranwachsenden unbedingt erhalten bleiben muss.

4. Ferner soll dem Gericht die Möglichkeit eröffnet werden, bei schwersten Verbrechen Heran-wachsender Jugendstrafe bis zu 15 statt wie bisher bis zu zehn Jahren zu verhängen.

Eine solche Anhebung des Strafmaßes bei Jugendstrafe auf 15 Jahre ist fachlich nicht zu vertre- ten. Die wesentlichen Entwicklungen eines jeden Menschen finden bis in das Heranwachsen- denalter hinein statt. Aus diesem Grunde ist in dieser Entwicklungsphase eine Zeitspanne von bis zu fünf Jahren eine ungleich härtere Strafe als für Erwachsene. Zugleich werden die Wie- dereingliederung und die Chancen auf eine künftige Legalbewährung immer geringer, je länger die Freiheitsstrafe währt.

5. Im Bereich des vereinfachten Jugendverfahrens soll den Gerichten schließlich ermöglicht werden, gegen der Verhandlung fern bleibende Angeklagte einen Vorführungs- oder Haftbefehlentsprechend § 230 StPO zu erlassen. Damit soll dem gerade für Jugendstrafverfahren gelten- den Beschleunigungsverbot Rechnung getragen werden.

Wenn auch grundsätzlich die Absicht, Jugendstrafverfahren verstärkt so zu gestalten, dass die Reaktion auf delinquentes Verhalten möglichst zeitnah erfolgen kann, zu begrüßen ist, so muss dabei jedoch stets darauf geachtet werden, dass der Erziehungsgedanke, der nicht nur bei den Sanktionen, sondern auch in der Ausgestaltung eines jugendgemäßen Strafverfahrens zum Ausdruck kommen muss, erhalten bleibt.

Im Übrigen darf Freiheitsstrafe nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit an- gewendet werden (vgl. Art. 37 Buchstabe b der UN-Kinderrechtskonvention), wobei die stren- gen Ultima-Ratio-Kriterien der UN-Kinderrechtskonvention nicht nur für die Freiheitsstrafe, sondern ausdrücklich auch für Festnahme und Freiheitsentziehung gelten. Aus diesem Grunde ist die Anwendung der „Hauptverhandlungshaft“ auf Jugendliche im vereinfachten Jugendverfahren abzulehnen. Hiermit im Einklang steht der in §§ 71, 72 JGG festgelegte Grundsatz der Untersuchungshaftvermeidung bei Jugendlichen (der zudem auch im Rahmen des § 112 Abs. 1 S. 2 StPO als Grundgedanke bei Heranwachsenden zu berücksichtigen ist). Die Untersu- chungshaftvermeidung beruht in erster Linie auf der gesetzgeberischen Erkenntnis erzieherisch negativer Folgen auch kurzer Inhaftierungen gerade für die jugendlichen Gefangenen, die auf- grund ihrer noch in der Entwicklung begriffenen Persönlichkeit wenig in der Lage sind, die be- lastende Situation, insbesondere die Trennung von der gewohnten Umwelt, zu verarbeiten. Da die „Hauptverhandlungshaft“ für die Dauer der gesamten Hauptverhandlung angeordnet wird, ist damit zu rechnen, dass - je nach Terminierung der Verhandlungstage - jugendliche Angeklagte sogar über mehrere Wochen in Haft bleiben können. Bedenklich erscheint, dass als Grund die bloße Befürchtung ausreicht, der Beschuldigte werde bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzesänderungen keinesfalls um kostenneutrale Vorschläge handelt. Vor diesem Hintergrund und mit Blick darauf, dass stationäre Interventionen in der Regel nicht die tauglicheren Mittel gegenüber ambulanten Maßnahmen sind, um das Legalverhalten bei Jugendlichen zu fördern, ist an Bund und Länder zu appellieren, dass die insoweit erforderlichen Finanzmittel besser für den Ausbau eines spezifischen Leistungsangebotes insbesondere im ambulanten Bereich zur Verfügung gestellt werden.

 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Berlin, November 2003