Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches – Achtes Buch – (BR-Drs. 279/03; BT-Drs. 15/1114)

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Nachdem es im April dieses Jahres eine Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern zur Novellierung des SGB VIII im Bundesrat (BR-Drs. 279/03) gab, ist im Juni d. J. ein fast wortgleicher Antrag von der CDU-CSU-Bundestagsfraktion in den Bundestag (BT-Drs. 15/1114) eingebracht worden.
In der Gesetzesbegründung heißt es, das geltende Recht habe sich zwar in seinen Zielsetzungen  dem Grunde nach bewährt, dennoch zeige sich in der Praxis die Notwendigkeit, einige Bereiche des SGB VIII auf den Prüfstand zu bringen und die Kosten-Nutzen-Relation bei Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu hinterfragen. Ziel des Gesetzesantrags ist eine Kostenentlastung der Kommunen, insbesondere durch die Angleichung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Jugendliche an die Leistungen gemäß § 39 Bundessozialhilfegesetz und eine Einschränkung des Leistungsrahmens für junge Volljährige. Des Weiteren wird vorgeschlagen, das Kindergeld bei der Erhebung eines Kostenbeitrages für Jugendhilfeleistungen anzurechnen und für bestimmte Leistungen Gebühren zu erheben. Ferner sollen den Ländern bei Organisations- und Strukturfragen der Jugendhilfe Kompetenzen des Bundes übertragen werden.

Die finanziellen Probleme der Kommunen, auf die in der Begründung der Gesetzesinitiative hingewiesen wird, sind unbestritten. Die Erfüllung der gesetzlichen Leistungsverpflichtungen wird für die Gemeinden, Städte und Kreise angesichts der bestehenden Finanznot immer schwieriger. Inso- fern sollte durch die anstehende Gemeindefinanzreform auch mit Blick auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen und ihrer Familien die Finanzsituation der Kommunen verbessert werden.

Wie die Zielsetzung der Gesetzesinitiative, die finanzielle Entlastung der Kommunen durch die vorgeschlagenen Kürzungen im Leistungsbereich der Kinder- und Jugendhilfe erreicht werden soll, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Hierzu liefert die Antragsbegründung keinerlei empirische Belege. Es fehlen sowohl Ausführungen, die den Kostenanstieg im Bereich der Jugendhilfe innerhalb der letzten Jahre hinterfragen, als auch Darlegungen, wie die angestrebte Einsparungssumme in Höhe von 150 – 250 Mio. € jährlich erzielt werden kann. Eine konkrete Gegenüberstellung der erwarteten Einsparungen mit den beabsichtigten Leistungskürzungen fehlt gänzlich.

Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe ist der Kostenanstieg in der Kinder- und Jugendhilfe vor allem eine Folge der gesetzlichen Verankerung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz im Jahre 1992. Mitursächlich sind aber z. B. auch Kostenverlagerungen aus dem Ju- gendgerichtsgesetz in die Jugendhilfe, so werden immer häufiger nach dem JGG angeordnete Maßnahmen von der Jugendhilfe bezahlt. Ein Anstieg ist ferner bei den Fallzahlen der Hilfen zur Erzie- hung zu verzeichnen. Der gesteigerte Bedarf an kompensierender erzieherischer Leistung ist Folge von verschärften sozialen Problemlagen innerhalb der Lebenssituation von Kindern bzw. deren Familien.

In den letzten Jahren dagegen ist eine Stabilisierung der Kostensituation feststellbar. Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten belegen den in der Gesetzesbegründung beschriebenen dramatischen Anstieg der Jugendhilfeausgaben nicht. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Ände- rungen würde aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe insgesamt einen Rückschritt für die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe bedeuten, da mit ihnen vorhandene Problemlagen nicht gelöst, sondern sie teilweise sogar noch eine Verschärfung zur Folge hätten.

Zu den vorgesehenen Änderungen des SGB VIII im Einzelnen nimmt die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe wie folgt Stellung:


Zu Nr. 1 des Gesetzesentwurfes (§ 10 Abs. 2 SGB VIII)

Der Gesetzesantrag sieht den Vorrang der Sozialhilfe gegenüber der Jugendhilfe auch bei Leistungen für junge Volljährige, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, vor.

Derzeit gilt für diese Leistungen gem. § 10 Abs. 2 i.V.m. § 35 a SGB VIII der Vorrang der Jugendhilfe gegenüber der Sozialhilfe. Nur körperlich und geistig behinderte sowie mehrfachbehinderte junge Menschen erhalten nach § 10 Abs. 2 SGB VIII - entsprechend den §§ 39, 40 BSHG - vorran- gig die Leistungen der Sozialhilfe.

Die Aufgabe der Eingliederung seelisch behinderter Kinder und Jugendlicher wurde zwar nicht unter die Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) subsummiert, dennoch ist sie eine Leistung, bei der auch spezifische Aspekte der Erziehungshilfe berücksichtigt werden müssen. Entsprechend hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bisher durch eine angemessene Ausstattung dafür zu sorgen, dass Einrichtungen und Dienste zur Verfügung stehen, die sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe erfüllen als auch in Bedarfsfällen den erzieherischen Bedarf decken.

Eine Änderung des § 10 Abs. 2 SGB VIII darf nicht dazu führen, dass leistungsberechtigte junge Menschen weniger kompetente Betreuung erfahren. Bei einem Vorrang der Sozialhilfe müssen etwaige erforderliche pädagogische Leistungen vorgehalten werden.

An der gegenwärtigen Regelung kritisiert die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe vor allem die oftmals unzumutbar lange Dauer der Zuständigkeitsklärung und fordert eine zügigere Feststellung des zuständigen Rehabilitationsträgers.


Zu Nr. 2 des Gesetzesentwurfes (§ 35 a SGB VII)

Der Gesetzesentwurf sieht vor, den Tatbestand der Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII entsprechend den Voraussetzungen der Leistungsgewährung für geistig und körperlich behinderte junge Menschen im Bundessozialhilfegesetz (§ 39 BSHG) enger zu fassen. So soll nur noch eine wesentliche Behinderung zum Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe führen.

Personen mit nicht wesentlichen Behinderungen soll eine Eingliederungshilfe lediglich als „Kann- Leistung“ zu Teil werden. Ferner will man die Bedrohung mit einer seelischen Behinderung nur noch dann bejahen, wenn der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die beabsichtigte Neuregelung soll Auslegungsprobleme bei der Reichweite des Leistungstatbestandes des § 35 a SGB VIII lösen und Mitnahmeeffekte ebenso wie weitere Kostensteigerungen innerhalb der Kommunen verhindern.

Die in der Gesetzesbegründung angezeigte Ausgabensteigerung bei der Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII ist zwar erfolgt, allerdings sind vielfach regionale Unterschiede festzustellen, deren Ursachen einer stichhaltigen Begründung nicht zugänglich sind, da empirisches Datenmaterial nur vereinzelt und nicht auf das gesamte Bundesgebiet bezogen vorliegt.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe lehnt die Schmälerung des Leistungsrahmens des § 35 a SGB VIII auf ausschließlich wesentlich seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ab. Eine solche Leistungsreduzierung hätte eine fachlich nicht verantwortbare Einschränkung notwendiger Hilfen bei nicht wesentlich seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen zur Folge.

Die Differenzierung zwischen wesentlicher und nicht wesentlicher seelischer Behinderung wird als nicht sachgerecht bewertet, da sie zu erheblichen diagnostischen Abgrenzungsschwierigkeiten bei den zuständigen Fachkräften führen würde. In Ermangelung objektivierbarer Kriterien ist eine Un- terscheidung zwischen körperlicher, geistiger, wesentlicher und unwesentlicher seelischer Behinderung nur sehr bedingt durchführbar. Die notwendige interdisziplinäre Verbindlichkeit kann daher nur geschaffen werden, wenn es gelingt, praktikable Abgrenzungskriterien für eine seelische Behinderung zu entwickeln.

Bei den Tatbestandsvoraussetzungen für die Annahme einer Bedrohung mit seelischer Behinderung ist eine Veränderung ebenfalls nicht angezeigt. Der Behinderungsbegriff ist durch die Bezugnahme auf § 2 SGB IX in den einzelnen Leistungsgesetzen weitgehend vereinheitlicht worden. In der Jugendhilfe jedoch wird in § 35 a SGB VIII eine eigene Definition - ohne Bezugnahme auf § 2 SGB IX – gegeben: die 6-Monatsfrist als untere Grenze ist hier ebenfalls vorgesehen, allerdings besteht keine weitere Einschränkung auf wesentliche Behinderungen. Entscheidendes Kriterium ist die seelische Gesundheit, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter des Kindes oder Jugendlichen typischen Zustand abweicht. Von einer seelischen Behinderung bedroht sind Personen, bei denen diese Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit (mehr als 50%) zu erwarten ist. An dieser Definition ist festzuhalten und eine erfolgsbezogene Wahrscheinlichkeit des Behinderungseintritts abzulehnen.

Um die Möglichkeiten des § 35 a SGB VIII besser nutzen, negative Folgen minimieren sowie geeignete und notwendige Hilfen erschließen zu können, sind aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe vor allem einheitliche Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften für zuständige Fach- kräfte in den Jugendämtern zu entwickeln.

Empfehlungen für die praktische Umsetzung des § 35 a SGB VIII werden derzeit von der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe erarbeitet. Dabei sollen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Wichtig ist die Differenzierung von seelischer Behinderung, die sozialpädagogisch eingeschätzt werden muss, und seelischer Störung, die einer ärztlichen Diagnose bedarf. Darüber hinaus ist der Aufbau von interdisziplinären Teams zur Bewertung, ob eine seelische Behinderung vorliegt, voranzutreiben. In diesen Teams sollten alle beteiligten Professionsbereiche wie die Sozialpädagogik, die Medizin und die Kinder- und Jugendpsychiatrie vertreten sein. Eine gute fachliche Zusammenarbeit und regelmäßige gemeinsame Fortbildung der verschiedenen Professionen ist von elementarer Bedeutung.

Von besonderer Wichtigkeit ist aber auch die verbesserte Zusammenarbeit mit dem schulischen Bereich. Es muss klar gemacht werden, dass mit Blick auf die Kostensteigerungen infolge von Legasthenie und Dyskalkulie bei Lern- und Leistungsproblemen das Bildungssystem zuständig ist. Dem Aufgabenbereich der Medizin und der Krankenkassen ist die Ermöglichung von grundlegenden Veränderungen im Rahmen der medizinischen Behandlung (z. B. durch begleitende Therapien) zu- zuordnen. Die Aufgaben der Jugendhilfe liegen in der adäquaten Einbeziehung des Lebensumfeldes und in der Feststellung von weiteren Hilfebedarfen entsprechend der §§ 27 ff. SGB VIII.

Aber auch eine verstärkte Kooperation mit Kindertagesstätten unter Berücksichtigung von Sozialraum- und Migrationsaspekten ist wichtig und entsprechende Förderprogramme sind anzuwenden.

Darüber hinaus sollten verstärkt Konzepte entwickelt werden, die das Verhältnis von Alltagsgestaltung, pädagogischer Forderung und therapeutischen Leistungen einschließen. Die integrative Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher bei Verzicht auf Sondereinrichtun- gen muss gefördert werden. Regeleinrichtungen sind im Umgang mit besonders schwierigen, auffälligen Kindern und Jugendlichen zu stärken.

Nicht zuletzt das In-Kraft-Treten des SGB IX legt nahe, die Diskussion um die Integration der Zuständigkeit für alle behinderten Kinder und Jugendlichen in das SGB VIII wieder aufzunehmen.  Die Kommission des 11. Kinder- und Jugendberichts thematisiert die Problematik, die sich aus der bestehenden Zuständigkeitsregelung ergibt und die insbesondere zu Lasten der Antragsteller und ihrer behinderten Kinder geht. Die vom Gesetzgeber eingeführte sog. „kleine Lösung“ hat sich nach Auffassung der Kommission nicht bewährt. Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe schließt sich dieser Einschätzung an.

Es bestehen insbesondere Abgrenzungsprobleme zwischen Rehabilitation und Integration, ebenso sind Unklarheiten im Hinblick auf die Zuständigkeiten von Krankenversicherung, Sozialhilfe und Kinder- und Jugendhilfe vorhanden. Aus fachlicher Sicht bestehen Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Behinderungsformen. Da Mehrfachbehinderungen unter Einschluss von seelischer Behinderung häufig sind, ist eine ärztliche Diagnose hier oftmals schwierig. Die fachliche Gesamtverantwortung im Entscheidungsprozess über die notwendigen Maßnahmen der Eingliederungshilfe sollte daher bei den Jugendämtern liegen.

Schwierigkeiten, die mit der Rehabilitation und sozialen Integration aller behinderten Kinder und Jugendlichen in den Zuständigkeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe (sog. „große Lösung“) ver- bunden sind, bestehen u. a. in der erforderlichen Verlagerung der Zuständigkeit von der überörtlichen auf die kommunale Ebene, in der notwendigen Umleitung großer Finanzströme von der Sozialhilfe in die Kinder- und Jugendhilfe. Des Weiteren müsste die Bereitstellung entsprechend qualifizierten Fachpersonals sichergestellt werden, da die Jugendhilfe um ein großes Aufgabenspektrum ergänzt würde.

Trotz der damit einhergehenden Umsetzungsprobleme in fachlicher und finanzieller Sicht sollte die Rehabilitation aller behinderten Kinder und Jugendlichen nach dem lebensweltorientierten Ansatz sozialpädagogisch organisiert und dem Leistungssystem der Jugendhilfe zugeordnet werden. Denn Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist es, dazu beizutragen, positive Lebensbedingen für alle jungen Menschen zu erhalten oder zu schaffen.


Zu Nr. 3 des Gesetzesentwurfes (§ 41 SGB VIII)

Sozialleistungen für junge Volljährige sind vom Grundsatz her sowohl nach dem SGB VIII (§ 41 SGB VIII) als auch nach dem BSHG (§ 72 BSHG) möglich. Die Hilfen nach § 41 SGB VIII besitzen weitgehenden Vorrang vor den Leistungen der Sozialhilfe. Dieser Vorrang ergibt sich aus der generellen Vorrangstellung der Leistungen nach dem SGB VIII vor denen des BSHG (siehe § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII und § 2 BSHG).

Ziel der beabsichtigten Neufassung des SGB VIII ist es, nach Volljährigkeit keine Ersthilfe mehr zu gewähren. Nur wer bereits vor dem 18. Lebensjahr Hilfe empfangen hat, dem soll sie auch danach noch zu Teil werden. Grundsätzlich sollen Leistungen der Jugendhilfe spätestens mit Vollendung des 21. Lebensjahres beendet werden. Begründet wird die beabsichtigte Novellierung damit, dass jungen Erwachsenen häufig nicht mehr mit erzieherischen Methoden der Kinder- und Jugendhilfe geholfen werden könne. Zudem seien massive Abgrenzungsprobleme und Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Jugend- und Sozialhilfe vorhanden. Mitnahmeeffekte seien ebenso feststellbar wie Reibungsverluste infolge eines hohen Verwaltungsaufwandes. Erfolgreicher und weniger kostenträchtig sei daher eine aktivierende Hilfe zur Selbsthilfe, dies gelte für den Einstieg in Ausbildung und Beruf, Wohnungsvermittlung bis hin zur Schuldnerberatung. Diese notwendige Hilfe zur Selbsthilfe könne jungen Volljährigen auch durch die Sozialhilfe effektiv angeboten werden.

An der bisherigen Leistungszuständigkeit des Jugendhilfeträgers i. S. einer umfassenden Verant- wortlichkeit für Hilfeplanung, Entscheidung über Bedarf und –form sowie Gewährung von Hilfen gem. § 41 SGB VIII ist im Wesentlichen festzuhalten. Auch nach Eintritt der Volljährigkeit sind erzieherische Angebote und Methoden der Jugendhilfe notwendig und erfolgversprechend. Eine Beschränkung auf Gewährung von Hilfen, die bereits vor Eintritt der Volljährigkeit begonnen wurden, ist abzulehnen. Vertretbar dagegen ist aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe die Herabsetzung der Schlussgrenze für Hilfen nach § 41 SGB VIII von 27 auf 21 Jahre. Bereits gegenwärtig erhalten die über 21-Jährigen nur noch in wenigen Ausnahmefällen Jugendhilfeleistungen.

Eine stärkere Einbindung der Sozialhilfe wird nicht befürwortet. Dies würde in vielen Fällen zu einem Verlust der Betreuungskontinuität führen. Der Hilfeempfänger bzw. die Hilfeempfängerin müsste u. U. aus einer Einrichtung der Jugendhilfe in eine Sozialhilfeeinrichtung wechseln, was zu einem erheblichen Bruch innerhalb der Betreuungssituation führen würde.

Die Planung der Hilfen für junge Volljährige im Rahmen des § 36 SGB VIII bietet Möglichkeiten, umfassende Fachlichkeit der helfenden Institutionen zu bündeln und die Hilfeempfängerin bzw. den Hilfeempfänger in den Entscheidungsprozess einzubinden.

Hilfen für junge Volljährige sind nicht mehr nur vorrangig in speziellen Jugendhilfeeinrichtungen bereit zu stellen, sondern sind auch als Angebot persönlich beratender und therapeutischer Hilfen  zu gestalten. Psychisch kranken jungen Volljährigen ist ebenso Hilfe zu gewähren wie Suchtmittelabhängigen oder jungen Volljährigen, die von der Jugendgerichts- oder der Bewährungshilfe betreut werden. Dabei ist ein Höchstmaß an individuellen flexiblen Hilfeformen, z. B. bei der Alltagsgestaltung, im Bereich des betreuten Wohnens und der therapeutischen Förderung erforderlich.


Zu Nr. 4 des Gesetzesentwurfs (§ 65 SGB VIII)

Für die vorgeschlagene Neufassung des § 65 SGB VIII besteht keine Notwendigkeit.
Bereits nach der geltenden Fassung des § 65 SGB VIII unterliegen ausschließlich die zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertrauten Daten dem Schutzbereich des § 65 SGB VIII. In- formationen, die dagegen zum Zwecke des Erlangens einer Sach- oder Geldleistung mitgeteilt wor- den sind, unterfallen diesem besonderen Vertrauensschutz nicht. Dies ergibt sich aus § 11 Satz 2 SGB I, der eine ausdrückliche Zuordnung der persönlichen und erzieherischen Hilfe zu den Dienstleistungen vornimmt, die gemäß § 11 Satz 1 SGB I von den Sach- und Geldleistungen im Sozial- recht abzugrenzen sind. Was mit der angestrebten Änderung in § 65 Abs. 1 a) SGB VIII erreicht werden soll, ist daher unklar.


Zu Nr. 5 des Gesetzesentwurfes (§ 80 Abs. 2 a SGB VIII)

Gegen die im Gesetzesentwurf vorgeschlagene Erweiterung des § 80 SGB VIII bestehen keine Bedenken. Eine Verpflichtung zur regelmäßigen Planungsfortschreibung ist zu begrüßen.

Zu Nr. 6 des Gesetzesentwurfes (§ 85 Abs. 4 S. 2 SGB VIII)

Der Gesetzesantrag sieht eine Öffnung der geltenden Organisationsvorschriften vor. So soll den Ländern die Möglichkeit eingeräumt werden, die Aufsichtskompetenz für Kindertageseinrichtungen auf die örtliche Ebene zu übertragen.

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe lehnt die im Gesetzesentwurf vorgeschlagene Änderung ab. Die bisher den Landesjugendämtern obliegende Aufsicht dient dem Schutz von Kindern und konkretisiert die in Art. 6 Grundgesetz festgeschriebene Aufgabe des staatlichen Wächteramtes. Das Landesjugendamt tritt den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe gegenüber als unabhängige und neutrale Instanz auf. Sie machen notwendige Standards bekannt und achten auf deren Einhaltung. Bedingungen und Auflagen werden nach einheitlichen Kriterien und in Kenntnis des landesweiten Vergleiches festgesetzt. Eine Verlagerung der Aufsichtskompetenz auf die örtliche Ebene würde die Anzahl der für die Aufsicht zuständigen Stellen vervielfachen und die einheitliche Handhabung erschweren.

Zudem könnte es zu Interessenkollisionen bei Einrichtungen kommen, die von den Kommunen selbst betrieben werden. Des Weiteren würde das Verhältnis der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe belastet, wenn örtliche Träger der Jugendhilfe gegenüber Trägern der freien Jugendhilfe als Aufsichtsbehörde Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen sollen und zugleich auch für die Finanzierung der Träger der freien Jugendhilfe zuständig sind.

Die Übertragung der Aufsichtsfunktion auf die Jugendämter erfordert zusätzliche Personalmittel, die durch die Entlastung der Landesjugendämter nicht kompensiert würden und vielmehr eine Ausgabensteigerung innerhalb der Kommunen zur Folge hätte.

Angesichts der angespannten kommunalen Haushalte ist zu befürchten, dass die Aufsichtsverlagerung auf die örtliche Ebene dazu führt, dass Ausstattung von Kindertageseinrichtungen und pädagogische Standards abhängig von der jeweiligen finanziellen Situation einer Kommune werden.


Zu Nr. 9 des Gesetzesantrages (§ 94 Abs. 2 SGB VIII)

Die Zielsetzung der vorgeschlagenen Ergänzung des § 94 Abs. 2 SGB VIII wird von der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe grundsätzlich unterstützt.

Bei stationären Maßnahmen und einer nicht nur vorübergehenden außerfamiliären Unterbringung des Kindes sollte eine grundsätzliche Kindergelderstattung gegenüber dem Jugendhilfeträger erfolgen. In begründeten Einzelfällen allerdings sollte es dem Jugendamt möglich sein, den Kostenbeitrag auf die Höhe der häuslichen Ersparnis zu begrenzen. In Härtefällen sollte auf die Heranziehung des gesamten Kindergeldes verzichtet werden können.

 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Berlin, im September 2003