Eltern bleiben! 
Zusammenarbeit mit und Empowerment von Eltern als Stärke gelingender stationärer Hilfe 

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ[1]

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Abstract

Die Unterbringung ihrer Kinder ist für Eltern meist mit vielen Herausforderungen verbunden. Ihre gelingende Beteiligung birgt ein großes Potential sie bei der Verwirklichung ihrer Rechte zu unterstützen, Hilfeverläufe möglichst wirkungsvoll zu gestalten und Ressourcen für Kinder und Jugendliche zu erschließen.  

In der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe wurde die Zusammenarbeit mit Eltern ab der Unterbringung des Kindes in einem stationären Angebot der Erziehungshilfe jedoch häufig vernachlässigt. Dies hatte vielfältige Gründe: Zwar war die Zusammenarbeit mit Eltern bereits vor der Umstrukturierung und Ergänzung des § 37 SGB VIII durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG gesetzlich vorgesehen, wurde aber teilweise in der Praxis als sog. „Doppelhilfe“ rechtswidrig abgelehnt oder aufgrund mangelhafter Ressourcen nicht geleistet. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Eltern für die Fachkräfte nicht selten mit großen Herausforderungen verbunden. Eltern brauchen Unterstützung, um nach dem Verlust des Zusammenlebens mit den Kindern und ggf. der Übernahme der elterlichen Sorge durch einen Vormund ihre Rolle und die Beziehung zum Kind neu zu gestalten. Sie ziehen sich teilweise aus Scham, Schuldgefühlen, aufgrund eines vermeintlichen Versagens oder dem Erleben von Ablehnung zurück oder verweigern gar zunächst eine (weitere) Zusammenarbeit im Hilfeprozess.

Mit dem neuen KJSG wird die Rolle der Eltern, deren Kind(er) in einem stationären Angebot der Erziehungshilfe untergebracht sind, im Hilfeprozess gestärkt. So regelt § 37 Abs. 1 SGB VIII nun einen individuellen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zum Kind bei einer Unterbringung außerhalb der Familie unabhängig von Personensorge und der Rückkehroption. 
Mit Blick auf die genannte (Neu-)Regelung des KJSG setzt sich die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ mit der Frage auseinander, was es genau bedarf, damit die Zusammenarbeit mit Eltern im Hilfeprozess gelingen kann. Dabei werden Impulse für eine gelingende und tragfähige Zusammenarbeit mit den Eltern formuliert sowie Empfehlungen und praktische Anregungen zur Umsetzung gegeben. 

Inhalt

1    Zusammenarbeit mit Eltern als zentraler Bestandteil eines gelingenden Hilfeprozesses  
2    Elternschaft ist vielfältig    
3    Gestärkte Rechte von Eltern umsetzen!   
4    Inhaltliche Impulse für eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern 
4.1 Eltern als Akteur*innen aktiv einbinden 
4.2 Neue Wege der Zusammenarbeit mit Eltern gemeinsam entwickeln   
4.3 Verschiedenen Partizipationsansprüchen gerecht werden  
5    Zusammenfassende Empfehlungen und Aufforderungen    
5.1 Eltern bleiben: Zusammenarbeit mit und Empowerment von Eltern als Teil der Erziehungshilfe verstehen! 
5.2 Eltern müssen als Eltern vorkommen: Beratung und Unterstützung implizit in den Abläufen im Jugendamt verorten!
5.3 Eltern können wieder mehr Eltern werden: Beratung und Unterstützung als explizite Elemente der Ausgestaltung von Hilfen etablieren! 
5.4 Eltern brauchen elternsensible Fachkräfte: Mitarbeitende qualifizieren und ermuntern! 
5.5 Eltern müssen ihre Erfahrungen einbringen können: Beteiligungsstrukturen stärken! 


1 Zusammenarbeit mit Eltern als zentraler Bestandteil eines gelingenden Hilfeprozesses 

Die Zusammenarbeit mit Eltern ist zentraler Bestandteil eines gelingenden Hilfeprozesses, denn Eltern bleiben wichtige Bezugspersonen – sowohl in ihrem Selbstverständnis als auch für ihre Kinder und unabhängig davon, ob sie sorgeberechtigt sind oder nicht. 

Die Interventionsforschung zu Jugendhilfemaßnahmen zeigt auf, dass professionell geleistete Zusammenarbeit mit Eltern signifikante positive Effekte auf den Hilfeverlauf und einer erfolgreichen Fremdunterbringung hat. In verschiedenen Studien konnten bspw. positive Effekte von gelingender Zusammenarbeit mit Eltern auf die Ressourcenbildung, Kooperation, Schulleistung und auf Verringerung der Abbruchrate von Hilfen bei jungen Menschen, die in Wohngruppen oder Pflegefamilien leben, nachgewiesen werden.[2] In der Zusammenarbeit mit Eltern werden auch Belastungen aus dem familiären Kontext zum Thema. Bleiben diese unbearbeitet, besteht ein höheres Risiko, dass die Kinder- und Jugendhilfe ohne Erfolg sein wird.[3]

Die Kinder- und Jugendhilfe muss sich dieser Verantwortung bewusst sein: Die Gestaltung der Zusammenarbeit nimmt langfristig Einfluss auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind; auch über die Jugendhilfezeit hinaus! 
Sind Eltern die Personensorgeberechtigten, sind sie selbst die Anspruchsberechtigten in den Hilfen zur Erziehung. Auch stationäre Hilfen zielen in erster Linie darauf, Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen. Das Spektrum der Hilfen reicht dabei von einer kurzfristigen Entlastung über eine vorübergehende Unterbringung, bis hin zu einem dauerhaften Verbleib an einem neuen Lebensort.[4] Zu einer möglichst abgestimmten Perspektive unter den Beteiligten – Jugendämter, stationäre Einrichtungen oder Pflegefamilien, Mütter, Väter und jungen Menschen – zu kommen, schafft ein wichtiges Fundament für einen gelingenden Hilfeprozess. Ist den Eltern die Sorge (teilweise) entzogen worden, kommt als weiterer Beteiligter im Abstimmungsprozess ein Vormund hinzu, dessen Rolle und Verhältnis zu den Eltern geklärt werden muss.

Für junge Menschen sind Eltern unabhängig von den Erziehungsbedingungen wichtige Bezugspersonen. Sie sind u. a. ein zentraler Anker für die Frage nach der eigenen Identität und Biografie. Eltern sind Wissensträger, die Lebenserfahrungen mit ihren Kindern teilen, wichtige Bezugspersonen ihrer Kinder kennen und einen Einblick in die Familiengeschichte – auch generationenübergreifend – ermöglichen, der für Fachkräfte und Pflegeeltern zumindest zu Beginn einer Hilfe schwer zugänglich ist. Zudem ist das spezifische Erfahrungswissen der Eltern von jungen Menschen mit Beeinträchtigungen über die Stärken ihrer Kinder, individuelle Unterstützungsbedarfe, die medizinische Versorgung u. ä. von großer Bedeutung.

Die Trennung von der Familie und der Wechsel des Lebensorts in eine stationäre Hilfe stellt für die betroffenen jungen Menschen oftmals ein kritisches Lebensereignis dar. Dies kann u. a. Trauer über den Verlust von Bezugspersonen, ambivalente Gefühle bezüglich des neuen Lebensmittelpunkts, Schuldgefühle, für die Trennung von der Familie verantwortlich zu sein und/ oder auch Loyalitätskonflikte durch das Auftauchen neuer Bezugspersonen umfassen.[5] Diese (wiederkehrende) Verlusterfahrung bezüglich des Zugehörigkeitsgefühls zu einem Familiensystem kann zu einer Identitätskrise beim Kind führen. Hier hat sich die Biografiearbeit als ein wichtiger Ansatzpunkt zur Ordnung von Zugehörigkeitsgefühlen zu verschiedenen Bezugspersonen durch die betroffenen Kinder erwiesen, mit dem Ziel, den jungen Menschen Perspektiven einer „doppelten Zugehörigkeit“ zu ermöglichen.[6] Darüber hinaus wird über die Eltern oftmals auch der Kontakt zu anderen Familienangehörigen ermöglicht, z. B. zu Geschwistern oder Großeltern im Rahmen von Besuchskontakten und Beurlaubungen.

Unabhängig davon, ob eine stationäre Unterbringung vorübergehend oder auf Dauer als die geeignete und notwendige Hilfe für ein Kind erscheint, verlieren Eltern ihre Elternschaft nicht mit dem Auszug der Kinder. Für sie stellt sich die Frage, wie sie diese jetzt neu definieren und leben (können). Streben sie Veränderungen an, damit das Kind zurückkommt? Können und wollen Sie die Beziehung zum Kind halten? Welche Möglichkeiten haben sie, sich mit ihren Fähigkeiten in den Alltag der Einrichtung oder Pflegefamilie mit einzubringen? Wie können sie Mutter oder Vater sein, wenn das Kind an einem anderen Ort lebt? Welche Bedeutung und Entscheidungsmöglichkeiten bleiben ihnen, wenn die Sorge entzogen wurde und ein Vormund sie wahrnimmt? Wie können sie mit dem Schmerz der Trennung, ggf. wahrgenommenen Vorwürfen oder Versagensgefühlen umgehen? Wie gestalten sie ihren Alltag sinnvoll weiter, wenn das Kind nicht mehr da ist? Wie Eltern diese Fragen beantworten, ob und wie sie die Unterbringung bewerten und sie bestenfalls konstruktiv unterstützen (können), ist auch für junge Menschen bedeutsam in Hinblick darauf, wie sie in einer Einrichtung ankommen und diese für sich als (vorübergehenden) Lebensort akzeptieren können. Studien belegen, dass junge Menschen, die sich beiden Systemen, also sowohl der Herkunftsfamilie als auch der Pflegefamilie bzw. den Betreuer*innen in der Einrichtung, positiv verbunden fühlen, den besten Entwicklungsverlauf aufzeigen.[7]

Möchte die Kinder- und Jugendhilfe Familien als Ganzes unterstützen, kann der Fokus nicht alleine auf der Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung des Kindes in der Einrichtung oder Pflegefamilie liegen. Es braucht parallel eine enge Zusammenarbeit und Unterstützungsangebote für Eltern, insbesondere wenn eine Rückführung vorgesehen ist und/ oder weitere Kinder in der Familie leben. Aber auch wenn eine Rückführung nicht realistisch erscheint, ist es wichtig, Zeit und Energie in die Beratung und Absprachen (z. B. zum Umgang) zu investieren, denn die Kinder bleiben immer Kinder ihrer Eltern, diese sind Teil ihrer Identität.[8] Elternschaft besteht lebenslang und kann in ein erweitertes Familiensystem eingebunden sein, das auch nach Beendigung der stationären Hilfe Bedeutung und Einfluss im Leben des nun erwachsenen Menschen entfaltet. 

2 Elternschaft ist vielfältig

Die Formen des familiäreren Zusammenlebens haben sich seit den 1950er Jahren stark gewandelt. Die moderne Kleinfamilie mit klaren Rollen zwischen Mutter und Vater hat ihre Monopolstellung verloren und ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts nur noch eine Familienform unter anderen: heterosexuelle und gleichgeschlechtliche Ehepaare, nichteheliche Paare mit Kindern, Ein-Eltern-Familien, queere Eltern, Stieffamilien, Patchworkfamilien, Adoptivfamilien und auch Familien, deren Kinder in Pflegefamilien oder Wohngruppen leben. 

Diese Entwicklung bringt vielfältige Veränderungen in Bezug auf Elternschaft und Elternrollen (z. B. stärkeres Engagement von Vätern bei der Erziehung) mit sich. In den verschiedenen Familienformen übernehmen nicht nur biologische oder genetische Eltern, sondern auch soziale Eltern Verantwortung für die in der Familie lebenden Kinder. 
Dem Gedanken der unterschiedlichen Familienformen und unterschiedlichen Lebenssituationen folgend, unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Sorgeberechtigten und Erziehungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 SGB VIII). Das Recht auf Erziehung ist dabei ein Teil der Personensorge. Lebt ein Kind zusammen mit seinen sorgeberechtigten Eltern oder Pflegeeltern, denen die Vormundschaft übertragen wurde, fallen Personensorge und Erziehungsberechtigung zusammen.

Wenn das Kind bei anderen Personen als den Sorgeberechtigten lebt, z. B. bei Pflegeeltern, Großeltern oder in einer Wohngruppe, sind diese Personen Erziehungsberechtigte. Erziehungsberechtigung beschreibt die tatsächliche Verantwortungsübernahme für ein Kind oder Jugendlichen. Die Erziehungsberechtigten entscheiden in Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1688 Abs. 1, 2 BGB), so dass das Kind angemessen erzogen, betreut und versorgt werden kann.[9] 

Die Sorgeberechtigten üben dagegen z. B. das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge, die Umgangsbestimmung oder die Vermögenssorge des Kindes aus. Sie entscheiden über Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung im Leben eines Kindes.[10] Personensorgeberechtigt sind die Eltern, wenn ihre Sorge nicht ruht (bspw. bei Eltern unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter) oder ihnen (teilweise) entzogen wurde. In den letzten beiden Fällen wird die Sorge einem Vormund übertragen. Bei einem Teilentzug der elterlichen Sorge werden einem Ergänzungspfleger Sorgeentscheidungen in Teilbereichen übertragen; die Eltern verfügen weiterhin über Entscheidungsbefugnisse in den anderen Bereichen. 

Die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen sorgeberechtigen Eltern und Erziehungsberechtigten kann anspruchsvoll sein. Aber auch unabhängig von ihrer Sorgeberechtigung sollen Eltern weiterhin in die Hilfeplanung und damit in die Gestaltung des Lebens des Kindes einbezogen werden – unter Berücksichtigung des Interesses und des Willens des Kindes (§ 36 Abs. 5 SGB VIII). Das entspricht der grundgesetzlichen Stellung der Eltern, die ihnen ein natürliches Recht (Art. 6 Abs. 3 GG) einräumt, ihre Erziehungsziele und -methoden nach ihren eigenen Wünschen und Wertvorstellungen zu gestalten, begrenzt nur durch die Gefährdung des Kindes. In dieses „natürliche Recht der Eltern“ rückt der Vormund nicht ein, der sich ausschließlich am Interesse und Wohl des Kindes, nicht an seinen eigenen Erziehungsvorstellungen orientiert. Dazu gehört es auch, dass der Vormund „bei seiner Amtsführung im Interesse des Mündels zu dessen Wohl die Beziehung des Mündels zu seinen Eltern einbeziehen“ soll (§ 1790 Abs. 2 S.4 BGB).

Dem grundgesetzlich geschützten Elternrecht muss selbst in intensiven Unterstützungs- und Interventionsformen, wie der stationären Kinder- und Jugendhilfe, Rechnung getragen werden, indem den Werten und Vorstellungen der Eltern Respekt entgegengebracht wird und es ihnen ermöglicht wird, diese einzubringen. Dazu gehört auch, die Verpflichtung der Eltern, im Interesse und zum Wohl des Kindes zu handeln, zum Thema zu machen. 

3 Gestärkte Rechte von Eltern umsetzen!

Im Wissen um die Bedeutung der Eltern während der stationären Unterbringung eines Kindes in einer Einrichtung oder Pflegefamilie hat der Gesetzgeber die Beratungs- und Unterstützungsleistungen für diese Zielgruppe deutlich gestärkt.[11] Eltern, deren Kinder (teil-)stationär untergebracht sind, haben seit Inkrafttreten der KJSG-Änderungen gemäß § 37 Abs. 1 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung sowie auf Förderung der Beziehung zu ihrem Kind – unabhängig davon, ob Eltern(teile) sorgeberechtigt sind oder nicht. Ziel ist, die Entwicklungs-, Teilhabe- oder Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie möglichst so weit zu verbessern, dass die Eltern(teile) das Kind wieder selbst erziehen können. Zudem soll mit der Vorschrift ein grundsätzlicher Kontaktabbruch von Kindern und Jugendlichen zu ihren Eltern mit Beginn der Unterbringung außerhalb der eigenen Familien verhindert werden. Die auf Konzepte von Kontaktunterbrechungen gestützte Nichteinbeziehung der Eltern in die Hilfeprozesse hatte zu mehreren Verurteilungen durch den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geführt.[12] Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verurteilt den verengten Blickwinkel in diesen Hilfefällen als grundrechtswidrig.[13]

Dient die Beratung und Unterstützung der Eltern  der Umsetzung einer Rückkehroption hat sie grundsätzlich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums zu erfolgen (§ 37c Abs. 2 SGB VIII).[14] Orientierungspunkt der Beratung und Unterstützung der Eltern bleibt das Wohl des jungen Menschen. Ist eine nachhaltige Verbesserung innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, sollen Beratung und Unterstützung der Eltern sowie die Beziehungsförderung darauf ausgerichtet sein, eine andere, dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive zu entwickeln. Insbesondere mit Blick auf die entwicklungsspezifischen Bedürfnisse von jungen Kindern sind somit besondere Anforderungen an die Zusammenarbeit mit den Eltern verbunden, um auf Elternebene in dem zur Verfügung stehenden, i. d. R. kurzen Zeitraum eine Perspektive für eine Rückführung oder eine dauerhafte andere Perspektive für das Kind zu erarbeiten.[15] Die Art und Weise der Zusammenarbeit mit den beteiligten Personen sowie die damit im Einzelfall verbundenen Ziele sind gem. § 37c Abs. 4 S. 1 SGB VIII im Hilfeplan zu dokumentieren. 

Weiter wird mit der Änderung in § 27 Abs. 2 SGB VIII deutlich hervorgehoben, dass die zur Beratung, Unterstützung und Beziehungsförderung notwendige und geeignete Hilfe auch aus einer Kombination unterschiedlicher Hilfearten bestehen kann. So sollen die Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortungsübernahme mit und durch die Eltern bei einer Hilfe außerhalb des Elternhauses verbessert werden bzw. gelingen. Intendiert wird, dass Eltern die passenden und notwendigen Hilfen erhalten. Der Gesetzgeber ist nicht dogmatisch im Hinblick darauf, über welche der in Frage kommenden Rechtsnorm(en) oder Trägerkonstellation[16] die Beratung und Unterstützung konkret geleistet werden. Eine geeignete und notwendige Hilfe wird auf Grundlage verschiedener Einzelnormen des KJSG ausgestaltet und kann aus unterschiedlichen Leistungen bestehen. Sie kann z. B. umfassen:

  • Gespräche als Teil der Hilfeplanung gem. § 36 SGB VIII,
  • spezifisches Leistungsangebot einer (teil-)stationären Einrichtung,
  • Kombination der stationären Unterbringung mit einer ambulanten Hilfe (§ 27 Abs. 2 SGB), mit der bspw. die mögliche Rückkehr eines Kindes vorbereitet wird [z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe gem. § 31 SGB VIII, spezifische Beratungsleistung gem. § 28 SGB VIII eines (weiteren) freien Trägers]. 

Kern der Beratung und Unterstützung ist, die Bedürfnisse des jungen Menschen sowie seine Belastungen und Ambivalenzen mit den Eltern und Pflege- oder Erziehungspersonen zu besprechen und diese im Bemühen um einen kindeswohlförderlichen Umgang mit der Situation zu stärken und zu beraten. Zudem sind die Eltern, mit Blick auf die besondere Belastung durch den einschneidenden Autonomieverlust, auch in der Anfangsphase einer Unterbringung beratend und unterstützend zu begleiten. Hierzu gehört, dass Eltern und Pflegeeltern oder Erziehungspersonen in den Einrichtungen und ggf. der Vormund möglichst früh im förderlichen Kontakt miteinander sind, um gemeinsam mit dem jungen Menschen wichtige Absprachen zu treffen, z. B. im Kontext der Umgänge zwischen Eltern und Kind. Fachkräfte der sozialen Dienste und erzieherischen Hilfen sollten sich dabei gewahr sein, dass der Vormund die Eltern nicht ersetzt, sondern selbst verpflichtet ist, die Beziehung zwischen Kind und Eltern in seine Amtsführung einzubeziehen (§ 1790 Abs.2 S.4 BGB).

Das Jugendamt hat für die erforderliche Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Fachkräften und den Eltern zu sorgen, gemäß Gesetzesbegründung „intensiv darauf hinzuwirken“. Dies beinhaltet, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen der Pflegeperson oder den in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und der Eltern zum Wohl des Kindes durch geeignete Maßnahmen (§ 37 Abs. 2 SGB VIII). Bei der Vollzeitpflege gehört dazu auch die abgestimmte Aufgabenwahrnehmung zwischen dem für die Hilfeplanung verantwortlichen Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), dem für die Beratung der Pflegepersonen zuständigen Pflegekinderdienst (PKD) und ggf. dem für die Beratungs- und Unterstützungsleistungen zuständigen Leistungsanbietern. Werden die Aufgaben von Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe wahrgenommen, sind für die Beratungs- und Unterstützungsleistungen Leistungs-, Qualitäts- und Entgeltvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 2 SGB VIII abzuschließen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass auch bei einem Zuständigkeitswechsel die Inhalte und Qualität der Leistungsangebote für die Eltern durchgängig gewahrt bleiben.[17] 

4 Inhaltliche Impulse für eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern

Neben der direkten Arbeit mit den jungen Menschen, stellt die Zusammenarbeit mit Eltern eines der zentralen Tätigkeitsfelder in den Hilfen zur Erziehung dar. Folgende Impulse sollen zu einer gelingenden, tragfähigen Zusammenarbeit mit Eltern beitragen.[18] 

4.1 Eltern als Akteur*innen aktiv einbinden

  • Eltern zu empowern, sich auf den Hilfeprozess einzulassen und aktiv zu beteiligen, erfordert eine von Anfang an spürbare beteiligungsorientierte Haltung und ein konstruktives Kooperationsklima. Auch wenn fachliche Einschätzungen in Bezug auf das Kindeswohl mit den Eltern nicht verhandelbar sind und die Zusammenarbeit mit ihnen äußerst herausfordernd sein kann, müssen Eltern spüren, dass ihre Perspektive wahr- und ernst genommen wird.  
  • Viele Abläufe im Jugendamt verlaufen ohne den Einbezug von Eltern reibungsloser und im vermeintlichen Interesse der Kinder einfacher. Diesen Trugschluss gilt es zu vermeiden, indem der Einbezug der Eltern in den vorhandenen Standards fest verankert wird. Dies geschieht in der Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII), der nunmehr vorgeschriebenen Perspektivklärung (§ 37c SGB VIII), bei der Auswahl des Unterbringungsortes, im Verlauf und zum Ende der Hilfe. Darüber hinaus sind Eltern jederzeit und in nachvollziehbarer Weise über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. 
  • Es ist sinnvoll, den Einbezug von Eltern auch in die Kooperationsvereinbarungen, etwa zwischen ASD, PKD und Vormundschaften im Jugendamt, aufzunehmen. Somit können vorab grundlegende Fragen geklärt werden, z. B.: Wie und von wem sollen Eltern bei der Wahl einer Einrichtung, einer Pflegefamilie oder der Auswahl einer Schule einbezogen und beraten werden?
  • Hilfreich kann sein, wenn gemeinsam Ziele gesetzt werden oder zur Ressourcenaktivierung positive wie auch negative Ereignisse besprochen werden. Grundsätzlich sollten den Eltern regelmäßig und jederzeit nach Bedarf Gespräche angeboten werden.  
  • Beteiligung muss sich für Eltern lohnen und für Fachkräfte ermöglicht werden. Eltern müssen eine Verbesserung für sich erfahren, sei es, einen neuen Blick auf die veränderte Lebenssituation und Möglichkeiten zur Verbesserung zu gewinnen oder sich selbst (wieder) in einer aktiven Rolle als „Expert*in in eigener Sache“ zu erleben. Rollenklarheit, Transparenz im Vorgehen, um eine vertrauensvolle Atmosphäre aufzubauen, sind dafür wesentliche Eckpfeiler. Diese Eckpfeiler erfordern ausreichend Ressourcen, damit sie durch die Fachkräfte realisiert werden können. Die Lebenslage von Eltern als auch Aspekte, wie die Familienform, die Religion, eine Behinderung, eine Flucht- oder Migrationsgeschichte und ethnisch-kulturelle Hintergründe beeinflussen das familiäre Zusammenleben und können mit unterschiedlichen Herausforderungen verbunden sein. Bei der Zusammenarbeit mit Eltern und der Ausgestaltung des Hilfeprozesses sind diese Faktoren in den Blick zu nehmen und soweit wie möglich zu berücksichtigen (z. B. Einbezug einer*eines Dolmetscher*in oder Sprachmittler*in, Planung eines höheren Zeitaufwandes bzw. komplexeren Hilfeprozesses, Berücksichtigung sozialräumlicher Ressourcen, Vernetzung und Integration der verschiedenen nahräumlichen Unterstützungs- und Beratungsleistungen).[19]
  • Eine wesentliche Grundlage für die aktive Einbindung der Eltern ist – soweit es dem Kindeswohl nicht entgegensteht – eine wohnortnahe Unterbringung ihres Kindes. Auf diesem Wege können die Teilhabe der Eltern am Alltag ihres Kindes und regelmäßige Besuchskontakte sowie für das Kind die Aufrechterhaltung seiner sozialen Bezüge (Kita, Schule, Verwandte, Freundeskreis) ermöglicht werden.[20] Bei der Gestaltung des Kontaktes kann eine stärkere Orientierung an den Lebensrealitäten (z. B. Berücksichtigung ihrer Arbeitszeiten) wesentlich zu einer gelingenden Beteiligung beitragen. Noch allzu oft ist die Kommunikation ausschließlich auf die Mutter ausgerichtet.[21] Um beide Elternteile, aber auch weitere wichtige Bezugspersonen, aktiv in die Prozesse einzubinden, sind digitale Wege und strukturelle Möglichkeiten stärker auszuloten – gerade auch mit Blick auf wohnortferne stationäre Unterbringungen. 

4.2 Neue Wege der Zusammenarbeit mit Eltern gemeinsam entwickeln

  • Der erste Eindruck, den Eltern gewinnen, prägt oft den weiteren Hilfeverlauf. Große positive Wirkkraft kann eine gelebte Willkommenskultur entfalten. Diese zeigt sich u. a. daran, ob ausreichend Zeit und ein ansprechendes Setting zur Verfügung gestellt werden, wie transparent und verständlich der Hilfeprozess sowie die Rechte der Eltern erklärt werden, wie offen und niedrigschwellig der Zugang zu Beschwerdemöglichkeiten und Ombudsstellen gestaltet ist, und wie stark die Beratungssettings auf die Adressat*innen ausgerichtet sind. Wesentliche Orientierungspunkte dafür lassen sich über qualitative Befragungen von (ehemaligen) Adressat*innen über ihre Erfahrungen und Wünsche gewinnen. 
  • Eltern als „Expert*innen ihrer selbst“ und mit einem eigenem Beratungs- und Unterstützungsanspruch im konkreten Hilfekontext ernst zu nehmen, bedeutet im Kontext der stationären Hilfen, die Zusammenarbeit stärker an einer Präsenz in den Familien auszurichten. Hier bedarf es einer möglichst flexiblen und gezielten, einzelfallorientierten Unterstützung mit intensiveren und weniger intensiven Phasen, angepasst an Krisen sowie Veränderungsprozesse, wie bspw. die Vorbereitung, Begleitung, und Nachbetreuung bei Rückführung oder bei einem Wechsel in eine andere Hilfeform.
  • In den stationären Wohngruppen gilt es, gemeinsam mit den Eltern und jungen Menschen zu entwickeln, wie – unter Berücksichtigung des Kindeswohls – die Beziehung zwischen Kindern und Eltern gestaltet werden kann und inwieweit Eltern auch im Alltag Verantwortung übernehmen können. Dies kann bspw. die Übernahme von Erziehungsaufgaben, wie das Bringen in den Kindergarten oder zu Freizeitaktivitäten sein, ebenso wie die Teilhabe im Lebensalltag, z. B. das gemeinsame Essen, oder eine Übernachtung in eigens dafür eingerichteten Familienzimmern. Besonders wertvoll ist dabei, den Familien Gelegenheiten für gemeinsame positive Erlebnisse zu gestalten. In manchen Fällen kann eine solche Erziehungspartnerschaft auch in Pflegefamilien gelingen, wenn Eltern einzelne Aufgaben übernehmen, bspw. das Kind zum Fußballtraining zu begleiten.
  • Gerade zu Beginn einer stationären Hilfe kann es für Eltern entlastend sein, sich nicht alleine in dieser Situation zu fühlen. Häufig sehen sich Eltern mit ähnlichen schwierigen Fragestellungen konfrontiert: mit negativen Bewertungen im sozialen Umfeld umgehen zu müssen, eine neue Rolle als Eltern zu finden oder massiven Herausforderungen im Familienalltag gegenüber zu stehen. Gelegenheiten und Raum zu schaffen, in denen sich Eltern in Begleitung von pädagogischen Fachkräften austauschen können, bietet die Möglichkeit, Anstöße und Impulse zur Reflexion und Veränderungen von anderen Betroffenen zu gewinnen. Denkbar ist hier auch die Einbindung von Eltern, deren Kind(er) ehemals in stationären Einrichtungen gelebt haben, aus einer rückblickenden Perspektive. Diese neuen Erfahrungsräume können auch einen wichtigen Grundstein für den Aufbau von Eltern-Selbstvertretungen legen. 

4.3 Verschiedenen Partizipationsansprüchen gerecht werden

  • Eltern aktiv in die Hilfeprozesse mit einzubeziehen und gleichzeitig junge Menschen intensiv zu beteiligen, kann in der Praxis zu Spannungsfeldern führen. Die von jungen Menschen geäußerten Wünsche und Bedarfe stimmen nicht immer mit denen ihrer Eltern überein. So kann es bspw. sein, dass sich junge Menschen keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern wünschen, während für die Eltern eine enge Beziehung und Einbindung in den Lebensalltag ihrer Kinder von großer Bedeutung ist.[22] Beide Perspektiven gilt es, ernst zu nehmen, alle Beteiligten bei diesen bedeutsamen Entscheidungen zu begleiten und ggf. gemeinsam Alternativen zu entwickeln – z. B. Möglichkeiten einer engen Anbindung der Eltern an die Einrichtung ohne direkten Kontakt zwischen Eltern und Kindern.  
  • Pädagogische Konzepte der Zusammenarbeit mit Eltern gilt es an der jeweiligen Hilfeform, der Ziel- und Altersgruppe auszurichten, Auswirkungen für die jungen Menschen mit zu bedenken sowie Raum für individuelle Ausgestaltung und kreative Lösungen zu ermöglichen. Hilfreich können dabei Strukturen sein, in denen sowohl Verantwortungsbereiche (Bezugsbetreuer*innen und Fach-/ Leitungskräfte für Elternpartizipation) als auch Besprechungssettings darauf abgestimmt sind. 

5 Zusammenfassende Empfehlungen und Aufforderungen

5.1 Eltern bleiben: Zusammenarbeit mit und Empowerment von Eltern als Teil der Erziehungshilfe verstehen!

Es sollte Teil jeder Erziehungshilfe sein, sich um Einverständnis, Unterstützung und Förderung der kindbezogenen Maßnahmen durch die Eltern zu bemühen, sofern es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Mitwirkung der Eltern an der stationären Unterbringung kann auch in einem guten Abschied und einer expliziten oder impliziten Erlaubnis zur Bindung an einen anderen Ort bestehen. 

Aus unterschiedlichen Gründen – Rollenkonflikte aus einem Zwangskontext, fehlende positive Teilhabeerfahrungen oder auch Beeinträchtigungen – ist es in vielen Fällen notwendig, Eltern dabei zu unterstützen, in die Zusammenarbeit hineinzufinden. Dazu müssen Jugendämter und freie Träger ein Grundverständnis von Erziehungshilfe kultivieren, welches bspw. Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe und Diversität von Elternschaft, einen systemischen Blick auf Familienkonstellationen, Wertschätzung scheiternder Erziehungs- und Betreuungsbemühungen, Klarheit der Ansprache und eben Empowerment von Eltern beinhaltet. 

5.2 Eltern müssen als Eltern vorkommen: Beratung und Unterstützung implizit in den Abläufen im Jugendamt verorten!

Der Einbezug der Eltern muss in den vorhandenen Standards fest verankert werden. Dies geschieht in der Hilfeplanung, der nunmehr vorgeschriebenen Perspektivklärung, bei der Auswahl des Unterbringungsortes, im Verlauf und zum Ende der Hilfe. Die AGJ weist auf den verpflichtenden Charakter des Anspruchs auf Beratung und Unterstützung der Eltern hin, der durch die Neuformulierungen des §§ 37ff. SGB VIII ausgebaut wurde. Die AGJ macht deutlich, dass auch in Fällen von Sorgerechtsentzug der Vormund seinerseits verpflichtet ist, die Beziehung zwischen Kind und Eltern zu berücksichtigen. Die AGJ ruft die Jugendämter zur Umsetzung einer aktiven Beratung und Unterstützung von Eltern auf. Die Landesjugendämter sollten hier durch geeignete Fachempfehlungen und -beratung unterstützen.

Nicht nur in Fällen mit Rückkehrperspektive sollte die Gesamthilfe, neben der Unterbringung des Kindes, auch durch Unterstützung vor Ort die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie verbessern. Durch die nach wie vor oftmals vorhandene Trennung zwischen stationären und ambulanten Hilfen, Angeboten und Trägern werden Chancen vergeben. Hier besteht Weiterentwicklungsbedarf für die Praxis von Hilfeplanung und Angeboten. Der konkrete Anstoß könnte hier von der örtlichen Jugendhilfeplanung kommen.

5.3 Eltern können wieder mehr Eltern werden: Beratung und Unterstützung als explizite Elemente der Ausgestaltung von Hilfen etablieren!

Die Arbeit mit und für Eltern muss stärker Teil der Leistungen von Trägern stationärer Erziehungshilfe werden. Falls angebracht, kann dies im vorgenannten Sinn bis hin zu einer gleichzeitigen Unterstützung durch denselben Träger im Wohnumfeld der Eltern gehen. Selbst wenn die Perspektivklärung bis auf weiteres keine Rückkehr vorsieht kann, sollte die Einbindung der Eltern zu mehr als der störungsfreien Organisation der Unterbringung und der Übergabesituationen dienen. Dazu bedarf es, soweit es dem Kindeswohl nicht widerspricht, der Ausweitung des „Hilferaums“ auch auf die Herkunftsfamilie. Die Unterstützung der Eltern sollte dabei nicht nur deren persönlichen Ressourcen in den Blick nehmen, sondern auch an den Ressourcen des Sozialraums anknüpfen.

5.4 Eltern brauchen elternsensible Fachkräfte: Mitarbeitende qualifizieren und ermuntern! 

Diese Forderung steht in mehreren Spannungsverhältnissen: Zum einen ist in einem Teil der Fälle ein Kontakt zu den Herkunftseltern für das Kind riskant oder gar für das Wohlergehen gefährlich. Zum anderen ist die Arbeit im Jugendamt oder bei freien Trägern bereits tendenziell überkomplex und die Kindzentrierung dient bewusst oder unbewusst auch der notwendigen Fokussierung. Trotz oder gerade wegen dieser Spannungsverhältnisse sollten Fachkräfte dabei unterstützt werden, genau hinzusehen, um Bedarfe von Eltern wahrzunehmen, eine kooperative, entstigmatisierende Haltung zu entwickeln sowie mit einer grundsätzlich positiven Grundhaltung Veränderung anzustoßen und Unterstützung zu initiieren. 

Für diese anspruchsvolle Aufgabe sind vielseitiges Wissen und entsprechende Kompetenzen wichtig. Daher braucht es Qualifizierung, aber auch der Unterstützung seitens der Leistungskräfte, Ambiguitäten auszuhalten und mit zu gestalten. Kollegiale Beratung und Supervision sind dafür unverzichtbar.

5.5 Eltern müssen ihre Erfahrungen einbringen können: Beteiligungsstrukturen stärken!

Als „Expert*innen ihrer selbst“ und als Träger*innen von Rechten müssen Eltern eine naheliegende und niedrigschwellige Möglichkeit haben, sich in einer für die jeweilige Organisation Aufmerksamkeit generierenden Form einzubringen, ggf. auch zu „stören“. Dies kann durch Mitwirkung in Gremien, das Einbringen einer Beschwerde oder durch Rückmeldung auf ernst gemeinte Feedbackbitten erfolgen. Kritische Rückmeldungen können wertvolle Hinweise und Impulse für die Zusammenarbeit im Einzelfall, ggf. auch für die Qualitätsentwicklung fallübergreifend, sein.
Die AGJ fordert alle Akteur*innen der Kinder- und Jugendhilfe auf, Eltern in dieser Form in die eigene Selbstreflexion einzubeziehen und für die jeweiligen Kontexte geeignete Beteiligungsstrukturen zu schaffen bzw. zu stärken. Dies beinhaltet auch, selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung von Eltern anzuregen, zu fördern und in Gremien der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Jugendhilfeausschüssen, AG 78) einzubeziehen (§ 4a SGB VIII).  

 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ    
Berlin, 29./30. Juni 2023

 

Fußnoten

[1) Ansprechperson für dieses Positionspapier in der AGJ ist die zuständige Referentin des Arbeitsfeldes VI „Hilfen
zur Erziehung, Familienunterstützende und Sozialpädagogische Dienste“: Monique Sturm (monique.sturm@agj.de).

[2] Vgl. u. a.: Schmidt-Neumeyer; H., Vossler A.; Neumeyer, W. (2002): Der Zusammenhang zwischen Elternarbeit und Hilfeverlauf. In: Unsere Jugend, 7+8, 291–300; Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ, 2011): EVAS-Highlights. Institut für Kinder- und Jugendhilfe, Mainz; Wolff, M. (2014). Partizipation und Beteiligung in den Erziehungshilfen. In M. Macsenaere, K. Esser, E. Knab; S. Hiller (Hrsg.), Handbuch der Hilfen zur Erziehung (S. 437-442). Freiburg i. B.: Lambertus; Macsenaere, M.; Esser, K. (2015). Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und andere Hilfearten (2., aktualisierte Aufl.). München Basel: Ernst Reinhardt Verlag.

[3] Vgl.: Esser, K. (2010): Die retrospektive Bewertung der stationären Erziehungshilfe durch ehemalige Kinder und Jugendliche – Ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung und Wirkungsorientierung. Dissertation. Universität zu Kölln.

[4] Vgl.: Statistisches Bundesamt (2022). Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe: Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Menschen, Hilfen für junge Volljährige 2021. Wiesbaden. 
Statistisches Bundesamt (2022). Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe: Vorläufige Schutzmaßnahmen. Wiesbaden. 

[5] Vgl.: Baker, A. J. L.; Creegan, A.; Quinones, A.; Rozelle, L. (2016): Foster children's views of their birth
parents: A review of the literature. Children and Youth Services Review, 67, 177–183; Mitchell, M. B. (2016): The Family Dance: Ambiguous Loss, Meaning Making, and the Psychological Family in Foster Care. Journal of Family Theory & Review, 8 (3), 360-372.

[6] Vgl.: Biehal, N. (2014): A Sense of Belonging: Meanings of Family and Home in Long-Term Foster Care.
British Journal of Social Work, 44 (4), 955–971; Sozialpädagogisches Institut (Hrsg., 2018): SOS kompakt, Ausgabe 2, Praxiswissen zur Handlungsbefähigung: Sich zugehörig fühlen, S. 16 f.

[7] Vgl.: Kindler, H.; Helming, E.; Meysen, T.; Jurczyk, K. (Hrsg., 2011): Handbuch Pflegekinderhilfe. München Deutsches Jugendinstitut, S. 568; Mascenaere, A.  (2015): Auswirkungen von Elternarbeit in (teil-)stationären Hilfen zur Erziehung auf Hilfeverläufe der Kinder und Jugendlichen. In: Unsere Jugend (2015), S. 364-374; 

[8] Vgl.: BT-Drs. 19/26107, S. 43.

[9] Vgl.: Münder/ Meysen/ Trenczek (2022): FK-SGB VIII, § 7 Rn. 3-4, Nomos: Baden-Baden. 

[10] Hoffmann, B. (2018): Personensorge. Rechtliche Erläuterungen für Beratung, Gestaltung und Vertretung, 3. Aufl., § 2 Befugnis zur Personensorge, Rn 26-36. 

[11] Vgl.: Abschlussbericht „Mitreden – Mitgestalten, S. 61. 

[12] Vgl.: EGMR 26.2.2002 – 46544/99 (Kutzner/Deutschland); 8.4.2004 – 11057/02 (Haase/Deutschland), NJW 2004, 3401; auch 26.2.2004 – 74969/01 (Görgülü/Deutschland) JAmt 2004, S. 551

[13] Vgl.: BVerfG 23.8.2006 – 1 BvR 476/04; JAmt 2006, S. 516; 5.4.2005 – 1 BvR 1664/05; JAmt 2005, S. 370; 28.12.2004 – 1 BvR 2790/04; JAmt 2005, S. 51; 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04; JAmt 2004, S. 601; 21.6.2002 – 1 BvR 605/02; JAmt 2002, S. 307.

[14] Vgl.: RegE zu § 37 Abs. 1 SGB VIII (BT-Drs. 19/26107), S. 89; Smessaert, A.: Kap. 2 Stärkung von Rechten. In Meysen/ Lohse/ Schönecker/ Smessaert (Hrsg.,2021): Das neue KJSG, S. 46f., Rn. 13.

[15] AGJ-Positionspapier (2023): Junge Kinder in der stationären Erziehungshilfe – aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarfe für die Kinder- und Jugendhilfe.

[16] Die Beratungsleistung können Träger der öffentlichen oder freien Kinder- und Jugendhilfe erbringen, z. B.  als Teil der gewährten Hauptmaßnahme. 

[17] Vgl.: Regierungsbegründung zum KJSG, BT-Drs. 19/26107, 108f.; Vgl.: Meysen, T.: Kap. 4 Bedarfsgerechte Hilfen. In Meysen/ Lohse/ Schönecker/ Smessaert (Hrsg.,2021): Das neue KJSG, S. 134., Rn. 67ff.

[18] Vgl.: Faltermeyer/ Knuth/ Stork (Hrsg., 2021): Handbuch Eltern in den Hilfen zur Erziehung.

[19] Vgl. u. a.: AGJ-Positionspapier (2022): Inklusion gestalten! Wie inklusive Hilfen zur Erziehung möglich werden können.; AGJ-Diskussionspapier (2018): Familienunterstützung in der Lebenswelt von jungen Menschen und ihren Familien. Hilfen zur Erziehung als Bestandteil einer ganzheitlichen Infrastruktur; AGJ-Empfehlungen (2015): Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung. 

[20] Vgl. z. B.: AGJ-Positionspapier: Junge Kinder in der stationären Erziehungshilfe – aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarfe für die Kinder- und Jugendhilfe. 

[21] Witte, S.; Miehlbradt, L. (2022): Familienbilder und Geschlechterrollen im Kinderschutz. In: S. Geiger, S. Dahlheimer; M. Bader (Eds.), Heterogenität und Differenz in Kindheits- und Sozialpädagogik: Theoretische und empirische Beiträge (1st ed., pp. 150–165). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

[22] Vgl. z. B.: Die Forderung des Careleaver e.V. (2021) zur „Auflösung der normativen Eltern-Kind-Beziehung!“   In: Careleaver. Unsere Rechte – Unsere Forderungen. Zukunftsorientierung statt Defizitblick.