Demonstration gegen KJP-Kürzung am Weltkindertag

Am Weltkindertag (20.9.2023) haben über 2.500 Menschen aus allen Bereichen der jungen Zivilgesellschaft und Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe gegen die geplanten Kürzungen im Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundes demonstriert. Zur Demonstration in Berlin aufgerufen hatte in breites Bündnis aus Verbänden der Kinder- und Jugendhilfe sowie Träger der Freiwilligendienste. Der Etat des KJP, dem wichtigsten Instrument für Jugendförderung auf Bundesebene, soll um rund ein Fünftel (44,6 Millionen Euro) reduziert werden. Die Folgen dieser Entscheidung werden an die Substanz der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gehen und lassen Millionen Zukünfte junger Menschen und ihrer Familien platzen. Als Konsequenz der geplanten Kürzungen wird der Zugang zu Sport und Jugendverbänden eingeschränkt sein, werden politische und kulturelle Bildung und die verlässliche politische Interessenvertretung mit und für junge(n) Menschen gefährdet sein. Betroffen sind auch die Freiwilligendienste: Ihre Förderung soll so stark gekürzt werden, dass rund 25 Prozent der Plätze wegfallen werden. Die unverschuldet desolate Haushaltssituation der Träger wird verschärft, da stark angestiegene Personalkosten (Tarifsteigerungen), aber auch erhöhte Sach- und Programmkosten keine Berücksichtigung finden.

DEMONSTRATIONSZUG UNTER DEM SLOGAN „EURE ENTSCHEIDUNG LÄSST MILLIONEN ZUKÜNFTE PLATZEN“ 

Der Demonstrationszug begann am Berliner Hauptbahnhof und lief entlang des Regierungsviertels vorbei am Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und am Bundesfinanzministerium. Die Demonstration endete mit einer Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz, wo die Teilnehmer*innen der Demo dann 1.000+ Luftballons symbolisch platzen ließen. Eine der Hauptredner*innen bei der Abschlusskundgebung war die AGJ-Vorsitzende Prof. Dr. Karin Böllert. Auf dem Potsdamer Platz wurde dann der Staffelstab an die Vertreter*innen der Freiwilligendienste übergeben, die ebenfalls gegen die drohenden massiven Kürzungen demonstrierten.

REDE DER AGJ-VORSITZENDEN PROF. DR. KARIN BÖLLERT AUF DER ABSCHLUSSKUNDGEBUNG

„Liebe junge Menschen, liebe Freiwillige, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer hätte gedacht, dass wir in Zeiten einer sich selbst als Fortschrittskoalition titulierenden Bundesregierung auf die Straße gehen müssen! Wer hätte gedacht, dass es heute darum gehen muss, den Rückschritt statt den Fortschritt in der Förderung von Angeboten für junge Menschen zu verhindern! 
Zum ersten Mal in der Geschichte des Kinder- und Jugendplans wird heute im Bundestag über massive Kürzungen verhandelt. Das im Koalitionsvertrag  gegebene Versprechen, endlich für eine bedarfsgerechte Ausstattung der Förderung zu sorgen, soll gebrochen werden. Stattdessen stehen jetzt Kürzungen um ein  Fünftel (44,6 Millionen Euro) auf der haushaltspolitischen Tagesordnung.  

Bedarfsgerecht wäre eine Aufstockung um 70 Mio. Euro für das Jahr 2024 gewesen. Alleine die Beibehaltung der bisherigen Fördersumme  (239 Mio.) wäre angesichts massiv steigender Kosten eine kalte  Kürzung durch die Hintertür. Sich selbst für den hohen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen feiern, die Träger aber nicht dazu in die Lage zu versetzen, diesen auch umzusetzen, das ist verantwortungslos und geht an die Substanz der Kinder- und Jugendhilfe! Wir Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind in der Situation, entweder untertariflich vergüten oder Personal entlassen zu müssen. Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera!  In Zeiten des Fachkräftemangels, zu dessen Bewältigung immer wieder eine Fachkräfteinitiative angekündigt wird, werden so systematisch die Arbeitsbedingungen der Fachkräfte verschlechtert. Eine solche Politik ist scheinheilig! Sie wird die Abwanderung der Fachkräfte beschleunigen, statt gemeinsam mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe für attraktive und verlässliche Arbeitsbedingungen zu sorgen! 

Gleichzeitig sollen immer mehr Aufgaben bewältigt werden. Auf der Tagesordnung stehen der Ganztags- und Kitaausbau, eine Armutsbekämpfung, die ihrem Anspruch soziale Ungleichheit abzubauen, gerecht wird. Die inklusive Kinder- und Jugendhilfe soll endlich gelebte Praxis werden. Die Gesundheits- und Bewegungsförderung soll ausgebaut, die Digitalisierung in Angriff genommen werden. Es geht um mehr Demokratiebildung angesichts einer erstarkenden Demokratiefeindlichkeit. Die ökologische Transformation als Bewältigung des Klimawandels fordert alle Träger der Kinder- und Jugendhilfe dazu auf, in ihren eigenen Strukturen für mehr Klimagerechtigkeit Sorge zu tragen. Man muss kein Haushaltsexperte sein, um zu wissen, dass dies alles ohne einen Mittelaufwuchs nicht gelingen kann! Wir Träger sind bereit, die Herausforderungen anzugehen. Wer in dieser Situation Kürzungen durchsetzt, gibt seine eigenen politischen Gestaltungsspielräume auf, der verspielt die Solidarität der Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit einer Politik, die jungen Menschen eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft eröffnen möchte. 

Man muss aber auch keine Haushaltsexpertin sein, um zu wissen, dass das Sparen an der Gegenwart und Zukunft der jungen Generation in jedem Fall höhere Folgekosten erzeugen wird. Keiner von uns möchte den jungen Generationen einen Schuldenberg hinterlassen, der ihre Gestaltungsspielräume in Zukunft massiv einschränken würde. Was wir fordern ist eine Prioritätensetzung bei der Haushaltskonsolidierung zugunsten der jungen Generation! Statt sich mit der Kürzung, wenn nicht sogar dem Wegfall ganzer Angebote auseinandersetzen zu müssen, wollen wir eine Politik mitgestalten, die den gesellschaftlichen Wandel ernst nimmt. Eine solche Politik kann sich sicher sein, die Kinder- und Jugendhilfe an ihrer Seite zu haben. Wir Träger der Kinder- und Jugendhilfe lassen uns nicht auseinanderdividieren. Wir sind bereit, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Sein Sie das auch!

Der großartig verkündete Deutschland-Pakt soll Deutschland schneller, moderner und sicherer machen. "Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid“ – so der Bundeskanzler. Wir als Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind das auch! Nur kommt der Deutschland-Pakt bislang ganz ohne Kinder, Jugendliche und ihre Familien aus. Die angekündigte Modernisierung der Gesellschaft blendet damit diejenigen aus, um die es eigentlich gehen muss!

Junge Menschen haben durch den Umgang der Politik mit ihren Interessen und Bedürfnissen in der Coronapandemie ein gutes Gespür dafür entwickelt, ob sie ernst genommen oder wieder einmal vergessen werden. Wenn jetzt zu befürchten ist, dass an der sozialen Infrastruktur ihres Aufwachsens gespart wird, dass die Möglichkeiten ihrer selbstbestimmten Mitwirkung in Angeboten eingeschränkt werden, dass weniger Sportangebote zur Verfügung stehen, dass Vieles, was in Folge der Corona Pandemie und in der Ukraine Hilfe neu aufgebaut worden ist, einfach wegfällt, dann verschärft sich der berechtigte Eindruck junger Menschen, von der Politik nicht wahrgenommen zu werden, einfach nicht wichtig genug zu sein. Die Mittelkürzungen sind daher alles andere als vertrauensbildende Maßnahmen in das politische System und dessen demokratische Verfasstheit. Sie vergrößern die Distanz zwischen demokratischem System und jungen Menschen!   

Kaum eine politische Rede konnte im Anschluss an die Pandemie ohne das Eingeständnis auskommen, die Interessen der jungen Generation vernachlässigt zu haben! Nie wieder sollte das so geschehen. Sparen Sie sich die Krokodilstränen solcher Sonntagsreden! Handeln Sie im Interesse der jungen Generation! Setzten Sie einen Haushaltsentwurf durch, der Einsparungen nicht überproportional bei denen vornimmt, deren Gegenwart und Zukunft sie mitverantworten! Nehmen Sie die Kürzungen im KJP im Interesse der jungen Generationen zurück! Eine solche Politik hätte die jungen Menschen und die Träger der Kinder- und Jugendhilfe an ihrer Seite!“

DIE INITIATOR*INNEN DER DEMO „EURE ENTSCHEIDUNG LÄSST MILLIONEN ZUKÜNFTE PLATZEN“

Ein Bündnis aus bundeszentralen Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe hatte für den 20.9. zur Demonstration gegen die Kürzungen in Berlin aufgerufen: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Deutscher Bundesjugendring (DBJR), Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), Deutsche Sportjugend (dsj), Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen (BAG OKJE), Gemeinsame Initiative der Träger Politischer Jugendbildung (GEMINI).

AUFRUF AN DIE JUGENDPOLITIKER*INNEN UND DIE HAUSHALTSPOLITIKER*INNEN IM BUNDESTAG

Der Demonstration am Weltkindertag ist ein Aufruf an die Jugendpolitiker*innen und die Haushaltspolitiker*innen im Bundestag vorausgegangen.
Die über den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) geförderten Träger – darunter die AGJ – haben schon länger mit der nicht-auskömmlichen Förderung bei gleichzeitig stetig steigenden Kosten zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund ist die im Koalitionsvertrag formulierte bedarfsgerechte Ausstattung ein wichtiges Ziel, dessen Umsetzung dringend angegangen werden müsste. Dass der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 statt des dringend notwendigen Aufwuchses drastische Kürzungen am KJP vorsieht, stellt daher eine gravierende politische Fehlentscheidung dar. Die AGJ hat daher mit dem DBJR, dem AdB und GEMINI, der BKJ, der BAG OKJE und der dsj einen Aufruf an die Jugendpolitiker*innen und Haushaltspolitiker*innen im Bundestag für den Erhalt und die Stärkung der bundeszentralen Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe initiiert, dem sich innerhalb kürzester Zeit die überwiegende Mehrheit der KJP-Träger angeschlossen hat. Der Aufruf wurde am 13.7. an den Bundestag versandt.
Den Aufruf finden Sie hier