Non-formal erworbene Kompetenzen –
Herausforderungen und Impulse für die Zuordnung der Fort- und Weiterbildungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe in den DQR

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Mit der Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) im Mai 2013 hat der Prozess der Zuordnung von Qualifikationen in den DQR begonnen. Die Gleichwertigkeit der drei Lernfelder formales Lernen (1), non-formales Lernen (2) und informelles Lernen (3) spielt für die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe eine gewichtige Rolle. Gerade mit Blick auf Fachkräftegewinnung und Fachkräftebindung ist neben einer attraktiven Ausbildung der Bereich der Fort- und Weiterbildung für die Kinder- und Jugendhilfe wichtig. Der wachsende Fachkräftebedarf im Handlungsfeld droht jedoch, den Anspruch an Fachlichkeit zu relativieren (vgl. Diskussion um sogenannte „duale“ Ausbildungs- und Studiengänge sowie Quereinstiege). Daher besteht auch die Befürchtung, dass die Kombination von Fachkräftemangel und Kompetenzorientierung ohne eine Verständigung auf Standards in der Kompetenzfeststellung zu einer Entfachlichung in der Kinder- und Jugendhilfe beitragen könnte. Um dem entgegenzuwirken, sieht es die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ als wichtig an, sich in die Debatte um die Kompetenzorientierung sowie in den Prozess der Zuordnung non-formal erworbener Kompetenzen bzw. der Zuordnung der Fort- und Weiterbildungsangebote in den DQR beständig einzubringen[1], soll dieser Prozess doch die Weiterentwicklung der Fachlichkeit in der Kinder- und Jugendhilfe befördern.

Nachdem die Qualifikationen aus dem formalen Bereich den einzelnen Ebenen des DQR zugeordnet wurden, richtet der Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) sein Augenmerk nun auf die Zuordnung von Qualifizierungsangeboten aus dem non-formalen Bereich. Der dafür herangezogene Zuordnungsvorschlag „Xpert Business“ stellt aufgrund seiner Ausrichtung an eher formalen Lehr- und Lernkonzepten jedoch kein gutes Beispiel einer Referenzqualifikation für non-formale Lernprozesse in der Kinder- und Jugendhilfe dar.

Mit dem vorliegenden Positionspapier wird der AK DQR daher aufgefordert, in einer den non-formal ausgerichteten Lernprozessen in der Kinder- und Jugendhilfe angemessenen Pilotphase, gleich dem Pilotverfahren des „Xpert Business“, zu prüfen, inwieweit Qualifizierungsangebote des non-formalen Bereichs in der Kinder- und Jugendhilfe den Ebenen des DQRs zugeordnet werden können. In der Bewertung des an dem non-formalen Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ausgerichteten Pilotverfahrens sollten auch einschlägige Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hinzugezogen werden.

1. Thematische Blickrichtung der Arbeit des AK DQR

Der AK DQR strebt eine gleichwertige Gewichtung der verschiedenen Lernformen (formal – non-formal – informell) an. Die unterschiedlichen Wege des Kompetenzerwerbs sollen gleichberechtigt berücksichtigt werden. Die zunehmende Verflechtung des formalen, des non-formalen und des informellen Lernens in der Lern- und Berufsbiographie soll in der weiteren Arbeitsphase des AK DQRs angemessen abgebildet werden. Bereits vorhandene Kompetenzfeststellungs- und Validierungsverfahren sollen mit Blick auf non-formal und informell erworbene Kompetenzen weiterentwickelt und standardisiert werden. Dabei wird die Fokussierung der Verfahren auf einen oder mehrere Arbeits- und Lernbereiche als Orientierung empfohlen. Arbeits- und Lernbereiche bezeichnen im Sinne des DQRs Kontexte, in denen Kompetenzen gezeigt werden können, die auf Berufe oder (Schul- bzw. Studien-)Fächer bezogen werden können. Laut dem AK DQR soll dabei auf bereits bestehenden und bewährten Strukturen aufgebaut werden. Die Zielgruppen für die Beurteilung und Bewertung von Ergebnissen non-formalen und informellen Lernens sollen breit definiert werden. Lernergebnisse aus non-formalen und informellen Lernprozessen sollen gemäß den Qualifikationen auf allen Niveaus dem DQR zugeordnet werden. Es müssen jedoch nicht zwangsläufig alle Ergebnisse non-formaler und informeller Lernprozesse als Qualifikationen definiert und dem DQR zugeordnet werden.

2. Herausforderungen bei der Zuordnung non-formal erworbener Kompetenzen für die Kinder- und Jugendhilfe

Ein bildungsbereichsübergreifender Referenzrahmen für die drei Lernbereiche, formal – non-formal – informell, ist aus Sicht der AGJ ein wichtiges Instrument für eine höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems und der Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung. Grundsätzlich sollen alle Kompetenzniveaus des DQRs auf schulischen, betrieblichen, hochschulischen und beruflichen Bildungs- und Karrierewegen erreichbar sein und prinzipiell keine Niveaus für bestimmte Qualifikationen reserviert werden. Der DQR soll aus Sicht der AGJ helfen:

  • Inhalte von Ausbildungen – ab schulischer oder hochschulischer Ebene – lernergebnisorientiert zu formulieren,
  • Aus-, Fort- und Weiterbildungen (inhaltlich und zeitlich) flexibler zu gestalten,
  • Lernergebnisse durch Qualitätssicherungsverfahren abzusichern und unabhängig von Bildungsweg(en) und Abschlüssen zu akzeptieren,
  •  Anschlussfähigkeit sicherzustellen und
  • zertifizierbare Instrumente für die Erfassung und Bewertung von Kompetenzen, gleich ob formal, non-formal oder informell erworben, zu entwickeln.[2]

Die Ergebnisse von non-formalen Bildungsprozessen, die in den Fort- und Weiterbildungsangeboten von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe erworben werden, bleiben solange unberücksichtigt, wie insgesamt non-formale und informelle Bildungsprozesse – im Gegensatz zu den Intentionen des EQR – im DQR ausgeblendet werden. Die Bezugnahme auf einen erweiterten Kompetenzerwerbsbegriff ist vom AK DQR daher noch zu erarbeiten. Ebenfalls unklar ist, wie entsprechende Kompetenzfest-stellungsverfahren entwickelt werden können und vor allem, wer für diese Verfahren verantwortlich ist. Während sich die „produzierenden Berufe“ auf Kammern[3] (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Kammern für freie Berufe) beziehen können, die die Funktion eines competent bodies erfüllen könnten, ist dies in der Kinder- und Jugendhilfe anders geregelt. Daher ist die Kinder- und Jugendhilfe gefordert, sich sowohl im Interesse der Fachkräfte und der Handlungsfelder als auch im Kontext ihrer Selbstbeschreibung als Netzwerk verschiedener (und anerkannter) Bildungsinstitutionen aktiv in den Prozess der Zuordnung von non-formalen Qualifizierungsangeboten in den DQR einzubringen, um die Möglichkeiten der Zuordnung von non-formalen Bildungsangeboten auszuloten[4].

Die AGJ sieht die Qualifikationen und Kompetenzen der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe im bisherigen Umsetzungsprozess des DQRs grundsätzlich gut aufgestellt und anerkannt. So werden die Bachelorstudiengänge der Sozialen Arbeit sowie der Frühen Kindheit („Kindheitspädagogik“, „Elementarpädagogik“) analog den Zuordnungen des Hochschulwesens dem Niveau 6 des DQRs zugeordnet. Diese Einordnung fand ebenfalls auf die fachschulische Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher ihre Anwendung, die von Fachschulen für Sozialpädagogik angeboten wird.

Die AGJ begrüßt die Implikationen des bildungsbereichsübergreifenden DQRs als ein wichtiges Instrument für eine höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems und die Schaffung von Transparenz hinsichtlich von Gleichwertigkeiten und Unterschieden zwischen den Qualifikationen auf den jeweiligen Niveaus bzw. Ebenen. Dadurch trägt der DQR zur Vergleichbarkeit deutscher Qualifikationen in Europa bei. Er unterstützt den gleichberechtigten Zugang und die Teilnahme am Lebensbegleitenden Lernen und ist geeignet, Regelungen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger – auch vor dem Hintergrund der Aufgabe, den Fachkräftebedarf zu decken – zu erleichtern.

Solange erworbene Kompetenzen im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsangeboten nicht bei der individuellen Einordnung des erreichten DQR-Levels berücksichtigt werden, können die Ziele, die mit dem EQR bzw. DQR verbunden sind, nur eingeschränkt erreicht werden. Es besteht Klärungsbedarf im Hinblick auf:

  • die Zuordnung von non-formalen Qualifizierungsangeboten der Kinder- und Jugendhilfe in den DQR,
  • anerkannte Verfahren zur Messung und Zertifizierung von Kompetenzen, 
  • Zuständigkeiten, wer für Zuordnungs- und Zertifizierungsverfahren verantwortlich ist.[5]

3. Ausblick

Die Kernpunkte, um die es in dieser Diskussion aus Sicht der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin gehen wird, lassen sich wie folgt benennen:

  • Vorrang des in Kompetenzen gefassten Lernergebnisses vor dem „Lernort“ und der „Qualifikationsdauer“,
  • Erreichbarkeit der angestrebten Ziele des DQRs (Transparenz, Durchlässigkeit usw.),
  • Notwendigkeit der Beschreibung aller Qualifikationen über spezifische Sets von Kompetenzen und Entwicklung entsprechender Verfahren der Überprüfung, Zertifizierung und Anerkennung erworbener Kompetenzen,
  • Ausgeprägte Relevanz von non-formalen und informellen Bildungsprozessen für die Personalgewinnung, Personalentwicklung und Personalbindung,
  • Hohe Bedeutung des Fort- und Weiterbildungsangebots für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe.

4. Fazit

Das vom AK DQR angestoßene Pilotverfahren zur Einordnung non-formal erworbener Kompetenzen ist gestartet. Im Februar 2018 hat die „Xpert Business“-Zentrale beim Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V. die Unterlagen zur Einreichung des Zuordnungsvorschlags erhalten.
Die AGJ betont zusammenfassend, dass der non-formale Lernbereich gerade für die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe von hoher Bedeutung ist. Der eher an formalen Lehr- und Lernkonzepten orientierte Zuordnungsvorschlag „Xpert Business“ ist kein gutes Beispiel einer Referenzqualifikation für die Kinder- und Jugendhilfe. Daher fordert die AGJ den AK DQR auf, ein zweites Pilotverfahren zu realisieren, welches sich mit den Qualifizierungsangeboten aus der Kinder- und Jugendhilfe befasst und evaluiert, welche Chancen und Risiken sich mit einer Einordnung von Qualifizierungsangeboten aus dem Fort- und Weiterbildungsbereich für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe in den non-formalen Bereich ergeben. Ein solches zweites Pilotverfahren würde am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe die Herausforderungen und gangbare Lösungen auch für vergleichbare Handlungsfelder aufzeigen.

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 19. April 2018  

 

[1] Die AGJ hat bisher drei Positionierungen zum Deutschen Qualifikationsrahmen veröffentlicht: AGJ-Stellungnahme „Herausforderungen des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) für die Kinder- und Jugendhilfe“ vom 19. September 2012, online abrufbar unter; https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/DQR.pdf ; AGJ-Stellungnahme „Europäischer Qualifikationsrahmen / Deutscher Qualifikationsrahmen“ vom 23. Juni 2010, online abrufbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2010/DQR_EQR.pdf ; AGJ-Diskussionspapier „Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) – Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe vom 02./03.12.2009, online abrufbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2009/DQR.pdf.
[2] Vgl. hierzu AGJ-Stellungnahme „Europäischer Qualifikationsrahmen / Deutscher Qualifikationsrahmen“ (2010).
[3] Die Industrie- und Handelskammern (IHK) vertreten das Interesse ihrer zugehörigen Unternehmen gegenüber den Kommunen, Landesregierungen, regionalen staatlichen Stellen und durch den DIHK gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Kommission. Zu den Handwerkskammern gehören die selbständigen Handwerker, die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe sowie die Gesellen und die anderen Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung in diesen Betrieben. Des Weiteren gibt es einige Länder mit eigener Landwirtschaftskammer sowie verschiedene Kammern für die freien Berufe. Viele Aufgaben des Berufsbildungsgesetzes werden den zuständigen Kammern übertragen. Zuständige Stellen für die Ausbildung in Gewerbebetrieben, die nicht zum Handwerk zählen, sind die Industrie- und Handelskammern, für die Ausbildung im Handwerk die Handwerkskammern. Unter anderem werden sie damit beauftragt, die Eignung der Unternehmen zur Berufsausbildung zu prüfen, die berufliche Ausbildung zu fördern und zu überwachen sowie die Abnahme von Prüfungen für die anerkannten Ausbildungsberufe durchzuführen.
[4] Vgl. hierzu: AGJ-Diskussionspapier „Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) – Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe“ (2009).
[5] Vgl. hierzu auch: AGJ-Stellungnahme „Herausforderungen des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) für die Kinder- und Jugendhilfe“ (2012).