Referentenentwurfeines Gesetzes zur Änderung des Vormundschaftsrechts

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

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I. Einleitung

Der aktuelle Referentenentwurf zur Änderung des Vormundschaftsrechts setzt Beschlüsse der Bundesregierung um, die diese im Rahmen ihrer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg im November 2009 auf Vorschlag des Bundesjustizministeriums getroffen hat.

Der Referentenentwurf sieht als zentrale Neuregelung vor, den persönlichen Kontakt des Vormunds zum Mündel zu intensivieren. Der Vormund soll künftig verpflichtet werden, den minderjährigen Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung zu treffen (§ 1793 BGB-E) und die Pflege und Erziehung der betroffenen Kinder und Jugendlichen persönlich zu überwachen (§ 1800 BGB-E). Mindestens einmal im Jahr soll der Vormund dem Familiengericht nicht nur über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, sondern auch über den Umfang seines persönlichen Kontakts zu ihm berichten. Die Aufsicht des Familiengerichts über die Amtsführung des Vormunds wird ausdrücklich auf die Erfüllung der Kontaktpflichten erstreckt. Darüber hinaus soll im SGB VIII die Fallzahl bei Amtsvormundschaften und Amtspflegschaften auf 50 Vormundschaften bzw. Pflegschaften pro Vollzeitmitarbeiter begrenzt werden.

Mit den Neuregelungen sollen eine wirksamere Überwachung der Pflege und Erziehung des Mündels durch den Vormund erzielt und dadurch auch Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen verhindert werden.

Erst im letzten Jahr stellte die vom Bundesjustizministerium eingerichtete Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB“, in der auch die AGJ mitgewirkt hat, einen Reformbedarf im Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht fest und erarbeitete Eckpunkte, die bei einer künftigen Reform geprüft und umgesetzt werden sollten. Empfohlen wurde auch von diesem Fachgremium u. a. eine gesetzliche Pflicht des Vormunds zum regelmäßigen persönlichen Kontakt mit dem Mündel und der Abbau überhöhter Fallzahlen in der Amtsvormundschaft sowie ggf. die Implementierung einer gesetzlichen Fallquote.

Zusätzlich zu den Regelungen im vorliegenden Entwurf plant die Bundesregierung in einem zweiten Schritt eine Gesamtreform des Vormundschaftsrechts, dessen derzeitige Grundkonzeption aus dem 19. Jahrhundert stammt und die daher in vielen Bereichen einer Anpassung an die aktuellen Rechts- und Lebensverhältnisse bedarf. Ein Gesetzentwurf hierzu soll im Laufe der Legislaturperiode erarbeitet werden.


II. Allgemeine Bewertung des Referentenentwurfes

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ stimmt dem Referentenentwurf in seiner grundsätzlichen Zielsetzung bezüglich der Betonung der Bedeutung des persönlichen Kontakts zum Mündel und der sich daraus ergebenden Fallzahlobergrenze zu. 

Der „persönliche Vormund“ bzw. die „persönlich geführte Vormundschaft“ ist ebenso wie vernünftige Fallzahlen in der Amtsvormundschaft und eine wirkliche und nicht nur pro forma stattfindende Beteiligung des Mündels an Entscheidungen eine alte, bislang nicht eingelöste Forderung, die in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten von der Fachlichkeit immer wieder an den Gesetzgeber mit dem Ziel herangetragen wurde, eine längst überfällige Reform anzustoßen. 

Kernziel einer Reform der Vormundschaft sollte es sein, Vormünder in die Lage zu versetzen, dass sie ihre Rolle und Funktion für das Mündel angemessen wahrnehmen können. Vormünder sollen wie Eltern für die ihnen anvertrauten jungen Menschen entscheiden und deren Wohl verfolgen. Dabei sind sie häufig auf Sozialleistungen und deren gute Organisation durch Jugendämter angewiesen. Regelmäßig sind aber diejenigen Personen, die die jungen Menschen tatsächlich erziehen, von noch größerer Bedeutung als die Vormünder. Jedoch unterliegen alle Personen, die Aufgaben in der Erziehung und Betreuung junger Menschen wahrnehmen, dem staatlichen Wächteramt. Soll die Stellung der Vormünder verbessert werden, geht es darum, sie in ihren eigenen Aufgaben zu stärken, nicht aber ihren Aufgabenkreis auszuweiten.

Zu einer Reform des Vormundschaftsrechts gehört auch die Förderung des gesetzlich vorgesehenen Vorrangs der Einzelvormundschaft von geeigneten Personen aus dem sozialen Umfeld des jungen Menschen oder anderer Bürgerinnen und Bürger. Anknüpfend an Erfahrungen und Projekte der letzten Jahre sind Angebote der Werbung, Qualifizierung, Begleitung und Vermittlung solcher Personen mit dem Ziel weiterzuentwickeln, dem Rückgriff auf einen Amtsvormund eine tragfähige Alternative als Vertretung für den jungen Menschen zur Seite zu stellen. Des Weiteren sollten Vereinsvormundschaften, Vormundschaften in Verantwortung anderer Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe und sog. „Berufsvormundschaften“ ausgebaut werden.

Die AGJ begrüßt, dass mit der vorliegenden Gesetzesinitiative eine Diskussion über die Funktion und Verantwortung von Vormündern vorangetrieben wird. Eine Qualitätsentwicklung darf aber nicht ausschließlich unter kindesschutzintendierten Zielen und der Prämisse einer Stärkung der „Überwachungsfunktion“ von Vormündern betrieben werden. Im Mittelpunkt gesetzlicher Regelungen muss die Verbesserung und Gewährleistung der unabhängigen Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen stehen, die komplexe und vielfältige Aufgaben und Verantwortlichkeiten umfasst.

Ausdrücklich betont werden muss die Kostenintensität der geplanten Neuregelungen, die – auch ausweislich der Anmerkungen im Referenten-entwurf zu den finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte – nur umgesetzt werden können, wenn auf der kommunalen Ebene zusätzlich erforderliche personelle und finanzielle Ressourcen in der Amtsvormundschaft zur Verfügung gestellt werden.

 
III. Bewertung der geplanten Neuregelungen im Einzelnen

Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
Zu Nummer 1 (§ 1793 Abs. 1a BGB-E):
Pflicht des persönlichen Kontakts des Vormunds zum Mündel
Der Einführung einer gesetzlichen Pflicht des Vormunds zum regelmäßigen persönlichen Kontakt mit dem Mündel stimmt die AGJ grundsätzlich zu. Die Aufgaben des Amtsvormundes dürfen nicht nur auf die rechtliche Vertretung des Mündels beschränkt sein. Damit der Vormund seiner Erziehungs-verantwortung für den Mündel in angemessener Weise gerecht werden kann, ist ein persönliches Kennenlernen und ein kontinuierlicher persönlicher Kontakt zwischen Vormund und Mündel, bei dem sich der Vormund ein genaues Bild von den persönlichen Lebensumständen des Mündels machen kann, unabdingbare Voraussetzung der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung des Vormunds. Dass die vorgesehenen Kontakte am üblichen Aufenthaltsort des Mündels erfolgen sollen, ist aus Sicht der AGJ nicht in jedem Falle sinnvoll. Insbesondere, wenn sich das Kind bzw. der Jugendliche in einer Konfliktsituation mit seinen Pflegeeltern und den Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern im Heim befindet, sollte der Kontaktbesuch nicht in der „üblichen Umgebung“ stattfinden, wo es dem Mündel eher schwer fallen wird, über seine Probleme und Schwierigkeiten zu sprechen. 

Bedenken hat die AGJ auch hinsichtlich des Ausmaßes der in § 1793 Abs. 1a BGB-E vorgesehenen - in der Regel monatlich stattfindende persönliche - Kontakte. Ein solcher regelhafter monatlicher Besuch ist weder fachlich sinnvoll noch in der Praxis realisierbar. Würde der Amtsvormund bei einer Fallzahl von bis zu 50 Vormundschaften (siehe § 55 Abs. 2 SGB VIII-E) jeweils einen monatlichen Kontakt zum Mündel herstellen wollen, müsste er jährlich 600 Kontakte wahrnehmen. Dies wäre (zusätzlich zu den festgeschriebenen und neben den übrigen für sein Mündel zu leistenden Aufgaben) nicht leistbar.

Hervorgehoben werden muss daher, dass die Häufigkeit des persönlichen Kontaktes letztlich in der fachlichen Beurteilung des Vormundes liegt („Der persönliche Kontakt soll in der Regel einmal im Monat [...] stattfinden.“). Dieser hat die Ausübung seiner fachlichen Beurteilung gegenüber dem Familiengericht nachzuweisen und zu begründen (siehe §§ 1837, 1840 BGB-E). Bei der Ausübung der fachlichen Beurteilung sollte der jeweilige individuelle Kontaktbedarf des Mündels berücksichtigt werden, der vor allem abhängig ist von der jeweiligen Lebenssituation und dem Alter des Mündels. In jedem Fall ist ein gewisses Maß an Flexibilität für den Vormund notwendig, um ihm im Bedarfsfall auch zusätzliche Kapazitäten für Problemfälle einzuräumen. Denn in Krisensituationen können - wie in der Entwurfs-begründung zutreffend ausgeführt - auch häufigere Kontakte zum Mündel erforderlich sein. In anderen Fällen werden weniger häufige Kontakte angezeigt sein.

Aus Sicht der AGJ wird ein monatlich stattfindender Kontakt zwischen Vormund und Mündel wohl eher selten erforderlich sein, so dass die Formulierung „... in der Regel einmal im Monat...“ in § 1793 Abs. 1a BGB-E überdacht werden sollte.

 

Zu Nummer 2 (§ 1800 BGB-E): Persönliche Überwachung der Pflege und Erziehung des Mündels
Die Ergänzung unterstreicht den Grundsatz der „persönlichen Vormund-schaft“. Die Klarstellung ist sinnvoll, insbesondere vor dem Hintergrund der häufigen Praxis, nach der der Amtsvormund im Wesentlichen lediglich den Entscheidungen der Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) folgt, der vielfach auch den persönlichen Kontakt zum Mündel hält. Betont werden muss an dieser Stelle aber nochmals, dass eine Weiterentwicklung des Vormundschaftsrechts nicht fokussiert auf Kontrolle und Überwachung der Lebenssituation des Mündels sein darf.  Im Mittelpunkt muss die Stärkung des Vormunds als Interessenvertreter und „Ersatzbestimmer“ für den jungen Menschen stehen.
Für Einzelvormünder muss der Kontakt so organisiert bleiben, dass ein formalisierter monatlicher Kontakt nicht erforderlich ist.


Zu Nummer 3 (§ 1837 Abs. 2 BGB-E): Überwachung der persönlichen Kontakte durch das Familiengericht
Die Einfügung stellt lediglich klar, dass sich die Aufsicht des Familiengerichts über den Vormund auch auf dessen persönliche Kontakte mit dem Mündel bezieht, da diese Kontakte künftig Teil der ordnungsgemäßen Amtsführung des Vormundes sind. 

 

Zu Nummer 4 (§ 1840 Abs. 1 BGB-E): Pflicht zur Dokumentation der persönlichen Kontakte
Die Festschreibung der Dokumentationspflicht gegenüber dem Familien-gericht ist eine konsequente Folge der gesetzlichen Verankerung des persönlichen Kontaktes des Vormunds zum Mündel und zwingende Voraussetzung für die Überwachung der Tätigkeit des Vormundes durch das Familiengericht gemäß § 1837 Abs. 2 BGB.
Einzelvormündern dürfen Dokumentationspflichten nur insoweit auferlegt werden, wie sie diese auch tatsächlich regelmäßig erfüllen können.

 

Artikel 2 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch)
Gegen die Änderung bestehen keine Bedenken.

 

Artikel 3 (Änderung des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe)

Zu Nummer 1 (§ 55 Abs. 2, Satz 2 und 3 SGB VIII-E):
Anhörung des Mündels zur Auswahl des Vormundes
Die als „Sollvorschrift“ ausgestaltete Anhörung des Mündels vor der Auswahl des Vormundes wird begrüßt. Die Beteiligungsrechte des Mündels im Verfahren betreffend Auswahl und Wechsel des Vormunds sind zu stärken. Es sollte daher sichergestellt werden, dass der Mündel je nach Stand seiner Entwicklung bei der Auswahl des Vormunds berücksichtigt wird.  

Darüber hinaus sollte der Mündel auch bei allen Entscheidungen über ihn betreffende Angelegenheiten durch den Vormund beteiligt werden und daraus resultierend eine geeignete Beschwerdemöglichkeit bzw. -instanz neben den Rechtsbehelfen des Verfahrensrechts geprüft werden, an die sich der Mündel bei Unzufriedenheit mit dem Vorgehen des Vormunds wenden kann.

Fallbegrenzung

Die AGJ begrüßt die beabsichtigte Fallbegrenzung in der Amtsvormundschaft und –pflegschaft. Der Abbau überhöhter Fallzahlen in der Amtsvormundschaft und die damit oftmals einhergehende Überlastung der mit Vormundschaften befassten Jugendamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ist eine grundlegende Voraussetzung für die Ausübung der Amtsvormundschaft im Interesse des Mündels. Die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jugendamt zu bewältigenden Vormundschaften müssen angemessen sein. Die gesetzliche Festschreibung einer angemessenen Fallzahl wird daher befürwortet. Jede Fachkraft sollte künftig nur noch so viele Vormundschaften führen, wie dies mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtung nach Artikel 1 Nr. 1 – 4 dieses Referentenentwurfes möglich ist.

Die AGJ spricht sich aber gegen die gesetzliche Verankerung der beabsichtigten Obergrenze von 50 Fällen je Vollzeitkraft aus. Zur Orientierung für die Festsetzung einer angemessenen Fallzahl im Einzelfall sollten jedoch Erläuterungen in die Gesetzesbegründung aufgenommen werden. Aus Sicht der AGJ sollten sich die von einer Vollzeitkraft zu bearbeitenden Vormundschaften in einem Rahmen von 30 – 50 Fällen bewegen. 50 Fälle je Vollzeitkraft sollte die absolute Obergrenze sein, sie entspricht einer Empfehlung aus der amtsvormundschaftlichen Praxis (vgl. z. B. „Dresdener-Erklärung“, abgegeben auf der Fachtagung „Die Zukunft der Amtsvormund-schaften“ vom 22.-24.3.2000 in Dresden, abgedruckt in: Der Amtsvormund 2000, S. 438). 

Abschließend weist die AGJ nochmals auf die bereits in der allgemeinen Bewertung des Referentenentwurfes erwähnte Kostenintensität der Neuregelung hin. Insbesondere die Einführung einer Fallobergrenze in der Amtsvormundschaft wird zusätzliches Personal erfordern und zu Mehrkosten in den Kommen führen.
Es wird angeregt zu überprüfen, ob bei der Belastung der Amtsvormünder auch die sehr unterschiedlichen Amtspflegschaften einzubeziehen sind.

 

Zu Nummer 2 (§ 55 Abs. 3 SGB VIII-E):
Der redaktionellen Änderung wird zugestimmt.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 25./26. Februar 2010