• Umwelt
  • Kinder
  • Diversität
  • Generationen
  • Freizeit
  • Bildung
  • Beruf
  • Familie

Familienunterstützung in der Lebenswelt von jungen Menschen und ihren Familien

Hilfen zur Erziehung als Bestandteil einer ganzheitlichen Infrastruktur

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Diskussionspapier als PDF

Die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen für gelingendes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen haben sich in den letzten Jahren erkennbar verändert. Insbesondere Regionen und Städte, in denen Sozialindikatoren auf kritische Lebensverhältnisse hindeuten, weisen erkennbare Steigerungsraten bei Familien mit besonderem Unterstützungsbedarf aus, welche die Kommunen zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern vor erhebliche Herausforderungen stellen. In der Kinder- und Jugendhilfe als einem wichtigen Partner einer kommunalen Verantwortungsgemeinschaft spiegelt sich diese Entwicklung in einer steigenden Inanspruchnahme familienunterstützender Leistungen wider. Besonderen Ausdruck findet dies in den vergangenen Jahren in der steigenden Inanspruchnahme der Hilfen zur Erziehung und dem Zusammenhang von Inanspruchnahme der Hilfen zur Erziehung und dem Bezug von Transferleistungen oder dem erhöhten Hilfe-/Unterstützungsbedarf für beispielsweise alleinerziehende Elternteile, Patchworkfamilien. Vergleichbar gilt dies auch für Pflegefamilien.

Angesichts der voranschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen diskutiert die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ im vorliegenden Papier deshalb eine zentrale Zukunftsfrage, die sich zwar an die gesamte Kinder- und Jugendhilfe richtet, sich aber in besonderer Weise bei der Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung stellt: Wie kann es gelingen, lebensweltorientierte Strukturentwicklungen, niederschwellige Hilfen im Sinne des § 16 SGB VIII, Regelangebote der Kinder- und Jugendhilfe in den Stadtteilen und individuelle Unterstützungsleistungen der Hilfen zur Erziehung anschlussfähig zu gestalten bzw. so miteinander zu verschränken, dass ein bedarfsgerechtes Spektrum an Leistungen mit einem tatsächlichen und nachvollziehbaren Mehrwert für Kinder, Jugendliche und ihre Familien entsteht. Sie stellt dafür vier Thesen vor, die die Grundlage für eine Diskussion zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung als Bestandteil einer umfassenden familienunterstützenden Infrastruktur im Lebensraum der jungen Menschen und ihrer Familien bilden. Die Diskussion dieser Thesen führt zu fachlichen und politischen Herausforderungen, die in kommunaler Gesamtverantwortung geprägt und von den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe angegangen werden müssen.

1. Die Hilfen zur Erziehung müssen sich weiterentwickeln, ausdifferenzieren sowie flexibilisieren und Bestandteil einer ganzheitlichen sozialen Infrastruktur werden.

Die mehrheitlich einzelfallbezogenen Konzepte der Hilfen zur Erziehung orientieren sich in aller Regel an den in §§ 27 ff. SGB VIII ausdrücklich benannten Hilfeformen. Über die Jahre hat es innerhalb dieses etablierten Hilfesystems eine Reihe konzeptioneller Ausdifferenzierungen gegeben, allerdings nur begrenzt, auf einzelne Region beschränkt.

Die in § 27 SGB VIII mit der Formulierung „insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35“ intendierte Öffnungsklausel scheint bisher in der Praxis noch nicht vollumfänglich ausgeschöpft zu sein. Seine Begründung findet dies häufig in dem Hinweis auf den individuellen Rechtsanspruch, der durch andere Hilfeformen in der Einzelfallhilfe und der fallübergreifenden Arbeit in seiner Ausdrücklichkeit in Frage gestellt werden könnte. Dabei können nach § 27 Abs. 2 SGB VIII auch andere bedarfsorientierte individuelle Hilfeoptionen wie z. B. Nachhilfe, Babysitterdienst, befristete Haushaltshilfe u. a. gemeinsam mit der/dem Hilfesuchenden herausgearbeitet werden, sofern die Hilfen im konkreten Einzelfall geeignet und notwendig sind, um eine Erziehung zum Wohl des jungen Menschen wieder zu ermöglichen. [1]

§ 27 Abs. 3 SGB VIII verweist zwar darauf, dass Hilfe zur Erziehung die Gewährung pädagogischer und therapeutischer Leistungen umfasst, hat aber auch hier eine Öffnungsklausel vorgesehen. Dabei können systematisch Potentiale des (sozialen) Umfelds wie z. B. Familienangehörige, Nachbarinnen und Nachbarn, Freundschaften wie auch die Angebote der Institutionen und Organisationen im Lebensumfeld eruiert sowie als mögliche Unterstützer kontaktiert und eingebunden werden.

Eine Engfassung des Leistungskataloges verstellt den Blick auf die eigentliche Heraus-forderung, nämlich durch die Art der Hilfegestaltung den Lebenswelten, dem Bedarf junger Menschen und ihrer Familien an Unterstützung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Potentiale zu entsprechen. Solange der Zugang zu den Hilfen zur Erziehung einen gewissen Grad an Entwicklungsdefiziten, Verhaltensauffälligkeiten oder Überforderungen voraussetzt, wird sich der Allgemeine Soziale Dienst/Regionale Soziale Dienst (ASD/RSD) als gewährende Stelle erst dann mit der Einleitung erzieherischer Hilfen befassen, wenn es dem Grunde nach schon „zu spät“ ist und sich Probleme, Störungen oder Schädigungen verfestigt haben.

Zu dieser hochgelegten Messlatte für die Auslösung des individuellen Rechtsanspruches gesellt sich – trotz der Öffnungsklausel – das eher begrenzte Repertoire der ambulanten Hilfen zur Erziehung. Anstatt der ausdrücklichen Intention des § 36 SGB VIII bei der Hilfegewährung und Hilfeplanung nach individuellen und passgenauen Unterstützungsmöglichkeiten zu folgen, werden die Antworten aus dem vorhandenen Angebotsspektrum gegeben. So wird regelmäßig auf klassische Hilfesettings wie beispielsweise die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) zurückgegriffen. Regionale Vergleiche machen aber unterschiedlich hohe Abbruchquoten deutlich und verweisen auf eine verschiedenartige Passgenauigkeit dieser Hilfeform.

Damit rückt die Frage in den Vordergrund, ob einerseits die Betroffenen ausreichend in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind und andererseits das Hilfeangebot auf die Bedürfnisse der Betroffenen ausreichend flexibel zugeschnitten ist und im laufenden Hilfeprozess angepasst wird. Die aus der Perspektive dieses Papiers hochschwelligen Hilfen zur Erziehung sollten dazu durch ein Handlungsfeld ergänzt werden, das Unterstützung unterhalb eines dezidierten erzieherischen Bedarfs anbietet. Dies böte unter anderem die Chance auch innerhalb der Hilfeplanung auf ein breiteres und flexibleres Spektrum an Hilfeleistungen zurückgreifen zu können. Dabei kann auf „good practice“ wie die Netzwerke Früher Hilfen sowie auf vorhandene Angebote wie z. B. Familien- und Mütterzentren, Mehrgenerationenhäuser, Jugendtreffs oder auch bereits gelebte Kooperationen mit Kindertagesstätten zurückgegriffen werden. Diese Angebote gilt es, strukturell und methodisch im Sinne der Verbindlichkeit und des Zusammenwirkens der familienunterstützenden Hilfen insgesamt weiterzuentwickeln. Erforderlich hierfür ist, dass jeweils spezifiziert wird, was der Part der einzelnen Akteure ist, was diese leisten können und wie sich die Zusammenarbeit konkret gestaltet.

Damit kämen in der kommunalen Praxis zwei Ansätze zusammen, nämlich einerseits konkrete Hilfen und Leistungen, die den Adressatinnen und Adressaten in der Lebenswelt bei der Bewältigung individueller Schwierigkeiten helfen und andererseits eine niedrigschwellige und flexible ebenfalls in der Lebenswelt der Familien verankerte Infrastruktur, die auf die Überwindung von Ausgrenzung und Stigmatisierung und die Verbesserung von gesellschaftlicher Teilhabe zielt.

2. Der ASD hat im Lebensraum der jungen Menschen und ihrer Familien eine seismographische Funktion. Diese gilt es fachlich und strukturell zu stärken.

Die hohe Inanspruchnahme der Hilfen zur Erziehung wirkt sich unmittelbar auf die Arbeitsbelastung und die Arbeitsweise vor allem der ASD/RSD aus. Akute Einzelfälle im Rahmen des Kinderschutzes, der Inobhutnahmen und aufwendiger HzE-Verfahren werden vorrangig zu Lasten der Arbeit in den Wohnquartieren geleistet. Und dies vor dem Hintergrund, dass sich beispielweise in den sozial benachteiligten Quartieren Veränderungen manifestieren, die massive Konsequenzen für das Aufwachsen junger Menschen und ihrer Familien haben. Schlechte und beengte Wohnverhältnisse, Verkehr, hohe Umweltbelastungen, Armut etc. führen zu Problemen, deren Folgen in die Kinder- und Jugendhilfe hineinwirken, ohne dass sie hierfür verantwortlich ist oder adäquate Konzepte anbieten kann. Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist es aber, im Rahmen ihrer seismographischen Funktion diese Probleme in politische Entscheidungsprozesse einzubringen.

Erschwert wird die Arbeit der ASD/RSD zusätzlich – wenn auch regional unterschiedlich im Hinblick auf die finanzielle und personelle Situation vieler Kommunen – durch den Legitimationsdruck in der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder, Jugendliche und Familien zu unterstützen, den Kinderschutz zu gewährleisten und gleichzeitig die Kosten der Hilfen zur Erziehung im Blick zu behalten, stellt hohe fachliche und persönliche Anforderungen. Diese Gemengelage kann Frust und Resignation unter den Mitarbeitenden der Sozialen Dienste und auch der Träger der freien Jugendhilfe auslösen.

Dabei böten sich für den ASD auf der Quartiersebene im Vorfeld erzieherischer Hilfen erhebliche Chancen:
Die Mitarbeitenden der ASD/RSD sind neben ihrer Einzelfallarbeit gerade, aber nicht nur in den Städten und Ballungsgebieten in die sozialräumliche Arbeit fest eingebunden. Sie begleiten beispielweise Elterntreffs, leiten Arbeitsgruppen zur Verbesserung der Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe sowie Schule, moderieren Veranstaltungen zu Themen des Wohnquartiers und gestalten den Transfer zu den Verantwortlichen der örtlichen Stadtentwicklung und Stadtteilpolitik. Erreicht wird damit ein Kontakt zur Bewohnerschaft, der nicht erst dann zustande kommt, wenn Probleme eskalieren. Vielmehr nehmen sie frühzeitig gegenwärtige Entwicklungen und Themen wahr, woraus sich Spielräume zur Planung und Umsetzung bedarfsorientierter Entlastungs- und Unterstützungsangebote eröffnen, die sich an den jeweiligen Gegebenheiten des Stadtteils und vor allem an den dort lebenden Menschen orientieren.

Mit Blick auf die Gestaltung einer ganzheitlichen Infrastruktur müssten die ASD/RSD als mikrokosmische Organisationseinheit ihren Blick für Entwicklungen im Stadtteil und in den Straßenzügen weiter schärfen, um selbst seismographisch im Sinne eines frühen Erkennens agieren zu können. Sie sollten aktiv auf die Menschen in den Wohnquartieren zugehen, sich für ihr Leben interessieren und sie mit den Angeboten im Stadtteil in Verbindung bringen. Dazu ist es von Vorteil, wenn in der individuellen Hilfeplanung und in der Betrachtung von Hilfeverläufen systematisch hemmende und förderliche Faktoren (in der Lebenswelt/-Stadtgebiet) erfasst werden. Im Zusammenspiel von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe könnte dann das Portfolio an passgenauen Angeboten erweitert werden. Die Träger der freien Jugendhilfe haben oft vielfältige Vernetzungen in die Hilfesysteme und verfügen durch ihre Trägerstrukturen über Kenntnisse zu diesen Angeboten im Sozialraum sowie über Kompetenzen zu deren Einbeziehung. Sowohl für die Arbeit beim ASD/RSD als auch bei den Trägern der freien Jugendhilfe braucht es allerdings ausreichende personelle, zeitliche und finanzielle Mittel und entsprechende Fachkonzepte.

3. Die integrierte (bereichs- und ressortübergreifende) Planung ist eine Grundvoraus-setzung für die Entwicklung einer bedarfsgerechten Infrastruktur im Lebensraum von Familien.

Aus der Perspektive der jungen Menschen und ihrer Familien ist es unbedingt notwendig, dass die in der Regel für sich stehenden Leistungen und Möglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe, der Gesundheitshilfe, der Schulentwicklung, der Übergangsgestaltung vom Jugend- ins Erwachsenenleben (insbesondere im Bereich der beruflichen (Aus-)Bildung, und des Bildungssektors), des bürgerschaftlichen Engagements u. a. sowie insbesondere der Hilfen zur Erziehung miteinander in Beziehung gesetzt und verknüpft werden. Die solitären Handlungsfelder der kommunalen Daseinsvorsorge und Begleitung in komplexen Lebenslagen – dazu gehören zum Beispiel auch Kinder- und Jugendarbeit, Arbeitsförderung, Verkehrssicherung, Wohnungsbauförderung, Bildungsarbeit, Integrationsarbeit sowie Stadt- und Quartiersentwicklung – sollten im Interesse frühzeitiger, flexibler und auch passgenauer individueller Hilfen für Familien und einer ganzheitlichen Infrastruktur, die auf gleichberechtige Teilhabe zielt, miteinander vernetzt und verbunden werden. Fachlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit können damit konzeptionell und paradigmatisch auf einer höheren Organisations-stufe flexibel, integriert und weitgehend sozialräumlich aufeinander abgestimmt werden.

Eine integrierte Jugendhilfeplanung und -berichterstattung kann hier die notwendigen fachlichen Impulse geben, in dem sie zeitnah Rückmeldungen aus den Stadtteilen und Regionen des Jugendamtsbezirks erhält, Infrastruktur- und Sozialdaten regelmäßig auswertet und mit den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort Planungsprozesse gestaltet. Die bisher in den meisten Kommunen zentral organisierten und zum Teil personell auf ein Minimum reduzierten Jugendhilfeplanungen müssten in ihrer Rolle und Funktion gestärkt werden. Es wird immer wichtiger werden, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Diskurs über bedarfsgerechte Leistungen datenbasiert führt und divergierende Interessenlagen im Interesse der jungen Menschen und ihrer Familien gestaltet. Hierbei muss sich die Kinder- und Jugendhilfe auch wieder stärker in kommunal- und landespolitische Diskurse einbringen.  

Der jugendhilfeplanerische Prozess muss in der Lage sein, sozialräumlich den vom Sozialdienst im Dialog mit den Eltern, Kindern und Jugendlichen und weiteren Akteuren im Sozialraum ermittelten Unterstützungsbedarf in konkrete Konzepte und Maßnahmen umzusetzen. Eine (dezentrale) Jugendhilfeplanung müsste sich deshalb in den Arbeitsstrukturen der Regionen und Stadtteile gut auskennen und die Akteure in Planungsprozesse einbinden. Dazu ist auch die Zusammenarbeit mit den Trägern der freien Jugendhilfe weiter auszugestalten.

Generell wäre es sicher auch von Vorteil, wenn sich eine (dezentrale) Jugendhilfeplanung mit dem ASD/RSD auf die unmittelbare Ebene des direkten Diskurses mit den Betroffenen und mit den Trägern der freien Jugendhilfe begeben würde. Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Sozialräumen müssten in den Kommunen zusammengeführt und miteinander verknüpft werden. Planungen könnten gebündelt und anderen Regionen und Stadtteilen zugänglich gemacht werden. Die unterschiedlichen Planungs- und Umsetzungsebenen würden wechselseitig voneinander profitieren. Die Steuerungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe würde hierdurch nachhaltig gestärkt werden. Die Qualität der fachlichen Auseinandersetzungen mit den Leistungsanbietern der Kinder- und Jugendhilfe würde dadurch ebenfalls gestärkt werden.

Dazu bedarf es einer ausreichenden personellen Ausstattung der Jugendhilfeplanung, der Anpassung von Fachkonzepten sowie einer Weiterentwicklung der vorhandenen derzeit primär auf die Einzelfallebene ausgerichteten Steuerungslogik und eine entsprechende Qualifizierung der zuständigen Mitarbeitenden.

Im Rahmen einer integrierten und ressortübergreifenden Planung wird sich auf der fachlichen Ebene für alle Akteurinnen und Akteure die entscheidende Frage stellen, ob über die einzelfallbezogenen Hilfen hinaus auch ergänzend die Investition in eine qualitative und quantitative Stärkung der Regelangebote und eine ganzheitliche Infrastruktur möglich ist und wie diese zu finanzieren wären. Wenn die Regelangebote (frühkindliche/schulische Bildung, Gesundheitssystem, Familien- oder Bürgerzentren) u. a. zielgerichtet zur Prävention und Unterstützung benachteiligter Kinder und Familien genutzt würden, wäre in dem Zusammenhang zu prüfen, ob eine Investition in strukturbildende oder strukturstärkende Maßnahmen über das Budget der Hilfen zur Erziehung und/oder über die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 SGB VIII) möglich ist. Hierfür braucht es entsprechende kommunalpolitische Willensbildungsprozesse.

4. Kooperation und Verknüpfung von Angeboten in und außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe sind zentrale Bestandteile einer ganzheitlichen Familienunterstützung.

Die Angebote und Leistungen der gesamten Kinder- und Jugendhilfe sollten konsequent miteinander verknüpft und konzeptionell aufeinander abgestimmt werden. So sollten in den Regionen und Stadtteilen beispielsweise im Rahmen der frühkindlichen Bildung Angebote der Familienbildung mit den Frühen Hilfen, Frühförderung, Familienbildung mit den Angeboten der Erziehungsberatung, Erziehungsberatung mit den Kindertageseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen mit den Familienzentren, Familienzentren mit den Hilfen zur Erziehung, die Hilfen zur Erziehung mit Schulen usw. systematisch so verzahnt werden, dass Bedarfe gedeckt bzw. benötigte Unterstützung frühzeitig erkannt und bedient werden kann. Hierbei ist insbesondere die Gestaltung der Übergänge zwischen den verschiedenen Systemen konsequent in den Blick zu nehmen. Nur wenn es gelingt, die jungen Menschen bzw. ihre Eltern gut von A nach B zu begleiten, können die Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe erhöht werden.

Als Grundlage für vernetzte Arbeitsweisen bedarf es innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe klarer Abstimmungen und Beauftragungen auf der Ebene der Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII (teilweise sogar des Jugendhilfeausschusses), um gegenüber den Mitarbeitenden des ASD/RSD und den Trägern der freien Jugendhilfe deutlich zu machen, dass vernetztes Arbeiten über die Einzelfallhilfe hinaus gewünscht und gleichwertiger Bestandteil der Arbeit ist.

In § 81 SGB VIII ist darüber hinaus die strukturelle Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen verankert. Diese Verpflichtung zur Kooperation über die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe hinaus nimmt einen der Kerngedanken des vorliegenden Diskussionspapieres auf, dass die Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nur dann ihre Kraft entfalten können, wenn sie in fach- und ressortübergreifendes Handeln eingebettet sind. Und hier sei außerdem noch einmal deutlich erwähnt, dass es im Hinblick auf die Hilfen zur Erziehung und ihr Verhältnis zu den Infrastrukturleistungen anderer Leistungssysteme nicht darum geht, diese gegeneinander zu stellen, sondern dass vielmehr die parallel bestehenden Leistungen und Angebote – auch zukünftig – gebraucht werden. Im Sinne der gemeinsamen Verantwortung für ein gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sollte vielmehr im Mittelpunkt stehen, die Leistungspotentiale der verschiedenen Systeme diesbezüglich zu stärken und mit Blick auf Synergien gezielter miteinander zu verschränken.

Um eine Zusammenarbeit in gemeinsamer Verantwortung für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Systemlogiken und Aufgabenbereiche zu erreichen, braucht es Strukturen und miteinander abgesprochene Prozesse, damit die verschiedenen Akteure mit der Absicht einer Verständigung zu den gemeinsamen Zielsetzungen, jeweiligen Aufgabenbereichen und gemeinsamen Standards ins Gespräch kommen und in eine konstruktive Kooperation gebracht werden. Gelingende Kooperation setzt Verbindlichkeit und transparente Verfahren voraus. Entsprechend ist eine jeweilige rechtlich verbindliche Kooperationsverpflichtung aller Akteure aus Kinder- und Jugendhilfe, Schule und Gesundheitswesen erforderlich, ebenso wie ein entsprechender politischer Wille sowie die Gewährung der dafür notwendigen Ressourcen.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 06./07.Dezember 2018

Fußnoten:

[1]   Zum Vorschlag einer rechtlichen Klarstellung zum § 36a Abs. 2 SGB VIII siehe AGJ-Empfehlungen zum Reformprozess „Vielfalt gestalten, Rechte für alle Kinder und Jugendlichen stärken!“, 2016, S. 25